Transkription und digitale
Edition von Jean Pauls Exzerptheften
Vorgelegt von: Sabine Straub,
Monika Vince und Michael Will
unter Mitarbeit von Christian Ammon, Kai Büch
und Barbara Krieger.
Universität Würzburg. Arbeitsstelle Jean-Paul-Edition
Leitung: Helmut Pfotenhauer
Titelblatt
Exzerpten.
Dritter Band.
1779.
Verschiedenes,
aus den
neuesten Schriften.
Dritter Band.
Schwarzenbach
an der Saal, ? ?.
1779.
Manuskriptseite
1.
Ia-03-1779-0001
I.
Ia-03-1779-0002
Algemeine
deutsche Bibliothek. Des siebenten Bandes zweites Stük.
Berlin und Stettin, verlegts
Friedrich Nikolai, 1768.
Ia-03-1779-0003
1) Von der Genugthuung.
Ia-03-1779-0004
"Wenn die Apostel
lehren, daß der Tod Jesu das von Gott bestimte
Mittel sei, wodurch er nach seiner Barmherzigkeit sein Misfallen an dem
Sünder aufheben, und ihm seine Gnade zuwenden wollen, so bedienen sie
sich oft dazu bildlicher Redensarten. Sie nennen es eine Versöhnung,
eine Erlösung, ein Opfer,
ein Lösegeld, Christus
ist das Lam Gottes u. s. w. Diese Redensarten
waren besonders bei den Juden gottesdienstlich, und aus ihrer heiligen
Sprache entlehnt; aus dieser müssen sie also gedeutet werden, nicht aus
denjenigen Ideen, die wir nach dem heutigen Sprachgebrauch damit verbinden,
oder daraus herleiten können. Es ist auch schwer zu erweisen, daß man
diese Ausdrükke gleichsam pressen, und alles daraus ziehen dürfe, was
nach altem und neuem Sprachgebrauch dadurch angedeutet werden kan. Noch
schwerer wird es zu erweisen sein, daß die Apostel dabei zur Absicht gehabt,
den Menschen die Art und Weise bekant zu machen,
wie Gott es eingerichtet habe, daß er sein Misfallen
aufheben, und Sünde vergeben kan. Dies ist eine Sache Gottes die der Mensch
nie ganz beurtheilen kan, noch zu seiner Beruhigung zu wissen nöthig hat.
Sondern die Apostel haben einmal durch den Gebrauch solcher den Juden
heilig gewordener Ausdrükke den Tod Jesu ehrwürdig
und wichtig vorstellen, und zweitens anzeigen
wollen, daß dieser Tod Jesu, eben so wie die
Opfer des A. B., von Gott verordnet und zum Mittel bestimt sei, den Menschen
Vergebung der Sünden wiederfahren zu lassen; ja, wie Paullus
den Hebräern beweiset, daß der Tod Jesu ganz
eigentlich und allein dieses Mittel sei, die Opfer des A. B. hingegen
Manuskriptseite
2.
es nicht wirklich
gewesen, sondern nur im Bilde vorgestelt haben. So erklären die Apostel
diese bildliche Vorstellungen selbst, wenn sie in eigentlichen Ausdrükken
davon reden. Als Paullus, Eph.
1, 7. und Kol. 1, 14. Ob aber Gott dieses Mittel
erwählet habe, weil er jemanden die Sünden der Menschen zurechnen muste;
weil die Strafen derselben ausgehalten werden musten; weil ohne Strafe
sein Zorn nicht aufhören konte; u. s. w. zu diesen Folgerungen scheinen
uns obige Ausdrükke der Schrift nicht so zuverlässig zu berechtigen, daß
wir sie, als Glaubensartikel zur Seeligkeit, ansehen müsten. Der philosophirende
Geist der Menschen hat zwar Gott diese Staatsgründe zur Erwählung des
Todes Jesu geliehen;
aber ein Theil der Menschen kan diese Gründe in der Schrift nicht sehen,
oder doch nicht durch Vergleichung vieler Schriftstellen herausfinden;
ein anderer Theil geräth über dem Nachdenken auf Zweifel, die ihr ganzes
Religionssystem wankend machen; und noch ein Theil hält sie für wahr,
ohne die gehörige Kraft zur Prüfung derselben zu haben. Denn alle werden
gewis nicht befriedigt, wenn der V. sagt: das
geopferte Thier habe die Strafe der Sünden des Menschen, der es darbrachte,
erlitten. Ist denn ein Thier einer Strafe fähig? Und kan Gott die Sünde
eines Menschen an einem Thiere strafen? Allen wird es nicht einleuchten,
daß Gott Christo die Sünde anrechnen muste,
die er an den Menschen fand. Er muste freilich durch eine feierliche Handlung
sein Misfallen an der Sünde zeigen, er muste den Schaden, den die Sünden
dem Menschen gestiftet hatten, aufheben, um
gerecht zu sein, wenn er barmherzig sein wolte:
Aber ob das durch Zurechnung geschehen sei,
das bleibt nach Vernunft und Schrift schwer zu entscheiden. ? Seit.
105. 106. 107.
Ia-03-1779-0005
2) Die Unbilligkeit
des falschen Religionseifers.
Ia-03-1779-0006
"Der falsche Religionseifer
ist unbillig ? denn es ist keine Religion, die
mehr Liebe, Dultung, Eintracht predigte, als die christliche:
der Stifter derselben macht sie zur Grundlage.
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3.
Die Apostel bauen
drauf fort: Paullus wil durchaus nicht, daß
einer sagen sol ich bin kephisch u. s. w. Nie
werden die Irrenden und Schwachen in den Schriften des N.
T. verdamt, und das sind noch alle die, die in der Christenheit
gewisse Erkentnisstükke annehmen, aber nur ihre Vorstellungen davon mit
den Vorstellungen andrer nicht vereinbaren können.
? Im 12. und 13. Kap. des 1. Br. an die Kor.
wird ausdrüklich verboten, daß über die Verschiedenheit der Gaben und
Einsichten kein Streit sein und jeder gedultet
werden solle (als Christ
gedultet) der Jesum für seinen Herrn halte:
Solten wir nicht auch bedenken, daß bei der mannigfaltigen Verschiedenheit
unsrer Fähigkeiten ? niemals eine durchgängige Gleichheit unsrer Vorstellungen
über alle und jede Glaubenspunkte zu hoffen sei? Niemals hat unser Heiland
unverschuldete Fehler und Irthümer des Verstandes, wohl aber nicht geachtete
Verderbnisse des Herzens gerügt; an zween Samaritern
sehen wir es, wie er verschiedene Religionseinsichten,
wenn Herz und Wandel nicht dabei litten, duldete (auch wolten wir noch
hinzu sezzen, aus dem ganzen Schriftvortrag,
welcher eben nicht so genau bestimt ist, um die Freiheit
der Vorstellungen zu erlauben; aus dem Beispiel unsers Herrn, der es dabei
bewenden lies, irrenden aber sonst ehrlichen Jüngern zu sagen, "ihr wisset
die Schrift nicht" ohne sie mit Ungestüm ihres apostolischen für verlustig
zu erklären). ?" Seit. 131. 132.
Ia-03-1779-0007
3) Eine Bemerkung
für Dichter.
Ia-03-1779-0008
"Starke mahlerische
Züge haben viel Gewalt zu gefallen, und Bewunderung
zu erregen. Allein der Beifal verschwindet bald wieder, und läst keine
Empfindung, kein Nachdenken von einiger Dauer nach sich; wenn nicht solche
Züge darunter sind, welche Leidenschaften erregen: sie gehen dan
nicht ins Herz. Diese pathetischen Züge hingegen dringen tief ein, erregen
sanfte Bewegungen in der Brust, und lassen ein
gewisses stilles Nachdenken zurük.?" Seit.
152.
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4.
Ia-03-1779-0009
II.
Ia-03-1779-0010
Neues
Organon oder Gedanken über die Erforschung und
BezeihxuxngBezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung
vom Irthum und Schein durch J. H. Lambert.
Erster Band. Leipzig, bei Johann Wendler, 1764.
Ia-03-1779-0011
1) Mittel, jede
Sache leicht von andern zu unterscheiden
Ia-03-1779-0012
"Man nimt die Merkmaale,
so der Sache allein zukommen, desgleichen auch die, so sie mit andern
gemein hat, besonders zusammen, und theilt daher
den Begrif in seine eigene
und in die gemeinsame Merkmaale ein. Dadurch wird
er in zween besondere Begriffe zergliedert, wovon
der eine die gemeinsame Merkmaale enthält, und den Namen von Art
oder Gattung bekömt. Der andre enthält die eigenen
Merkmaale, und wird der Unterschied der Art genent.
Beide zusammen genommen erschöpfen den ganzen Begrif und bezeichnen seinen
Umfang. Der Begrif der Gattung
zeigt demnach, was die Sache mit mehrern andern gemein hat, und man sagt
dabei, daß diese alle unter die Gattung gehören,
und hinwiederum, daß der Begrif
der Gattung allein zukomme. Hingegen ist der Begrif des Unterschiedes
der Art, der Sache eigen, und die Merkmale die er enthält, sind für sich
zureichend, die Sache von jeden andern zu unterscheiden. Z. E. Unter allen
Figuren ist der Triangel die einzige, die drei Seiten hat.
Ia-03-1779-0013
Diese Eintheilung
der Sachen in Arten und Gattungen fängt bei denen an, die unter allen
am meisten bestimt sind, und am meisten Ähnlichkeit haben. Jene sind die
wirklichen Dinge, weil bei denselben alles bestimt ist. Man ist daher
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5.
schon längstens
gewohnt, die Thiere, Pflanzen, Steine pp. in Arten und Gattungen einzutheilen,
und diese sind vermuthlich der erste Anlas zu dieser Eintheilung gewesen.
Die Ähnlichkeit der einzeln Dinge macht die Art, die Ähnlichkeit
der Arten die Gattung, und die Ähnlichkeit der Gattungen die höhere Gattung
aus. Und so geht es stufenweise weiter, bis man zu dem komt, was überhaupt
noch allen Dingen gemeinsam bleibt. ?" Seit. 9. 10.
Ia-03-1779-0014
2) Wie Bex
der Begrif von einer
Sache, wenn sie sich ändert, bestimt wird.
Ia-03-1779-0015
"Bei einzelnen Dingen
geht noch eine Art von Veränderung vor, ohne
daß sie ihren Namen ändern, oder nicht mehr für eben dieselben, überhaupt
betrachtet, angesehen werden solten. Es ist daher auch hier etwas, welches
so lange es bleibt, den Begrif und Namen des einzelnen Dinges beibehält.
Z. E. ein Mensch wächst von Kindheit auf, wird grösser, älter, verständiger,
krank, wieder gesund, so, daß man anstehen x...x
kan, wie viel von dem Stof, daraus sein Leib besteht, nach einigen Jahren
noch übrig bleibt, der sich nicht mit neuem
verwechselt hätte. Es ist klar, daß man hiebei dieser Änderungen ungeachtet,
den Kajus immer für den Kajus, und Titius für den Titius halten wird,
so lange die Masse des Leibes in ihrem Leben und Verbindung bleibt. Es
komt hier auf den Verlust der Theile an, mit welchen
das Leben nothwendig aufhört; und auch hier noch geht nur der Begrif des
lebenden Kajus oder Titius verlohren. Denn wenn man z. E. noch die Mumie
eines in der Geschichte bekanten egyptischen Königs erkente, so würde
man sie immer noch von demselben hernennen. So viel braucht
es den Begrif eines einzeln Dinges ganz wegzubringen, daß man auch die
Asche in den Todtenurnen von dem herschreibt, dessen Asche ist aufbehalten
worden. ?" Seit. 13.
Ia-03-1779-0016
Es finden sich aber
solche Verwandlungen nicht nur bei den Menschen,
sondern überhaupt bei allen Dingen in der Natur. Eine Stadt leidet solche
durch tausend Veränderungen
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6.
beständig, und der
Hauptbegrif davon bleibt dennoch, so lange noch der Ort bekant bleibt,
wo sie gestanden hat. Man stelt sich Troia immer
als Troia vor, und schiebt alle Veränderungen, die diese Stadt erlitten,
auf den Hauptbegrif, den man sich davon macht. Es ist demnach
bei einzelnen Dingen etwas,
das man sich als fortdauernd vorstelt, und von seinen Abänderungen abstrahirt.
Dieses etwas ist der Begrif der Art oder Gattung,
worunter die Sache gehört, und ihr Begrif bleibt, so lange die Sache noch
die Merkmaale der Gattung behält. Man stelt sich Troia als eine Stadt
vor, und das, wodurch man sie zu einem einzelnen Dinge macht, sind die
Umstände der Zeit und des Orts, und die Verhältnisse, in welchen
sie mit andern einzelnen Dingen war. Virgil
nent diesen Hauptbegrif res summa, und die Verhältnisse
res Priami, Priami regna etc.
?" Seit. 14.
Ia-03-1779-0017
3) Anmerkungen.
Ia-03-1779-0018
"Ein Mittel, die
Möglichkeit wilkührlich zusammengesezter Begriffe zu prüfen, ist, wenn
man den Beweis davon oder von dessen Unmöglichkeit sucht. Hiezu dient
die Entwikkelung der Merkmaale. Denn ist in dem
Begriffe etwas widersprechendes, so ist klar, daß solche Merkmaale darin
sein müssen, die beisammen nicht bestehen können, oder da folglich das
eine bejaht verneint, was das andere bejaht.
Ein rundes Vierek ist deswegen unmöglich, weil in einem
Zirkel alle Punkte des Umkreises von dem Mittelpunkt gleich abstehen,
in dem Vierekke aber nicht. ?" Seit. 44.
Ia-03-1779-0019
"So hat in der Tonkunst
der einige Einfal, daß sich die verschiednen Töne mit dem Begriffe der
Höhe und Tiefe vergleichen lassen, dazu Anlas gegeben, die Töne und
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7.
ihre Unterschiede
zu malen, und sie auf den Notenlinien kentlich vorzustellen. Daß ein Ton
höher sei als einandrer,
ist eine blosse Metapher. Indessen macht sie die musikalische Erkentnis
figürlich, und dadurch beurtheilt gleichsam das Auge, was schlechthin
ein Gegenstand des Gehörs war. Was die Noten in Ansehung der Intervallen,
der Töne und ihrer Dauer thun, das thun die Buchstaben in Ansehung eines
andern Unterschiedes, den zwar das Ohr bemerkt, der aber noch durch keine
Metapher auf ein figürliches Bild gebracht worden ist. Daher sind die
Buchstaben noch in allen Sprachen ganz wilkührliche Zeichen der Töne,
die sie vorstellen. ? ?" Seit. 72. 73.
Ia-03-1779-0020
4) Von den einfachen
Begriffen.
Ia-03-1779-0021
"Da demnach die
Möglichkeit einfacher Begriffe schlechthin auf ihrer Gedenkbarkeit
beruht, so gilt von denselben im strengsten
Verstande, was man in der Metaphysik von den Begriffen und Möglichkeiten
überhaupt angenommen, daß nämlich alles an sich Gedenkbare möglich sei,
und hinwiederum. Denn bei zusammengesezten Begriffen mus man sich bewust
sein, daß sie nichts Widersprechendes haben, bei einfachen aber fält diese
Besorgnis für sich weg. Übrigens ist klar, daß die Gedenkbarkeit hier
eigentlich ein idealer Verhältnisbegrif ist. Wir müssen aber solche Verhältnisbegriffe
aufsuchen, weil wir in den einfachen Begriffen selbst nichts mannigfaltiges
oder verschiedenes finden können, eben deswegen, weil sie einfach sind.
Ia-03-1779-0022
Wir merken ferner
an, daß das, so ein einfacher Begrif vorstelt, ebenfals nichts
mannigfaltiges zeigt, dagegen aber dem einfachen
in dem Begriffe ohne Nachtheil, an Grösse und
Graden verschieden sein kan.
Man wird hierin den Begrif der Homogeneität oder
Gleichartigkeit, oder Einartigkeit
in seiner äussersten Schärfe finden. Denn zusammengesezte Dinge werden
xomhomogen
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8.
oder gleichartig
genent, wenn ein jeder Theil desselben für jeden andern von gleicher Figur
und Grösse gesezt werden kan, ohne daß das Ganze dadurch verändert werde,
indem nämlich alles übrige, wodurch sich die Theile könten unterscheiden
lassen, durchaus einerlei ist. Um desto mehr wird diese Homogeneität stat
haben, wo die Sache das ist, was ein einfacher
Begrif vorstelt. Da demnach der Unterschied der Grösse und der Grade dem
einfachen eines Begrifs keinen Eintrag thut, so ist klar, daß solche Begriffe
eben nicht nothwendig etwas unendlich Kleines
vorstellen müssen, welches folglich eben deswegen von uns nicht könte
empfunden werden, weil es unendlich klein ist. Wil man die Begriffe der
Ausdehnung und der Existenz
als solche einfache Begriffe ansehen, so wird das, was der erstere vorstelt,
der Grösse nach unendlich viele Stufen haben, und der andere wird Stufen
leiden, in so fern mehr oder minder
Dinge als existirend betrachtet werden, und in so fern die Existenz grössere
oder kleinere Dauer hat; hingegen hat die Existenz kein Gradus
intensitatis, weil etwas nicht mehr oder minder
existent ist. In dieser lezten Absicht ist demnach die Existenz eine absolute
Einheit, die aber nicht hindert, daß eine existirende
Sache nicht in andern Absichten Grade haben könne, z. E. in Absicht auf
die Grösse, Kräfte, Zahl der Theile, Dauer pp.
Ia-03-1779-0023
Da ferner einfache
Begriffe nicht zusammengesezt sind, und daher nicht aus mehrern x...x innern Merkmalen
bestehen, so haben sie auch keine gemeinsame innere Merkmale. Denn jeder
ist sich selbst sein inneres Merkmaal. Wenn damnach zween oder mehrere
einfache Begriffe gemeinsame innere Merkmaale hätten, so wären sie entweder
nicht eingefast einfach oder nicht von einander
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9.
verschieden. Beides
stöst die Voraussezzung um, folglich können
einfache Begriffe kein gemeinsames inneres Merkmaal haben. Hiebei ist
wohl zu merken, daß man innere Merkmaale von blossen
Verhältnissen zu unterscheiden hat. Denn so kommen
alle einfache Begriffe darin überein, daß sie einfach sind, daß sie Begriffe
sind, daß sie sich gedenken lassen, daß sie nichts Widersprechendes in
sich haben pp. ?" Seit. 457. 458. 459.
Ia-03-1779-0024
5) Verschiedene
einfache Begriffe.
Ia-03-1779-0025
"Wir rechnen z.
E. den klaren Begrif der Farben unter die einfachen Begriffe. Von diesen
lassen sich einige überhaupt betrachtet mit Namen benennen, die theils der
Farbe eigen sind, wie z. E. roth, gelb, grün, blau, weis, schwarz, grau
pp. theils von Dingen in der Natur hergenommen x...x
werden, die diese Farbe haben, wie z. E. Meergrün, Olivenfarb, Orangengelb,
Himmelblau, theils auch von den Dingen, die zum Malen der Farben gebraucht
werden, wie z. E. Indigo, Okker, Berggelb, Saftgrün pp. allein zu den unzähligen
Stufen und Vermischungen der Farben haben wir nicht Namen genug, und ein
Maler, der eine Sache genau nach dem Leben malen wil, mus sie
vor sich haben, bis er sich etwan an die Mischung der Farben und ihren Anstrich
gewöhnt hat. Ungeachtet wir nun überhaupt wissen,
daß das Rothe sich ins Gelbe, das Gelbe ins Grüne, das
Grüne ins Blaue, das Blaue ins Schwarze und ins Rothe, desgleichen das Rothe
ins Schwarze, das Gelbe ins Braune pp. gleichsam verlieret, und daher Stufen
in den Farben vorkommen, so sind die Begriffe dieser
Stufen an sich dennoch einfach, weil eine so wenig als die andre mehrere
innere Merkmale hat, und sich höchstens nur durch
Verhältnisbegriffe bestimmen läst. Wir müssen
indessen den Unterschied machen,
Manuskriptseite
10.
wo wir zwo oder
mehrere Farben zugleich empfinden, wie z. E. in dem blaurothen
oder rothblauen. Denn da in der vorhin erwähnten
Gradation das Rothe vom Blauen zu weit entfernt ist, so empfinden wir
das Heterogene in den Vermischungen. Hingegen zeigt uns die Erfahrung,
daß sich aus blau und gelb
ein solches grün zusammensezzen lasse, welches
uns weder vom Blauen noch vom gelben eine Spur
zeiget. ? ? Wir merken nur noch an, daß nicht nur das Auge, sondern auch
die übrigen Sinnen uns eine solche Menge und Stufen in den einfachen Begriffen
geben, die wir nicht alle mit Worten ausdrükken können und uns daher mit
solchen Begriffen Worten, die überhaupt ganze
Klassen von solchen Begriffen anzeigen, begnügen; wie z. E. die Worte
bitter, süs, sauer, scharf, salzigt, herbe pp.
die verschiedene Arten des Geschmaks anzeigen, deren wir etwan noch, wo
es um Vergleichungen zu thun ist, die Bitterkeit der Galle, des Wermuths
pp. die Süssigkeit des Zukkers, des Honigs pp. beifügen. Auf eine ähnliche
Art drükken wir die Unterschiede und Stufen des Schmerzens durch drükken,
reissen, brennen, stechen, wehe thun pp. aus, und in Ansehung der
Wärme und Kälte begnügen wir uns mit den Worten, temperirt,
warm, schwül, kalt, frostig, schauernd pp. ?" Seit.
470. 471. 472.
Ia-03-1779-0026
6) Von mehrern Sinnen.
Ia-03-1779-0027
"Wenn wir sezzen,
der Raum der Welt sei dichte ausgefült, und aus der Erfahrung nehmen,
daß das Gold den Flus der magnetischen Materie so viel als gar nicht hindere;
so können wir kaum zweifeln, daß nicht noch mehrere Empfindungen möglich
sein solten, und daß wir, wiewohl viel zu schwache
Empfindungen davon haben, wie zx
wir z. E. die
Manuskriptseite
11.
elektrischen, um
sie zu empfinden, verstärken müssen." Seit. 494. 495.
Ia-03-1779-0028
"Es ist nicht zu
zweifeln, daß Mathematiker etwan auf Figuren
und Mechanismen fallen könten, welche bei einem Sinne
stat haben, der uns mangelt, oder der von dem Auge so viel und mehr noch
als das Auge vom Ohr verschieden und dessen
unerachtet sehr einfach wäre. Z. E. ein Blinder empfindet die Wärme der
Sonne, Sehende aber noch überdies ihr Licht und ihre Scheinbare Figur.
Man könte vermuthen, daß es an sich möglich wäre, ihre Grösse, ihren Abstand,
ihre Attraktionskraft, ihre innere Struktur pp. zu empfinden. ?" Seit
496.
Ia-03-1779-0029
7) Von der Dauer.
Ia-03-1779-0030
"Den Begrif der
Sukzession und Dauer haben wir ebenfals in unserm
Bewustsein. Wir denken einen Gedanken nach dem
andern, und so lange wir denken, fahren wir fort
zu existiren. Demnach legen wir unserer Existenz eine Dauer
bei. Das Anfangen, Fortdauern
und Aufhören einzelner Vorstellungen giebt uns
den Begrif der Zeit, und ihrer einzelnen Theile.
Und wir haben daher den Grundsaz: daß die Zeit in einem
fortgehe, und daß keiner von ihren Theilen mit den andern zugleich sei,
und keiner von dem andern sich anders als durch das vor und
nach unterscheiden lasse. ?" Seit.
501.
Ia-03-1779-0031
8) Vom Irrigen.
Ia-03-1779-0032
"Jede
einfache Begriffe sind an sich wahre und richtige Begriffe. ? Demnach
liegt das Irrige nicht in den einfachen Begriffen, sondern in ihrer Verbindung
und Zusammensezzung. Man sezze, daß in einem einfachen Begriffe
etwas irriges oder falsches sei, so müste etwas darin sein, das mit dem
übrigen nicht bestehen könnte. Demnach liesse sich in dem einfachen Begrif
etwas unterscheiden, und so wäre er nicht einfach. Da nun dieses wider
die Bedingung des Sazzes läuft, so kan in einem einfachen Begriffe nichts
irriges sein. Wo demnach etwas irriges vorkömt, da
mus es in der Verbindung oder Zusammensezzung der einfachen Begriffe
sein.
Manuskriptseite
12.
Ia-03-1779-0033
In
iedem Irthum ist Wahrheit, so fern er gedenkbar ist. Das Irrige
liegt in der Zusammensezzung oder Verbindung einfacher Begriffe,
so fern diese nicht beisammen bestehen, oder nach der angenommenen Art
der Zusammensezzung nicht mit einander bestehen können. Nun aber ist ieder
einfache Begrif für sich betrachtet, ein wahrer und richtiger Begrif.
Demnach ist auch in so fern in der irrigen Vorstellung Wahrheit, und zwar
nothwendig. Ferner kan Wahrheit darin sein,
in so fern die Zusammensezzung zum Theil zulässig ist. Nun sind einfache
Begriffe für sich gedenkbar, und in so fern die Zusammensezzung zulässig
ist, so fern ist sie ebenfalls gedenkbar. Hingegen wo sie anfängt unzulässig
zu werden, da fängt zugleich auch das Irrige an. Solte nun dieses gedenkbar
sein, so müste man sich A und nicht A
zugleich, folglich runde Vierekke, das wil sagen, widersprechende Dinge
vorstellen können, welches nicht angeht. ?" Seit. 552.
553.
Ia-03-1779-0034
9) Der Ursprung
des Wahren
Ia-03-1779-0035
"Das Nichtsgedenken,
oder das Wegsein aller Vorstellungen, ist demnach
das 0 oder der gemeinsame Anfang des Wahren
des Irrigen. x...x
x...xNämlich sobald
man anfängt zu denken, fängt auch das Wahre oder das Irrige an.
Ia-03-1779-0036
Einmal das Wahre
fängt vor dem Irrigen an, in sofern ein einzelner einfacher Begrif näher
an dieses 0 gränzt, als ein zusammengesezter, ungefehr wie in dem Zahlengebäude
1 näher an 0 gränzet, als 2, 3, 4 pp. In diesem Verstande nehmen wir das
hier das Wort anfangen. Denn
da das Irrige nur in der Verbindung oder Zusammensezzung einfacher
Begriffe vorkomt, in so fern diese nicht angeht, so werden zum Irrigen
wenigstens zwei einfache Begriffe erfordert. Hingegen, da ieder einfache
Begrif an sich Wahrheit hat, so läst er sich auch für sich
gedenken, und in so fern fängt
das Wahre vor dem Irrigen an, weil es bei einem einzelnen einfachen Begriffe
anfangen kan."554. 555.
Manuskriptseite
13.
Ia-03-1779-0037
10) Von der Gedenkbarkeit
des Irthums und des Wahren.
Ia-03-1779-0038
"Da
ferner in iedem Irthum das Wahre so weit reicht,
als der Irthum gedenkbar ist, so ist klar, daß wenn in einer Vorstellung
nichts irriges vorkömt, dieselbe sich durchaus gedenken
lasse. Diese komplete Gedenkbarkeit macht demnach eine
absolute Einheit aus, und sie hat stat, so oft eine Vorstellung durchaus
wahr und richtig ist.
Ia-03-1779-0039
Hingegen
in ieder irrigen Vorstellung geht dieser Einheit etwas ab. Denn
in ieder irrigen Vorstellung ist etwas, das sich nicht gedenken läst.
Da sie sich nun durchaus solte gedenken lassen, so ist klar, daß man sie
sich als eine Einheit vorstellen kan, das nicht gedenkbare darin eine
Lükke lasse, welche macht, daß die Vorstellung nicht völlig =1 ist. Indessen,
so fern man sich das nicht Gedenkbare oder das eigentlich Irrige unter
dem Bilde des Gedenkbaren vorstelt, so macht dieser eingebildete
Theil mit dem realen Theile der Vorstellung eine Einheit aus, die ebenfals
nur eingebildet ist. Weil sie sonst durchaus real und folglich
die Vorstellung durchaus wahr und richtig wäre. Auf diese Art sagt man
z. E. es sein in einer Vorstellung drei Theil wahr, und ein Theil irrig.
Das heist nun auf Algebraisch, die Einheit der Vorstellung sei = 3/4 +
1/4 1 - 1. -" Seit. 558.
559.
Ia-03-1779-0040
"Es
ist an sich unmöglich, alle Wahrheiten zugleich zu läugnen.
Man sezze, es könne angehen, so macht man aus iedem
wahren Sazze: A ist B,
einen falschen: A ist nicht B,
und hinwiederum aus iedem wahren Sazze: A ist nicht B,
einen falschen: A ist B.
Demnach erhält man eben so viele irrige Säzze,
als im Reiche der Wahrheiten wahre sind. Solte man
nun in diesem Chaos von Irthümern durchaus nichts Wahres zurük bleiben,
so müste der Läugnende durchaus nichts gedenken,
folglich auch nichts läugnen. Welches ungereimt
ist. Daher geht es auch nicht an, daß man alle Wahrheiten zugleich solte
läugnen können.
Manuskriptseite
14.
Ia-03-1779-0041
Das Wahre ist demnach
bei iedem denkenden Wesen so eingewurzelt, daß man, ohne etwas Wahres
zu denken, gar nichts denken kan, und daß selbst der Irthum von dem Wahren
borgen mus, weil man, ohne Wahres mit einzumengen, nicht irren kan. Der
Irthum besteht nämlich blos in der Meinung, daß man mehr denke, als man
wirklich denkt." Seit. 585.
Ia-03-1779-0042
III.
Ia-03-1779-0043
Des
Abtes Trublet, der
preuss. Akademie der Wissenschaften Mitglieds, Archidiak. und Korherrn
zu St. Malo, Versuche über verschiedne Gegenstände
der Sittenlehre und Gelehrsamkeit. Aus dem Französischen
übersezt. Erster Theil. Berlin, verlegts
August Mylius, 1766.
Ia-03-1779-0044
1) Von der Lebhaftigkeit.
Ia-03-1779-0045
"Eine grosse Lebhaftigkeit
schikket sich fast niemals zu einer anhaltenden Beschäftigung mit einerlei
Sache. Daher kömt es auch, daß die meisten Leute von lebh
lebhaftem Verstande, nicht leicht in einem Zusammenhange denken; sie hüpfen
von einer Sache auf die andere, sie denken viel, aber ohne
Ordnung und Folge. ?" Seit. 4.
Ia-03-1779-0046
2) Von neuen Gedanken.
Ia-03-1779-0047
"Solte man nicht
überhaupt wünschen, daß alle die, welche denken, keinen guten Gedanken
verlohren gehen liessen, der ihnen im Lesen, im Nachdenken, und in der
Unterredung von einer Sache beifiele? Diejenigen, welche das
ganze Werke in einem Zusammenhange schreiben, würden in dem, was sie also
nach und nach und fast ohne Zwang
gesamlet haben, einen reichen Vorrath
Manuskriptseite
15.
antreffen. Auf wie
viel Gedanken kömt man nicht bei einer Sache, von ohngefähr, die man nicht
wieder finden kan, wenn man etwas darüber schreiben wil? Es giebt in dem
menschlichen Leben gewisse glükliche Augenblikke,
die nicht wiederkommen. Die Hizze der Unterredung, und die Gedanken andrer
bringen uns zuweilen auf solche, die man auf der Studierstube, und bei
vielem Kopfbrechen vergeblich suchen würde. ? Seit.
7.
Ia-03-1779-0048
3)
Von der Art durch abgesonderte Gedanken zu schreiben.
Ia-03-1779-0049
"Viele abgesonderte
Gedanken mit einander in eine Samlung zu bringen, brauchet man nur einen
unterbrochenen Fleis, bei dem man oft absezzen und ruhen kan. Ist die
Samlung fertig, so kan man leicht davon wegnehmen
was etwan dem Leser nicht gefallen möchte. An stat daß bei einem zusammenhangenden
Werke der Verfasser oft gezwungen ist, gewisse seichte Stellen zu lassen,
die er bei allen seinen Kräften nicht hat verbessern, und doch auch nicht
wegstreichen können, weil sie mit den andern nothwendig
verknüpft waren.
Ia-03-1779-0050
Die Verbindung der
Säzze durch Bindewörter ist meistentheils eine Quelle einer matten Schreibart.
Man würde die meisten an einander hangenden Werke sehr abkürzen, ohne
ihnen etwas Wesentliches zu nehmen, wenn man
alles ausstreichen wolte, was der Verfasser, blos um sich vorzubereiten,
die Gedanken zu verbinden, und der ganzen Arbeit eine gewisse Gestalt
zu geben, hingesezt hat. ?" Seit. 10.
Ia-03-1779-0051
4) Eine Bemerkung
Ia-03-1779-0052
"Man kan
nicht leicht eine Sache, sie sei auch was für
eine sie wolle, gründlich untersuchen, den Ursachen von den gemeinsten
nachspüren, und den feinsten Unterschied, der
sich unter den Dingen findet, entdekken, daß man nicht ein wenig abstrakt
werden solte; aber abstrakt werden, und dunkel
sein, ist für dieienigen einerlei, die gewohnt sind, sich mehr ihrer Einbildungskraft,
als ihres Verstandes zu bedienen. Dergleichen Leser halten das
nur für eine deutliche Schrift, welche sie verblendet, und auf eine lebhafte
Weise in Bewegung sezt. Ein philosophischer
Manuskriptseite
16.
Leser hingegen trift
nur darinnen öfters Dunkelheit und Verwirrung an, wo kleine Geister alles
in der grösten Deutlichkeit zu sehen glauben.
?" Seit. 21. 22.
Ia-03-1779-0053
5) Von der Gabe
zu reden, bei erfinderischen Geistern.
Ia-03-1779-0054
"Leute von einem
seltnen und hohen Verstande haben oft weniger Fertigkeit, sich auszudrükken,
als Leute von einem mittelmässigen Verstande; weil sie mehr denken, das
heist, weil ihre Gedanken neuer, feiner, gründlicher
sind. Wenn man nur gemeine und ungekünstelte
Gedanken hat, so darf man sich nicht verwundern, daß diese Gedanken klar
und deutlich sind. Es ist aber auch natürlich, daß neue und in einander
verwikkelte, und daß gründliche Gedanken sich
anfangs nur dem Verstande verwirt vorstellen, und daß man sie folglich
nicht aus dem Stegreife wohl ausdrükken könne. Im Schreiben und Reden,
und sonderlich in Übersezzungen aus einer Sprache in die andere, erfährt
man täglich, daß dieses die besten Gedanken sind, wo der Ausdruk viel
Mühe kostet. ?" Seit. 53. 54.
Ia-03-1779-0055
"Es ist also gewis,
die Häufigkeit der Gedanken, das heist ihre
Neuigkeit, ihre Feinheit, ihre Gründlichkeit, ist an sich selbst eine
Hindernis sich wohl auszudrükken; dahero folget,
daß ein Mensch, welcher Verstand hat, eben deswegen, weil er Verstand
hat, oft weniger Fertigkeit zu reden besizt, als viel Leute, die einen
seichten Verstand haben. ?" Seit. 55.
Ia-03-1779-0056
6) Von der Geschwindigkeit
zu reden.
Ia-03-1779-0057
"Wenn ich sage,
die Fertigkeit zu reden, entstehe aus der Geschwindigkeit,
mit welcher die Gedanken auf einander folgen, so verstehe ich eine gemässigte
Geschwindigkeit; sonsten würden sich die Gedanken unter einander verwirren,
und eine die andre vertreiben. Der Überflus der Gedan
Manuskriptseite
17.
ken würde machen,
daß man gar nicht reden könte. Es gibt Narren, welche es nur wegen der
alzugeschwinden Folge der Gedanken sind. Dieses ist auch eine Wirkung
der Trunkenheit; man hat also Ursache zu sagen, daß eine alzu xx grosse Lebhaftigkeit der Narheit sehr
nahekömt. Und man
könte sagen, den gewöhnlichen Zustand gewisser Leute recht auszudrükken,
daß sie gebohrne Trunkene wären. ?" Seit. 57. 58.
siehe unten x
Ia-03-1779-0058
IV.
Ia-03-1779-0059
Philosophische
Werke des Herrn Diderot. Erster
Theil. Aus dem Französischen. Leipzig, in der Dykkischen
Buchhandlung, 1774.
Ia-03-1779-0060
1) Von Leidenschaften.
Ia-03-1779-0061
"Wir gleichen volkommen
Instrumenten, deren Saiten die Leidenschaften sind. Beim Thoren sind sie
zu hoch gespant, und das Instrument schreit; beim Blödsinnigen sind sie
zu niedrig, und das Instrument ist dumpf. Ein Mensch ohne Leidenschaften
ist also ein Instrument, von dem man die Saiten abgeschnitten, oder das
nie welche gehabt hat. Dieses zwar ist schon gesagt worden. Aber es giebt
hier noch mehr zu bemerken! Ist ein Instrument gestimt, und man
schlägt Eine Saite an; so verursacht der Ton, den sie von sich giebt,
ein Erzittern so wohl an den nahe liegenden
Instrumenten, wenn ihre Saiten eine verhältnismässige harmonische Spannung
mit der angeschlagenen Saite haben, als auch in den nächsten Saiten desselben
Instruments, wenn sie mit ihr in demselben Verhältnis stehen. Ein volkommenes
Bild von der Verwandschaft und der wechselseitigen x...x x...x x...x x...x x...x, zeigen Euch sehr x...x
x...x x...x x...x x...x dieser x...x
Manuskriptseite
18.
Zusammenstimmung
gewisser Neigungen in einerlei Karakter, von den angenehmen Eindrükken
und dem süssen Schauder, welche schöne Handlungen
in anderen besonders tugendhaften Menschen hervorbringen.
Diese Vergleichung liesse sich sehr weit treiben. Denn der erregte Ton
ist stets demienigen anlogisch, durch den er erregt wird." Seit.
150. 157.
Ia-03-1779-0062
2) Der Unterschied
zwischen dem absoluten
und dem relativen Schönen.
Ia-03-1779-0063
"Unter dem absoluten
Schönen darf man keine, dem Gegenstande inhärirende Eigenschaft
verstehen, wodurch er schön an
sich, selbst und ohne Rüksicht auf eine Seele
wäre, die sich ihn vorstelt. Das Wort schön drükt
eben, wie alle andern Wörter, die sinliche Ideen bezeichnen, eigentlich
nur die Vorstellung des Geistes aus; so wie Kälte und Wärme, Süsses und
Saures Bitteres blosse Empfindungen unsrer Seele
sind, ob gleich der gemeine Glaube diese Eigenschaften in die Dinge
selbst versezt, die iene Empfindungen nur veranlassen. Es läst sich keine
Schönheit in den Gegenständen denken, wo man nicht einen Geist annimt,
der sie erkent, und der mit einem Sinne für sichsie begabt ist. Sonach wird unter der absoluten
Schönheit nur dieienige verstanden, die gewissen Gegenständen
an sich selbst zukömt, ohne daß man sie mit etwas anders, wovon sie eine
Nachahmung wären, vergleichen könte. Von dieser Art ist die Schönheit,
die wir in den Werken der Natur, und in gewissen künstlichen Formen, in
Figuren, Körpern und Flächen gewahr werden.
Relative Schönheit hingegen legen wir solchen
Gegenstän
Manuskriptseite
19.
den bei, die man
gemeiniglich als Nachahmungen und Bilder von andern ansieht. Diese Eintheilung
gründet sich also mehr auf die verschiednen Quellen des Vergnügens, das
uns die Schönheit verursacht, als auf die Verschiedenheit der Gegenstände;
denn es ist ausgemacht, daß die absolute Schönheit,
so zu reden, eine relative und die relative
Schönheit eine absolute hat." Seit.
? 277. 278.
Ia-03-1779-0064
V.
Ia-03-1779-0065
Neue
Mannigfaltigkeiten. Eine gemeinnüzzige Wochenschrift. Des
ersten Iahrganges drittes Vierteliahr. December 1773 bis Februar
1774. Berlin, verlegt und zu finden bei D.
L. verehl. Bossen in der Wilhelmsstrasse.
Ia-03-1779-0066
1) Die unzälbare
Menge der Geschöpfe.
Ia-03-1779-0067
"Niemals ist unsre
Einbildungskraft im Stande, die Wunder der Natur
in der Volkommenheit sich vorzustellen, in welcher wir selbige in der Natur
selbst antreffen, bevor wir solche durch den Gebrauch unsrer Sinne empfunden
und wahrgenommen haben. Tausend wunderbare Gestalten
bietet uns die Luft dar, wenn in derselben bunte Papilionen
oder vergüldete Fliegen herumschwimmen. Millionen
Gewürme von unerdenklichen Gestalten, mit unnachahmlich künstlichen
Flügeldekken, stikken das grüne Kleid der Erde und treiben auf derselben
ihr thierisches Gewerbe. Aber Dekatillionen und
abermals Dekatillionen
von Geschöpfen finden ihre Wohnung,
Manuskriptseite
20.
und ihren Unterhalt
in den durchsichtigen Wassern, und in der
Tiefe des Meeres, wovon beinahe ein ieder
Tropfen ein Ozean vol Meerwunder ist. ?" Seit.
417.
Ia-03-1779-0068
2)
Ia-03-1779-0069
Klagen bei dem Abschiede
eines Freundes.
"Schon sind sie hin, die wonnevollen goldnen Stunden,
An seiner Hand, so sanft durchlebt. ?
Schnel, wie ein froher Morgentraum sind sie verschwunden,
Der um den müden Scheitel schwebt! ?
Wo find ich ihn, für den mein Busen zärtlich wallet!
Sagts Thäler mir! Du kleiner Bach,
O rausch' es mir! ? Ihr Zephyrs lispelts! Berge schallet,
Den süssen Namen zärtlich nach!
Sonst blühtet ihr so schön, ? und hörtet unsre
Lieder,
Und saht uns frölich ? Hand in Hand,
Dann rauschtest du ? o Quelchen, unsre Freuden wieder,
Und sprachst, was unser Herz empfand;
?
Und izt, o Iammer! ? schweigst du! ? einsam stehn die Wälder, ?
Sie fült kein freudiger Gesang.
Nur kummervolle Seufzer dumpfen durch die Felder
Wo sonst der Freundschaft Glük erklang.
Sonst sahst du, unser Herz in Liebe sanft zerfliessen;
Und unsern Kus, ? du stiller Mond! ?
O, izt, izt, sieh auch meine Thränen sich ergiessen,
Hier, wo für dich mich kein Freund mehr wohnt!
?
Wo ist er? ? ach, hier gieng er noch! ? vom heissen Munde,
Flos ihm noch jüngst der treueste Schwur.
Dann weist es Gott! ich segnete die selge Stunde,
?
Ganz Himmel war mir die Natur; ?
Und weh mir! ach, er ist nicht mehr in unserm
Kreise,
Von mir zuerst schied ihn die Hand,
Manuskriptseite
21.
Die Herzen bind't
und löset, eine lange Reise,
Rief ihn in ein entferntes
Land!
Wie ward mir! nein, der bangen Mus' erlischt das Feuer,
Und izt! ? o sahst du, Freund, iezt fliest
Der Freundschaft heisse Zähr' auf meine stumme Leier, Von keinem Scherze
mehr begrüst! ?
Sie schweigt, und horchet deiner Freunde bange Klagen, ?
Und deiner frommen Eltern Schmerz,
Der besten Schwester Thränen, ? o wie könt' ich's sagen?
Zerschmelzen tausendfach mein Herz! ?
O welch ein Anblik! schmachtend hängt an deiner Wange,
Der lezte seelenvolle Kus! ? Nun keiner mehr! ? noch glüht er in der Thräne
lange, Bis plözlich er ? ersterben mus! ? ?" Seit. 477. 478. 479.
Ia-03-1779-0070
3)
Ia-03-1779-0071
Grabschriften.
"Hier, Wandrer, liegt ein schlechter Leichenstein,
Und unter ihm Arist,
O! mögtest du, was er war, sein!
Er war ein Weiser und ein Christ.
Kein prächtger Marmor darf dir seinen Ruhm erheben,
Arist starb, um zu leben."
"Der von der Burs'
Starb im Konkurs.
Mehr wil man nicht zu seinem Lobe sagen
Weil doch vielleicht nach wenig Tagen,
Auch dieser Leichenstein,
Nicht mehr wird seiner sein. ?" Seit. 480.
Manuskriptseite
22.
Ia-03-1779-0072
VI.
Ia-03-1779-0073
Neue
Mannigfaltigkeiten. Eine gemeinnüzzige Wochenschrift. Des
ersten Iahrgangs viertes Vierteliahr. Merz bis
Mai 1774. Berlin, verlegt und zu finden bei D.
L. verehl. Bossen in der Wilhelmsstrasse.
Ia-03-1779-0074
1) Von der Furcht
vor einer grossen Menge von Insekten.
Ia-03-1779-0075
"Wie beklagenswürdig
sind hingegen die Menschen, die sich in dergleichen Fällen von der Furcht
des Aberglaubens foltern lassen, der uns Gott
als einen Tyrannen, und seine liebenswürdigen Geschöpfe als lauter Geisseln
abmahlet? Wird etwan ein unbekantes Geschöpf
Insekt entdekt; oder finden sich bekante in ungewöhnlicher Menge, oder
an denungewöhnlichen
Orten, in den Häusern, in den Viehställen, in
den Brunnen u. s. w. ein; so denken die meisten gleich an
unnatürliche Sachen, an Wunder, an Plagen,
an Hexereien und Bezauberungen,
und verrathen dadurch offenbar, daß sie weder die Natur, noch ihren grossen,
weisen und gütigen Beherscher kennen, der zu dem ungestümen Meere, geschweige
zu den Heeren der Würme und Insekten sagen kan: Bis hieher
solst du kommen, und nicht weiter. ? ? ?" Seit.
634.
Ia-03-1779-0076
2) Gedanken über
die Befruchtung der Pflanzen.
Ia-03-1779-0077
"Gewächse und Pflanzen
können auf mancherlei Art fortgepflanzt und vervielfältiget werden. Einige
vermehren sich durch Ausspröslinge aus der Wurzel;
andere durch Ableger, und noch andre durch abgeschnittene
und in die Erde gestekte Zweige. Zwiebelgewächse
haben ihre iunge Brut bei sich, die oft in Menge
die Mutterzwiebel umgiebt. Am meisten aber vermehren sich Blumen und Kräuter,
die Bäume selbst, durch den Samen, den sie zuweilen
in ausserordentlicher Menge tragen. Die Kentnis der leztern Art der Fortpflanzung
ist zwar schon so alt,
Manuskriptseite
23.
als die Welt. Aber,
daß dabei eine ordentliche Befruchtung durch den mänlichen
Samenstaub vorgehe, die mit einer animalischen Zeugung nicht wenig
Ähnlichkeit hat, und einer Pflanze die Fähigkeit verschaffe, Samen zu
tragen, und dadurch ihr Geschlecht in Millionen Kindern
und Kindeskindern fortzupflanzen, das ist eine Entdekkung, die, wo nicht
in unsern Tagen ganz neu gemacht; doch näher bewiesen, berichtigt und
in ein helleres Licht gesezt worden. Ob Aristoteles,
Hippokrates und mehrere von den Alten schon
Muthmassungen von dem Geschlechte der Pflxzen
Pflanzen gehabt haben, das mögen andre untersuchen. Genug die völlige
Bestätigung dieser Lehre ist ein Werk neurer
grosser Naturforscher, unter welchen ich nur die berühmten Nahmen eines
Linné, eines Gleditsch
und eines Ludwig nennen
wil. Diese grossen Männer haben bewiesen, daß es Gewächse
gebe, die blos mänlichen; andre, die blos
weiblichen, und noch andre, die beiderlei Geschlechts
zugleich sind, ohne derer zu gedenken, die noch unter die Kryptogamischen
oder Verborgenehigen
gehören. Sie haben gefunden, daß die Hermaphroditischen
oder zweigeschlechtigen sich selbst befruchten;
die blos weiblichen aber durch den mänlichen Samenstaub andrer
fruchtbar gemacht werden müssen, und ohne denselben
unfruchtbar bleiben. Sie haben entdekt, welche Gefässe
den mänlichen Samenstaub enthalten, und welches
die Staubwege der weiblichen Pflanzen sind, darin sich derselbe
ergiesset, und ?" Seit. 673.
674. 675.
Ia-03-1779-0078
"Könte der Begierde
der Blumenliebhaber nicht dadurch abgeholfen werden, wenn
sie ihre Blumen, sie mögen blos weiblichen, oder auch mänlichen
Geschlechts zugleich sein, von denen sie gern Samen haben möchten,
mit dem Samenstaube derienigen bestreueten, der
deren Farbe sie vornämlich gern auf eine übertragen
zu können wünschten. Die Bildung animalischer Geschöpfe hat gemeiniglich
etwas mit der Gestalt, den Farben und der Beschaffenheit
beider Ältern gemein. So würden auch
Manuskriptseite
24.
zwo Blumen von sehr
verschiednen Farben ganz neue Sorten, in welchen beide mit einander vermischt
wären, hervorbringen, wenn man ihren Samenstaub mit einander vermischen
könte. Entweder es würde eine neue seltsame Farbe zum Vorschein kommen,
oder es würden sich, neben den schon vorhandenen Farbenstrichen, noch
andre neue erzeugen. Eine Nelke, z. B. welche helle und dunkelrothe Striche
auf weissem Grund hat, würde durch Begattung mit einer gelben und aschgrauen,
vielleicht neben ienen auch diese Farben annehmen. Bisher hat man diese
Behandlung der Blumen meistentheils verabsäumet. Man hat dieienigen,
die beiderlei Geschlechts sind, sich selbst befruchten lassen, und was
konte daraus anders entstehen, als Kinder die ihren Eltern ähnlich waren?
Andre sind nur von ohngefähr durch eine fremde Art befruchtet worden,
und daher ist zwar das Verlangen der Blumenliebhaber
einigermassen, aber doch nur selten durch eine
neue vorzüglich schöne Gattung befriedigt worden. ?" Seit.
676.
Ia-03-1779-0079
3) Algemeine Betrachtung
der Insekten.
Ia-03-1779-0080
"Alle Dinge, welche
der almächtige Schöpfer auf unsrer Erdkugel hervorgebracht hat, stehen
in einer wunderbaren Ordnung und Verbindung mit einander, und gründen
ihre immerwährende Erhaltung auf gegenseitige Dienste. Der Erdklumpe selbst,
die Felsen, Erzte und Steine, haben ihren Ursprung und Wachsthum von den
Elementen. Die Pflanzen, Bäume, Kräuter, Gras, und Moose ziehen ihre Nahrung
aus der Erde; und hernach die Thiere aus den Pflanzen; endlich werden
alle diese Dinge wieder in ihr erstes Wesen
verwandelt. Die Erde dient der Pflanze zum Unterhalt; die Pflanze dem
Wurm; der Wurm dem Vogel, der Vogel öfters dem
Raubthier, und endlich wird, nach umgekehrter Ordnung, das Raubthier dem
Sperber zur Speise, der Sperber dem Wurme, der Wurm der Pfanze, und die
Pflanze der Erde. Und der Mensch, welcher alles zu seinem Gebrauch zu
Manuskriptseite
25.
kehren weis, wird
öfters dem Raubthier, oder dem Sperber, dem Seehund, dem Wurm oder der
Erde zur Beute. Solchergestalt drehet sich alles in einem beständigen
Zirkel.
Ia-03-1779-0081
Die Natur hat demnach
ein iedes Ding zum Nuzzen eines andern geordnet, und nicht zugegeben,
daß etwas ihm selbst allein diente. Die Tyger, Luchse,
Bären, Zobel, Füchse, Hermeline u. a.
m. müssen ihre kostbaren Felle zum Gebrauch andrer hergeben. Die Hunde
müssen auf der Rehe= und Haseniagd ganze Tage die Wälder durchlaufen,
da die Beute auf unsern Tisch kömt, und ihre
Mühe schlecht belohnt wird. Der Dachs iagt das
Kaninchen, aus den verborgensten Höhlen, dem Menschen zum Besten heraus.
Dem Pferde, Elephant
und Kamele werden Lasten aufgelegt; dem Ochsen
ein Ioch; die Kuh mus ihre Milch abgeben; das
Schaf die Wolle; das Renthier
den Schlitten ziehen; das Schwein und der Igel
die Erde durchwühlen, die Schärmaus den Grund umkehren, damit die Pflanzen
und Gewächse desto besser fortkommen können. Der Falke
mus uns zum Vogelfange dienen, und von der Henne
fordern wir Eier. Der Hahn mus uns am frühesten
Morgen aufwekken, gegen den Tag aber der Kukuk und die Lerche,
Morgens und Abends die Amsel, die Nachtigal
mit ihrem Gesange, und bis in die späte Nacht, erfreuen, und
der Pfau mit seinen prächtigen Federn die Augen ergözzen.
Ia-03-1779-0082
Bei angehendem Frühling
besuchen die Störche, Kraniche, Reiher, Gänse, Schwanen,
Staaren, Finken die nördlichen Länder; verändern ihren Aufenthalt
wieder im Herbst und gehen nach südlichern Gegenden, damit sie mehrern
Völkern dienen.
Ia-03-1779-0083
Den Fischen
ist es natürlich, aus den tiefern Gründen des
Ozeans die gefährlichen Ufer zu suchen, in die
Flüsse heraufzusteigen, von einem Vorgebirge
zum andern zu streichen, und das zu gesezten Tagen und Monaten, damit
sie Haufenweise von Menschen, Vögeln und wilden
Thieren gefangen werden. Die Tauchenten treiben
bei hunderten und in geordneten Reihen, durch das freie Meer, die Fische
an das Ufer, daß wir sie desto
Manuskriptseite
26.
bequemer fangen
können. Die Möven fliegen immer über den Fischen
her, und verrathen deren Aufenthalt. Die surinamische
Zikade leuchtet dem Menschen bei Nacht. Die Seidenwürmer
verschaffen uns schöne Kleider. Die Biene trägt
mit vieler Mühe den Honig zusammen, welchen wir uns wohlschmekken lassen.
Ia-03-1779-0084
Selbst das Meer
wirft täglich viele Muscheln und Schnekken
an Bord, zu der Menschen und Thiere vielfachen Nuzzen. Durchgehen wir
die menschlichen Einrichtungen, so finden wir, daß die Natur aller Orten
diese Absicht hat. Der Bootsknecht wagt sein Leben,
welches uns doch das liebste ist, daß er andern Gewin zubringe. Der Soldat
vergiest sein Blut zum Heil des Vaterlandes, und seiner Mitbürger. Die
Bürger sind mit den Geschäften des Nächsten beladen.
Die, welche herschen, widmen ihre Zeit, Kräfte und Musse dem gemeinen
Wesen. Die Ältern spahren
unermüdet zusammen, was die Erben zerstreuen. Der Akkerman
säet und erndtet, aber das wenigste kömt auf seinen Kornboden:
Ia-03-1779-0085
Sic
Vos Vobis ?
Ia-03-1779-0086
Also sind alle Dinge
von dem weisesten Urheber und Regierer dieser Welt zum Dienst andrer geschaffen.
Hieraus entdekt sich unsre Pflicht leicht. Der Starke komme dem
andern zu Hülfe. Der einen grossen Geist hat, unterweise die, welche ihn
nicht haben. Der Gelehrte x
theile seinen Unterricht mit. Kurz, lieben
wir den Nächsten wie uns selbst, so werden wir der Absicht des Schöpfers
entsprechen. Diese gegenseitige Dienste, die wir einander leisten müssen,
haben uns, um des algemeinen Nuzzens willen, zu Geselschaften
verbunden. Was x...x
mit getheilten Kräften nicht geschehen kan, wird mit vereinigten leicht
erhalten.
Manuskriptseite
27.
Ia-03-1779-0087
Wo würden wir das
Geld hernehmen, wenn ein einzelner Mensch die
Berge durchgraben, das Wasser ableiten, das
Erzt herausbringen, tragen, in zehn verschiednen Öfen
und Feuern rösten, giessen, mit dem Hammer ausdehnen,
verschneiden und prägen solte? Nicht einer würde einen Pallast
bauen, wenn er allein den Grund legen, die
Gewölber graben, die Ziegel schneiden und brennen,
die Mauren aufführen, bedekken, inwendig zieren, Fenster anordnen und
noch mehr dergleichen anschaffen solte. Noch weniger würde einer ein Kriegsschif
durch die wütenden Wellen des Meeres zu dem entfernten Indien leiten;
noch ein Soldat sich Königreiche und Provinzen unterwerfen; noch einer
alleinregieren
können, wenn er alle Befehle selbst austheilen wolte. Dieses alles verrichten
mehrere mit wenig Mühe, wenn sie sich zusammen verbinden. Wie wenig Wachs
und Honig mag doch eine einzige Biene samlen,
da hingegen, was alle zusammenbringen, vielen
Menschen zu gute kömt. Ein Seidenwurm würde mir
kein Kleid spinnen, das kan aber leicht von vielen geschehen.
Ia-03-1779-0088
Also verhält es
sich in der ganzen Natur, in den Künsten und allen Wissenschaften, daß
man alles, was herlich und gros sein sol, mit vereinigten Kräften zu Stande
bringen mus. Wie viele tausend Menschen werden
darzu erfordert, wenn ein König mächtig, die
Regierung glüklich und das Volk berühmt sein
sol? Wir sind durch den Schweis vieler Vorfahren
zu dieser bewundernswürdigen Höhe gekommen, auf welcher die Wissenschaften
anizt stehen, und sagen die Baukünstler mit Recht, daß vereinigte
Kräfte stärker wirken.
Ia-03-1779-0089
Izt hat man gesehen,
was die Natur für Kräfte ausgespendet hat, andern zu nüzzen, und mit vereinigter
Hand unsern Nuzzen zu befördern. Mit was für einem Vermögen aber sind
wir zu diesem grossen Geschäfte ausgerüstet? ? Nicht wahr, damit wir uns
über die Thiere erheben? Der Löwe,
welcher keine Furcht kennet, hat das grösseste Herz. Der Hase
hat eine grosse Federkraft in den Füssen, und hilft sich mit der Geschwindigkeit
derselben. Der Affe hat die weichesten Pfoten
und das empfindlichste Gefühl. Die Frösche und
Schlangen die bieg
Manuskriptseite
28.
samsten Adern und
das zäheste Leben. Unter den Vögeln hat die
Nachteule die grössesten Augen, und sieht wenn
es schon finster ist. Der Uhu hat die ausgedehntesten
Ohren, und übertrift alle am Gehöre. Die Spinne
mus einen grossen Magen haben, weil sie eins von den gefrässigsten Thieren
ist. ? So hat die Natur den Sin eines ieden Thiers, welchen es am meisten
braucht, geschärfet. Unter den vierfüssigen Thieren hat keines so viel
Gehirn als der Elephant; unter den Vögeln keiner
so viel als der Papagei, unter den Fischen der
Walfisch das grösseste Gehirn: und diese sind
unter allen Thieren die verschlagensten. Von
allen aber hat keines so viel Gehirn, als der Mensch,
und in demselben wohnet der Geist des Menschen,
wie wir vermuthen, da alle Nerven in demselbigen enstpringen. Die Natur
hat hier ihr gröstes Meisterstük aufgestelt:
Ia-03-1779-0090
Sie befiehlt, daß
vom Gehirn viele Nerven sich erheben,
Und durch den ätherschen Strom alle Sinnen dir beleben,
Ia auch zu den edlern Theilen deines Leibs
als Wächter gehn,
Da für deines Lebens Dauer Herz, Gehirn, und Lunge stehn.
Denn viel edler ist der Theil, welcher für dein Leben wachet,
Dessen Tod ein plözlich End auch deinem Leben
machet.
Last uns dann diese Vernunft hochschäzzen, last
uns diesen edeln Schaz, welcher uns von den Thieren unterscheidet,
recht gebrauchen! Gott
hat den Menschen nicht, wie die übrigen Thiere gekleidet;
die Vernunft aber hat uns verschiedne Kleider erfinden gelehrt.
Auch hat uns die Natur die scharfen Klauen und
schneidende Zähne des Tiegers versagt, aber der
Verstand zeigt uns, wie wir das Fleisch und die Beine viel geschikter
zerschneiden können. Wir können mit dem Hasen
zwar nicht in die Wette laufen, dennoch wissen wir den schnelsten zu fangen.
Wir können die Erde nicht, wie der Maulwurf, mit
unsern Händen durchgraben, doch sind wir im Stande die härtesten Steine
zu spalten. Auch wissen wir, ohne Flosfedern und
Fischohren, das weite Weltmeer zu durchkreuzen. Die Natur hat uns keine
Flügel gegeben; dennoch sind wir geschikt, alle Vögel aus der Luft herunterzufangen;
noch die Augen
Manuskriptseite
29.
des Luchses;
doch entdekken wir die Flekken in der Sonne, und wissen mit dem Vergrösserungsglas
die kleinsten Theilchen einer Käsemilbe auszukundschaften.
? ?" Seit. 689. 690. 691. 692. 693. 694.
Ia-03-1779-0091
"Bei
den kleinsten und verachtetsten Thieren, den
Insekten, sind die herlichsten Züge des Schöpfers
zu erkennen. Und ob sie wohl klein und stum
sind, so verkündigen sie doch die Weisheit des Schöpfers mehr, als alle
übrige. Der sonst so nach Neuigkeiten iagende Mensch hat diese seiner
Aufmerksamkeit so wenig würdig gehalten, daß unter allen Wissenschaften,
dieienige von der Natur und den Eigenschaften derselben, am wenigsten
angebauet ward. Inzwischen hat das Reich dieser kleinen Thierchen unter
den Engländern, einen Lister;
unter den Hölländern einen Schwammerdam;
unter den Deutschen einen Frisch,
Rösel, Schäfer;
und unter den Franzosen einen Reaumur
unsterblich gemacht. Noch viele andere berühmte und grosse Männer, und
zwar ein Aristoteles, Gesner,
Aldrovand, Schönfeld,
Ionston, Iung, Blankard,
Merret, Ioblot, Kolumna,
Leuwenhök, Gödart,
eine Merianin, ein Bradlei,
Hufnagel, Albin, Wallisner,
Petiver, Willughbei,
Lesser, Bazin
und Raius haben die
Natur sorgfältig untersucht; keiner aber sie durch gewisse standhafte
Kenzeichen von den vierfüssigen Thieren, Vögeln, Fischen und Würmern abzusondern
gewust. Der Krebs wurde unter die Fische gezählt,
da er doch ein Insekt ist ? das Seepferdchen
für ein Insekt gehalten, da es doch ein Fisch
ist. Die Seenessel, Schnekken, Würmer, ia gar
die pflanzenartige Würmer,
und Muschelwürmer wurden alle zu den Insekten
gerechnet, da sie doch zu dem Geschlechte der Würmer gehören.
Die Unordnung herschte bis der unsterbliche
Linneus in seinem Natursystem
gezeiget, daß nur die Insekten Fühlhörner haben, und daß
das Beingerippe ihre äussere Haut sei, wodurch
diese kleine gepanzerte Thierchen gestärkt, und vor äussern Gefahren
sicher gestelt sind. Diese Verwahrung war ihnen nöthig, denn wie hätten
sie sonst so viel Drükke und Stösse ausstehen, wie hätten sie unter der
Erde kriechen können, ohne erdrükt zu werden? Die Sonne hätte sie ausgedört,
und im Sommer Winter hätten sie die heftigste
Kälte nicht ausstehen mögen. Diese dikke Haut dünstet nicht so stark aus;
daß aber die vermehrte oder verminderte Ausdünstung vieles zur Verlängerung
oder Verkürzung des Lebens beitrage, ist aus verschiednen Versuchen klar
zu sehen, welche verschiedne berühmte Naturkundige
über diese Materie angestelt haben. Wenn
Manuskriptseite
30.
der Elephant die
Stärke des Käfers nach Proportion der Grösse hätte, so würde er die mächtigsten
Bäume wie Bohnenstroh zerkniken, und die Berge und Felsen umkehren.
Ia-03-1779-0092
Man betrachte die
wunderbare Erziehung der Insekten. Wie unähnlich
ist der Iüngling dem Kind, und wie sind beide von dem Ältern unterschieden?
Verwandlungen, welche über unsre Kräfte sind! Eine grüne Larve
mit sechszehn Füssen, welche kriecht, haaricht ist, und Blätter frist,
die man sonst eine Raupe nent, wird in eine hängende, glatte, fastende,
goldene Puppe verwandelt, welche keine Füsse hat. und aus dieser wird
hernach ein fliegender, weisser, honigsaugender, bunter Schmetterling
mit sechs Füssen. Was kan doch die Natur bewundernswürdigers hervorgebracht
haben? Es trit ein einziges Thierchen unter so viel Gestalten auf! Es
geschiehet aber eben dieses, wenn ein Küchlein aus dem Ei bricht, ausser
daß hier alle drei Häute auf einmal reissen und abfallen, bei dem Schmetterling
aber eine nach der andern. Denn wenn das erste
Häutchen abfält, so erscheinet der Wurm oder die Larve;
und nach wenn dieses abgedört oder weggestossen
ist, so ists die Puppe; und nach Ablegung der
dritten erscheint der Schmetterling. Wie viel
tausend Geschlechter und Gattungen, giebt es nicht, welche
alle ihre besondere Struktur und Eigenschaften haben, die nicht minder
zu bewundern sind, als die der allergrössesten! Wenn wird die Zeit kommen,
da uns alles dieses klar sein wird?
Ia-03-1779-0093
Man bewundert die
scharfen Augen des Luchses, der Schlange und der Nachteule, welche bei
gröster Finsternis siehet. Wenige aber würdigen die acht Augen der Spinne,
die alle auf einer Stirn liegen, ihrer Bewunderung; noch die Augen der
Bremse, oder eines andern fliegenden Insekts,
welche aus tausenden zusammengesezt sind.
Ia-03-1779-0094
Man kan sich kaum
sat sehen an einem Hirsche, der seine schöne zakkigte Hörner empor trägt;
aber man wil nicht Acht haben auf die glatten Hörner des Schröters,
die so glat, ästicht, hohl und korallenförmig sind, die er so künstlich
auszudehnen und wieder zusammenzuziehn weis. Noch ziehn wir die merkwürdigen
blätterichten Fühlhörner des Käfers in Betrachtung, welche gleich den
Manuskriptseite
31.
Blättern in einem
Buche zusammen gefaltet werden. Wir bewundern die langen Hörner des Ziegenboks
und des Bisamthiers, welche in nette Ringe abgetheilt sind, und gehen
die Hörner des Holzkäfers, welche etliche mal
länger sind, als das ganze Thier, und die merkwürdigen Fühlhörner des
Maiwurms stilschweigend vorbei. Und wenige
kennen den Krebsartigen Kiefenfus,
dessen Hörner an wunderbahrer Gestalt alle andre weit übertreffen, weil
dieselben wie eine Hand gefingert, und wie Arme ausgestrekket sind, daß
sich das Thierchen mit denselben im Wasser hin und her bewegen kan. Wir
erstaunen über den grossen und langen Rüssel
des Elephanten, ohne auf den sehr langen Schnabel des Kornwurms
zu sehen, der so hx...x
hart, als ein Horn, und am Ende in einen Mund gespalten ist. Die, so aus
den abendländischen Indien zurükkommen, wissen vieles von dem Ameisenbär
zu erzählen, der keine Zähne hat, sondern mit seiner ausgestrekten Zunge
die Ameisen auffängt, und verschlukket. Aber das wissen wir nicht, daß
die Zunge eines ieden Zweifalters in eine Spirallinie
zusammengelegt ist: und daß die Schnakke mit ihrer
Zunge wie mit einer Nadel sticht, und wie mit einer Pumpe sauget. Wir
erschrekken, wenn der grimmige Löwe seinen Rachen aufspert oder ein raubender
Seehund sich zeiget, aber wir betrachten niemalen die vielfachen Kiefern
der Drachenhure, welche unter den Insekten grössere
Verherungen anrichtet, als der Löwe in der Wüste,
oder der Seehund im grossen Meer; denn das grausame Thier erhascht alle
vorbeifliegende Insekten, und zermalmet ihre Gebein in einem Augenblik.
Wir bewundern den schnellen Lauf des Hasens und Eichhorns, und merken
doch nicht auf die Sprünge eines Flohes, und die
Kreuzsprünge der Heuschrekken, noch auf iene
Mükken, welche troknes
Fusses über das Wasser daher tanzen; oder auf des Wasserkäfers
leichte Kreise durch das Wasser; noch auf die Rükkensprünge
des Springkäfers, noch auf die Tänze der Stinkfliege,
noch auf den horizontalen Lauf der Spinne von
einer Wand zur andern; wenn sie eine Mükke verfolgt, oder sonst ihr Nez
ausspant, und sorgfrei durch die Luft wandert.
Betrachtet einmal die grossen, zierlichen, gemalten, bunten Flügel
des Zweifalters, die mit sehr kleinen Schüpchen
oder Federchen überdekt sind. Diese Flügel heben
ihn den ganzen Tag in
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32.
die Luft, und streiten
mit dem hohen Fluge der Vögel, und dem prächtigen Schweif des Pfauen.
Noch dazu hat er vier Flügel. So viel hat die Natur keinem Vogel gegeben.
Wer lehrt das Federvieh mit den Flügeln pipen, wie die Schnakke,
summen wie die Hummeln, oder klingend schmettern,
wie die Feldgrillen, und die Cikaden
in den Thälern, die Maulwurfsgrille unter dem
Boden, und die Hausgrille in dem Feuerheerde?
Welcher Vogel trägt seine Flügel so senkrecht, wie der Schmetterling,
so wagrecht wie die grosse Mükke (Tipula),
so niedergebogen, wie der Nachtvogel (Phalæna)?
Welcher verbirgt seine Flügel in so zierliche Scheiden, wie die spanische
Fliege, und faltet sie so niedlich zusammen, wie der Ohrwurm?
? Seit. 696. 697. 698. 699. 700.
Ia-03-1779-0095
4) Moralische Gedanken.
Ia-03-1779-0096
"Wenige Menschen
wissen: was der Tod sei? und eben so wenige
wissen: was Leben ist? Darum leben und sterben die mehresten so schlecht."
Ia-03-1779-0097
"Dieienigen, welche
sich erst am Schlusse des Lebens bekehren wollen, sind selten glüklicher,
als die, welche im Grabe erwachen. Sie leben noch einmal
auf, um zweimal zu sterben."
Ia-03-1779-0098
"Wer nicht Gelegenheit
hat, lasterhaft zu werden, kan noch nicht sagen: daß er tugendhaft sei."
? Seit. 704.
Ia-03-1779-0099
5) Eine Fabel.
Ia-03-1779-0100
"Elendes kriechendes
Geschöpf! Verächtlicher Wurm! rief aus der Höhe
ein auf sein farbichtes Gefieder stolzer Schmetterling der Raupe zu. Du
erinnerst dich nicht, erwiederte diese, was du vormals warst; und denkst
wohl nicht, was ich noch werden kan. ?" Seit. 314.
Manuskriptseite
33.
Ia-03-1779-0101
VII.
Ia-03-1779-0102
Algemeine
deutsche Bibliothek. Des achten Bandes erstes Stük. Berlin
und Stettin, verlegts Friedrich
Nikolai, 1768.
Ia-03-1779-0103
1) Von dem Lobgesange
und der Religion der Maria.
Ia-03-1779-0104
"Die Iünger Iesu
hatten überhaupt den Glauben, daß Gott seine Zusage halten und den Messias
senden werde; sie erwarteten von ihm Glük und Errettung, Erlösung von
der Hand ihrer Feinde, Luk.
1, 74 u. s. w. sie deuteten das aber, nach der algemeinen Denkungsart
ihres Volks, fleischlicher Weise, und hoften eine irdische Wolfarth, eine
leibliche Errettung, und ein Reich hier auf Erden, das sie über andre
Völker erheben, und auch andre Völker zu ihnen herzulokken werde. Iesu
Wunder überzeugten sie, daß er der Messias sei; und ihr Glaube an ihn
bestand darin, ihn dafür zu bekennen, ihm als dem von Gott verordneten
Herrn und König treu anzuhangen, und die Zeit seines zu errichtenden Reichs
getrost zu erwarten. Von seinem Tode und von der dadurch zu stiftenden
geistlichen Erlösung, von ihrer Nothwendigkeit und Beziehung auf das ganze
menschliche Geschlecht, von dem himlischen Reiche des Messias, von der
Bildung, welche Gottes Geist dem Herzen dazu geben mus, hatten sie keine,
oder doch nicht richtige Begriffe. Zu Iesu Unterricht,
(der gerade auch über diese Punkte mit groser Weisheit sparsam war,) samleten
sie diese Erkentnis nicht, berichtigten ihre Vorstellungen nicht, und
liessen in der ganzen Zeit wenige von den Vorurtheilen
und Irthümern fahren, welche den Zwek und die Sendung Iesu
in einem falschen Lichte zeigten. Viele Artikel der
Heilsordnung, die es izt für uns sind, fehlten
ihnen ganz: und von andern hatten sie irrige und fleischliche Begriffe:
und der sukzessive Unterricht Iesuscheint nur dies vornehmlich bei ihnen bewirkt
zu haben, daß sie in der Überzeugung, Iesus
sei der Messias, gewisser; und in ihren Gesinnungen und Handlungen gewissenhafter,
reiner und gottesfürchtiger wurden. Diese historische Wahrheiten lassen
sich als solche beweisen; der Beweis liegt in der ganzen evangelischen
Geschichte; der Hr. Senior Göz läugnet sie selbst
nix...x nicht, und
kan sie nicht läugnen.
Ia-03-1779-0105
"Aber bei der Maria
ist eine Ausnahme zu machen." und warum? Nicht wahr, man mus historische
Data haben, daraus
Manuskriptseite
34.
man zuverlässig
schliessen kan, daß sie mehrere und richtigere Erkentnis und weniger Irthümer
und Vorurtheile als die Iünger und Apostel gehabt habe.
Nun, das wil ich mit dem Hr. S. untersuchen.
Ia-03-1779-0106
"Warum solte bei
der Maria nicht eben sowohl eine höhere Erleuchtung
möglich gewesen sein, als sie es bei dem Iohannes dem
Täufer, beim Zacharias, dem Simeon,
der Hanna möglich war?" O ia, warum nicht? Sie
war auch bei den übrigen Iüngern, sie war bei
allen damaligen Iuden möglich, wenn Gott sie ihnen geben wolte. Aber ist
die höhere Erleuchtung da gewesen? Das ist eine
historische Frage; die nur aus einem ausdrüklichen Zeugnisse, oder aus
ihren Reden und Handlungen beantwortet werden kan. Iohannes
der Täufer solte die Iuden von der wahren Ankunft des Messias und
von dem Zwekke seiner Sendung unterrichten; nach seinem Amte mus ich also
auch eine genauere Einsicht in diesen Zwek bei
ihm vermuthen: überdem zeigt es auch der Inhalt seiner Reden ganz klar,
daß ihm durch den heiligen Geist die geistliche Absicht von der Zukunft
des Messias näher aufgeschlossen worden als irgend ,
einem seiner Zeitgenossen. Wie weit aber seine
Erkentnis der Heilsordnung ausgebildet gewesen, und sich unsrer gegenwärtigen
genähert habe, das ist eine delikate Frage, die aus dem wenigen, was uns
von ihm aufgezeichnet ist, schwer mit Zuverlässigkeit entschieden werden
kan. So viel sagt uns Christus selbst von ihm:
der kleinste im Himmelreich ist grösser als er. Vom Zacharias
heist es ausdrüklich, er ward des heil. Geistes vol: Simeon
kam aus Anregen des Geistes in den Tempel: Hanna
war eine Prophetin.
Und in den Reden der beiden ersten finden wir auch Spuren, daß sie von
zukünftigen Dingen geredet haben, die sie nicht
anders als durch Offenbarung des heil. Geistes wissen konten. Wie viel
er ihnen offenbaret, das können wir nur aus der Bedeutung der Worte wissen,
deren sie sich bedienten; und die Bedeutung der Worte müssen wir aus der
Analogie, aus ihrer Denkungsart und aus den Religions
Manuskriptseite
35.
begriffen ihrer
Zeit aufsuchen. Der Bund Gottes mit den Vätern, den ZachariasLuk. 1, 71. f. besang,
hatte freilich einen höhern Zwek; aber die Frage ist, ob Zacharias
diesen höhern Zwek kante? Ein frommer Iude, dem Gott es offenbarte, nun
sol der Messias erscheinen, könte ia wohl singen: Bald werden wir erlöset
sein von der Hand unserer Feinde, und unserm Gott dienen ohne Furcht,
u. s. w. und doch eine leibliche Erlösung verstehen, welche ieden ermuntern
würde, Gott recht treu und gefällig zu werden. Er konte die von Iohannes
zu verkündigende Vergebung der Sünden preisen, aber folgt aus diesen Worten,
daß er sich auch dabei dachte, es sei die Vergebung durch das Blut Iesu?
Simeon sprach vom Heilande, er solle ein Licht
sein, die Heiden zu erleuchten. Sehen wir aus
diesen Worten, daß er den bestimten Begrif und Inhalt des Evangeliums,
wie es von den Aposteln den Heiden
geprediget wurde, und die aufgehobene Scheidewand zwischen Iuden und Heiden
vor Augen gehabt habe? Was Hanna gesprochen
habe, ist uns gar nicht berichtet; sie sprach zu solchen, welche auf die
Erlösung zu Ierusalem warteten: das erzält uns der Evangelist. Was sie
für Begriffe von dieser Erlösung gehabt, das sagt er uns nicht; vermuthlich
solche, wie sie sie nach der ihrer Fassung und
der herschenden Denkart aus den Schriften des
A. B. erlangen konten. Folgt es etwa? weil sie
auf die Erlösung warteten, so stelleten sie sich eben das darunter vor,
was Paullusdx...xtxx
dachte, als er von der Erlösung durch Iesu
Blut predigte. Das wird doch wohl niemand behaupten: weil der
Geist Gottes auf den und den wirkte, so wuste
er alles und wuste es völlig. Wie viel ihm der heil. Geist
geoffenbaret habe, das mus man aus den Reden
des heil. Mannes schliessen, und seine Reden nicht nach unserm, sondern
nach seinem Sin erklären.
Ia-03-1779-0107
Wie verhält es sich
nun mit der Maria? Hat sie wirklich mehr Erleuchtung
gehabt, als die Iünger Iesu? Hat sie sogar die
bestimte und ausführlichere Erkentnis der Heilsordnung gehabt, die der
Christ izt hat; oder hat sie vielleicht Anfangs
nicht einmal so viel davon erkant, als sie und die Iünger nach
genossenem
Manuskriptseite
36.
Untericht von Iesu
gesamlet und berichtiget haben? "Ia, der Engel Gottes nent sie Luk.
1, 28. eine begnadigte, und begnadiget von Gott kan nur der sein, der
den wahren Glauben hat an den Heiland der Welt." Welchen Glauben? Den,
der die ganze Vorstellungsart von der geistlichen Erlösung,
so wie der Christ ihn izt hat, in sich schliest?
So müssen wohl die Iünger, die Iesus sich erwählet
hatte, keine begnadigte Gottes, sondern verworfene und verdamte gewesen
sein; denn sie wusten nichts vom Tode Iesu,
von seinen erlösenden Leiden, und dem was dadurch
erworben werden solte; sie wolten es nicht einmal glauben, wenn Iesus
sie darauf führte. Der Glaube, den wir bei ihnen finden, war ein Vertrauen
auf Gottes Zusage, eine Hofnung auf den Messias, eine Erwartung von Glük
und Errettung, die er von Gott bringen solte, und eine feste
Zuversicht, sie durch Iesum zu erhalten. Was
für Glük, was für Errettung, das bildeten sie sich ganz anders aus, als
wir. Aber wozu diese dogmatische Argumente? Die Frage ist, welchen Sin
hat der Engel dem Wort Begnadigte beigelegt, und
in welchem Sinne hat es Maria verstanden? Nun
mögen wir die Verkündigung des Engels ansehen, oder die Reden und das
Betragen der Maria, so war der Gedanke natürlicher
Weise der erste bei ihr: ia wohl würde das eine vorzügliche Gnade
Gottes sein, wenn ich einen Sohn gebähren solte, der ein Sohn des Höchsten
heissen würde. ?" Seit. 144. 145. 146. 147. 148.
Ia-03-1779-0108
"Der Lobgesang Mariä
ist die grösseste und beinahe einzige Rede,
die uns von ihr aufgezeichnet ist, daraus wir uns von ihrer Denkungsart
und dem Maasse ihrer Erkentnis einigen Begrif machen können. Ist er ausserordentlich
eingegeben worden? Man weis nicht, was man hierauf antworten sol. Es ist
doch merkwürdig, daß es mitten in der Reihe, wo von andern Personen erzählt
wird, daß sie des h. Geistes vol gewesen, von der Maria
verschwiegen wird. Aus dem Inhalte des Gesanges erhellet es auch nicht
zuverlässig. Er besteht aus Erinnerungen und Anwendungen biblischer Sprüche.
Ieder
Manuskriptseite
37.
fromme Israëlit,
dem Gott es offenbarte, von dir sol der Messias entspringen, konte aus
der Fülle seines Herzens in dieses Lied ausbrechen.
Indessen kan doch Gottes Geist dabei wirksam gewesen sein, daß sie es
auf seinen Antrieb gesungen, oder durch ihn in der Begeisterung erhöhet
worden. Bedurfte aber ihre gerührte Seele wohl dieses Antriebs, dieser
ausserordentlichen Begeisterung? ? "Aber war denn ihre Freude über Gott
ihren Heiland blos aus ungegründeter Hofnung zeitlicher Vortheile entsprungen?"
Nein. Wenn Maria sich freuet, daß Gott sie aus
der Niedrigkeit hervorzieht, und ihrem verheissenen Sohn den Thron Davids
geben wil, so ist sie from gerührt über diesen Beweis der Gnade und Macht
Gottes, v. 50. f. so freuet sie sich mit edlem Herzen, daß dem ganzen
Israël dadurch Heil wiederfahren sol; so preiset sie Gott für diesen Beweis,
den er giebt, daß er ihrem Volke vergeben wolle. Denn nach der Sprache
des A. T. heist Gott vergiebt, so viel: er
hebt die Strafen auf und befreiet das Volk von dem Elend, darin es durch
seine Sünden gekommen war. Wenn nun Maria oder
ein anderer Frommer es in dieser Bedeutung auch dachte: wird der Messias
König sein, und das Volk von fremder Herschaft befreien, so ist das ein
Beweis Gottes, daß er die bisherigen Sünden vergebe: war denn das gemein,
niederträchtig oder einem frommen unanständig gedacht? ? "Die algemeinen
Säzze in diesem Liede treffen doch aber nicht im algemeinen Sinne ein;
nicht alle Hoffärtigen werden erniedriget, nicht alle niedrige erhoben."
Das braucht es auch nicht. Wenn ein Frommer algemeine Aussprüche der Bibel
in sein Loblied einflicht, so denkt er nicht an die algemeine Wahrheit
des Sazzes, sondern er wendet ihn nur auf sich und seinen Fal an. Er hat
die Wahrheit davon erfahren: das ist ihm genug.
Und so verhielt sich es mit der Maria auch.
"Sie preiset es aber auch, daß Gott dem Israël
ewiglich aufhelfe; hier hat sie doch wohl auf
das Recht der ewigen
Kindschaft gesehen, das die Menschen durch die
Versöhnung Iesu empfangen solten."
Wenn es nicht historisch zu erweisen ist, daß sie von der Versöhnung bestimte
Ideen gehabt habe, so hat sie auch an die daraus fliessende Kindschaft
nicht denken können. ?" Seit.
151. 152. 153.
Manuskriptseite
38.
Ia-03-1779-0109
VIII.
Ia-03-1779-0110
Algemeine
deutsche Bibliothek. Des achten Bandes zweites Stük. Berlin
und Stettin, verlegts Friedrich
Nikolai, 1769.
Ia-03-1779-0111
1) Vom Baume des
Erkentnisses.
Ia-03-1779-0112
"Wir sehen immer
noch nicht, warum man nicht ohne Nachtheil der Wahrheit die Bildersprache,
dieses Bedürfnis der ältesten Welt, auch in der Erzählung vom Fal und
dessen Ursachen derselben könte gelten lassen.
Solte es denn zwischen dem profanen Wiz eines Beverlands
und seiner Gefährten und der schweren Erklärungsart unsrer Exegeten, die
so viel Zweifel auch bei Redlichen gebiehrt, kein Drittes geben? ? Solte
die Wahrheit verlieren, solte sie nicht viel eher gewinnen und dem chikanirenden
Theil der Mund auf einmal gestopft werden, wenn man sagte, das Ganze laufe
daraus hinaus, daß Gott dem Menschen zwar unschuldige sinliche Vergügungen
gestattet, aber den Genus sündlicher Wollüste verboten habe; daß das Weib
von einer derselben sich
bethöret sich überwunden gegeben und den Man selbst dazu verführt; daß
dan Schaam, Schrekken des Gewissens, peinigende Furcht für Gott bei iedem
Gehör einer maiestätischen Naturwirkung, so lebhafte Angst, als wenn er
auf den Fus als Rächer folgte, gegenseitige Anklagen und Entschuldigungen
des Herzens, der traurige Erfolg davon gewesen, und die natürliche Strafe
des Menschen darin bestanden, durch einen und den andern Versuch des lasterhaften
Vergnügens in einen solchen Zustand versezt zu sein, daß ein beständiger
Streit zwischen Fleisch und Geist ist, in welchem der Sieg allezeit zweifelhaft
bleibt und leider nur alzuoft von ienem behauptet wird? Es sei nochmals
gefragt, ob es etwa dem grossen Gott unanständig gewesen, wie ein guter
Vater, sich zu seinen noch ganz unmündigen spielenden Kindern in der alten
Welt herab zu lassen und sie durch Bilder, (in welchen er dazumal allein
mit ihnen reden konte) zu belehren? ?" Seit. 112. 113.
Ia-03-1779-0113
2) Vom jüdischen
Volke.
Ia-03-1779-0114
"Es gefiel Gott
, nicht allein der Schuzgott
der Israëliten zu sein, sondern auch ihre höchste Landesobrigkeit
zu werden ? hieraus läst sich die Weisheit und Billigkeit vieler sonst
hartscheinenden Gesezze
Manuskriptseite
39.
darthun ? es waren
gleichsam Polizeiordnungen ? daher kan es auch
wurde die Abgötterei nie eigentliches crimen læsæ maiestatis
? und das Gesez gegen die Verehligung mit den Heiden, ingleichen von der
Enthaltung von unreinen Thieren, zur Verwahrung für alle Gemeinschaft
mit fremden Völkern gegeben ? Daher kan es auch Niemand befremden, daß
Gott blos zeitliche Strafen den Verbrechern gedrohet, weil das Volk dadurch
am lebhaftesten überzeugt werden konte, daß sein Gott
allein Gott sei, weil keiner von den vermeinten Göttern der Heiden
mit Dürre und Miswachs strafen, oder mit Fruchtbarkeit
belohnen konte ? daher ist auch die Drohung, noch an Nachkommen die Sünden
der Vorfahren zu bestrafen, nicht als ein Stük der algemeinen Religion,
sondern als eine bürgerliche Verordnung zu betrachten, so wie Monarchen
das Laster der beleidigten Maiestät bestrafen. ? Es kan auch nicht befremden,
wenn David in seinen Psalmen gleichwohl klagt,
es gehe den Gottlosen wohl, den Frommen übel,
indem diese ausserordentliche Vorsehung nach und nach
stufenweise abgenommen, ie mehr die Zeiten der neuen
Einrichtungen sich näherten. ? ?" Seit. 120. 121.
Ia-03-1779-0115
3) Von der ersten
Kirche u. s. w.
Ia-03-1779-0116
"In diesem (wie
die Apostel lehrten,) gemässigten Ton redeten die Väter in den ersten
drei Iahrhunderten fort. ? Die Wörter Dreieinigkeit,
Wesen, Person waren ihnen unbekant. - Selbst ihre Begriffe vonGlauben, Sinnes=Änderung, Rechtfertigung,
Erlösung waren nicht übereinstimmend ? deshalb verdamte man auch
Niemand, und noch Gregorius Nazianzenus
durfte es wagen zu schreiben, wenn man den heil. Geist ???? nennt, bei
Leuten die ?????????? sind, so ists löblich,
aber bei Schwachen ist es zu starke Speise. - Nur nach und nach wurden
die Vorstellungen feste gesezt und damit auch manche Irthümer kanonisirt.
? Die Reformation hat zwar die Kirche davon
ziemlich gereinigt, ob man gleich nicht sagen kan, daß die Sache zu aller
der Volkommenheit gebracht sei, deren sie fähig ist, ? wie selbst fromme
Manuskriptseite
40.
Gottesgelehrten
öffentlich gestanden haben. ? Last uns aus dem allen den Schlus machen
? daß die ältesten Zeiten nicht immer die erleuchtesten
gewesen, ? daß die Betrachtung des langsamen Wachsthums menschlicher Erkentnis
uns in unsern Urtheilen von Andern, die andre Einsichten zeigen, vorsichtig
machen sol ? daß deshalb nicht iede Religion gleichgültig ist, und ein
ieder verbunden sei, nach richtigenx...xsx
Einsichten zu streben, und die erkanten ohne alles
Interesse zu bekennen. (Matth.
10, 33.) ? ?" Seit. 125. 126.
Ia-03-1779-0117
4) Was die Trägheit
sei.
Ia-03-1779-0118
"Die Trägheit ist
weiter nichts, als der Saz des zureichenden Grundes, auf die Veränderung
des Zustandes des Körpers angewandt. Die Ursache dieser Änderungen ist,
so viel uns unsre Sinnen lehren, nicht in dem Körper selbst, sondern in
andern, ausser ihm befindlichen, Dingen zu suchen. Vielmehr sieht es so
aus, als ob in dem Körper etwas wäre, das ieder Bemühung ihn aus seinem
Zustande zu bringen, hinderlich fiele. und dieses
nent man seine Trägheit. Sie hat keine bestimte Grösse, denn sie widerstehet
viel oder wenig, nachdem die Gewalt, der sie sich widersezt, gros oder
klein ist. Sie ist keine Kraft, sondern so zu reden nur der Widerhal andrer
Kräfte. ? ? ?" Seit. 214.
Ia-03-1779-0119
5) Von dem Drukke.
Ia-03-1779-0120
"Daß aus fortgesezten
Drükkungen Bewegung entstehen kan, zeigt die Schwere. Was aber ein einzelner
Druk in einer unendlich kleinen Zeit hervorbrächte, wäre eine unendlich
kleine Bewegung. Dasienige also, womit endliche Bewegung verbunden ist,
die sogenante lebendige Kraft, ist als eine Summe unzähliger Drukke, als
ein Integral anzusehen, davon ein Druk das Element ist. Man hat also mit
Recht lebendige und tode Kraft als Dinge, die sich nicht ver
Manuskriptseite
41.
gleichen lassen,
angesehen, da diese ein Element von iener ist. Wil man demnach die Stärke
des Stosses messen, so mus man ihn als die Summe unzähliger Drükkungen
betrachten. Eben so lassen sich die Härten der Körper, aus den Eindrükken
des Stosses, vergleichen. ?" Seit. 215. 216.
Ia-03-1779-0121
6) Wizzige Vergleichung
des Schmetterlings mit den Menschen.
Ia-03-1779-0122
"Die Raupe wil wissen,
wie der künftige Schmetterling aussieht, wie
er kriecht, auf welchem Blat er sich aufhält pp. Darüber hat schon Swift
angemerkt, es seie uns nicht gesagt was der Himmel ist, sondern nur was
er nicht ist, daß man nämlich daselbst nicht esse, trinke, heurathe pp.
Das wil sagen, der Schmetterling kriecht nicht, und die Raupe hat nur
Begriffe vom kriechen. So wird wohl müssen von Dingen gesprochen werden,
die kein Aug gesehen, kein Ohr gehört hat;
und die in keines Menschen Sin ie gekommen sind.
Indessen sind die Bemühungen sich alles würdigste
davon vorzustellen, nicht unnüzze, nur mit dem Zusazze, daß wenn es nicht
so sein wird, es noch besser sein werde." ? Seit. 278.
279.
Ia-03-1779-0123
IX.
Ia-03-1779-0124
Neues
Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren
und dessen Unterscheidung vom Irthum und Schein durch I.
H. Lambert. Zweiter Band. Leipzig, bei Iohann
Wendler, 1764.
Ia-03-1779-0125
1) Von den Vokalen.
Ia-03-1779-0126
"Die Erfahrung lehrt
uns, daß, wenn man dieienigen Wendungen der Gliedmassen, die
zum Sprechen gehören, nicht in der Kindheit
zu einer Fertigkeit macht, sie uns im höhern Alter,
theils schwer, theils ganz unmöglich werden. Das Schibbolet
der
Manuskriptseite
42.
Iüden, das th
der Engelländer, das mst der Russen, sind verhältnisweise
von dieser Art. Die Welschen haben Mühe zu asperiren, und werden leicht
Hengelland und Oland aussprechen,
die Deutschen treffen das Französische eu
nach seinen beiden Aussprachen sehr selten, und
verwechseln es leicht mit i und e.
Das Griechische ? scheint ein Mittelton zwischen ei
und i gewesen zu sein, dessen Aussprache die Lateiner
mit e verwechselten; und da die Lateiner das griechische
? durch ph und nicht durch f
geben, so scheint auch, daß es ein Mittel zwischen
ph und F gewsen sei, so
wie die Franzosen das Wort vive als vifve
dergestalt aussprechen, daß das fv ein Mittel
zwischen f und v ist.
Ia-03-1779-0127
Die Unterschiede
der Vokalen sind, nach so viel mir
vorgekommen, folgende:
Ia-03-1779-0128
1). a,
wie es die Deutschen in haben, Adam pp. aussprechen.
Ia-03-1779-0129
2. oa,
ein Mittelton zwischen o und a.
Ia-03-1779-0130
3. ae,
wie in dem Wort Vers, mäß, her.
Ia-03-1779-0131
4. ae,
wie im Französischen in fait, im Deutschen sez,
Herr.
Ia-03-1779-0132
5. e,
wie in geh, mehr.
Ia-03-1779-0133
6. e,
wie in den lezten Sylben der Wörter sizzen, faire.
Ia-03-1779-0134
7. e,
wie in einigen holländischen Örtern die erste Sylbe in siten,
ein Mittelton zwischen e und i.
Ia-03-1779-0135
8. i,
wie im Deutschen mir, Hirt.
Ia-03-1779-0136
9. i,
wie im Französischen vif,
im Deutschen vil.
Ia-03-1779-0137
10. u,
wie im Französischen pur.
Manuskriptseite
43.
Ia-03-1779-0138
11. u,
wie in der Schweiz für, über, füllen.
Ia-03-1779-0139
12. u,
wie outre, joug, muse, Uhr.
Ia-03-1779-0140
13. u
wie gloire, ruhen, fuhr.
Ia-03-1779-0141
14. u,
wie Stufe, murren, um.
Ia-03-1779-0142
15. o,
das o chiuso der Italiener, ein Mittel zwischen
u und o.
Ia-03-1779-0143
16. o,
das o aperto der Italiener, ein klingendes o.
Ia-03-1779-0144
17. oe,
wie in der Schweiz hören, im Französischen leur,
feu. ? ?" Seit. 46. 47.
Ia-03-1779-0145
2) Von den Konsonanten.
Ia-03-1779-0146
"Die Mitlauter
theilen sich in einfache und zusammengesezte. Von diesen haben wir Zeichen
für folgende dreizehn:
Ia-03-1779-0147
v,
d, f, g, h, l, m, n, r, s, w, ?, @,
Ia-03-1779-0148
zu welchen vielleicht
noch das griechische ? als ein Mittelton zwischen
f und vh, und das engländische
th, welches aus d, h, s,
zusammengezischt wird, kommen könte. Ob aber die Gliedmassen der Sprache
nicht noch mehrere Konsonanten möglich sein lassen, läst sich nicht wohl
anders entscheiden, als wenn man solche in ganz fremden Sprachen findet.
Wir bemerken hiebei nur eine Anomalie in den gewöhnlichen Buchstaben unsrer
Sprachen. Denn für dh, gh, dhs, gs, bh
nehmen wir einfache Zeichen t, k, z, x, p, und
hingegen für die einfachen Mittellauter der Griechen ?,
@, ?, nehmen wir cg, sch, ph. Lezteres
vermuthlich aus Mangel eigner Zeichen, ersteres aber als eine ganz wilkührliche
Abkürzung, die nach strengern Regeln entweder
unterbleiben, oder auf iede andre zusammengeschlungene
Konsonanten, z. E. bl, br, bs, gl, gr, gs, st, spr, str
pp. ausgedehnt werden müste.
Manuskriptseite
44.
Ia-03-1779-0149
Von diesen einfachen
Konsonanten kommen einige den Vokalen näher, und diese sind s,
ch, sch, f, r, weil der Ton in der Aussprache, so lange man wil,
darauf ruhen kan, wie bei den Vokalen. Nach diesen haben die 3 Buchstaben
l, m, n, noch etwas selbsttönendes, d
undg sind stummer,
b und w fordern eine völlige
Schliessung der Lippen, und das h ist eine blosse
Aspiration. Man könte sie demnach in halblaute, flüssige,
halbstumme, stumme und aspirirende
abtheilen. ?" Seit. 48. 49.
Ia-03-1779-0150
3) Von einfachen
Begriffen, wie sie ausgedrukt werden müssen.
Ia-03-1779-0151
"Es ist, an sich
betrachtet, das natürlichste, daß ein Begrif, der für
sich gedacht werden kan, schlechthin nur durch eine Sylbe angedeutet werde.
Denn eine Sylbe läst sich für sich ebenfals mit einem male aussprechen.
Die Kürze des Zeichens ist eine Volkommenheit, und es bedarf ein Zeichen
nicht mehr, als daß es das Bewußtsein der Sache errege. Aus diesem Grunde
sind zusammengesezte Wörter, in welchen nicht
iede Sylbe ihre eigne Bedeutung hat, Unvolkommenheiten
einer Sprache. ?" Seit. 67.
Ia-03-1779-0152
4) Von Konjunktionen.
Ia-03-1779-0153
"Im Deutschen scheinen:
und, auch, so, als, oder, wenn, wo, wie, aber, weder,
noch, doch, sonst, ob, denn, weil, daß, da, nun, pp. Wurzelwörter
zu sein. Die Lateiner haben noch die verneinende, ne,
nec, quin, pp. die wir im Deutschen zusammensezzen, so wie sie
hingegen das deutsche auch, durch etiam, quoque,
pp. geben. Die abgeleiteten oder zusammengesezten Bindwörter,
besonders wenn sie von andern Redetheilen herkommen, ändern gewissermassen
ihre Bedeutung, und öfters sind es Abkürzungen von Redensarten. Z. E.
das Bindwort daher, welches an
Manuskriptseite
45.
sich ein
Verhältnis des Orts anzeigt, wird metaphorisch
metaphorisch und wegen Ähnlichkeit des Eindrukkes
auf die Gründe und Schlusfolgen gezogen; als ein Bindwort aber ist es
eine Abkürzung der Redensart: daher
kömt daß pp. Das Bindwort damit, welches
auf Mittel und Absichten geht, behält noch etwas von dem Vorworte mit,
aus welchem es abgeleitet ist. Das Bindwort
deswegen oder derowegen,
derohalben, hat wie im Lateinischen quapropter,
propterea, fast ganz seine natürliche und ursprüngliche
Bedeutung, weil propter, wegen, an sich auch eine
Propositio caussalis ist. Man wird in den Bindwörtern:
ebenfals, desgleichen, dazu,
ausserdem, ungeachtet, hingegen, folglich, demnach, obschon, nachdem,
indessen, inzwischen, unterweilen, mittlerweilen, ferner, weiter, übrigens,
zwar pp. ähnliche Spuren der Ableitung und Abkürzung finden." Seit.
139.
Ia-03-1779-0154
X.
Ia-03-1779-0155
Die
Schönheit der deutschen Sprache in auserlesenen prosaischen Stükken aus
den besten Schriftstellern der Nation. Zur Bildung der Sitten und des
Geschmaks. Augsburg, verlegts
Eberhard Kletts seel. Witwe 1773.
Ia-03-1779-0156
1) Was Andacht heist.
Ia-03-1779-0157
"Die Empfindungen
und Gemüthsbewegungen aus der Betrachtung des höchsten Gegenstandes des
menschlichen Denkens, der noch dazu uns selbst so nahe angeht, die machen
einen Andächtigen. Und dann sehe ich, anstat des Schwachen und Niedrigen,
welches man so oft damit verknüpft, nichts anders darin, als die würdigste
und edelste Erhebung der menschlichen Seele. Die Stärke dieser vernünftigen
Empfindung ist so gros, daß unser Geist, wenn er sie in dem ganzen Umfange
ihrer Wahrheit fassen wolte, nothwendig unter dem Gewichte derselben niedersinken
müste. Und wenn wir auch biswei
Manuskriptseite
46.
len darinnen, bei
einer strengen Zusammenhaltung unsrer Gedanken, zu einer ausserordentlichen,
obwohl den Gegenstand nie übersteigenden, Höhe entzükt werden, so können
unsre denkenden und fühlenden Kräfte das doch nur eine sehr kurze Zeit
aushalten, und müssen bald zu sanftern und
ruhigern Regungen zurükkommen. Aber diese niedrigere Gegend der Andacht
mus dagegen auch nothwendig ein sehr natürlicher und gewöhnlicher Aufenthalt
für das Gemüth desienigen sein, der Gott, und seine Beziehung auf ihn,
kent. ? ?" Seit. 113. 114.
Ia-03-1779-0158
"Der Mensch darf
nur sein Herz den Eindrükken, welche die natürlichen Folgen von einer
richtigen Erkentnis dieser unendlich wichtigen Gegenstände sind, mit Vernunft
und Ehrlichkeit öfnen, um von den angenehmsten und würdigsten Bewegungen
durchdrungen zu werden. Hier fühlet die Seele
erst recht ihre wahre Grösse, wenn sie sich zu der Höhe geschwungen hat,
daß sie an den himlischen Freuden der Andacht einen Geschmak findet. Hier
kan sie ihrem Verstande und ihrer Denkungart Ehre machen; und alles in
der Welt wird ihr dargegen niedrig und klein scheinen
sein. Wenn ein Gott ist, wenn er diese Welt erschaffen hat und regieret;
wenn alles Gute in der Natur von ihm herrühret, wenn er mit seiner bex...x
belebenden Gegenwart alles erfüllet, wenn er auch mich siehet, wenn er
mich in den aufrichtigsten Bestrebungen, gut zu sein, mit einem anbethungswürdigen
götlichen Wohlgefallen sieht, wenn seine ganze unermesliche Maiestät für
mich lauter Seegen ist, Segen auf Ewigkeiten hinaus. Wo ist der Geist,
der die ganze Gewalt dieser Empfindungen erträgt? ?" Seit.
120. 121.
Ia-03-1779-0159
2) Vom Glük eines
Geistes.
Ia-03-1779-0160
"Eine gewisse Gleichgültigkeit
gegen die Dinge dieses Lebens, eine Gelassenheit, die sich über alle ungestüme
Wünsche und Besorgnisse erhoben hat, ein Geist, der gewissermassen sich
selbst
Manuskriptseite
47.
genug ist, der von
den äusserlichen Banden eines nach dem andern zerbricht, um sich so vielmehr
in sich selber zusammen zu ziehen, eine wohlangelegte Vetraulichkeit der
Freundschaft, und eine den Kräften gemässe Übung in Erkentnis und Betrachtung;
das bringt eine innerliche Ruhe zu wege, die sich selber immer gleich
ist; die aber doch dann nur erst ihre x...x wahre Volkommenheit erreicht, wenn
die Fähigkeiten und Begierden der Seele sich immer mehr zu ihrem einzigen
höchsten Ziele samlen, und in Gott die völlige
Sättigung suchen, die sie sonst nirgends
finden. ?" Seit. 127-128.
Ia-03-1779-0161
3) Die Erkentnis
Gottes die herlichste Erkentnis.
Ia-03-1779-0162
"Die Seele, welche
glüklich sein wil, mus gros sein; gros in ihren Wünschen, und damit ihre
Wünsche mit der Unenendlichkeit ihrer Begierde nach Glükseeligkeit übereinstimmen
mögen, gros in ihren Gedanken und Erkentnissen. Weite Aussichten erweitern
den Geist, der, ie enger der Kreis seiner Einsichten ist, sich auch in
einem kleinern Kreise des Vergnügens befindet. Was
die Sinne empfinden; was die Ohren hören und die Augen sehen, kan nur
so lange gros zu sein scheinen, als wir nicht Mängel und Unvolkommenheiten
der Dinge erblikken, die uns in Verwunderung sezzen. Ihr Anblik tödtet,
so zu sagen, die Verwunderung; das Erstaunen stirbt, das Grosse wird klein,
das Erhabene niedrig, so bald die Seele zur Erkentnis des, was grösser,
volkommener und erhabener ist, empor steiget. So müsse sie denn alle Kräfte
ihrer Aufmerksamkeit und Betrachtung allein auf den richten, dessen Grösse
die Unendlichkeit ist, und sie müsse nicht eher ruhen, bis sie sich zu
der unermeslichen Volkommenheit des hinaufgeschwungen hat, der über allen
Mangel und über alle Schranken erhoben ist! Sie müsse ihre vornehmste
Sorge sein lassen, Gott kennen zu lernen, weil
nichts grössers ist, als die Gotheit! ?" Seit. 187.
188.
Ia-03-1779-0163
"Ist die Schönheit
dessen, was Gott geschaffen hat, so unermeslich gros, so ist der unaussprechlich
grösser, der die Schöpfung mit einem
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48.
Gedanken umspant?
Hat die Sonne einen Glanz, den meine Augen nicht ertragen können: so darf
ich mich nicht verwundern, daß der, der sie angezündet hat, in einem Lichte
wohnet, worin ihn kein Mensch gesehen hat und sehen wird. Solte er weniger
wunderbar sein, als das, was seine Hand gebildet hat? Ie wunderbarer seine
Werke sind, desto mehr mus er selbst mein Erstaunen verdienen. Wären wir
fähig, ihn zu fassen, so würde er nicht Gott, oder wir würden
nicht Menschen sein. Von diesem Gegenstande ist nichts wahr, als was uns
in ein ewiges Erstaunen sezt.
Ia-03-1779-0164
Ich stehe in der
stillen Mitternacht auf, wo die Aufmerksamkeit meines Geistes weder durch
das Geräusche der Eitelkeit ausser mir, noch durch die Unruhe der Arbeit,
der Sorge und der Leidenschaft in mir gestört wird, und verliere mich
in dem Anblikke des gestirnten Himmels, wo nun stat einer Sonne am Tage
zehntausend und noch mehr Sonnen in einer unermeslichen Entfernung vor
mir angezündet sind! Ein ruhiges, aber fast ein almächtiges Erstaunen
überfält mich! Welch ein Schauplaz seiner Grösse!
Welch eine herliche Offenbarung Gottes! Welches Auge kan ihn
fassen! Welch eine Höhe! Wenn ich hinauf schaue; welch eine Tiefe, worinnen
ich mich selbst kaum gewahr werde, wenn mein Auge aus der Höhe zurük kömt!
Kreise über Kreise von einem Umfange, den vielleicht der erste Engel kaum
ausmessen kan! Ohne Ende Sonnen über Sonnen, und ohne Zweifel um sie her
Welten, die grösser sind als das Sandkorn von
Erde, auf der ich wohne! Was für ungeheure Massen von Licht müssen das
sein, daß noch ein Schimmer von ihnen bis zu meinem Auge herab dringen
kan! Welch eine Ordnung und Schönheit, welch eine schnelle Bewegung derselben!
Welch eine Entfernung worinen sich die äussersten Grade der Höhe, der
Breite und der Breite Tiefe verlieren! Das ist
gros; unaussprechlich gros; das ist der Verwunderung und des Erstaunens
würdig! ? ?" Seit. 188. 189. 190.
Ia-03-1779-0165
"Wo können sich
also meine Aussichten mehr erweitern; wo kan ich grössere Erkentnisse
und Gedanken einsamlen, als
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49.
in der Betrachtung
der an Gewalt und Pracht so grenzenlosen Gotheit, um allen Kräften meiner
Seele die Stärke zu verschaffen, die mich zum
Genusse unendlicher Freuden geschikt machen? Ie mehr sich mein Geist auf
Erden erweitert; ie grösser er durch die Betrachtung
des Grösten hier geworden ist, desto mehr wird er dort fassen können.
So wil ich denn nun meine Aufmerksamkeit zwischen Gott und der Natur theilen,
aber nur, um in dieser, als in einem Spiegel, das Bild des Wesens zu finden,
das ich nicht von Angesicht zu Angesicht sehen kan. Ich wil die mannigfaltigen
Schönheiten und Volkommenheiten, die durch das weite Gefild der Schöf
Schöpfung zerstreuet sind, samlen, und wenn
mich ihre unzählbare Menge in Verwunderung sezt, wil ich zu mir selbsten
sagen, daß sie weniger gegen die Volkommenheiten ihres Schöpfers, als
ein Tropfen gegen das Weltmeer sind! ? ?" Seit. 190.
191.
Ia-03-1779-0166
4) Die Glükseeligkeit
derer, die Gott zu kennen suchen.
Ia-03-1779-0167
"Wie hoch solten
wir nicht die Glükseeligkeit schäzzen, daß wir fähig sind, Gott zu erkennen
und zu lieben; daß wir durch die ganze Einrichtung unsrer Natur gleichsam
genöthigt werden, uns nicht, gleich den Thieren blos auf den Genus des
kurzen sinlichen Vergnügens einzuschränken; daß es, ie länger es genossen
wird, immer mehr von seinem Reize verliert; daß wir, ie mehr sich unsre
höheren Kräfte entwikkeln und ausbilden, immer
unzufriedener werden müssen, ie weiter wir uns von dem Besizze
des Besten und Volkommensten entfernt sehen! Es ist die erhabenste Beschäftigung
des Menschens, Gott zu erkennen, aber was noch mehr ist, auch die seeligste.
Ie näher wir dadurch unsrer wahren Würde kommen, desto näher kommen wir
auch durch seine Erkentnis unsrer einzigen wahren
Wohlfahrt. Wenn schon die Wahrheiten, welche uns mit endlichen und eingeschränkten
Dingen bekant machen, eine fast unbeschreibliche Anmuth für unsren Geist
haben: können denn wohl dieienigen weniger gewähren, welche
das Wesen der Wesen, die Quelle und den Ursprung alles dessen angehen,
was unsre Aufmerksamkeit und Betrachtung an sich zieht? ? ?" Seit.
192. 193.
Manuskriptseite
50.
Ia-03-1779-0168
5) Über die Absichten
im Pflanzenreiche.
Ia-03-1779-0169
"Wie gros der Reichthum
von Beweisen in der ganzen Natur, daß das erste, nothwendige, ewige und
selbständige Wesen, welches alle Dinge hervor gebracht hat, einen unendlichen
Verstand besizzen müsse! Wenn ich blos das Reich der Pflanzen betrachte:
wie viele Ursachen finde ich da, seine unbegreifliche und gränzenlose
Weisheit zu bewundern! Ich mag über die Erzeugung
derselben, über ihren Wachsthum, über ihre Einrichtung und die Beschaffenheit
ihrer Theile, über ihre Erhaltung und Fortpflanzung, oder ihren mannigfaltigen
Nuzzen für die Menschen und Thiere nachdenken; überal entdekke ich Absicht;
überal die vortreflichsten Regeln und Gesezze
für dieses weitläuftige und so sehr bevölkerte Reich!
Ia-03-1779-0170
Wenn wir auch von
den Pflanzen nichts anders wüsten, als was iedes noch so ungeübte Auge
bemerken kan, nur dies einzige, daß ein Saamenkorn, wenn es in die Erde,
diesen so fruchtbaren Schoos der Natur ausgesäet ist, erst eine Wurzel
in den Boden senke, dann einen Stam aufwärts in die Luft treibt, welcher
Knospen, Zweige, Blätter, Blumen und Früchte trägt, worinnen Saamen zu
neuen Pflanzen enthalten sind, damit die Gewächse einer ieden Art verewigt
werden mögen: kan man denn, ohne die äusserste
Unvernunft, diese beständige Folge des Saamens auf die Pflanzen, und der
Pflanzen auf den Saamen, die nun so lange gedauert hat,
mit allen dazu erforderlichen Werkzeugen einem blossen
Zufalle zuschreiben? Erde, Regen, Luft und Wärme sind zur Erzeugung derselben
unentbehrlich; aber würde wohl, wie unentbehrlich sie auch ihnen sind,
eine einzige Pflanze zur Wirklichkeit kommen, wenn es keinen Saamen gäbe?
Ia-03-1779-0171
So bald der Saame
in der Erde die nöthige Feuchtigkeit empfangen hat, sehen wir ihn aufschwellen;
die äussere Haut, welche Wurzel, Stam und Blätter verbirgt, zerreist;
die Wurzel bricht hervor, gräbt sich in die
Erde, und bereitet die nöthige Nahrung für den Stam, der sich aus der
Erde herauf arbeitet, seine Blätter auseinander
Manuskriptseite
51.
breitet, die erst
weis sind, dan gelb und endlich mit einem lieblichen
Grün gefärbt werden. In ieder Pflanze erblikken wir mannifgaltige Röhren
und Kanäle, die in einem Kreislaufe den ihr nöthigen Saft
durch alle Zweige, Knospen, Blätter und Blumen
vertheilen, bis aus diesen, nach einer vorhergegangenen Befruchtung, Früchte
hervorwachsen, reifen und in sich den Saft zu andern Pflanzen
gleicher Art enthalten. Was für Ordnung, was für Weisheit und Kunst in
allen diesen Veränderungen! ?" Seit. 215. 216.
Ia-03-1779-0172
"O daß ich doch
keinen beschatteten Baum, keine wallende Saat, keine blumenvolle Wiese,
keinen prächtigen Wald sehen, keine Blumen brechen, in keinen Garten treten
möchte, ohne zu bedenken, daß es Gott, ein Wesen von einem unerforschlich
grossen Verstande ist, durch den der Baum kühlenden Schatten wirft; Gott,
durch den die Blumen solche süsse Gerüche aushauchen; Gott, durch den
Wälder und Wiesen, Berge und Thäler mit einem so anmuthigen Grün bekleidet
werden; Gott, durch den Wein, Öl und Most aus der Erde wächst, das Herz
des Menschen zu erfreuen, ohne auszurufen: Herr, wie sind deine Werke
so gros und viel! Du hast sie alle weislich
geordnet. ?" Seit. 217.
Ia-03-1779-0173
"Welche offenbare
weise Absichten blos in der Wahl
der Farbe, womit alle Pflanzen geschmükket sind! Wären alle Felder weis
oder roth gefärbt: wer könte den Glanz davon
ertragen, und in die Länge aushalten! Wäre die algemeine Farbe dunkler
und finstrer: welch ein trauriger Anblik würde nicht die ganze Natur für
uns sein! Welch ein Mittel zwischen allen Farben ist nicht das erfrischende
Grün! Welch eine Verwandschaft hat es nicht mit der Bildung unsrer Augen,
die es nie ermüdet und alzeit erquikket! und doch ist gleichwohl in dieser
einzigen Farbe eine solche bewundernswürdige Mannigfaltigkeit, indem nicht
ein einzige Gewächs in seinem Grün so licht
oder so dunkel ist, als das andere. ? ?" Seit.
218.
Manuskriptseite
52.
Ia-03-1779-0174
XI.
Ia-03-1779-0175
Auserlesene
kleinere Gedichte aus den besten deutschen Dichtern zur Bildung iugendlicher
Herzen und des Geschmakes. Augsburg,
verlegts Eberhard Kletts seel. Witwe. 1772.
Ia-03-1779-0176
1) Aus Gesners
Idyllen: Mirtil.
Ia-03-1779-0177
"Bei stillem Abend
hatte Mirtil noch den Mondbeglänzten Sumpf besucht.
Die stille Gegend im Mondschein und das Lied
der Nachtigal hatten ihn in stillem Entzükken aufgehalten. Aber izt kam
er zurük, in die grüne Laube von Reben vor seiner einsamen Hütte, und
fande seinen alten Vater sanft schlumernd am Mondschein, hingesunken,
sein graues Haupt auf den einen Arm hingelehnt. Da stelt er sich, die
Arme in einander geschlungen, vor ihm hin. Lang stand er da, sein Blik
ruhete unverwandt auf dem Greisen, nur blikt er zuweilen auf, durch das
glänzende Reblaub zum Himmel, und Freudenthränen flossen dem Sohn vom
Auge.
Ia-03-1779-0178
O du! so sprach
er iezt, du, den ich nächst den Göttern am meisten
ehre! Vater! wie sanft schlummerst du da! Wie lächelnd ist der Schlaf des
Frommen! ? Gewis gieng dein zitternder Fus aus der Hütte hervor, in stillem
Gebete den Abend zu feiern, und betend schliefest
du ein. Du hast auch für mich gebetet, Vater! Ach wie glüklich bin ich!
die Götter hören dein Gebet; oder warum ist der Segen
ruhet unsre Hütte so sicher in den von Früchten
gebogenen Ästen, warum ist der Segen auf unserer Heerde und auf den Früchten
unsers Feldes? Oft wenn du bei meiner schwachen
Sorge für die Ruhe deines matten Alters Freudenthränen weinst; wenn du dann
gen Himmel blikkest und freudig mich segnest, ach was empfind ich dan,
Manuskriptseite
53.
Vater! Ach dann
schwelt mir die Brust, und häufige Thränen fallen vom Auge! Da du heut
an meinem Arm aus der Hütte giengest, an der wärmenden Sonne dich zu erquikken,
und die frohe Herde um dich her sahest und die Bäume vol Früchte, und
die fruchtbare Gegend umher, da sprachst du, meine Haare sind unter Freuden
grau worden, seid gesegnet, Gefilde! nicht lange mehr wird mein dunkler
Blik euch durchirren, bald werd ich euch an
seeligere Gefilde vertauschen. Ach Vater! bester Freund! bald sol ich
dich verlieren, trauriger Gedanke! Ach! dann ? ? dann wil ich einen Altar
neben dein Grab hinpflanzen, und dann, so oft ein seeliger Tag kömt, wo
ich Nothleidenden Gutes thun kann, dann wil ich Vater! Milch und Blumen
auf dein Grabmal streuen.
Ia-03-1779-0179
Izt schwieg er,
und sah mit thränendem Aug auf den Greisen; "wie er lächelnd da liegt,
und schlummert!" sprach er izt schluchzend,
es sind von seinen frommen Thaten im Traum vor seine Stirne gestiegen.
Wie der Mondschein sein kahles Haupt bescheint und den glänzend weissen
Bart! O daß die kühlen Abendwinde dir nicht schonten, und der feuchte
Thau! izt küst er ihm die Stirne, sanft ihn zu wekken, und führt ihn
in die Hütte, um sanfter auf weichen Fellen zu schlummern. Seit. 70.
71. 72.
Ia-03-1779-0180
2) Glükliches Leben
? sanfter Tod und ? ? Entzükkung!! ?
Ia-03-1779-0181
"Unser wahres Glük
ist die Tugend. Der ist ein Weiser, und glüklich,
der willig die Stel ausfült, die der Baumeister, der den Plan des ganzen
denkt, ihm bestimt hat. Ia du, götliche Tugend, du bist unser Glük, du streust
Freud und Seligkeit in iedem Stand auf unsre Tage.
O wen sol ich beneiden, wenn ich durch dich beglükt die Laufahn meines Lebens
vollende? Dann sterb ich froh, von Edlen beweint, die x mich um deinetwillen liebten, von euch
beweint, ihr Freunde! Wenn ihr beim Hügel meines Grabes vorbei geht, dann
drükket euch die Hand, dann umarmet euch. Hier liegt sein Staub, sagt ihr,
des Redlichen,
Manuskriptseite
54.
aber Gott belohnt
seine Bemühung glüklich zu sein, izt mit ewigem Glük; bald aber wird unser
Staub auch da liegen, und dann genissen wir
mit ihm das ewige Glük. Und du, geliebte Freundin! wann du beim Hügel
meines Grabes vorübergehst, wann die Maaslieben und die Ringelblumen von
meinem Grabe dir winken; dann steig eine Thräne dir ins Auge; und ists
den Seeligen vergönt, die Gegend, die wir bewohnt, und die stillen Haine
zu besuchen, wo wir so oft in seeligen Stunden unsrer Seele grosse Bestimmung
dachten, und unsre Freunde zu umduften; dann wird meine Seele dich oft
umschweben, oft, wenn du vol edler hoher Empfindung einsam nachdenkst,
wird ein sanftes Wehen deine Wangen berühren; dann gehe ein sanftes Schauern
durch deine Seele. ? ? ?" Seit. 91. 92.
Ia-03-1779-0182
3)
Ia-03-1779-0183
Die Menschenliebe
"O! wolte doch der Mensch des Menschen Schuzgott sein,
So wär das meiste Weh noch unbekante Pein!
Belebte iedes Herz der Geist der Menschenliebe:
So wären Neid und Haß noch ungezeugte Triebe.
Als Glieder schuf uns Gott, als Bürger einer Welt,
In der des einen Hand die Hand des andren hält.
Wir trennen dieses Land, und bleiben fühllos stehen,
Und bauen unser Glük auf Andrer Untergehen.
Ein treu und redlich Herz wohnt bei Vernunft in dir;
Allein du denkst, du sprichst, du glaubst nicht so, wie wir,
So siehst du deine Qual in blinder Eifrer Händen,
Die redend heilig sind und Gott durch Thaten schänden.
Aus Eifer für den Gott, der Liebe nur gebeut,
Verfolgt und drängt man dich, und stöst aus Heiligkeit
Dich schäumend von sich aus, und suchet durch verheeren,
Durch Martern des Barbars dich christlich zu
bekehren.
Manuskriptseite
55.
Hält nicht noch
manches Land, aus nie befohlner Pflicht
Rechtgläubig vor dem Herrn, ein heilig Blutgericht,
Zum Bau des Christenthums und Kezzern zum Verderben,
Die oft weit seliger, als ihre Henker, sterben.
So lieblos macht der Mensch den Menschen unglüksvol,
Stat, daß er ihn als Freund mit Sanftmuth tragen sol.
Kom wieder glüklich Iahr, du goldne Zeit der Alten,
Da Wahrheit, Treu und Recht, und Menschenliebe galten.? ?" Seit. 105. 106. 107.
Ia-03-1779-0184
4)
Ia-03-1779-0185
Von höhern Wesen
? und von Sterblichen.
"Gott hält für ungethan, was man gezwungen thut,
Der Tugend Übung selbst wird durch die Wahl erst gut.
Gott sah vom Anfang wohl, wohin die Freiheit führet,
Daß ein Geschöpf sich leicht bei eignem Licht verlieret,
Und ein gemesener Geist nicht leicht die Kette
findt,
Die den besondern Saz an den gemeinen bindt.
Des äussern Zauberglanz verdekt die innre Blösse,
Die stärkre Gegenwart, erdrükt des fernen Grösse;
Wer ists, der allemal der Neigung Stuffe mist,
Wo nur das Mittel gut, sonst alles Laster ist?
Kein endlich Wesen kent das Mitsein aller Sachen,
Und die Alwissenheit kan erst unfehlbar machen,
Gott sah dies alles wohl, und doch schuf er die Welt;
Kan etwas weiser sein, als das, was Gott gefält?
Gott, der im Reich der Welt sich selber zeigen wolte,
Sah daß, wenn alles nur aus Vorschrift handeln solte,
Die Welt ein Uhrwerk wird, von fremdem Trieb
beselt,
Und keine Tugend bleibt, wo Macht zum Laster fehlt.
Gott wolte, daß wir ihn aus Kentnis solten lieben,
Und nicht aus blinder Kraft von ungewählten Trieben:
Er gönte dem Geschöpf den unschäzbaren Ruhm,
Aus Wahl ihm hold zu sein, und nicht aus Eigenthum.
Manuskriptseite
56.
Der Thaten Unterschied
wird durch den Zwang gehoben,
Wir loben Gott nicht mehr, wenn er uns zwingt, zu loben;
Gerechtigkeit und Huld, der Gotheit Arme ruhn, Sobald Gott alles wirkt, und wir nichts selber
thun.
Drum überlies auch Gott die Geister ihrem Willen,
Und dem Zusammenhang, woraus die Thaten quillen,
Doch so, daß seine Hand der Welten Steur behielt.
Und der Natur ihr Rad mus stehn, wenn er befiehlt. -
So kamen in die Welt die unerschafnen Geister,
Volkommenes Geschöpf von dem volkomnen Meister. In ihnen war noch nichts, das nicht zum Guten
trieb,
Kein Zug, der an der Stirn nicht ihren Ursprung schrieb;
Ein iedes Einzle war in seiner Art volkommen;
Dem war wohl mehr verliehn, doch ienem nichts benommen.
Der einen Wesen ward vom Irdischen befreit,
Sie blieben näher Gott an Art und Herlichkeit.
Euch kent kein Sterblicher, ihr himlische Naturen!
Von eurer Treflichkeit sind in uns wenig Spuren:
Nur dieses wissen wir, daß, über uns erhöht, x
Ihr auf dem ersten Plaz der Reih der Wesen steht.
Vielleicht empfangen wir, bei trüber Dämrung Klarheit,
Nur durch fünf Öfnungen den schwachen Stral der Wahrheit;
Da ihr, bei vollem Tag, das heitere Gemüth
Durch tausend Pforten fült, und alles an euch
sieht.
Daß, wie das Licht für uns erst wird mit unsern Augen,
Ihr tausend Wesen kent, die wir zu sehn nicht
taugen;
Und wie sich unser Aug am Kleid der Dinge stöst,
Vor eurem scharfen Blik sich die Natur entblöst.
Vielleicht findt auch bei uns der Eindruk der
Begriffe,
Im alzuseuchten Sin, nicht gnug Gehalt und Tieffe;
Manuskriptseite
57.
Da bei euch alles
haft, und, sicher vor der Zeit,
Sich die lebhafte Spur, so oft ihr wünscht, verneut.
Vielleicht, wie unser Geist, gespert in enge Schranken,
Nicht Plaz genug enthält zugleich für zwei
Gedanken,
In euch der ohne Sin des Vielen fähig ist,
Und den zu breiten Raum kein einzler Eindruk
mist. ? ?" Seit. 143. 144. 145. 146. 147.
"Fern unter Engeln hat das sterbliche Geschlecht,
Im Himmel und im Nichts, sein doppelt Bürgerrecht.
Aus ungleich festem Stof hat Gott es auserlesen,
Halb zu der Ewigkeit, halb aber zum Verwesen;
Zweideutig Mittelding von Engeln und von Vieh,
Es überlebt sich selbst, es stirbt, und stirbet nie. ? ?" Seit. 147.
Ia-03-1779-0186
5)
Ia-03-1779-0187
Die Endlichkeit
der Höllenstrafen!!!!
"O Gott vol Gnad und Recht! darf ein Geschöpfe
fragen,
Wie kan sich mit deiner Huld sich unsre Qual
vertragen?
Vergnügt, o Vater! dich der Kinder Ungemach?
War deine Lieb erschöpft? war deine Almacht schwach?
Und konte keine Welt des Übels ganz entbehren,
Wie liessest du nicht eh ein ewig Unding wären?
Verborgen sind, o Gott, die Wege deiner Huld,
Was in uns Blindheit ist, ist in dir keine Schuld.
Vielleicht, daß dermaleinst die Wahrheit, die ihn peinigt,
Den umgegosnen Geist durch lange Qualen reinigt,
Und, nun dem Laster feind, durch dessen Frucht
gelehrt,
Der Willen umgewandt, sich ganz zum Guten kehrt:
Daß Gott die späte Reu sich endlich läßt gefallen,
Und alle zu sich zieht, und alles wird in allen.
Denn seine Güte nimt, auch wann sein Mund uns droht,
Noch Maas, undnoch Schranken an,
und hasset unsern Tod.
Manuskriptseite
58.
Vielleicht ersezt
das Glük volkommener Erwählten
Den minder tiefen Grad der Schmerzen der Gequälten:
Vielleicht ist unsre Welt, die wie ein Körnlein Sand
Im Meer der Himmel schwimt, des Übels Vaterland. ?
Die Sterne sind vielleicht ein Siz verklärter
Geister,
Wie hier das Laster herscht, ist dort die Tugend Meister,
Und dieses Punkt der Welt, von mindrer Treflichkeit
Dient in dem großen Al zu der Volkommenheit:
Und wir, die wir die Welt im kleinsten Theile kennen,
Urtheilen auf ein Stük, daß wir vom Abhang trennen.
Denn Gott hat uns geliebt, wem ist der Leib bewust?
Sagt an, was fehlt daran, zur Nüzbarkeit und Lust?
Seht den Zusammenhang, die Eintracht in den Kräften,
Wie iedes Glied sich schikt zu menschlichen Geschäften,
Wie ieder Theil für sich, und auch für Andre sorgt,
Das Herz vom Hirn den Geist, dies Blut von ienem borgt,
Wie im bequemsten Raum sich alles schikken müssen:
Wie aus dem ersten Zwek noch andre Nuzzen fliessen,
Der Kreislauf uns belebt, und auch vor Fäulung schüzt,
Der ausgebrauchte Theil von uns sich selbst verschwizt,
Und unser ganzer Bau ein stetes Muster scheinet,
Von höchster Wissenschaft, mit höchster Huld
vereinet.
Sol Gott den Menschen selbst, die Seele nicht mehr schäzzen?
Dem Leib sein Wohl zum Ziel, dem Geist sein Elend sezzen?
Nein, deine Huld, o Gott! ist al zu offenbar,
Die ganze Schöpfung legt dein liebend Wesen dar:
Die Huld, die Raben nährt, wird Menschen nicht verstossen,
Wer gros im Kleinen ist, wird grösser sein im Grossen.
Wer zweifelt dann daran? ein undankbarer Knecht;
Drum werde, was du wilst, dein Wollen ist gerecht.
Noch Unrecht, noch Versehn, kan vom Alweisen kommen,
Du bist an Macht und Gnad, an Weisheit ia volkommen.
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59.
Wenn unser Geist
gestärkt, dereinst dein Licht verträgt,
Und sich des Schiksals Buch vor unsre Augen legt,
Wann du der Thaten Grund uns würdigest zulehren,
Dann werden alle dich, o Vater, recht verehren,
Und kündig deines Raths,
den blinde Spötter schmähn,
In der Gerechtigkeit nur Gnad und Weisheit sehn. ?" Seit. 165. 166. 167. 168.
Ia-03-1779-0188
6)
Ia-03-1779-0189
Der Vorwiz das
Künftige zu wissen.
"Gütig hült in Finsternissen
Gott die Zukunft ein:
Deutlich sie voraus zu wissen
Würde Strafe sein.
Säh ich Glük auf meinem Wege;
Würd ich stolz mich blähn,
Und leichtsinnig oder träge
Meinen Zwek versehn.
Säh ich Unglük, würd ich zittern:
Und die künftge Zeit
Würde mir das Glük verbittern,
Das mich izt erfreut.
Was ich habe, wil ich nüzzen,
Fernen Grain nicht scheun:
Und sol ich ein Glük besizzen,
Meines Glüks mich freun. ?" Seit. 209. 210.
Ia-03-1779-0190
7)
Ia-03-1779-0191
Der Morgen.
"Wilkommen, schöner Morgen!
Wie gros ist deine Pracht!
Sie bliebe mir verborgen,
Wär ich nie früh erwacht:
Lust, Wunder und Entzükken
Begegnen meinen Blikken,
Manuskriptseite
60.
Wohin ich immer
seh,
Im Thal und auf der Höh.
Es glühn der Berge Spizzen
Vom güldnen Sonnenstral;
Von Diamanten blizzen
Die Pflänzchen überal.
In Luft und auf der Weide
Ertönt das Lied der Freude,
Und wekt in süssem Schal
Den dankbarn Widerhal.
Ihr wist nicht, reiche Prasser,
Was ihr für Glük verschlaft?
Seid eure eignen Hasser,
Und durch euch selbst bestraft!
Verschlaft die schönsten Stunden,
Nie frei von euch empfunden,
Was diese schöne Welt
Für Wunder in sich hält.
Ich wil es aber fühlen,
Indem die Weste mir
In Lokken leibreich spielen,
Siz und betracht ich hier.
Gott! ist mein irdisch Leben
Mit so viel Glük umgeben,
Was wird der Wohnplaz sein,
Der uns dort sol erfreun! ?" Seit. 212. 213.
Manuskriptseite
61.
Ia-03-1779-0192
XII.
Ia-03-1779-0193
Das
Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker.
Dritter und lezter Band. Berlin
und Stettin, bei Friedrich
Nikolai. 1776.
Ia-03-1779-0194
1) Von Orthodoxen
? Bibelauslegen ? und Theopnevstie.
-
Ia-03-1779-0195
"Die Schriftgelehrten
(Orthodoxen) haben von ie her ihre Lehrgebäude so künstlich angelegt,
daß ieder das seine, troz aller Widerlegung beweisen kan. Sie
gleichen Bergschlössern, die noch dazu mit hohen Wällen und tiefen Graben
umgeben sind, so daß derienige, der darin ist, sich ewig vertheidigen,
und der, der draussen ist, sie nimmer mit Vortheile angreifen kan. Aber
wie? Wenn wir diese Vestungen, die uns eigentlich nichts hindern, liegen
liessen, und mit der gesunden Vernunft geradezu
ins Land drängen? Die Priester hatten bis ins sechszehnte Iahrhundert
ihr System in gar künstliche dialektische Schlingen verwikkelt. Luther
lies sie, und ging gerade auf die Bibel,
die er allen, die lesen konten, in der Landessprache in die Hände gab.
Die fleissige Lesung dieses Buchs erwärmte das Herz und erleuchtete den
Verstand, indem sie das Nachdenken beförderte.
Wollen wir auf einem gleichen Wege nicht weiter
fortgehen?
Ia-03-1779-0196
Man sezt immer die
Vernunft der Offenbarung entgegen.
Dies mag der nöthig finden, der an eine unerklärliche
Theopnevstie glaubt. Ich hoffe aber, es sei niemand izt mehr so
einfältig, sich einzubilden, Gott habe die heiligen
Bücher, ganz unmittelbar, und übernatürlich, eingehaucht.
Es sind Bücher, welche zu schreiben,
hat müssen Vernunftangewendet
werden, und zum Lesen und Verstehen
derselben gehört auch Vernunft. Seit.
Ia-03-1779-0197
Samuel
Werenfels, einer der gelehrtesten und rechtschaffensten
Gottesgelehrten in der Schweiz, schrieb in seine Bibel:
Ia-03-1779-0198
Hic
liber est, in quo sua quærit dogmata quisque; Invenit et pariter dogmata
quisque sua.
Daß dies wahr sei, lehret die Kirchengeschichte aller Sekten. Der viel,
und der wenig glaubet, der Rechtgläubige wie der Schwärmer,
suchen
Manuskriptseite
62.
und finden ihre
Lehre in der Bibel. Was nun? ich meine, was
geschehen ist, sei nicht ohne weise Absichten der götlichen Vorsehung
geschehen. Gott hat weder das A. T. noch das
N. T., selbst, unmittelbar,
aufgezeichnet. Er hat gute Leute ausersehen, welche Bücher geschrieben
haben, die durch verschiedne Vorfälle (in denen, wie in allen Dingen,
auch die götliche Vorsehung mitgewirket hat) bei einem großen Theile des
menschlichen Geschlechts in solches Ansehen
gekommen sind, daß er aus denselben seine Pflichten hat kennen lernen
wollen. Diese Bücher aber sind so eingerichtet, daß dies nicht ohne Betrachtungen
und Schlüsse, folglich nicht ohne Nachdenken geschehen
kan. Also sind diese Bücher hauptsächlich in so fern, eine Quelle
der Wahrheit, als sie das Nachdenken über
Wahrheit befördern. Und wenn denn nun
auch die Schlüsse und Folgerungen aus denselben
verschieden sind! Wenn sie nur alle zulezt in gemeinsame
Wahrheit zusammenfliessen, wollen wir uns beruhigen. ?
Ia-03-1779-0199
Die heiligen Bücher
sollen mir beständig Quellen
des Nachdenkens über Wahrheit bleiben; wer aber andre Quellen des
Nachdenkens über Wahrheit zu finden glaubt, besonders wenn er mit mir
auf gleiche gemeinsame Wahrheit zurükkomt, den verdamme wer wil, ich nicht.
Verdamme wer wil, fast ganz Asien und Afrika und den grösten Theil von
Amerika. Sie kennen diese Bücher nicht; und doch hat sie der algemeine
Vater gewis nicht ohne Wahrheit, und ohne
Glükseeligkeit, ihre Folge, lassen wollen.
Ia-03-1779-0200
Wenn ich in den
heil. Büchern, eine Stelle finde, in welcher von einem Gotte
die Rede ist; und lese, erst nach Iahrhunderten sei gefunden worden, daß
ein durch ein zu dünnes Pergament durchgeschlagener Querstrich
x) Im Alexandrinischen
Kodex scheint der mittelste Querstrich des ersten E in dem Worte ?????????,
durch das Pergament gerade an der Stelle durch,
wo der Spruch 1 Tim.III, 16. geschrieben ist. Dadurch scheint das
? in ?? ein ? zu sein, deshalb man lange Zeit ?? gelesen, welches die
Abbreviatur von ???? ist. den Gott veranlasset hat. Wenn ich lese,
daß nach Iahrhunderten entdekt worden, es habe
sich ein nichtxx) Der berühmte Klerikus
warf zuerst Röm.V,
14. das ?? aus dem Text. in den Text geschlichen, so daß anstat
Manuskriptseite
63.
der nicht
sündigenden die sündigenden verstanden
werden müssen, ? Bin ich verdammungswerth, weil ich glaube, die blossen
Buchstaben dieser Offenbarung, die so vielen Veränderungen
unterworfen sein können, über deren wahre Lesarten
man noch nicht einig ist, können nicht blos
und allein den Grund der Wahrheit und meiner künftigen
Glükseeligkeit enthalten.
Ia-03-1779-0201
Wenn ich in der
Kirchengeschichte lese, man habe Iahrhunderte lang gestritten, welche
Bücher kanonisch sein solten, und welche nicht.
Wenn ich finde, daß der Kanon auf Koncilien
bestimt worden, und aus der Kirchengeschichte weis, wie die meisten Koncilien
beschaffen gewesen. Wenn ich finde, daß das Buch des weisen Sirach
unter den apokryphischen, und ein anders Buch,
vol mystischer Bilder unter den kanonischen stehet,
? kan ich mich enthalten zu zweifeln, zu untersuchen? Und was kan ich
dazu brauchen, als meine Vernunft, die auch eine Gabe Gottes ist?
Ia-03-1779-0202
Wenn ich in einem
dieser Bücher lese: (2 Brief Ioh.
v. 9=11.) "Wer übertrit und bleibet nicht in der
Lehre Christi, der hat keinen
Gott. So iemand zu euch komt, und
bringet diese Lehre nicht, den nehmet nicht zu Hause,
und grüsset ihn nicht, denn wer
ihn grüsset, der macht sich theilhaftig seiner bösen Werke." Wenn
ich in einem andern lese: (Brief Iuda
v. 5.) "Der Herr brachte um,
die da nicht glaubten." ? ? bin ich verfluchenswerth, weil ich
nicht mit blindem Köhlerglauben alles annehme, wie es buchstäblich da
stehet, sondern vermeine, daß in diesen Büchern, vieles, nicht für die
algemeine Menschheit, nicht für mich, geschrieben
sei, aber dennoch redlich, alle das Gute und
Nüzliche, das ich in diesen Büchern finde, zu der Masse der Erkentnis
schlage, die ich aus Natur und Erfahrung geschöpft habe. ?" Seit.
59. 60. 61. 62. 63. 64.
Ia-03-1779-0203
XIII.
Ia-03-1779-0204
Lehrbuch
zur Bildung des Verstandes und des Geschmaks.
Zum Behufe des öffentlichen Schul= und Privatunterrichts verfasset, von
Christian Gottfried Schüz
Prof. der Philosophie auf der Friedrichsuniversität zu Halle. Erster
Band. Halle bei dem Verfasser und Lemgo
in Komission der Meierischen Buchhandlung. 1776.
Ia-03-1779-0205
1) Ob der Körper
oder die Seele empfindet.
Ia-03-1779-0206
"Untersuche, was
du Empfindung nenst, und wie es dabei zugeht.
Du nenst
Manuskriptseite
64.
den Schmerz eine
Empfindung. Die Flamme verbrent deinen Finger. Eine Nadel verwundet dir
die Hand. Es thut weh. Liegt der Schmerz hier in der Flamme, in der Nadel?
Das wirst du nicht sagen wollen. ? Aber in deinem
Körper? das könte sein. Aber du sagst ia der
Finger, die Hand thut mir
wehe, ich habe Zahnschmerzen u. s. w. Der Schmerz
also ist in dir, in dem was du dein
Ich nenst? Ia gewis es ist so! Eine abgehauene Hand, ein abgerissener
Zahn, leidet keine Schmerzen, und macht dir keine. Dieses Ich
ist also weder Kopf noch Rumpf, weder Hand noch Fus, es ist dein
Körper nicht; also ein Wesen das mit deinem Körper zwar verbunden, aber
doch von ihm verschieden ist, mit einem Worte deine Seele.
Diese hat also Empfindung, nicht
der Körper. ?" Seit.
2. 3.
Ia-03-1779-0207
2) Aus der Physiologie.
Ia-03-1779-0208
"Der ganze menschliche
Körper ist ein Gewebe von Fasern und Röhren. Was man Fleisch
nent, ist ein Gewebe von Muskelfasern, durch welche
die Glieder des Körpers bewegt werden. Von ihnen sind die Nerven
oder Nervenfasern unterschieden, durch welche
die Empfindung hervorgebracht wird. Alle Nerven entspringen
entweder unmittelbar, oder mittelbar durch das Rükkenmark aus dem Gehirne.
Obgleich das Gehirn wie eine breiartige Masse aussieht, so ist es doch
selbst ein Gewebe von unendlich vielen sehr feinen Fäserchen. Wenn kein
Nerve gereizt wird, entsteht keine Empfindung; und alle Theile des Körpers,
wohin keine Nerven gehn, sind völlig gefühllos. ?" Seit.
3.
Ia-03-1779-0209
3) Von der Ähnlichkeit
der Empfindungen.
Ia-03-1779-0210
"Es giebt nicht
zwei Empfindungen, unter denen nicht die eine
mit der andern einige Ähnlichkeit hätte; d.
i. in deren einer nicht einige Merkmale wären, die in der andern auch
sind. Denn so verschieden auch die Obiekte sind, die auf einen gewissen
Sin wirken, so ist doch die Wirkungsart dieses Sinnes in allen Fällen
an und für sich ähnlich. Z. E. Ein angenehmer Geruch, und ein häslicher
Gestank sind sehr verschieden; und doch wissen wir bald, daß daß die Empfindungen
des Wohlgeruchs und des Gestanks in gewissem Betrachte näher mit einander
verwandt sind, als die des Wohlgeruchs und des Wohllauts. Alle Empfindungen
werden einander schon dadurch ähnlich, daß sie alle mit Empfindungen des
Gefühls verbunden sind, und daß die Obiekte, die durch andre Sinnen empfindbar
werden, gröstentheils auch fühlbar sind. Z. E.
die Farbe der Rose, und der Nelke ist sehr verschieden; aber beide werden
doch durch das Gefühl kentlich. Das ist schon ein gemeinsames Merkmal
von beiden. Zulezt kommen doch alle Empfindungen, der äussern, und des
innern Sinnes darin überein, daß sie unsrer Seele Vorstellungen geben.
?" Seit. 30.
Manuskriptseite
65.
Ia-03-1779-0211
4) Von unserm innern
Gefühl.
Ia-03-1779-0212
"So lange wir zwei
oder mehrere Empfindungen nicht von einander unterscheiden, so lange haben
wir auch nur eine einzige zusammengesezte Vorstellung von ihnen. Z. B.
Insofern das Kind noch nicht Schal und Licht von einander
unterscheidet, so macht der Schein des Sonnenlichts, das Singen seiner
Wärterin, und die Farben der Körper im Zimmer
nur Eine Idee in seiner Seele aus. Wer zum erstenmale
ein Gemälde sieht, bemerkt nur ein grosses Ganze,
in welchem der Maler unendlich viel mannigfaltiges unterscheidet. Es war
also eine Zeit, wo wir uns Selbst,
unser Ich, noch nicht von dem, was uns widerfährt,
unterschieden; wo wir inre und äussere Empfindung noch nicht unterschieden.
Nach und nach musten wir bemerken, daß unser Ich, wir
selbst, unsre Seele
von den äussern Empfindungen unterschieden war. Denn das Ich
blieb immer da, und die äussern Empfindungen wechselten ab. Wir bemerkten,
daß Hören, Sehen, Schmekken, Fühlen, etwas, von unserm
Selbst, verschiednes sein müsse, indem die Idee von dem leztern
immer fortdauerte, wenn iene Ideen kamen, und verschwanden. Alles was
beständig in unsrer Vorstellung blieb, rechneten
wir zu uns selbstSelbst,
alles, was darinnen veränderlich
war, unterschieden wir von unserm Selbst.
Ia-03-1779-0213
Die Vorstellung
unsers Ich oder Selbst
ist anfänglich blos auf die Empfindung des Gefühls
gegründet. Denn diese ist die einzige beständige Empfindung und zugleich
anfänglich die lebhafteste und stärkste. So bald nun die Seele das Beisammensein
mehrerer Ideen, deren eine beständig, die andre
abwechselnd ist empfindet, so bald fängt sie an
das Verhältnis zwischen diesen Ideen sich vorzustellen, d. h. zu urtheilen.
Man sezze also, indem die fortdauerende Empfindung des Fühlens
nach und nach mit der Empfindung des Sehens, Hörens, Schmekkens und Riechens
verbunden wird, daß die Seele diese und seine Empfindung von einander
unterscheidet, so werden die zusammengesezten Empfindungen
Ia-03-1779-0214
Fühlen Sehen
Ia-03-1779-0215
Fühlen Hören
Ia-03-1779-0216
Fühlen Schmekken
Ia-03-1779-0217
sich nach und nach
in diese Urtheile verwandeln:
Ia-03-1779-0218
Ich sehe
Ia-03-1779-0219
Ich höre
Ia-03-1779-0220
Ich schmekke.
Ia-03-1779-0221
Das Urtheil
ist also hier die Vorstellung des Verhältnisses zwischen der beständigen
Idee von unserm Ich, und andern, die damit sich abwechselnd verbinden.
?" Seit. 35. 36.
Manuskriptseite
66.
Ia-03-1779-0222
5) Von verschiednen
Vergnügungen.
Ia-03-1779-0223
"Angenehm ist es,
sich das Glük und das Vergnügen seiner Nebenmenschen vorzustellen. Angenehm,
sich im Geiste durch die ganze Natur zu schwingen, und überal Ordnung,
Schönheit, Leben zu finden. Angenehm sind die Täuschungen der Dichter,
wodurch sie uns in andre Welten hineinzaubern. Angenehm die Aussichten
in Zukunft und Ewigkeit,
Ia-03-1779-0224
und glänzende Gedanken
Von unsers Daseins Zwek, der Weltbau ohne Schranken
Unendlich Raum und Zeit, die Sonne, die uns
scheint,
Ein Funke nur von einer höhern Sonne;
Unsterblich unser Geist, Unsterblichen befreundt
Und ahmt er Göttern nach, bestimt zur Götterwonne.
Die Vergnügungen der Einbildungskraft gehören mit zu den edelsten. Das
Thier, und der ganz wilde sinliche Mensch kennet sie nicht. Und man findet
einen Menschen schon deshalb lobenswürdig, wenn
er eine Neigung hat, öfter seine Einbildungskraft, als seine äusserlichen
Sinne zu ergözzen. ?" Seit. 99.
Ia-03-1779-0225
6)
Ia-03-1779-0226
Vorzüge der Musik
die für das Herz arbeitet vor der blos gekünstelten
? von Wieland.
"Es lebe Galuppi und Hasse,
und du, erzogen am Busen
Der Grazien, Sohn der Natur, mein Pergolese,
du!
Dir hören, wenn du scherzest, entzükt die Griechischen Musen,
Es hören, wenn du das Schwerdt im tiefzerrissnen Busen
Der götlichen Mutter beweinst, mitweinende Engel dir zu!
Dir, ihrem Liebling, entdekte das grosse Geheimnis, die Herzen
Almächtig zu rühren, die Göttin Harmonie,
Der Einfalt hohe Kunst! Wir fühlen wahre Schmerzen
Tief in der Brust, und wünschen ewig sie
Zu fühlen. Dem Wilden selbst, von dessen rauher Wange
Nie sanfte Thränen gerolt, wird warm in seiner Brust;
Erstaun erfähret er bei deinem hohen Gesange
Zum erstenmal der Thränen götliche Lust.
Und o! wem wallet nicht, von neuen Gefühlen umfangen,
Das Herz im Busen vor Verlangen,
Zu sterben den süssen Tod, in dem dein himlisches
Lied
Manuskriptseite
67.
Den sanft entschlummernden
Geist, von Engelsharfen umgeben,
Hinüber in Elysium zieht,
Des Weisen Übergang zu einem bessern Leben!
In ihm, ihr Amphionen, studiert,
Den hohen Geschmak, das Wahre zum ungefärbten Schönen
In edler Einfalt gepaart; die Kunst zu mahlen mit Tönen,
Die Kunst, mit starken Gefühlen den Busen auszudehnen,
Die Kunst, die Steine beseelt, und Seelen den Leibern entführt.
Seid stolz genug, den neuen Marsyassen
Die eitle Kunst zu überlassen,
Die, ähnlich einem Zauberfest,
Bei ihrem schalen Getön das Herz verhungern läst,
Die mit den Tönen spielt, wie Gaukler aus der Taschen,
Und immer blenden wil und immer überraschen.
?" Seit. 204. 205.
Ia-03-1779-0227
7)
Ia-03-1779-0228
Der Mensch!!!
"Ich ward, nicht aus mir selbst, nicht weil ich werden wolte,
Ein Etwas das mir fremd, das nicht ich selber war,
Ward auf dein Wort mein Ich. Zuerst war ich ein Kraut,
Mir unbewust, noch unreif zur Begier;
Und lange war ich noch ein Thier,
Da ich ein Mensch schon heissen solte.
Die schöne Welt war nicht für mich gebaut,
Mein Ohr verschlos ein Fel, mein Aug ein Staar,
Mein Denken stieg nur noch bis zum Empfinden,
Mein ganzes Kentnis war, Schmerz, Hunger und die Binden.
Zu diesem Wurme kam noch mehr von Erdenschollen
Und etwas weisser Saft
Ein inn'rer Trieb fing an die schlaffen Sehnen
Zu meinen Diensten auszudehnen,
Die Füsse lernten gehn durch Fallen,
Die Zunge reichete zum Lallen,
Und mit dem Leibe wuchs der Geist.
Er prüfte nun die ungeübte Kraft,
Wie Mükken thun, die von der Wärme dreist,
Halb Würmer sind, und fliegen wollen.
Manuskriptseite
68.
Ich starte iedes
Ding, als fremde Wunder, an,
Ward reicher ieden Tag, sah vor und hin der heute,
Maas, rechnete, verglich, erwählte, liebte, scheute
Ich irte, fehlte, schlief, und ward ? ein Man. ?" Seit. 270. 271.
Ia-03-1779-0229
XIV.
Ia-03-1779-0230
Handbuch
für Kinder von reiferem Alter, zur Bildung des Verstandes und Herzens.
Nürnberg, bei Georg Peter Monath, 1776.
Ia-03-1779-0231
1) Von der Grösse
der Welt.
Ia-03-1779-0232
"So ein
unaussprechlich grosses Gebäude ist die Welt! So eine unbegreifliche Anzahl
Sonnen, deren iede so viel tausendmal unsre
Erde an Grösse übertrift, sind durch die Almacht des grossen Schöpfers
an ihren Ort gesezt. Wer ist also im Stande, die Grösse der Welt zu begreifen?
Gewis, sie übersteiget alle unsre Begriffe. Aber man denke einmal, wie
gros der sein mus, der diese Welt gemacht hat. Er ist unendlich gros,
alle Grösse ist nichts gegen ihn.
Ia-03-1779-0233
O herlich grosser
Gott! es sind erschafne Seelen
Vor deinen Thaten viel zu klein:
Sie sind unendlich gros, und wer sie wil erzählen,
Mus, gleich wie du, ohn Ende sein.
Wenn wir die Grösse der Welt mit der Kleinheit unsrer Erde vergleichen;
wenn wir erwägen, daß unsre Erde gegen dem Ganzen nicht einmal so viel
ausmacht, als ein Sandkörnchen gegen einen ganzen Berg: so mus eine grosse
Schaam über alle Begriffe entstehen, die wir bis dahin über die Grösse
und Kleinheit gehabt haben. Vergesset nicht, ihr Stolzen, den gestirnten
Himmel zu betrachten, um an seiner Grösse eure Kleinheit, und in eurer
Kleinheit Demuth zu lernen. Last uns indessen das grosse Wesen, welches
dieses herliche Weltgebäude zum Tempel seiner Ehre aufgeführt hat, auf
eine ihm würdige Weise darinnen anbeten. Wir müssen seine Grösse in so
viel tausend Sonnen und Erden bewundern; aber noch mehr seine unendliche
Güte anbeten, welche vielleicht dieses unermesliche Gebäude mit unzähligen
Schaaren vernünftiger Wesen besezzet, die er zu ewigen Freuden bestimt
hat. ?" Seit. 13. 14.
Manuskriptseite
69.
Ia-03-1779-0234
2) Von der Undurchdringlichkeit
der Körper.
Ia-03-1779-0235
"Die Undurchdringlichkeit
ist eine wesentliche Eigenschaft des Körpers, nach welcher er
ein ieder seinen eigenen Raum einnimt, so daß kein andrer Körper zugleich
in demselben Raum sein kan. Es können zwar flüssige Körper, z. B. Wasser
und Wein, geschmolzne Metalle u. d. g. sehr genau
mit einander vermischt werden; aber es behält doch bei einer solchen Vermischung
iedes Theilchen seinen eignen Raum. Wenn also in einem Gefässe Wasser
und Wein vermischt ist: so kan kein Theilchen Wasser da sein, wo ein Theilchen
Wein ist, sondern beiderlei Theilchen liegen in besondern Räumen neben
und über einander. ?" Seit. 18. 19.
Ia-03-1779-0236
3) Von Blumen.
Ia-03-1779-0237
"Wir wollen eine
würkliche Blume betrachten. Was für eine unnachahmliche
Maschine ist sie? Es zieht dieselbe alle Feuchtigkeit der Erde in ihre
Wurzel. Alsdan sind Pumpen da, welche den Saft in die Höhe ziehen, und
Drukwerke, die ihn nach iedem Theile der Pflanze hintreiben. Allein nicht
in iedem Theile der Pflanze ist der Saft gleich. An dem einen
Orte ist er süs, an einem andern bitter, da scharf, dort gelinde. Es kann
also die Maschine auch die verschiednen Säfte von einander absondern und
sie mit einander vermischen.
Ia-03-1779-0238
Hier wird Honig,
dort Öl zu rechte gemacht u. s. f. Mit einem Worte, die Pflanze ist eine
so wunderbare Maschine, als keine von xx
menschlicher Erfindung ist. Man sehe nur einen einzigen Theil derselben,
z. E. die Blume an. Diese ist wieder nicht aus einer rohen Materie, sondern
aus tausend Maschinen zusammengesezt. Da
wird der Honig und die wohlriechende Gewürze
gekocht. Hier sind Streubüchsen, die sich zu gesezter Zeit öfnen und wieder
schliessen, wenn der liebliche Geruch in die Luft fliegen, oder zurükbleiben
sol. Man betrachte einen andern Theil. Hier ist das Saamengehäuse, wer
wolte da alle Wunder erzählen, die darinnen liegen? Ein iedes Kernchen
ist wieder eine eben so volkommene Maschine, als die ganze Pflanze. Den
Staub da, der an der Blume hängt, solte man für die roheste Materie halten:
aber ein iedes von diesen Stäubchen ist eine bewunderungswürdige Maschine
? eine Kugel, in welcher der belebende Hauch enthalten ist, ohne den die
Blumen nicht befruchtet werden. ? ? ?" Seit. 49. 50.
Ia-03-1779-0239
4) Von den Polypen.
Ia-03-1779-0240
"In dem ganzen Reiche
der Natur herschet nicht nur die vortreflichste Ordnung, sondern auch
die schönste Verbindung. Alle Geschöpfe stehen so zu
Manuskriptseite
70.
sagen, auf einer
gewissen Leiter stuffenweise über einander, und man trift nirgends eine
Lükke an. Zwischen dem Pflanzen= und Thierreiche füllen die Polypen oder
Thierpflanzen diese Lükke aus. Erst in den neuern Zeiten haben die Naturforscher
diese wunderbare Geschöpfe, die im Wasser leben, entdekt. Sie wachsen
ohne vorhergegangene Begattung aus den Seiten x
ihrer Mütter, wie die Zweige aus den Knospen der Bäume. Man hat sie lange
für Pflanzen gehalten; sie sind aber empfindlich und können sich wilkürlich
bewegen. Denn sie gehen mit den Armen, die wie Zweige aussehen, auf Raub
aus, schlängeln sich um die kleinen Wasserthiergen, und führen sie zu
einem Loche des Hauptstams, um sie auszusaugen, und aus welchem alle Zweige
oder Arme ihre Nahrung bekommen. Aus eben demselben Loche, welches mehr
übereinander gewachsenen Polypen gemeinschaftlich ist, so lange bis sie
sich von einander trennen und besonders leben, werden die unverdaulichen
Überbleibsel wieder xx
weggeschaft. Wird die Vertheilung der Nahrungssäfte in einem Polypen wegen
der vielen Äste zu schwer: so reissen sich einige Iunge von
dem Hauptstamme los, und machen neue Familien. Schneidet man einen dieser
Zweige ab, und zertheilt ihn
in zwei Stükke: so lebt iedes Stük fort, und treibt aus Knospen neue Zweige
hervor. Zerschneidet man überdies den Polypen nach der Länge bis auf seine
Mitte in Riemen: so bekomt ein ieder Rieme wieder einen Kopf, gleich den
erdichteten vielköpfigen Schlangen. Schneidet man ein Stük von diesem
Zweige ab, und sezt es in ein anders ein, so wächst es mit demselben zusammen,
wie ein Pfropfreis mit einem fremden Stamme. Zuweilen streiten sie um
die Beute, und einer verschlingt den andern. Aber ihr Leib wird für die
Thiere ihrer eignen Art nur ein Gefängnis. Der verschlungene Polyp lebt
einige Tage in demselben, und komt gesund und unverlezt wieder heraus.
Kehrt man das Inre eines dieser Zweige, die wie Röhren hohl sind, nach
aussen, wie man den Finger eines Handschuhs umkehrt: so schadet es seinem
Leben nicht. Die vorige äussere Seite wird sein Magen, und die vorige
innere aber treibt neue Zweige oder Arme hervor.
Ia-03-1779-0241
Die Korallengewächse,
die man auf dem Boden des Meeres findet, werden
nach einigen neuern Bemerkungen von einer Polypen, wie die Muschelschaalen
von den Thieren, die darinnen wohnen, gebaut,
und nach und nach in mannigfaltige Äste ausgebreitet.
?" Seit. 65. 66. 67.
Manuskriptseite
71.
Ia-03-1779-0242
5) Von den Augen
der Insekten.
Ia-03-1779-0243
"Die Fliegen und
andre Insekten haben grosse, harte und unbewegliche Augen, welche wie
zwei halbe Kugeln an den beiden Seiten des Kopfs herausstehen. Diese Augen
sind zusammengesezt, und bestehen aus vielen
sechsekkigten Flächen, davon iede als ein Auge dient, und einen besondern
Sehenerven hat. An einem einzigen Schmetterlinge sind, von glaubwürdigen
Naturforschern, über dreissig tausend solcher Augen wahrgenommen worden.
Dadurch sind sie im Stande, alles, was vor, neben, hinter und ihnen vorgeht,
aufs genauste zu beobachten. Und was das wunderbarste bei der Sache ist;
so gerathen sie wegen der Menge der vervielfältigten
Gegenstände eben so wenig in Verwirrung, als der Mensch, der alle Dinge
mit zwei Augen zugleich erblikket. ?" Seit. 69. 70.
Ia-03-1779-0244
6) Von der verschiednen
Speise der Thiere.
Ia-03-1779-0245
"Der berühmte schwedische
Kräuterkenner Linnäus hat durch unzählige Versuche
gefunden, daß die Ochsen 276 Kräuter essen, 218 aber stehen lassen; daß
die Ziegen 276 Kräuter geniessen, und 126 andre vorbei gehen; daß die
Schaafe 387 Kräuter nahrhaft und wohlschmekkend finden, 141 aber nicht
berühren: daß die Pferde 262 Kräuter fressen, und hingegen 212 andre unberührt
lassen; daß die Schweine sich mit 72 Gewächsen behelfen, aber 171 nicht
achten. ?" Seit. 74. 75.
Ia-03-1779-0246
7) Vom Instinkte
der Thiere.
Ia-03-1779-0247
"Wir Menschen lernen
erst durch viele Versuche und vieles Fallen das Gleichgewicht halten;
aber ein Küchlein läuft, sobald es aus dem Eie komt, schnel weg, obgleich
sein Leib nicht senkrecht auf den Füssen ruht, sondern hinten und vorne
überhängt. Die iungen Enten, welche von einer Henne ausgebrütet worden,
kennen ihr Element, und rudern ohne Anweisung auf dem Wasser herum. Wenn
ia ihre Federn nicht ölicht genug sind: so wissen
sie Rath dazu, indem sie mit dem Schnabel aus einer Drüse im Schwanze
fette Feuchtigkeit pressen, und ihre Federn
alsdan durch den Schnabel ziehen, um sie damit zu schmieren. Von dem Laubfrosche
ist es etwas besonders, daß er allemal, wohin er auch springt, wenn es
auch ein glatter aufrecht gestelter Spiegel
wäre, hangen bleibt. Die Klauen thun es bei ihm nicht; sondern er hat
in den Ballen seiner Füsse einen ölichten Schwam. Aber auch das Öl würde
die Körper nur desto schlüpfriger machen, wenn er nicht von Natur die
Fertgkeit
Manuskriptseite
72.
hätte, sogleich
die Mitte seines Bals in die Höhe zu ziehen, daß ein lediger Raum entsteht,
da denn der Fus durch die äussere Luft angehalten wird. Dies sieht man
täglich an den kleinen Laubfröschen, welche
man als Wetterpropheten, in runden Gläsern aufbewahrt. Auf gleiche Weise
hält der Dintenfisch mit mehr als tausend Saugwarzen seine Beute fest,
oder befestiget sich selbst an einen Felsen. Eben dieser Fisch führt auch
eine Blase, die mit einer schwarzen Feuchtigkeit angefült ist, bei sich.
Diese Dinte läst er oft ausfliessen, entweder, wenn er in Gefahr ist,
damit ihn der Feind in der finstern Wolke nicht entdekken möge; oder damit
er seine Beute desto unvermerkter haschen möge. ?"
Seit. 76. 77.
Ia-03-1779-0248
8)
Ia-03-1779-0249
Der Morgen!
"Uns lokt die Morgenröthe
In Busch und Wald,
Wo schon der Hirten Flöte
Ins Land erschalt.
Die Lerche steigt und schwirret,
Von Lust erregt;
Die Taube lacht und girret;
Die Wachtel schlägt.
Die Hügel und die Weide
Stehn aufgehelt;
Und Fruchtbarkeit und Freude
Beblümt das Feld
Der Schmelz der grünen Flächen
Glänzt voller Pracht;
Und von den klaren Bächen
Entweicht die Nacht.
Der Hügel weisse Bürde,
Der Schaafe Zucht,
Drängt sich aus Stal und Hürde
Mit froher Flucht.
Seht wie der Man der Heerde
Den Morgen fühlt,
Und auf der frischen Erde
Den Buhler spielt.
Manuskriptseite
73.
Der Iäger macht
schon rege
Und hezt das Reh
Durch blutbetriefte Wege,
Durch Busch und Klee.
Sein Hifthorn gibt das Zeichen,
Man eilt herbei:
Gleich schalt aus allen Zweigen
Das Iagdgeschrei.
Doch Frizchens Herz erbebet
Bei dieser Lust
Nur Zärtlichkeit belebet
Die sanfte Brust.
Los! uns die Thäler
suchen,
Geliebtes Kind,
Wo wir von Berg und Buchen
umschlossen sind.
Erkenne dich im Bilde
Von jener Flur!
Sei stets wie dies Gefilde,
Schön durch Natur.
Erwünschter als der Morgen, Gold wie sein Stral;
So frei von Stolz und Sorgen
Wie dieses Thal. ? ?" Seit. 211. 212. 213.
Ia-03-1779-0250
XV.
Ia-03-1779-0251
Briefe
zur Bildung des Geschmaks an einen iungen Herrn von Stande.
Erster Theil. Leipzig und Breslau,
bei Iohann Ernst Meier 1764.
Ia-03-1779-0252
1) Alles in der
Welt ist recht und zum Besten des Ganzen abgezwekt.
Ia-03-1779-0253
"Die ganze Natur
ist nur ein Kunstwerk, das der Mensch nicht einsieht:Aller Zufal ist eine Leitung des Himmels, die
er nicht versteht; alles Übel in Theilen ist ein
Gut des Ganzen. ? Seit. 151.
Ia-03-1779-0254
2)
Ia-03-1779-0255
Rechtfertigung
der Vorsehung aus Popens
Versuch vom Menschen.
"O Eingebildeter, du wilst die Ursach finden,
Warum dich Gott so schwach, so klein, so blind erschaffen?
Manuskriptseite
74.
Errathe, wenn du
kanst, erst was noch härter ist,
Warum du nur so schwach, so blind, so klein nur bist?
Frag deine Mutter, Erd, warum die Eichen höher,
Und stärker, als das Kraut, das sie beschatten, wurden?
Frag über deinem Haupt die silbernen Gefilde,
Warum des Iupiters Gefährten kleiner wurden,
als er ?" Seit. 151. 152.
Ia-03-1779-0256
"Wenn das stolze
Ros einsehen wird, warum der Mensch seinen feurigen
Lauf zügelt, oder es über die Felder spornet; wenn der dumme Ochse erkent,
warum er izt den Erdklos bricht, izt ein Opfer, und izt ein Gott Ägyptens
ist; dann sol auch der stolze und dumme Mensch
den Nuzzen und Endzwek seiner Handlungen, seiner Leidenschaften, seines
Wesens begreifen, warum er handelt oder leidet, gezügelt oder getrieben
wird: und warum er in dieser Stunde ein Sklav,
in der folgenden ein Gott ist." Seit. 153.
Ia-03-1779-0257
"Der Himmel verbirgt
vor allen Geschöpfen das Buch des Schiksals: nur ein Blat stehet ihnen
offen, ihr gegenwärtiger Zustand. Dem Vieh verbirgt er was die Menschen,
dem Menschen, was die Geister wissen; wer würde sonst sein Dasein auf
der Welt ertragen können? Das Lam, welches deine
lekkerhafte Zunge heute zum Tode verdamt, würde es hüpfen und spielen,
wenn es deine Vernunft besässe? Bis auf den lezten Augenblik vergnügt,
frist es das blumigte Futter, und lekket die Hand, die eben erhoben wird,
sein Blut zu vergiessen. O! Unwissenheit der Zukunft! aus Güte hat dich
der Himmel gegeben, damit ein ieder den Kreis vollende, den Er ihm vorgeschrieben
hat: Er, der als Gott von allem, mit gleichem Auge einen Helden sterben,
oder einen Sperling fallen, Atomen, oder Welten
in den Untergang stürzen, und hier eine Wasserblase, dort eine Welt zerspringen
siehet. x...x
Ia-03-1779-0258
Hoffe demnach in
Demuth: erhebe dich auf zitternden Flügeln. Erwarte den grossen Lehrer,
Tod, und bete Gott an. Was für eine Glükseeligkeit dich künftig erwarte,
das läst er dich nicht wissen, aber er giebet dir die Hofnung zu deiner
gegenwärtigen Glükseeligkeit. Hofnung quilt beständig in der menschlichen
Brust:
Manuskriptseite
75.
Der Mensch ist hier
niemals glüklich, aber sol auf immer glüklich werden:
die Seele, die in sich eingeschränkt, unzufrieden ist, beruhigt sich,
indem sie in ein künftiges Leben hinaus siehet. ?
Ia-03-1779-0259
Siehe den armen
Indianer an! Sein unmündiger Verstand sieht Gott
Gott in den Wolken, oder höret ihn in dem Winde. Stolze Wissenschaft lehret
nie seine Seele, sich bis zu der Sonnenbahn, oder zur Milchstraße hinauf
zu schwingen: doch hat die einfältige Natur seiner
Hofnung, hinter dem mit Wolken bedekten Hügel einen
niedrigern Himmel, eine sicherere Welt im tiefen
Schatten der Wälder,eine glüklichere Insel in der Wasserwüste gegeben,
wo Sklaven ihr väterliches Land einmal wiedersehen,
keine Feinde sie quälen, und keine Christen nach
Gold dürsten werden. Zu sein, befriedigt die Begierde seiner Natur; er
fordert nicht den Flügel des Engels, nicht das Feuer des Seraphs; sondern
glaubet, daß sein getreuer Hund mit ihm in einen Himmel kommen, und ihm
Gesellschaft leisten wird. ?" Seit.
155. 156. 157.
Ia-03-1779-0260
"Dieser Endzwek
(die Glükseeligkeit) erfordert eben so sehr eine beständige Abwechselung
von Regen und Sonnenschein, als von den Begierden des Menschen:
eben so sehr beständige Frühlinge, und wolkenlose Wolken, als immer mässige,
ruhige und weise Menschen. Wenn Landplagen und Erdbeben des Himmels Absicht
nicht stören, warum solte es ein Borgia, oder
ein Katilin? ?" S.
158.
Ia-03-1779-0261
"Vielleicht wäre
es besser für uns, wenn hier alles Harmonie, alles Tugend wäre: wenn weder
Luft, noch Meer vom
Winde bewegt würde; wenn keine Leidenschaft das Gemüth beunruhigte: Allein
alles erhält seine Fortdauer durch den Kampf der Elemente; und die Ele
Leidenschaften sind die Elemente des Lebens. ?" Seit.
159.
Ia-03-1779-0262
3)
Feinere Sinne wären dem Menschen schädlich.
Ia-03-1779-0263
"Warum hat der Mensch
kein mikroskopisches Auge? Aus dem klaren Grunde, der Mensch ist keine
Fliege. Wenn er feinere Augen empfangen hätte, wozu würden sie ihm nüzzen?
Er würde eine Made sehen, aber nicht den Himmel betrachten können. Hätte
er ein zärtlicher, ein lebendiger Gefühl: es würde ihn nur schmerzen,
und in ieder Nerve quälen. Schössen die Dünste schnelle durch sein Gehirn;
so würde er beim Geruch der Rose vor Pein sterben!
Oder donnerte die Natur in seine ofnern Ohren, und betäubte ihn mit der
Musik der Sphä
Manuskriptseite
76.
ren, wie würde er
wünschen, daß der Himmel ihm nur den lispelnden Westwind, und den rieselnden
Bach, gelassen hätte. ?" Seit. 160. 161.
Ia-03-1779-0264
4) Die unendliche
Menge der erschafnen Wesen ? ihre Verbindung.
Ia-03-1779-0265
"Siehe in dieser
Luft, in diesem Ozean, und in dieser Erde allen Stof belebt,
und voller Zeugungskraft. Wie hoch erstrekket sich der Fortgang des Lebens
über uns? Wie weit um uns? Wie tief unter uns? Grosse Kette der Wesen!
welche von Gott anhebet, ätherische und menschliche Naturen, Engel, Mensch,
Vieh, Vogel, Fisch, Insekt, was kein Auge sehen, kein Glas erreichen kan:
vom Unendlichen bis zu dir, von dir bis zu Nichts. ? Wolten wir uns zu
den höch höhern Wesen drängen, so würden die
untern sich an uns drängen, oder in der vollen Schöpfung eine Lükke lassen;
und wenn eine Stufe zerbrochen ist, so ist die ganze
Leiter zerstöret. Was für ein Glied du auch aus der Kette der Natur hinwegnimst,
das zehnte, oder das zehntausendeste, so wird doch allezeit die Kette
zerbrechen. ?" Seit. 162.
Ia-03-1779-0266
5) Von der
Algegenwart Gottes.
Ia-03-1779-0267
"Alle sind nur Theile
eines erstaunlichen Ganzen, dessen Leib die Natur, und dessen Seele Gott
ist. Diese, in allem verändert, und dennoch in allem dieselbe, so gros
in der Erde, als in dem Bau des Himmels, erwärmet in der Sonne, kühlet
im Zephyr, glühet in den Sternen, und blühet in den Bäumen? lebt durch
das ganze Leben, dehnet sich durch den ganzen
Raum aus, verbreitet sich unzertheilet, wirket unerschöpfet; athmet in
unsrer Seele, belebt unsern sterblichen Theil; eben so volkommen in einem
Haar, als in einem Herzen; eben so volkommen
in dem elenden Menschen, der klaget, als in dem entzükten Seraph, der
anbetet, und brennet: bei ihr ist nichts hoch,
nichts niedrig, nichts gros, nichts klein; sie erfüllet, umgränzet, verbindet
und macht alles gleich. ?" Seit. 164. 165.
Ia-03-1779-0268
6) Alle Thiere,
sogar die verächtlichsten, theilen die Veränderungen des Lebens mit dem
Menschen.
Ia-03-1779-0269
"Der das Reh für
deinen Tisch nähret, der streute eben so gütig
für dieses Reh Blumen über den Anger aus. Singt die Lerche nur für dich?
Ihr eigne Freude stimt ihren Gesang. Wirbelt die Kehle der Nachtigal nur
für dich? Ihre eigne Liebe und Entzükken belebt ihr Lied!
Das Ros, worauf du so prächtig
Manuskriptseite
77.
sizzest, theilt
das Vergnügen, und den Stolz, mit dem Reuter. Von dem Samen, womit du
das Feld bestreuest, nimt der Vogel des Himmels sein Korn; ein Theil von
der Erndte des güldnen Iahres bezahlet deinen
arbeitsamen Stier; das Schwein, das nicht für
dich arbeitet, lebet von den Arbeiten dessen,
der ein Herr von allen sein wil. ?" Seit. 166.
Ia-03-1779-0270
6)
Ia-03-1779-0271
Das Bild des Menschen.
"Wie arm, wie reich; wie niedrig, wie erhaben,
wie x räthselhaft,
wie wunderbar ist doch der Mensch! ?
Vermischet aus verschiedenen Naturen
ein meisterhaftes Band getrenter Welten!
Ein sonderbares Glied in der endlosen Kette
der Wesen! mitleres Geschöpfe zwischen
dem Nichts, und Gott! ?
Ein Erb' der Herlichkeit; ein schwaches Kind des Staubes,
ein hülfloser Unsterblicher! ein unendliches
Insekt, ein Wurm! ein Gott! ?" Seit. 234. 235.
Ia-03-1779-0272
7)
Ia-03-1779-0273
Der vergnügte Morgen!
"Dort am Usipper Wald, den durch des Varus Schlacht
Der überflüssge Ruhm bemerkungswerth gemacht,
Wo der verschobne Sand, vom dichten Laub beschirmet;
Sich aus dem tiefen Grund zum breiten Hügel
thürmet,
Zog einst mein ofnes Herz bei frühem Sonnenschein,
Dem tausendfachen Reiz der Anmuth hungrig ein,
Weil hier, wo Schönheit iezt dem Nuzzen Küsse zolte,
Mein Geist der Sinnen Kraft an sich versuchen wolte.
Wie funkelnd war der Glanz, der durch die Bäume gieng,
Und zitternd sich am Rand bethauter Blätter hing!
Bald schien mich flüssig Gold, bald Feuer zu bedekken,
Doch sorgenfreies Gold, und Feuer ohne Schrekken.
Die Sonne quol hervor, wie Ruh aus Tugend quilt.
Sie selbst ein Bild von Gott wies mir ihr holdes Bild
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78.
In der vor Dankbarkeit
mir abgeflosnen Zähre,
Du, Sonne, wärst mein Gott, wann Gott nicht götlich wäre.
Ihr lebensschwangrer Stral befruchtete den Duft:
Der walte langsam auf, umschwomme mit der Luft
Begeisternd meine Brust, lag brüthend auf dem Grase:
So fuhr des Schöpfers Hauch dem Adam in die
Nase.
Hier warf der Eichen Muth den schweren Stam empor,
Bis in der Höhe sich ihr dikkes Haupt verlohr,
Wovon die Sonne doch nch breite Schatten senkte,
Und wie ein buntes Nez nach Raupenart vermengte.
Bald flog ein Hirsch dahin, der in der Luft sich wog,
und vorwärts Hals und Brust, die Hörner rükwärts zog.
Bald sprang ein schlankes Pferd mit wieherndem Getöne,
Mit eingebognem Kopf, und aufgeworfner Mähne.
Dort rieb ein West die Saat, der milde Kühlung trug,
Bald auf den Ähren schwom, bald an die Stengel schlug.
Der enge Zwischenraum lies die befreundten Stielen
Von oben reich beblümt nah an einander spielen;
Bis alles sich zulezt in ebne Flächen schlos
Und iede Farbe schön vertheilt zusammen flos.
Oft krümte sich der Grund zu sanft geschwolnen Höhen,
Und lies den schweren Halm gebükt herunter gehen
Dort schnit der Akkerman mit lauten Sensen ab,
Was die Natur gereift und ihm die Sorgfalt gab:
Und Mägdgen, leicht bedekt, die Müh zum Scherze machten,
Des Frevels unbesorgt, in breite Bündel brachten.
Ich sah die alte Ruhr da durch ein dunkles Grün,
Hier durch ein flaches Gelb mit glatten Fluthen ziehn:
Oft ward die Fläche schnel mit buntem Licht
bezogen,
Oft schuppicht eingekerbt, oft tiefer eingebogen.
Wen rührt der nahe Sturz des hohlen Ufers nicht,
Woran die iüngre Ruhr den losen Kizzel bricht?
Dem stolzen Rhein getreu taucht sie die volle Hüfte
In das geheime Bet nie gekanter
durchgesehner Klüfte.
Wie maiestätisch stil, wie herrisch wälzet dort
Der königliche Rhein die gelben Fluten fort?
Manuskriptseite
79.
Zum Siegeszeichen
sich, dem ewgen Rom zur Schande,
Reist er noch immerfort von dem beträhnten Sande,
Wo der verschlagne Feind vielleicht noch manches Grab,
Gewis die Flucht errang, oft ganze Klumpen ab.
Die tiefgesenkte Lust lies endlich bei den Sträuchen,
Die dort im Zirkel gehn, mein Aug sein Ziel erreichen.
Ein murmelndes Geräusch von Schlummertönen vol,
Das nah um mich herum aus kleinen Bächen quol,
Wo Silber und Kristal auf hellen
Steinen glimten,
Die oft das klare Nas zu goldnen Schnekken krümten;
Das Lispeln, das die Luft vergnügend fürchterlich
Erschütternd von dem Laub der iungen Äste strich;
Der schwizzernde Gesang vom lokkenden Gefieder
Flos durch den tiefen Wald weteifernd hin und wieder.
Dann zoge die Natur, die erst sie un unterschied,
Das ganze Tönenheer in ein harmonisch Lied. ?" Seit. 246. 247. 248. 249.
Ia-03-1779-0274
XVI.
Ia-03-1779-0275
Die
Leiden des iungen Werthers. Erster Theil.
Ia-03-1779-0276
Ieder Iüngling sehnt
sich so zu lieben,
Iedes Mägdlein so geliebt zu sein,
Ach, der heiligste von unsern Trieben,
Warum quilt aus ihm die grimme Pein? Zweite ächte Auflage. Leipzig, in der Weigandschen
Buchhandlung. 1775.
Ia-03-1779-0277
1) Vom Gefühle.
Ia-03-1779-0278
"Wenn das liebe
Thal um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen
Finsternis meines Waldes ruht, und nur einzelne Stralen sich in das innerste
Heiligthum stehlen, und ich dann im hohen Grase am fallenden Bach liege,
und näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden.
Wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen,
unergründlichen Gestalten, al der Würmgen, der Mükgen, näher an meinem
Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des Almächtigen,
der uns al nach seinem Bilde schuf, das Wehen des Alliebenden, der uns
in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält. Mein Freund, wenn es denn
um meine Augen dämmert, und die Welt um mich her und der Himmel ganz in
meiner Seele ruht, wie die Gestalt
Manuskriptseite
80.
einer Geliebten;
dann sehn ich mich oft und denke: ach köntest du das wieder ausdrükken,
köntest du dem Papier das einhauchen, was so vol, so warm in deinem Herzen
lebt, daß es würde der Spiegel deiner Seele,
wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen Gottes. Mein Freund ?
Aber ich gehe darüber zu Grunde, ich erliege unter der Gewalt der Herlichkeit
dieser Erscheinungen. ? ?" Seit.
9. 10.
Ia-03-1779-0279
2) Wenn doch alle
Menschen andre glüklich machen wolten!!! ?
Ia-03-1779-0280
"Wer sich das nur
täglich sagte:" rief ich aus, du vermagst nichts auf deine Freunde, als
ihnen ihre Freude zu lassen und ihr Glück zu vermehren, indem du es mit
ihnen geniessest. Vermagst du, wenn ihre inre Seele von einer ängstigenden
Leidenschaft gequält, vom Kummer zerrüttet ist, ihnen einen
Tropfen Linderung zu geben?
Ia-03-1779-0281
Und wenn die lezte,
bangste Krankheit dann über das Geschöpf herfällt, das du in blühenden
Tagen untergraben hast, und sie nun da liegt in dem erbärmlichsten Ermatten,
das Auge gefühllos gen Himmel sieht, und der
Todesschweis auf ihrer Stirne abwechselt, und du vor dem Bette stehst
wie ein Verdamter, in dem innigsten Gefühl, daß du nichts vermagst mit
al deinem Vermögen, und die Angst dich inwendig krampft, daß du alles
hingeben möchtest, um dem untergehenden Geschöpf einen Tropfen Stärkung,
einen Funken Muth einflössen zu können. ?" Seit. 58.
Ia-03-1779-0282
3) Entzükkung! Empfindung!
Gefühl!!
Ia-03-1779-0283
"Wenn ich sonst
vom Fels über den Flus bis zu ienen Höhxx
Hügeln das fruchtbare Thal überschaute, und alles um mich her keimen und
quellen sah, wenn ich iene Berge, vom Fusse bis auf zum Gipfel, mit hohen,
dichten Bäumen bekleidet, al iene Thäler in ihren mannigfaltigen Krümmungen
von den lieblichsten Wäldern beschattet sah, und der sanfte Flus zwischen
den lispelnden Rohren dahin gleitete, und die lieben Wolken abspiegelte,
die der sanfte Abendwind am Himmel herüber wiegte, wenn ich denn die Vögel
um mich, den Wald beleben hörte, und die Millionen Mükkenschwärme im lezten
rothen Strale der Sonne muthig tanzten, und ihr lezter zukkender Blick
den summenden Käfer aus seinem Grase befreite und das Gewebere um mich
her, mich auf den Boden aufmerksam machte und
das Moos, das meinem harten Felsen seine Nahrung abzwingt, und das Geniste,
das den dürren Sandhügel hinunter wächst, mir das innere glühende, heilige
Leben der Natur eröfnete, wie umfast ich das al mit warmen Herzen, verlohr
mich in der unendlichen Fülle, und die herlichen Gestalten der unendlichen
Welt bewegten sich allbelebend in meiner Seele.
Ungeheure Berge umgaben mich, Abgründe lxgen
lagen vor
Manuskriptseite
81.
mir, und Wetterbäche
stürzten herunter, die Flüsse strömten unter mir, und Wald und Gebürg
erklang. Und ich sah sie würken und schaffen in einander in den Tiefen
der Erde, al die Kräfte unergründlich. Und nun über der Erde und unter
dem Himmel wimmeln die Geschlechter der Geschöpfe al, und alles, alles
bevölkert mit tausendfachen Gestalten, und die Menschen dann sich in Häuslein
zusammen sichern und sich annisten und herrschen
in ihrem Sinne über die weite Welt! Armer Thor, der du alles so gering
achtest, weil du so klein bist. Vom unzugänglichen Gebürge über die Einöde,
die kein Fus betrat, bis ans Ende des unbekanten Ozeans, weht der Geist
des Ewigschaffenden und freut sich sich iedes
Staubs, der ihn vernimt und lebt. Ach , damals,
wie oft hab' ich mich mit Fittigen eines Kranichs, der über mich hinflog,
zu dem Ufer des ungemessenen Meers gesehnt,
aus dem schäumenden Becher des Unendlichen, iene schwellende Lebenswonne
zu trinken, und nur einen Augenblik in der eingeschränkten Kraft meines
Busens einen Tropfen, in der der Seeligkeit des Wesens zu fühlen, das
alles in sich und durch sich enthält hervorbringt.
? ?" Seit. 92. 93. 94.
Ia-03-1779-0284
XVII.
Ia-03-1779-0285
Briefe
zur Bildung des Geschmaks an einen iungen Herrn
von Stande. Dritter Theil. Leipzig
und Breslau, bei Iohann Ernst
Meier 1767.
Ia-03-1779-0286
1)
Ia-03-1779-0287
Pathetische Züge!
"So viele Leben, ach! grausame Herschbegier!
Um Eine Spanne Land, gepflügt von Einem Stier?
Ach Hochmuth! um Ein Wort, vielleicht zu schnel
geredet,
Ach Geiz! um elend Gold die halbe Welt verödet?
Gebiethende Vernunft, wenn du uns herschen lehrst,
Fang in dem Menschen an, und hersche da zuerst! ?" Seit. 99.
Ia-03-1779-0288
2)
Ia-03-1779-0289
Von den vielen prächtigen
Weltkörpern.
"Fleug mit des Lichtes Schwingen das unablässig
Das Alter einer Welt hindurch, hinauf
Von einer Kugel zu der andern: Zähle
Da, wo vorhin nur Punkte standen, Sonnen
Und Welten, und die erste Sonne siehe
Verloschen im Gesichtskreis! denke dann,
Hier sei dein Flug geendigt: aber wisse
Du hast noch einen gleichen Weg bis dahin,
Wo Heerden Welten wimmeln, einen Weg,
Manuskriptseite
82.
So endlos, wie der
erste war. ? Mir schwindelt,
Almächtiger! auf dieser Almachtshöhe
Sinkt alle meine Denkungskraft in Ohnmacht! ?" Seit. 105. 106.
Ia-03-1779-0290
3)
Ia-03-1779-0291
Die Sonne! ?
"Erschreklicher Brand! ungeheure Maiestät!
O zitre, kleine Erd! erschrekket, ihr Planeten!
Vor diesem Riesenkörper, der,
Genähret von Kometen, was sich ihm
Zu nahe wagt, entzündet zum Kometen! ?" Seit. 110.
Ia-03-1779-0292
4)
Ia-03-1779-0293
Das Saamenkorn!
"Ia du bist schön, o Thal! doch höre deinen Schöpfer:
Die kleinste Blume hat ein Thal, so schön, wie du:
Dies Thal ist wiederum mit Samen angefüllet,
Von dem das kleinste Korn zehntausend Halme
In seinem Punkte trägt, und dessen Körner
Sind wiederum mit Millionen schwanger:
Zermalme nun das kleinste Senfkorn, und
Sieh eine Welt vergehn! ?" Seit. 112.
Ia-03-1779-0294
6)
Ia-03-1779-0295
Die grosse Kette
der Wesen. ?
"Wie gros ist der Abstand zwischen der Empfindung
Bis zu dem grössesten Verstand! ? Der Raum x...x
Kan hier nicht leer sein ? welche Grade der
Vernunft vom Plato bis
zu einem Affen!
Und von der Denkungsart des Affen bis
Zur Auster nieder! Welch ein Unterschied
Der Grössen von dem Körper Leviathans
Bis zu dem kleinsten Thiere, das sein Glas
Entdekket! welch ein Unterschied der Länge
Des Lebens zwischen dem gekrönten Hirsche,
Und dem Elephanten Ephemeron, das Einen Tag
Durchlebt! Sind diese grosse Zwischenräume
Vom Untersten, zum Obersten ? wer weis,
Wie weit? ? nicht angefüllet? Steigen Geister,
Und Körper, und Vermögen stuffenweise
Zu einer Zahl hinauf, die niemand ausspricht?
Vernunft, Erfahrung, Glas, und Auge sagen, Ia! ?" Seit. 113.114.
Manuskriptseite
83.
Ia-03-1779-0296
6)
Ia-03-1779-0297
Die Leiter der Empfindung
bis zur Vernunft.
"Sie, wie sie zu dem königlichen Menschen
Von ienen grünen Myriaden, die
Das Gras bevölkern, steigt! Wie viele Arten
Des Sehens zwischen diesen beiden Gränzen,
Der Dämmerung des Maulwurfs, und dem Lichte
Des Luchses! wie viel Arten des Geruches!
Vom Hunde, der die Spur im Grase wittert,
Bis zu der Löwin des Gehörs, von dem,
Was in Gewässern lebt, bis zu dem Vogel,
Der in Gebüschen singt! Wie äusserst fein
Auf iedem Faden fühlt die Spinn', und lebet
Durch alle ihre Seile! Welcher Sin
Der kleinen Biene saugt so fein, und richtig
Aus gift'gen Kräutern den balsamschen Thau?
Wie unterschieden ist des Schweins Instinkt
Von deinem halbvernünftiger Elephant!
Welch eine feine Scheidung trennet diesen
Von der Vernunft? ? ? ?
Wie nah verwandt sind Überlegung,
und
Gedächtnis! welche dünne Scheidung trennet
Empfindung und Gedanken? ? ?" Seit. 114. 115. 116.
Ia-03-1779-0298
7)
Ia-03-1779-0299
Was der Tod ist?
?
"Wo blieb die Lerche, deren süsse Kehle
Den Philadon einladete, das Wunder
Des Morgenroths zu sehn? der muntre Wächter,
Der aus der hohen Luft durch seine Stimme
Zur Andacht die Geschöpf, erwekte? Sie
Stieg in den Himmel, von dem Lobe dessen
Entflamt, der ihren zarten Hals zum Triller
Gebaut; und da sie eben ihr Gebeth,
Und ihren Morgenpsalm began, da ward sie ?
Ach Philadon! ein Raub des Falken. Wie?
Du seufzest? ? Darf ein Philosoph hier seufzen?
Sol denn die Lerche niemals sterben? Sol
Der Falk nicht leben? Ist die Ordnung grösser,
Wenn gar kein Raubthier wär? besinne
dich!
Du selber bist das gröste Raubthier! Ia,
Noch mehr! wenn alles Leben hat, und sich
Manuskriptseite
84.
Vom Leben nähret;
wie ist dann ein Raubthier
Von einem andern unterschieden? Ist
Der Tod nichts mehr, als die Veränderung
Der Form, so ist ia aller Dinge Tod
Nichts, als ein fortgeseztes Werde. ?" Seit. 118. 119.
Ia-03-1779-0300
8)
Ia-03-1779-0301
Die grosse Welt!
Ich sah das grosse Al! Wo bleibst du da?
Wofern der Sonnenkreis von diesem Ganzen
Nichts mehr ist, als ein Punkt, so ist die Erde
Ein Punkt von ihm; und du? ? o! diesen Punkt
Wer kan ihn theilen? ? Nein, izzo verschwindet
Vor mir mein Philadon!
?" Seit. 120.
Ia-03-1779-0302
XVIII.
Ia-03-1779-0303
Betrachtungen
über die vornehmsten Wahrheiten der Religion an Se. Durchlaucht den Erbprinzen
von Braunschweig und Lünneburg. Zweiter Theil. Braunschweig,
in Verlag der Fürstl. Waisenhaus=Buchhandlung, 1774.
Ia-03-1779-0304
1) Von der Geschichte
der ersten Welt.
Ia-03-1779-0305
"Ich habe schon
gesagt, daß die ganze Geschichte der ersten Welt in diesem Buche (dem
1ten Buch Moses)
aus so vielen Original-Urkunden oder historischen Liedern, als dem einzigen
Gedächtnismittel aller alten Völker, zu bestehen scheine, worin die ersten
Menschen die merkwürdigsten Begebenheiten, die sie erlebten, unter sich
zu erhalten und auf ihre Nachkommen fortzupflanzen gesucht hätten. Die
Beschreibung der Sündfluth hat das volle Ansehen von eben einem solchen
Liede. Es ist wenigstens keine Begebenheit möglich, die Noah und seine
Söhne mit mehr Erstaunen hätte erfüllen, und die ihnen wichtiger hätte
sein können, das Andenken davon zu erhalten, und mit derselben zugleich
die grosse Grundwahrheit der Religion, von einer über die Menschen wachenden
heiligen und gerechten Vorsehung, die ihnen bisher so wichtig gewesen,
bei ihren feierlichen Zusammenkünften sich in einem solchen heiligen Liede
vorzuhalten, und das Andenken davon auch auf ihre späteste Nachkommenschaft
fortzupflanzen. Auch hat die Beschreibung selbst
alle Kenzeichen, die diese Muthmassung bestätigen. Diese Art, wie der
Verfal der Menschen vorgestellet wird, die Beschreibung des götlichen
Rathschlusses, die öfteren und
Manuskriptseite
85.
gleich hinter einander
vorkommenden Wiederholungen von beiden, die weitläuftige Art
zu erzählen, da der Rathschlus Gottes bald historisch beschrieben,
bald Gott Gott selbst als redend eingeführt wird,
die Beschreibung der Fluth selbst, die alte Benennung des Schifs, es ist
alles die Sprache des höchsten Alterthums, und von der eigenen einförmigen
Schreibart Mosis, die mit seiner speciellen
Geschichte von Abraham anfängt, deutlich unterschieden.
Auch ist die Berechnung der Zeit älter, als
die, deren Mosis sich bedienet. Hier ist noch
das leichter zu berechnende ältere Mondeniahr, die Monathe nach der runden
Zahl von dreissig Tagen berechnet, da Moses
hergegen bei der Anordnung seiner Feste schon die genauere Berechnung
nach Sonneniahren und die nöthige Einschaltung kante. Dabei ist der Grund
des hier angegebenen Verfals eben die Sinlichkeit, die den Verfal des
ersten Stamvaters und seiner nächsten Nachkommenschaft schon veranlasset
hatte, da der eine Theil mit Hindansezzung aller
Gottesfurcht seinen sinlichen Trieben sich dergestalt überlassen, daß
die Verehrung Gottes in der dritten Generation schon ein karakteristisches
Unterscheidungszeichen geworden war. Einige andere Geschlechter hätten
sich zwar durch ihren unschuldigen gottesfürchtigen Wandel als Kinder
Gottes von ienen Ruchlosen noch eine Zeitlang
unterschieden, und wären diesem Bekentnisse Gottes und seiner Vorsehung
treu geblieben; aber so wie sie sich mehr verbreitet und von den Hütten
ihrer Gottesfürchtigen Väter sich entfernet, so hätte diese verderbte
Sinlichkeit sich auch ihrer nach und nach bemächtiget,
das Gefühl der Religion hätte sich immer mehr verloren, auch sie wären
blos ihren sinlichen Trieben nachgegangen, und da sie sich ohne Scheu
mit den öffentlichen Verächtern Gottes in
die genauesten Verbindungen eingelassen, so wäre diese gesezlose Sinlichkeit
endlich so algemein geworden, daß auch diese, die es bisher noch für einen
unterscheidenden Ruhm gehalten hätten, den Namen
von Bekennern und Kindern Gottes zu führen, eben solche Gibborim und Nephilim,
solche Titanen und Centauren, wie die übrigen, geworden wären, die ohne
alles Gefühl von Sitlichkeit und Gerechtigkeit die Vorsehung verleugnet,
dem Himmel getrozzet, und sich kühn allen ihren wilden und gewaltthätigen
Trieben überlassen hätten. Luther
übersezt die beiden Worte Gibborim und Nephilim
durch Tyrannen und Gewaltige, vermuthlich um die Fabel von den Riesen
dadurch nicht zu bestätigen, doch wäre der Name Riesen
dieser alten dichterischen Sprache gemässer gewesen. Nur daß man sich
bei diesen Namen kein wirkliches Geschlecht von Riesen denken darf. Die
Natur bringt so wenig ganze Geschlechter von Riesen, als von Zwergen,
hervor, die natürliche menschliche Grösse nach ihrem äussersten Maasse
zwischen vier und sieben Fus gerechnet. Beide sind nur einzelne Abartungen,
die sich nicht fortpflanzen. Alle Riesen des Alterthums sind nichts als
symbolische Wesen und Geschöpfe der Dichtkunst, worunter
Manuskriptseite
86.
alle alte Völker
ihre grossen Vorfahren abbildeten, wenn sie ihre ausserordentlichen Heldenthaten
vorstellen wolten. Moralische Grösse war in diesen rauhern Zeiten noch
nicht gekant; man kante noch keine andere Grösse als wilden
Muth und Stärke, die in gesezloser Gewaltthätigkeit bestand, und womit
die Verachtung aller Vorsehung verbunden war, welche die welche die dichterische
Einbildung, um sie so viel ausserordentlicher und fürchterlicher zu machen,
unter keinem stärkern Bilde, als unter dem Bilde ungeheurer Riesen, vorzustellen
wuste. Dies ist die Sprache der Natur, ohne daß dabei einige Nachahmung
Stat hätte. Als solche Riesen beschrieben die alten nordischen Völker
in ihren Liedern ihre Helden; und dergleichen Riesen sind auch die neun
Ellen grossen Aloiden und Titanen der Griechen,
die kühn auf ihre unwiederstehlige Gewalt Berge auf Berge thürmen, und
den Himmel selbst zu bestürmen sich zutrauen. Dies ist eben die Sprache
in diesem Liede. ?" Seit. 213. 214. 215.
216.
Ia-03-1779-0306
2) Die Erde bekam
durch die Sündfluth allein keine solche Beschaffenheit,
wie sie izt hat.
Ia-03-1779-0307
"Alle diese Erscheinungen
(von versteinerten Sachen auf hohen Bergen, u. d. g.) würden sich wohl
schwerlich aus der einzigen Sündfluth erklären lassen, sondern sie scheinen
vielmehr zum Theil die Würkung von gewaltsamen Veränderungen, auch von
längern und ältern Überschwemmungen, und vermuthlich von iener ältern
Fluth noch her zu sein, die der Schöpfer in die Tiefe gehen hies, wie
er diese Erde zu einer neuen Wohnung für uns
bereitete. Denn die an Materie und Dikke so verschiedne und mit einander
abwechselnden Schalen oder Schichten, woraus die ganze Oberrinde der Erde
besteht, und unter welchen sich oft erst in der grösten Tiefe ein Seegrund
und eine Lage von Muscheln und oft mehr als eine dergleichen findet, die
durch viele Faden dikke Schichten xxx
von Thon und Sand von einander abgesondert sind, diese scheinen allerdings
der Bodensaz von einer Überschwemmung zu sein, aber auch mehr als eine
dergleichen, und auch eine viel längere vorauszusezzen. Eine einzige Fluth
konte die Erdrinde so nicht auflösen; dies beweiset die Festigkeit des
Seegrunds selbst; und es würden diese Schichten sich auch nicht so regelmässig
noch so bald wieder gesezt haben. Noah fing gleich an, so wie das Wasser
sich nur verlaufen hatte, die Erde wieder zu bebauen, und er fand alle
seine bekanten Gewächse, seinen Ölbaum und Weinstok wieder. Auch stand
die Fluth nicht lange genug, daß solche ungeheure Berge von Muscheln und
Seegwächsen davon hätten aufgethürmt werden können. Man
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87.
kan diese Berge
vielmehr selbst als einen alten Seegrund, und als Bruchstükke der unter
dem Wasser gestandenen Erdrinde ansehen, die bei dem Ausbruche eines unterirdischen
Feuers in die Höhe geworfen, und womit diese Seegeschöpfe zugleich mit
erhoben sind. Dies machen die übereinander gethürmten rauhen Klippen,
ingleichen die Spalten in diesen Gebirgen, auf die zum Theil gegen einander
passenden Winkel, und die d an vielen deutlich
wahrzunehmenden Spuren des Feuers höchst wahrscheinlich, und dies
kömt selbst mit der über alle menschliche Beredsamkeit erhabnen prächtigen
Beschreibung überein, die David von der schöpferischen
Almacht im 104 Psalm giebt. Endlich aber scheinen
viele dieser Phänomene auch zu alt zu sein, als daß sie sich aus dieser
Fluth erklären liessen, so wie andere hergegen sichtbarlich von neurer
Zeit sind. Die Versteinerung scheinet allein schon ein höheres Alter vorauszusezzen.
Denn da die härtesten Felsen von Marmor und
andern Steinarten dergleichen Meeresreste in sich schliessen und zum Theil
ganz daraus bestehen, und also nothwendig eine weichere Materie vorher
schon gewesen sein müssen; so würde die Zeit,
von dieser Fluth an gerechnet, zu dem Zeitraum, den die Natur zu diesem
geheimen und langsamen Geschäfte nimt, wohl nicht zureichen; da die Ruinen
der allerältesten Gebäude, die sich nur auf der Erde finden, wie zum Exempel
die Überbleibsel der alten Mauren und Thore von Suez am rothen Meere,
die vielleicht schon nahe an die Zeiten Mosis
reichen, schon vol von solchen Schnekken=Schaalen sind, auch die Steinart,
woraus die ägyptischen Pyramiden bestehen, dergleichen
schon in sich hält. ?" Seit. 229. 230. 231.
Ia-03-1779-0308
3) Die Sündfluth
war nicht algemein.
Ia-03-1779-0309
"Es ist nichts,
was uns nöthigt, diese Überschwemmung für so
buchstäblich algemein anzunehmen, daß sie über die höhsten Gebürge der
ganzen Erde sich ergossen hätte. Wer mit der Sprache der Schrift nur einigermassen
bekant ist, der wird sich vieler ähnlicher Redensarten erinnern, wobei
es nie einem Leser einfallen wird, kan, nach
dem buchstäblichen Ausdrukke den ganzen Erdkreis oder alle Thiere der
Erde, alle Vögel unter dem Himmel sich dabei vorzustellen. Ezech.
31, 6. Und dies ist die Sprache der Schrift
allein nicht; dies ist die Sprache der Natur; alle Menschen erhöhen auf
diese Art den Ausdruk, wenn sie etwas ausserordentliches beschreiben;
und man denke sich hinzu, daß diese Beschreibung ein Lied, ein durch das
natürliche Erstaunen derer, die die Zeugen dieser schreklichen
Begebenheit waren, erhöhtes Lied ist. Iene angeführte Fluthen, gesezt,
daß es partikuliere Fluthe gewesen, werden wenigstens mit eben
Manuskriptseite
88.
den vergrösserten
Ausdrükken beschrieben. Daß diese Noahische
Fluth das ganze südliche Asien habe überschwemmen
können, ist aus dem erst angeführten höchst wahrscheinlich. Und wie wahrscheinlich
waren diese Länder die damals noch allein bewohnte, und
vielleicht auch allein noch gekante Erde. Einem ieden Geschichtschreiber
ist das die ganze Erde, wie sie zu seiner Zeit gekant ist. Wer macht dem
Ptolemäus einen Vorwurf daraus, daß in seiner
Erdbeschreibung noch kein Amerika, kein Iapan, noch Grönland ist? Wo solten
denn die ersten Bewohner der Erde die volständige geographische Kentnis
derselben herbekommen haben? Man hat sich nur in die unnöthige Verlegenheit
gesezt, die Fluth auch über die Alpen und Kordilleras zu führen, weil
man zu dieser Zeit die ganze Erde bis unter
den Polen schon bevölkert annimt. Aber die Natur ist so fruchtbar nicht,
als die Federn der Männer sind, die sich mit der Berechnung der Bevölkerung
beschäftigen. Es konte also diese Fluth das ganze menschliche Geschlecht
betreffen, und die ganze menschliche bewohnte
Erde überschwemmen, ohne daß man nöthig hat, eine solche Fluth, die buchstäblich
über die höchsten Gebürge der ganze Erdkugel gegangen wäre, dabei anzunehmen;
und so ist die unerklärlich wundervolle Herbeiführung aller Thiere, und
ihre eben so unerklärliche Zurükbringung in die von der Natur ihnen angewiesenen
Gegenden auch zugleich nicht mehr nöthig. Die Nordsee könte ganz Niederteutschland
überschwemmen, auch noch über den ganzen Harz
gehen, und die Bewohner der Schweiz könten dabei noch ganz sicher sein.
Auch selbst die höchsten Gebürge auf der Erde nicht mit gerechnet, so
sind unter dem, was wir Ebenen und Flächen nennen, viele Gegenden etliche
tausend Fus von dem Mittelpunkte der Erde mehr entfernt und höher als
andre. Das mitlere Siberien, das so vielen hundert Meilen langen Strömen
den Fal giebt, übertrift an Höhe alle asiatische Gebürge; und Basel, das
gegen die Alpen auch noch Fläche ist, liegt beinahe vier tausend Fus höher,
als die holländischen Seestädte. Hier blieb
also allen Arten von Thieren Raum genug zu ihrer Rettung übrig, und Noah
brauche keine andere als dieienigen mitzunehmen die ihm zu seiner Erhaltung
und zur nächsten Bebauung der Erde unentbehrlich waren. ?" Seit.
235. 236. 237. 238.
Ia-03-1779-0310
4)
Ia-03-1779-0311
Von dem Regenbogen
Ia-03-1779-0312
"Hier bricht die
Sonne wieder durch die Wolken, und Noah sieht während seines Opfers den
Regenbogen mit freudigem Entzükken als die Bestätigung an, daß die Natur
von ihrer alten Ordnung und Schönheit nichts verloren
Manuskriptseite
89.
habe. Es ist hier
nur wieder die Sprache der ersten
Welt, die alle ausserordentliche Lufterscheinungen, und vorzüglich den
Regenbogen, da die natürliche Ursache davon noch nicht gekant war, als
eine Bothschaft der Gotheit ansah. Hier heist
er ein Zeichen des Bundes, den Gott gleichsam
mit dem Menschen zu ihrer Versicherung macht, daß die Natur bei allen
ihren Veränderungen, nach den von seiner Weisheit geordneten Gesezzen,
unverändert fortdauren sol. Und hiervon ist er
auch noch, so oft er uns erscheint, für uns die Versicherung,
die dadurch, daß wir die natürliche Ursache davon izt erkennen, noch mehr
bestätigt als geschwächt wird. ?" Seit. 244.
Ia-03-1779-0313
5) Wie man sich
Gott sonst vorstelte.
Ia-03-1779-0314
"Es wird gleich
hinzugesezt, daß die Vorsehung die Ausführung dieses Vorhabens nicht genehmigt,
und die Beschreibung davon ist völlig wieder eben die Sprache, als ich
bei der Sündfluth bemerkt habe. Dem Wesentlichen
nach, wiederum noch der richtige paradiesische Grundbegrif von Gott, aber
dem Ausdruk nach, iener Kindheit der Vernunft und ihrer Sprache auch wieder
völlig gemäs, noch ohne eigentlichen Begrif von Alwissenheit, Algegenwart
oder Vorhersehung; der Himmel ist, wegen seines
wolthätigen Einflusses auf die Erde, auch der eigentliche Siz Gottes;
von diesem sieht er herab auf die Handlungen der Menschen, und steigt
von demselben herunter, um die Veränderungen, die er beschlossen hat,
zu bewirken; dabei denkt er sich der rohe Mensch
alle diese götlichen Rathschlüsse als Überlegungen, und kleidet sie in
Selbstgespräche ein.
Abermals der ächteste Beweis von dem ursprünglichen Alter dieser Nachricht.
In dem vorgenommenen Baue des Thurmes selbst, war zwar
nichts was der Gottheit hätte misfallen können; dies dachten sich die
Menschen nur, die die Volführung desselben vereitelt sahen. ?" Seit.
253. 254.
Ia-03-1779-0315
6) Von der Verwirrung
der Sprachen.
Ia-03-1779-0316
"In der Redensart
selbst, Gott habe ihre Sprache verwirret, ist vor erst nichts, was uns
nöthigt, ein solches Wunder anzunehmen, und die Erklärung bleibt, wenn
man sie von einer Uneinigkeit annimt, eben so buchstäblich und natürlich.
Mache ihre Zungen (oder ihre Sprache) uneins, betet David,
Ps. 55, 10. wenn er Gott anruft, daß er die
bösen Anschläge seiner Feinde durch ihre Uneinigkeit zunichte machen wolle;
und es ist vielleicht keine Sprache in der Welt, worin die Einigkeit und
Uneinigkeit der Gesinnungen nicht auf eben die Art, durch einstimmig sein,
sich einander verstehen, aus einem Munde reden, ausgedrükt würde. Auch
dies, daß diese Verwirrung Gott unmittelbar zugeschrieben wird, bestätigt
dieses Wunder nicht. Dies ist die natürliche Sprache
Manuskriptseite
90.
eines Buchs, das
vornehmlich die grosse Wahrheit lehrt, daß alle Begebenheiten und Veränderungen
in der Welt unter der Regierung dieses höchsten Wesens stehen, und daß
sie alle seinen weisen Absichten gemäs erfolgen müssen. Dann aber ist
das hierbei angenommene Wunder so unerklärlich,
daß man, nach meiner Einsicht, sich dasselbe gar nicht denken kan. Die
Verwirrung in der Sprache sol so gros geworden sein, daß es
deswegen den Menschen nicht mehr möglich gewesen, den Bau fortzusezzen,
und wenn sie zugleich der Grund von der Verschiedenheit der Sprachen,
die jezt in der Welt sind, sein sol, so mus
sie gleich aufeinmal so gros gewesen sein, als nur iezt eine afrikanische
oder amerikanische Sprache von einer europäischen unterschieden ist. Dies
sezt eine gänzliche Auslöschung des Gedächtnisses
voraus; einen völlig thierischen Zustand, der ohne einen gänzlichen Verlust
der Vernunft sich gar nicht denken läst, und wobei alle geselschaftliche,
selbst alle häusliche Verbindung hätte aufhören müssen. Das Kind hätte
seinen Vater so wenig mehr gekant, als es sich des Namens wäre bewust
geblieben. Wil man sagen, daß ein ieder, stat der ausgelöschten Worte,
gleich so viele neue wieder bekommen; so ist dies ein neues auch wieder
eben so unerklärliches Wunder, das eben so mannigfaltig ist als nur Menschen
waren, ohne daß noch die Vorsehung von der Erreichung ihres Endzweks dadurch
wäre versichert gewesen. Denn wie leicht war, über so wenig Worte, die
zur Fortsezzung eines so simpeln Baues erfordert wurden
wurden, sich wieder zu vergleichen! Wie viel sicherer erfülte die blosse
Uneinigkeit den ganzen Endzwek, da die Absicht des Baues an sich schon
so beschaffen war, daß derselbe, so bald nur
die Frage entstand, welche Familie hat
bei entstehender grösserer Vermehrung das nächste Recht daran behalten
solte, diese Trennung veranlassen muste. Zur
Erklärung der vielen Sprachen, die iezt in der Welt sind, ist dies Wunder
eben so wenig nöthig, als es nöthig ist, um die verschiednen Gesichtszüge
der Nationen und die Abänderung der weisen und schwarzen Farbe aus der
bräunlichen Mittelfarbe dieser Gegend, oder
die iezzige Unähnlichkeit unserer Buchstaben mit den alten phönizischen
zu erklären. Die eine Abänderung ist so völlig
so natürlich, als die andere. So bald durch die Uneinigkeit das gemeinschaftliche
Band aufhörte, und die Familien sich trenten, so nahm eine iede zwar ihre
Muttersprache mit; aber da diese nothwendig noch sehr sinlich und arm
sein muste, und höchstens aus einigen hundert Stamwörtern bestehen konte,
eine iede also, so wie ihr neue Obiekte
Manuskriptseite
91.
vorkamen, und ihre
Begriffe sich vermehrten, sich zu deren Bezeichnung auch neue Worte wählte,
so musten nicht allein alle diese Worte den Grund zu einer besondern Sprache
legen; sondern da die Grammatik einer Sprache die lezte Stufe ihrer Volkommenheit
ist, welche die Vernunft nicht eher bearbeitet, als bis sie selbst zu
einiger Kultur gekommen; so ist es eben so natürlich, daß die verschiednen
Zweige einer und derselben ursprünglichen Sprache auch hierin nach und
nach eine verschiedne Struktur bekommen haben. Dann aber musten auch die
mitgenommenen ursprünglichen Stamwörter sich
in einer Kolonie nach und nach so abändern, daß ihre Aussprache und
Bedeutung von der Mundart der übrigen immer mehr abwich. Wer mit
diesen Veränderungen einigermassen bekant ist, der wird es nicht erwarten,
daß ich es hier weitläuftig ausführe, wie dergleichen ursprüngliche Stamwörter
sich zum Theil aus einer Sprache ganz verlieren, oder nach und nach eine
ganz andere Bedeutung bekommen, theils aber auch durch die beständigen
Veränderungen der Buchstaben von einerlei Organen,
und durch die Veränderungen, die das Klima, die rauhere oder gesittetere
Lebensart, die mindere oder mehrere Lebhaftigkeit
und Feinheit der Empfindungen darin verursachen, in einigen hundert
Iahren so unkentlich werden können, daß kaum noch ein Geübter die ursprüngliche
Abstammung davon entdekken kan. Wie viele Veränderungen hat unsere Sprache
in ihren nächst verwandten Dialekten nicht gelitten! In den lezten Zeiten
der römischen Republik waren die lateinischen Verse aus den Zeiten der
Könige selbst den Priestern räthselhaft; und welcher Deutsche kent in
Ottfrieds Evangelium seine Sprache noch? ? ?
?" Seit. 264. 265. 266. 267.
Ia-03-1779-0317
"Dies bestätigt,
wenn man Babel als den Standpunkt annimt, von welchem alle diese Völkerschaften
ausgegangen sind, die Geographie der Sprachen
über dem ganzen Erdboden. Denn die Sprachen von allen diesen leztern Völkern,
die am nächsten bei Babel blieben, haben ihren
ursprünglichen Familienkarakter so deutlich behalten, daß sie sichtbarlich
nichts als Töchter einer Mutter sind; die
aber, da ihre Ähnlichkeit iezt noch so kentlich ist, sich vor 4000 Iahren
gewis noch viel ähnlicher gewesen sein müssen.
Ein deutlicher Beweis also, daß die Verwirrung, welche die Unterlassung
des Baues veranlasset, in diesem Unterschiede der Sprachen wohl nicht
bestanden haben könne. Wenigstens würde die Vorsehung, in Absicht auf
ihren Endzwek, weit sicherer gewesen sein, wenn sie diesen Völkern, die
zunächst bei Babel und am Euphrat blieben, dieienigen Sprachen zugetheilt
hätte, die an den äussersten Ende der Welt
Manuskriptseite
92.
geredet werden,
und hergegen dieienigen, welche die gemeinschaftliche
chaldäische Mundart behielten, in iene entfernten
Weltgegenden über dem Imaus und Atlas wären versezt worden. So nothwendig
es aber auch war, ie weiter die Völker von diesem ihren gemeinschaftlichen
Hauptstam sich entfernten, daß die ursprüngliche Ähnlichkeit ihrer Sprachen
sich auch verlohr; so haben doch Zeit, Vermischung und Klima diese Ähnlichkeit
nicht so auslöschen können, daß sich nicht einige Familienzüge erhalten
hätten, woraus die glükliche Scharfsinnigkeit
der Männer, die sich mit diesen Untersuchungen beschäftigen, die Verwandschaft
fast aller, auch der ältesten europäischen Sprachen immer kentlicher macht,
so daß die verschiednen Linien der Züge, die
die Völker westwärts bis über die Pyrenäen, und nordwärts bis nach Finland
hinauf genommen haben, alle von dieser Gegend ausgehen, die uns in diesem
Buche, als der erste Siz des iezzigen menschlichen
Geschlechts, bekant gemacht wird. Da nun von diesen westlichen Zügen,
welche die Sprachen von hieraus genommen haben, die Spuren noch kentlich
sind, solte sich denn unter den östlichen und nordöstlichen nicht noch
eben eine solche Verwandschaft entdekken lassen, wenn wir, wie wir iezt
schon mit Zuversicht hoffen können, mit der alten Sprache der Perser und
der Hindus bekanter würden. Ausser diesem sind nun vielleicht noch unzählige
Sprachen übrig, wohin man alle Sprachen der
wilden afrikanischen und amerikanischen Völker rechnen kan, die auch nicht
die allergeringste Verwandschaft, weder unter einander, noch mit unsern
bekanten Sprachen, zu haben scheinen. Aber da wir die Abstammung, die
Vermischung, und die Züge dieser Völker nicht kennen; da sie ihre Sprache
nicht schreiben; und da bei ihren rauhen ungebildeten Organen und ihrer
wilden Ungeselligkeit die blosse Aussprache zwei ganz nahe verwandte Sprachen
schon ganz unkentlich machen kan; auch eine iede kleine Völkerschaft,
die nicht einerlei Sprache hat, alle Gemeinschaft
mit einander aufhebt: so können viele dieser Sprachen
einen sehr nahen gemeinschaftlichen Ursprung haben,
ob er uns gleich bei dem Mangel aller geschriebenen Denkmaale unerforschlich
ist. Denn da diese Ägypter und Äthiopier auf der östlichen Seite von Afrika,
und die Phönizier auf der ganzen nördlichen und westlichen Küste sich
so sehr verbreitet, solte dies nicht immer ein wahrscheinlicher Grund
auch von dem gemeinschaftlichen Ursprunge der Sprachen iener wilden Völker
sein können? Der Herr von Kondamine glaubte,
daß sich auch der Ursprung der Sprachen der wilden amerikanischen Völkerschaften
Manuskriptseite
93.
noch entdekken liesse.
Diese Völker haben wahrscheinlich mehr als eine Abkunft. Aber da die nordwestliche
Seite dieses Welttheils von dem nordöstlichen
Asien nur durch die schmale Meerenge getrennet ist, und die daselbst gegen
einander überliegenden Völker an Gestalt, Sitten und Lebensart sich wie
eine Nation ähnlich sind, solte sich hier nicht ebenfals eine gemeinschaftliche
Abkunft der Sprachen, und dabei eine Zuglinie
denken lassen, die uns auch von dieser Seite zu ienem ersten Sizze der
Menschheit zurükbrächte. Wenigstens würde es immer wohl schwer zu behaupten
sein, da die Ähnlichkeit der Sprachen in denen Gegenden, welche die Verwirrung
zu allererst hätte betreffen müssen, noch so kentlich ist, daß iene unendliche
Menge der wilden Völkersprachen sämtlich an die äussersten Ende der Welt
hingekommen wäre. ?" Seit. 268. 269. 270. 271.
Ia-03-1779-0318
XIX.
Ia-03-1779-0319
Die
Leiden des iungen Werthers. Zweiter Theil.
Ia-03-1779-0320
Du beweinst, du
liebst ihn, liebe Seele,
Rettest sein Gedächtnis von der Schmach;
Sieh, dir winkt sein Geist aus seiner Höhle:
Sei ein Mann, und folge mir nicht nach. Leipzig in der Weigandschen
Buchhandlung. 1775.
Ia-03-1779-0321
1)
Süsse Schwärmereien.
Ia-03-1779-0322
"Ossian
hat in meinem Herzen den Homer verdrängt. Welch
eine Welt, in die der Herliche mich führt. Zu wandern über die Haide,
umsaust vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln, die
Geister der Väter im dämemrnden Lichte des Monds hinführt. Zu hören vom
Gebürge her, im Gebrülle des Waldstroms, halb verwehtes Ächzen der Geister
aus ihren Höhlen, und die Wehklagen des zu Tode
geiammerten Mädgens, um die vier moosbedekten, grasbewachsnen Steine des
edel gefalnen, ihres Geliebten. Wenn ich ihn
denn finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Haide die
Fusstapfen seiner Väter sucht und ach! ihre Grabsteine findet. Und dann
iammernd nach dem lieben Sterne des Abends hinblikt, der sich ins rollende
Meer verbirgt, und die Zeiten der Vergangenheit in des Helden Seele lebendig
werden, da noch der freundliche Stral den Gefahren
der Tapfern leuchtete, und der Mond ihr bekränztes,
siegrükkehrendes Schiff beschien. Wenn ich so den tiefen Kummer auf seiner
Stirn lese, so den lezten verlassenen Herlichen in aller
Manuskriptseite
94.
Ermattung dem Grabe
zu wanken sehe, wie er immer neue schmerzlich glühende Freuden in der
kraftlosen Gegenwart der Schatten seiner Abgeschiedenen einsaugt, und
nach der kalten Erde dem hohen dem hohen wehenden
Graase niedersieht, und ausruft: Der Wanderer wird kommen, kommen, der
mich kante in meiner Schönheit und fragen: wo ist der Sänger, Fingals
treflicher Sohn? Sein Fustrit geht über mein
Grab hin, und er fragt vergebens nach mir auf der Erde. O Freund! ich
möchte gleich einem edlen Waffenträger das Schwerd ziehen und meinen
Fürsten von der zükkenden Qual des langsam absterbenden Lebens auf einmal
befreien, und dem befreiten Halbgott meine Seele nachsenden. ?" Seit.
151. 152. 153.
Ia-03-1779-0323
2) Empfindungen
zu Nachts bei starken Überschwemmungen.
Ia-03-1779-0324
"Ich hatte noch
Abends gehört, der Flus sei übergetreten und die Bäche al, und von Wahlheim
herunter al mein liebes Thal überschwemt. Nachts nach Eilf rant ich hinaus.
Ein fürchterliches Schauspiel. Vom Fels herunter
die wühlenden Fluthen in dem Mondlichte wirbeln zu sehn, über Äkker und
Wiesen und Hekken und alles, und das weite Thal hinauf und hinab eine
stürmende See im Sausen des Windes! Und wenn denn der Mond wieder hervortrat
und über der schwarzen Wolke ruhte, und vor mir hinaus die Fluth in fürchterlich
herlichen Widerschein rolte und klang, da überfiel mich ein Schauer, und
wieder ein Sehnen! Ach! mit ofnen Armen stand ich gegen den Abgrund, und
athmete hinab! hinab, und verlohr mich in der Wonne, al meine Qualen,
al meine Leiden da hinab zu stürmen, dahin zu
brausen wie die Wellen. Oh! Und den Fus
vom Boden zu heben! Vermochtest du nicht und alle Qualen zu enden! ? Meine
Uhr ist noch nicht ausgelaufen. ? ? ich fühls! ?" Seit.
172. 173.
Ia-03-1779-0325
3) Empfindungen
beim Grab.
Ia-03-1779-0326
"Ich hatte eine
Freundin, die mein Alles war meiner hülflosen
Iugend, sie starb und ich folgte ihrer Leiche, und stand an dem Grabe.
Wie sie den Sarg hinunter liessen und die Seile
schnurrend unter ihm weg und wieder herauf schnelten, dann die erste Schaufel
hinunter schollerte, und die ängstliche Lade einen dumpfen Ton wiedergab,
und dumpfer und immer dumpfer und endlich bedekt war! ? Ich stürzte neben
das Grab hin ? Ergriffen, erschüttert, geängstet, zerrissen mein innerstes,
aber ich wuste nicht wie mir geschah ? wie mir
geschehen wird ? Sterben! Grab! Ich verstehe die Worte nicht! ?" Seit.
210.
Manuskriptseite
95.
Ia-03-1779-0327
XX.
Ia-03-1779-0328
Auserlesene
Gedichte von Anna Louisa Karschin. Berlin,
bei Georg Ludwig Winter. 1764.
Ia-03-1779-0329
1)
Ia-03-1779-0330
Morgengedanken.
"Der Morgen dreht sein heitres Angesichte
Uns lächelnd zu, und wekt mit sanftem Lichte
Die Kreaturen an den Tag hervor!
Der Sperling schwazt; die muntern Hähne krähen
Den Lobgesang, und aller Augen sehen,
Zu Gott, der sie ernährt, empor.
Auch ich bin schwach, und meinem ersten Blikke
Befehl ich, daß er Dank zum Himmel schikke
Für diese Ruh, für diese sanfte Nacht!
Es ist ein Gott, der diese Welt regieret,
Der aus dem Staub mich wunderbar geführet,
Und der mir Freud und Freunde macht!
Mein ruhig Herz und dieser stille Friede
Der um mich herscht, der keinen Tag mich müde
Von der Arbeit, oder von Verdrusse, sieht;
Das sanfte Feuer, das durch die Ader dränget,
Und dies Gefühl, das in mir denkt, und singet,
Das dank ich dem, der mich durch Güte zieht.
Ich heische nicht aus seinen vollen Händen
Ein grösser Glük. Nicht Reichthum sol er senden,
Nicht eitlen Ruhm und was ins Auge fält.
Mein Mittelstand, der Rok, der reinlich kleidet,
Ein gnugsam Brod, genossen unbeneidet,
Dies sei mein Theil und bleib es in der Welt. ?" Seit. 21. 22.
Ia-03-1779-0331
2)
Ia-03-1779-0332
Die menschliche
Seele.
"Du (Seele) denkst in mir, du kanst dich schwingen
Dem unsichtbaren Winde gleich,
In einem Agenblik dahin, wo Engel singen,
Und singst mit ihnen zugleich!
Du übersteigest Mond und Sterne
Fliehst schnel zurük, du schweifst umher
Wie Gottes Bliz, und schwebst in ungemesner
Ferne
Hoch über Hügel und Meer!
Manuskriptseite
96.
Du drengest dich
durch dikke Mauren,
Du achtest feste Schlösser nichts;
Ich fühl es, daß du strebst der Gotheit gleich
zu dauren,
Zu trinken Ströme des Lichts. ?
Bis du zum Seraph wirst erhoben.
O fühle deine Würde ganz,
Unsterbliche! dir gab der, den die Sterne loben
Ein Theil vom himlischen Glanz. ? ?" Seit. 26. 27.
Ia-03-1779-0333
3)
Ia-03-1779-0334
Klagen beim Grab!
?
"Nie wil ich dem Leben fluchen
Selbst mein Kummer sol mir heilig sein.
Oft wil ich den Staub (meines Ehegatten) besuchen,
Und ihm eine stille Thräne weihn.
Der entflogne Schatten
Meines theuren Gatten,
Lächelt dann mit euch auf mich herab,
Und behorcht die frommen Seufzer
Hingestöhnt auf's Grab! ?" Seit. 61.
Ia-03-1779-0335
4)
Ia-03-1779-0336
Der Freund!
"Du Bewohner einer Himmels=Sphäre!
Siehe, meiner Freuden stille Zähre
Fliesset über meine Wangen oft.
Kanst du reden theurer Schatten? sage
Ob dein Herz für meine Lebenstage
Glük und Ehre dazumal gehoft.
Sei mir dreimal mehr mit Licht bekleidet,
Mit der Gottheit Blikken mehr geweiset
Als die andern Seelen um dich her!
Für die Tropfen alle die mir werden
Aus dem Freuden=Becher hier auf Erden,
Tränke dich der Seeligkeiten Meer! ?" Seit. 94.
Manuskriptseite
97.
Ia-03-1779-0337
5)
Ia-03-1779-0338
Vorbitte wegen
eines Nusbaums an Palemon.
"Erheitre nicht des Garten=Hauses Wände,
Und fälle nicht um einer Handbreit Raum,
Durch Eisen und durch zwei gedungne Hände,
Den schattigten Raum.
Selbst der Prophet, der Ninivens Verderben
Hartnäkkig forderte, ganz Menschenfeind,
Hat einst, gerührt von einer Pflanze Sterben,
Den Kürbis beweint.
Und du, ganz Menschenfreund, du wilst die Hiebe
Im hohen Baum? auf dessen Zweigen oft
Ein Vogel singt, der lokkend, seiner Liebe
Befriedigung hoft? ? Seit. 201.
Ia-03-1779-0339
XXI.
Ia-03-1779-0340
Der
goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian, eine wahre
Geschichte. Aus dem Scheschianischen übersezt.
? ? Rex eris ? si recte facies.
Erster Theil. Reutlingen, bei Iohann Georg Fleischhauer.
1774.
Ia-03-1779-0341
1) Die Gesezze des
Psammis an die Kinder der Natur.
Ia-03-1779-0342
"Freude ist der
lezte Wunsch aller empfindenden Wesen; sie ist dem Menschen, was Luft und
Sonnenschein den Pflanzen ist. Durch süsses Lächeln kündigt sie
die erste Entwiklung der Menschheit im Säugling
an, und ihr Abschied ist der Vorbote der Auflösung unsers
Wesens. Liebe und gegenseitiges Wohlwollen sind die reichsten und
lautersten Quellen, Unschuld des Herzens und der Sitten die sanften Ufer,
in welchen sie dahin fliessen. - Diese wohlthätigen Ausflüsse
der Gotheit sind es, was ihr unter den Bildern vorgestelt seht, denen euer
gemeinschaftlicher Tempel heilig ist.
Manuskriptseite
98.
Betrachtet sie als
Sinbilder der Liebe, der Unschuld, der Freude. So oft der Frühling wieder
kömt, so oft Erndte und Herbst angehen und geendigt sind, und an iedem
andern festlichen Tage versammelt euch in dem Myrtenhaine, bestreuet
den Tempel mit Rosen, und kränzet die holden
Bilder mit frischen Blumen; erneuert vor ihnen das unverlezliche Gelübde,
der Natur getreu zu bleiben; umarmet einander unter diesen
Gelübden, und die Iugend beschliesse das Fest;
unter den frohen Augen der Alten, mit Tänzen und Gesang. Die iunge Schäferin,
wenn ihr Herz aus dem langen Traume der Kindheit zu erwachen begint, schleiche
sich einsam in den Myrtenhain, und opfere der Liebe die ersten Seufzer,
die ihren sanften Busen heben; die iunge Mutter
mit dem lächelnden Säugling im Arme, wandle oft hieher, ihn zu den Füssen
der holden Göttinnen in süssen Schlummer zu
singen. ?" Seit. 131. 132.
Ia-03-1779-0343
"Höret mich
Kinder der Natur! ? Niemals möge unter euch das Ungeheuer
gebohren werden, das eine Freude darin findet, andre leiden
zu sehen, oder unfähig ist, sich ihrer Freude zu erfreuen! Nein,
ein so unnatürliches Misgeschöpfe kan nicht zum Vorschein kommen, wo
Unschuld und Liebe sich vereinigen den Geist der Wonne über alles, was
athmet, auszugiessen. Freuet euch, meine Kinder! eures Daseins, eurer
Menschheit; geniesset so viel als möglich ist, ieden Augenblik eures Lebens;
aber vergesset nie, daß ohne Mässigung auch die
natürlichsten Begierden zu Quellen des Schmerzens, und durch Übermaas
die reineste Wollust zu einem Gifte wird, das
den Keim eures künftigen Vergnügens zernaget.
?" Seit. 134. 135.
Ia-03-1779-0344
"Alle andre Werke
der Natur scheinen nur spielende Versuche und Vorübungen, wodurch sie
sich zur Bildung ihres Meisterstüks, des
Menschen, vorbereitet. In ihm scheint sie alles, was sie diesseits
des Himmels vermag, vereinigt, an ihm allein mit Wärme und verliebt
in ihr eignes Werk, gearbeitet zu haben. Aber sie hat es in unsrer Gewalt
gelassen, es zu vollenden oder zu verderben. Warum that
sie das? Ich weis nichts davon; aber
nachdem was sie gethan hat, müssen wir das bestimmen,
was wir zu thun haben. Iede harmonische Bewegung
unsers Körpers, iede sanfte Empfindung der Freude, der Liebe, der zärtlichen
Sympathie verschönert uns; iede alzuheftige
oder unordentliche Bewegung, iede ungestümme Leidenschaft, iede neidische
Manuskriptseite
99.
und unordentliche
Bewegung, iede ungestümme übelthätige Gesinnung verzert unsre Gesichtszüge,
vergiftet unsern Blik und würdiget die unsre
schöne menschliche Gestalt zur sichtbaren Ähnlichkeit mit irgend einer
Art von Vieh herab. So lange Güte des Herzens und Fröhlichkeit die Seele
eurer Bewegungen bleiben, werdet ihr die schönsten unter den Menschenkindern
sein. Das Ohr ist, nach dem Auge, der volkommenste
unsrer Sinnen. Gewöhnt es an kunstlose
aber seelvolle Melodien; aus welchen schöne
Gefühle athmen, die das Herz in sanfte Bebungen sezzen, oder die einschlummernde
Seele in süsse Träume wiegen. Freude Liebe und Unschuld
stimmen den Menschen mit in Harmonie mit sich
selbst, mit allen guten Menschen, mit der ganzen Natur. So lang euch diese
beseelen, wird iede eurer Bewegungen, der gewöhnliche
Ton eurer Stimme, eurer Sprache selbst wird Musik sein. Seit.
139. 140.
Ia-03-1779-0345
"Lernet, meine Kinder,
die leichte Kunst, eure Glükseeligkeit ins Unendliche
zu vermehren; das einzige Geheimnis, sie so nah als möglich der Wonne
der Götter, und wenn es erlaubt wäre so kühn zu denken, der
Wonne des Urhebers der Natur selbst zu nähern. ? Erstrekket euer
Wohlwollen auf die ganze Natur; liebet alles, was ihr algemeinstes Geschenke,
das Dasein, mit euch theilet! Liebet einen ieden, in welchem ihr die ehrwürdigen
Kenzeichen der Menschheit erblikket, solten es auch nur ihre Ruinen sein.
Freuet euch mit iedem der sich freuet; wischet die Thränen der Reue von
den Wangen der bestraften Thorheit, und küsset die
aus den Augen der Unschuld die Thränen des Mitleidens mit sich selbst.
Vervielfachet euer Wesen, indem ihr euch gewöhnet in iedem Menschen das
Bild eurer eignen Natur und in iedem guten Menschen
ein andres Selbst zu lieben. Schmekket so oft ihr könnet das reine götliche
Vergnügen Andre glüklicher zu machen; ? und du, Unglükseeliger, dem von
diesem blossen Gedanken das Herz nicht zu wallen anfängt, fliehe, fliehe
auf ewig aus den Wohnungen der Kinder der Natur. ?" Seit.
142. 143. 144.
Manuskriptseite
100.
Ia-03-1779-0346
XXII.
Ia-03-1779-0347
Der
goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian, eine wahre
Geschichte. Aus dem Scheschianischen übersezt. Zweiter Theil
. Reutlingen, bei Iohann Georg Fleischhauer.
1774.
Ia-03-1779-0348
1) Von Gewohnheiten.
Ia-03-1779-0349
"Die meisten alten
Gewohnheiten sind verderblich, blos weil sie alte
Gewohnheiten sind. Sie mochten zu ihrer Zeit, unter gewissen Umständen
gut oder doch zu rechtfertigen sein; aber diese
Umstände haben aufgehört, und die Gewohnheit, welche dennoch fortdauert,
wird schädlich. Daher ist überhaupt nichts so albern als das gewöhnliche
Geschrei der Dumköpfe über Neuerungen. ? ?" Seit. 67.
68.
Ia-03-1779-0350
2) Vom Nuzzen der
Geschichte.
Ia-03-1779-0351
"Die Geschichte,
mit beobachtenden Augen durchfoscht, und mit philosophischem Blik aus
erhabenen Standpunkten übersehen, ist die Quelle der solidesten und nüzlichsten
Kentnisse für den Bürger, für den Staatsman, und selbst für den blossen
Weltbeschauer. Ein gelassener
und aufgeklärter Geist sieht durch das verworrene Gewebe der menschlichen
Thorheit hindurch
und entdekt in dem Zusammenhang und in der stufenweisen Entwikkelung der
grossen Weltbegebenheiten den festen Plan einer
alles leitenden höhern Weisheit; er ergözt, ermuntert, und bessert sich
bei dem Anblik des immerwährenden Kampfes der Tugend mit dem Laster, der
Vernunft mit den Leidenschaften, der Wahrheit
mit dem Irthum und Betrug, der Wissenschaften mit der Unwissenheit,
des Geschmaks mit der Barbarei, und erkent mit
Anbetung die verborgne Hand des grossen Urhebers der Natur, der aus diesem
ewigen Streit in den Theilen, Ordnung und Harmonie im Ganzen hervorzubringen
weis. Die Geschichte des menschlichen Verstandes,
die Geschichte der Tugend, die Geschichte der Religion,
der Gesezgebung, der
Künste, der Handelschaft,
des Geschmaks, des Luxus
u. s. f. sind eben
so viele fruchtbare Gegenden deralgemeinen
Geschichte, deren besserer Anbau die herlichsten
Vortheile für die spekulativen und praktischen
Wissenschaften verspricht. ?" Seit. 204. 205.
Manuskriptseite
101.
Ia-03-1779-0352
XXIII.
Ia-03-1779-0353
Der
goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian, eine wahre
Geschichte. Aus dem Scheschianischen übersezt.
Dritter Theil. ??? ??????? ???????? ???? ????????? ??? ??????. Hesiodus.
Reutlingen, bei Iohann Georg Fleischhauer. 1774.
Ia-03-1779-0354
1) Von Gott im Verhältnis
gegen die Menschen.
Ia-03-1779-0355
"Iedes Verhältnis
der Gottheit gegen die Menschen beweist bis zum Augenscheine, daß die
Idee des unenedlichen Geistes in dem inwendigen
System unsrer Seele eben das ist und sein sol, was die Sonne in dem grossen
Kreisse der Schöpfung, die uns umgiebt, ist;
? daß sie es sein sol, die unsrer Seele Licht
und Wärme giebt, um iede Tugend, iede Volkommenheit
hervorzubringen, und zur Reife zu bringen. Iener süsse Zug der Sympathie,
der uns geneigt macht, uns mit andern Geschöpfen
zu erfreuen und zu betrüben, ist nun etwas mehr als ein blosser mechanischer
Trieb. Algemeine Güte, zärtliche Theilnehmung an den Schiksaalen der Wesen
unsrer Gattung, sorgfältige Vermeidung alles Zusammenstosses,
wodurch wir ihre Ruhe, ihren Wohlstand verlezzen würden, lebhafte
Bestrebung ihr Bestes zu befördern und mit dem unsrigen zu vereinigen,
? alles dieses in dem Lichte betrachtet, welches die Idee der Gottheit
über uns verbreitet, sind die Gesezze des almächtigen
und wohlthätigen Beherschers aller Welten; Gesezze, von deren Verbindlichkeit
uns nichts loszählen kan. Gesezze , von deren
Befolgung die Erfüllung des ganzen Endzweks unsers Daseins abgeha
abhängt. ? ? ?" Seit. 173. 174. 175.
Manuskriptseite
102.
Ia-03-1779-0356
XXIV.
Ia-03-1779-0357
Der
goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian, eine wahre
Geschichte. Aus dem Scheschianischen übersezt. Mihi quidem
videntur huc omnia esse referenda iis, qui præsunt aliis, ut ii, qui erunt
in eorum imperio, sint quam beatissimi. Cicero
ad Quint. Frat. I.
1-8. Vierter Theil. Reutlingen, bei Iohann Georg Fleischhauer.
1774.
Ia-03-1779-0358
1) Die Rede des
Dschengis an Tifan, da der leztere König wurde.
Ia-03-1779-0359
"Endlich ist er
gekommen, rief Dschengis aus, der glükliche, der
feierliche Tag, der mich für die Arbeit, für die Sorgen so vieler Iahre,
der mich für das Arbeit
grösseste Opfer, welches ein Vater der Liebe zu
seinem Fürsten bringen kan, belohnt! O Tifan, o! du, dessen Leben ich mit
dem Blute meines einzigen Sohnes bezahlen muste,
sieh in meinen halberloschnen Augen diese Thränen
der Freude und der Zärtlichkeit! Ich hab' ihn
erlebt den grossen Tag, um dessentwillen es der Mühe werth ist, gelebt
zu haben! Ich sehe deine Tugend von einem ganzen Volk anerkant, mit unbegrenzten
Vertrauen, mit dem götlichesten Loos, das einem Sterblichen
zufallen kan, mit der uneingeschränkten Macht
Gutes zu thun, bekrönt. O Tifan! Ich höre auf, dein Vater zu sein, um an
Liebe, an Treue der erste deiner Unterthanen zu werden. Ich kenne dein grosses,
dein wohlthätiges Herz! Welche Lehren könte die Weisheit dir geben, die
nicht der Finger der Natur selbst in deine Seele geschrieben hat! Aber,
o! Tifan, geliebtester, bester der Menschen! wie könt' ich vergessen, daß
du mit allen deinen Tugenden, mit allen deinen Vorzügen doch nur ein Mensch,
daß du Schwachheiten
und Bedürfnissen, Irthümern und Leidenschaften, eben so wie der geringste
deiner Unterthanen, ausgesezt bist. Möchtest du uns dies durch die Menge
deiner guten Thaten, durch den unbeflekten Glanz eines der Tugend geheiligten
Lebens vergessen machen! Möchten wir immer in
dir das sichtbare Ebenbild eines weisen und wohlthätigen Gotheit erkennen;
Manuskriptseite
103.
und nur alsdann,
wenn wir an deine Sterblichkeit zu denken gezwungen sind, mit Zittern
fühlen, daß du weniger als eine Gotheit bist. Aber, o! Tifan ? wenn iemals
? Himmel, las meine Augen sich auf ewig am Anbruche des traurigen Tages
schliessen ? wenn iemals, o Tifan, deine Seele ihrer eignen Würde und
ihrer glorreichen Pflichten vergessen, iemals zu einer unedlen Leidenschaft,
oder zu einer ungerechten That herabsinken wolte, o Sohn meines königlichen
Freundes und der meinige, möchte dich dann die Erinnerung an deinen Dschengis,
wie der Arm eines Genius, vom Rande des Abgrundes zurükziehen! Möchte
dir dann ? doch mein Tifan, niemals sol
? ich schwör es dir bei der Tugend, wozu ich dich gebildet habe, niemals
wird die schrekliche Stunde kommen, wo dich das Bild deines Dschengis,
wie er vom Blute seines einzigen Sohnes besprizt, unter der fruchtbaren
Hülle der Nacht, dich auf seinen bebenden Armen tragend, aus Scheschians
Mauren entflieht, wo dies Racherufende Bild vonnöthen wäre, den Vater
seines Volks, den besten der Fürsten zur Tugend zurük zu schrekken. Nein!
bessere Ahndungen, frohe lichtvolle Aussichten stellen sich meiner beruhigten
Seele dar. Mit den Segnungen deines Volks und
mit meinen Freudenthränen bezeichnet, wird ieder
Tag deines königlichen Lebens zum Himmel empor steigen, die guten Thaten,
womit du ihn erfült hast, zu den Füssen des Königs aller Könige niederzulegen.
Ich, ? diese Edlen von Scheschian, die Mitgenossen deines Ruhms und deine
Gehülfen in dem grossen Werke, dein Volk glüklich zu machen, ? dieses
unzälbare Volk, welches sein Wohl
in deine Hände geleget hat, wir alle werden uns seelig preisen, deine
Zeiten erlebt zu haben und ? mit einem belohnenden Blikke auf mein glükliches
Vaterland ? und dich ? werden sich einst die Augen deines alten Dschengis
schliessen. ? ?" Seit. 31. 32.
33. 34. 35.
Manuskriptseite
104.
Ia-03-1779-0360
XXV.
Ia-03-1779-0361
Algemeine
theologische Bibliothek. Eilfter Band. Mietau, bei Iakob
Friedrich Hinz. 1778.
Ia-03-1779-0362
1) Von dem Christenthum
in nächsten Iahrhunderten nach den Aposteln.
Ia-03-1779-0363
"Die Religion Iesu
bekam schon in den nächsten Iahrhunderten Lehrer, die mit Philosophie
und Wiz ausgerüstet, dem Christenthum die Gestalt
eines scharfsinnigen Lehrgebäudes zu geben suchten,
aber nicht ohne Zumischung gekünstelter Einfälle, und in Verbindung mit
einer strengen, neuersonnenen Sittenlehre. Die Lehrer der Religion masten
sich mehr Ansehen an, die Lehre wurde mehr verfälscht,
der Zuwachs der Kirche aber war dennoch unter allen Schwierigkeiten sehr
beträchtlich. In den lezten 70 Iahren ward die christliche auch noch nicht
auf eine sehr merkliche oder schädliche Art
verändert, ob man gleich immer mehr Spizfindigkeiten hineinbrachte, mit
Cärimonien diese geistige Religion überladete, und ihre Lehrer sich immer
mehr zu Gesezgebern aufwurfen. Gegen das Ende dieses Zeitraums aber zeigte
es sich stärker, daß die Christen, wenn sie
ihren Glauben rein und auch wirksam erhalten wolten, sich vor nichts so
sehr als vor den Reizungen eines blühenden und sichern Wohlstandes, vor
der Neigung zu sinlichen Vorstellungen der Religionsbegriffe, und vor
einer ungebundenen Herschaft ihrer Lehrer in
Acht zu nehmen hätten. Der darauf folgende Zeitraum bewies es zum Schaden
der christlichen Religion, und ihrer Anhänger,
wie gros und wachsam diese ihre Besorgnis immer hätte sein sollen! ?"
Seit. 45. 46.
Ia-03-1779-0364
2) Von der Unächtheit
der Apokalypsis.
Ia-03-1779-0365
"Die Apokalypsis
enthält Weissagungen von Begebenheiten in der äussern Menschenwelt,
von Hunger, Pest, Krieg u. s. w. die wenig Zusammenhang mit dem Christenthum
haben, daß also christliche Lehrer ehedem ganz
recht daran gethan, wenn sie dies Historienbuch
von den christlichen Lehrbüchern ausgeschlossen
haben. ? Die Natur dieser Weissagungen ist, wie die der Parabeln,
Manuskriptseite
105.
für Anfänger, für
Kinder im Christenthum, welche nach Zeichen
und Wundern in der sichtbaren Welt fragen. Geübte Christen
brauchen dies A. B. C. x
nicht mehr. Weder Christus noch Paullus
noch Iohannes stimmen mit dem Inhalte dieser
Apokalypse überein. Iene lehren uns selbst
Geist und Leben, und eine ganz gewisse sanfte
Ausbreitung des Reichs Gottes. Hier aber werden arme iüdische Ausdrükke
Gemälde erneuert ? fleischliche Vorstellungen und
geistlose Bilder von äusserlichen Übeln und leiblichen
Freuden." Seit. 70. 71.
Ia-03-1779-0366
3) Von der alten
Geschichte.
Ia-03-1779-0367
"Nach des V. Vorgeben
sol Moses die alte Geschichte (von der Schöpfung
an bis nach der Sündfluth)
ganz unmittelbar aus götlicher Eingebung bekommen haben, ich weis nicht,
warum er der iezt sonst wohl überal angenommenen Meinung nicht beitreten
wil, daß sie aus alten Urkunden oder Volksliedern, die
sich durch Tradition erhielten, geschöpft sei.
?" Seit. 106.
Ia-03-1779-0368
4) Von der Schädlichkeit
der Methode allenthalben in der h. Schrift Bilder zu finden.
Ia-03-1779-0369
"Sie ist schädlich,
weil sie gar keinen Grund hat. - Bei dieser Methode kan man
alles, was man wil, selbst das Abgeschmakteste und Ungereimteste
aus der Bibel herleiten. ? Wenn diese Erklärungsmethode gelten
solte, so lassen sich aus einem ieden andern Werke die Geheimnisse des
Christenthums herleiten. ? Nur wenige Theologen
würden dieser Methode gewachsen sein, weil sie viel
Scharfsin und Urtheilskraft voraussezt, selbst bei den kleinsten Umständen.
- Die Bibel würde nicht nur an und vor sich
schwer zu erklären sein, sondern man müste auch sagen, daß sie bis auf
das 17 Iahrhundert ein dunkles, keinem Menschen
verständliches Buch gewesen sei; denn da hat Kokzeius
zuerst diese Hypothesen mit seinen Schülern erdacht. ? Man wird dabei
zu ewigen Sophistereien, Spizfindigkeiten, zur Sektirerei pp. verführt.
? Ausleger die die h. Schrift nach diesen Regeln
erklären, suchen und finden überal Geheimnisse, haschen Kleinigkeiten,
und versäumen darüber die, gewissern, richtigern Regeln, die der gesunde
Menschen
Manuskriptseite
106.
verstand und der
Sprachgebrauch an die Hand geben. - Es läuft bei den
Liebhabern der allegorischen Methode am Ende doch auf weiter nichts hinaus,
als wie sie die Prizipien ihrer Sekte durch dergleichen
Zitationen und Bildererklärungen bestätigen wollen. Diese Religionsmethode
ist selbst Gott unanständig, weil es mit seiner
allerhöchsten Weisheit nicht bestehen kan, in einem ieden
Buche nicht nur, sondern so gar in einem ieden Abschnitte Geheimnisse
verschlossen zu haben, und zu den Kleinigkeiten sich herabzulassen, die
iene Allegorien=Liebhaber in den Schriften des A.
und N. T. finden wollen. ?" Seit.
148. 149. 150.
Ia-03-1779-0370
"Wahre ächte Frömmigkeit
und Tugend leidet bei dieser Methode ausserordentlich. Daher kömt es,
daß auf Akademien bereits nicht Christenthum,
christliche Religion, sondern Spizfindigkeiten,
scholastische Terminologie, und lächerliche Minuzien in grossen
Hörsaalen vorgetragen und dem Volk empfohlen werden. ?" Seit.
151.
Ia-03-1779-0371
5) Von dem eigentlichen
und uneigentlichen Sin
der h. Schrift.
Ia-03-1779-0372
"Hr. Teller
zeigt aus verschiednen Beispielen, z. B. an dem45. Psalm, den er für
eine blosse Hochzeithymne hält, ? an dem hohen
Liede, ? an der mosaischen
Geschichte Hiobs von
der Schöpfung und dem Fal der Menschen pp. an
der Geschichte Hiobs,
die er für ein dramatisches Gedicht ansieht, -
wie man den eigentlichen und uneigentlichen Sin von einander unterscheiden
könne. ? Man mus sich wirklich wundern, daß
man diese wahre, vernünftige Auslegungsmethode eine geraume Zeit vergraben
und so wenig geltend gemacht hat, da sie doch so ausgenscheinlich viel
zur Hochachtung und Ehrerbietung für die Bibel
beiträgt, iene hingegen dem vernünftigen Man, der zu furchtsam ist, aus
der Karriere seines einmal gelernten Glaubens herauszutreten, ein Stein
des Anstosses, und ein Gegenstand der Betrübnis,
? dem Wizling ein Süjet zum Lachen und Maulaufsperren,
? dem gröbern Freigeist ein Grund zum Hohngelächter und zur Verleumdung
der ehrwürdigsten Dinge von der Welt ist. ?" Seit.
152. 153.
Manuskriptseite
107.
Ia-03-1779-0373
XXVI.
Ia-03-1779-0374
Algemeine
deutsche Bibliothek. Des drei und dreissigsten Bandes zweites
Stük. Berlin und Stettin,
verlegts Friedrich Nikolai. 1778.
Ia-03-1779-0375
1) Von der Inspiration.
Ia-03-1779-0376
"Petrus
und Iudas haben einen
Brief das Christenthum betreffend, an die Christen
geschrieben. Beide Briefe, sagt man, sind von
Gott eingegeben, und deshalb von
götlicher Autorität; aber ihre Verfasser haben die darin enthaltnen Sachen,
der Inspiration des h. Geistes unbeschadet, nach ihren gewöhnlichen
Vorstellungen, nach ihrer natürlichen Denkungsart
und dem Geschmakke ihrer Zeiten geschrieben. Daß
beides in dem seine Gedanken aufschreibenden Apostel, über eine und eben
diesselbe Sache, in einem und eben demselben
Moment, unmöglich zugleich habe geschehen können,
sieht ein ieder. Denn wenn Gott ihm das unmittelbar einhauchte, was er
schrieb, so waren es nicht natürliche, nach dem
Geschmak seiner Zeiten in selbst erfundene,
oder geborgte alte Erzählungen und Fabeln eingekleidete
Gedanken. Und waren sie das leztere, so konte wiederum das erstere nicht
stat finden, nemlich daß sie ihm wären von Gott
übernatürlich eingehaucht worden. Solte also beides mit einander
bestehen, so könte doch nicht beides von dem Ganzen des Briefs gelten,
sondern eines oder das andere müste nur bei
den einzelnen Theilen oder Abschnitten desselben stat
gefunden haben. Einige einzelne Stellen, Lehren oder Ermahnungen des Briefs,
sie möchten nun zu Anfange, oder in der Mitte, oder am Schlus des
apostolischen Briefes stehen, müsten eingegeben, andre
nicht eingegeben, einige natürlich und selbst
gedacht, andre nicht natürlich und nicht selbst
gedacht sein. Nun frage ich also, welche Stelle, welcher Ausspruch des
oder Lehrsaz ist in desPetrus
oder Iudas Briefe ihm
inspirirt, oder welcher ist ihm nicht inspirirt. Aus was für Gründen,
nach was für sichern Kenzeichen, kan ich mit Gewisheit bestimmen, die
Stelle war es, und die
war es nicht; der Saz hat götliche Autorität
für sich, und der hat sie nicht für sich? ?" Seit.
339. 340.
Manuskriptseite
108.
Ia-03-1779-0377
"Solche Erzälungen,
wie der Streit des Erzengels Mihael mit dem
Teufel, sagt man, wenn sie gleich keine wahre Geschichte sind, "führen
doch auf keine Irthümer." Gesezt, möchte ich antworten, es wäre
so, wie doch noch nicht so ganz erwiesen ist,
(weil manche praktische Irthümer unsers gemeinen
Volks doch wohl ziemlich nahe mit der iüdischen Lehre vom Teufel zusammenhängen
möchten,) so führen sie doch auch eben so wenig
auf wichtige, nüzliche Wahrheit. Und wie gehören unerhebliche, unnüzze
Erzälungen in ein Buch, das eine götliche Offenbarung sein sol? Sie sind
ia ganz wider den von einem Apostel selbst angegebenen Zwek einer ?????
???????????. An ihrer Stelle hätte also lieber etwas besseres mögen geschrieben
werden. "Aber wenn sies gleich nicht in unserm Geschmak sind, so waren
sie es doch in dem Geschmakke der damaligen Zeiten, und nach dem hat sich
Gott gerichtet." Dies heist doch wohl, wenn ichs
recht verstehe, so viel: Gott hat den heiligen Schriftstellern frei gelassen,
den algemeinen götlichen Religionslehren, auch besondere in dem Geschmak
der Iuden erdichtete Fabeln und Träume beizumischen, frei gelassen, für
ihr Volk und in dessen Geschmak mancherlei wundersame Dinge zu schreiben,
an denen mehr erleuchtete, aufgeklärtere Menschen der folgenden spätern
Zeiten keinen Geschmak mehr finden könten. Wohl!
alsdenn sage man aber auch nicht, daß alles in der Bibel götliche, unumstösliche
Wahrheit, alles darin für alle Menschen und für alle Zeiten, als nothwendig
zum rechten Glauben und gotseeligen Leben geschrieben
sei; behaupte nicht, daß die Götlichkeit der biblischen Religion auf dem
so sehr verdächtigen und so viel wider sich
habenden kanonischen Ansehen zweier oder dreier Bücher mehr oder weniger
behxux...x
beruhe; gebe sich nicht vergebliche Mühe die götliche Eingebung eines
Briefs vom Petrus oder
Iudas zu vertheidigen,
dessen Hälfte ihren Verfassern so sichtbar von
dem Geiste des fabelhaften Iudenthums eingehaucht
worden. ?" Seit. 341. 342.
Ia-03-1779-0378
"Nach dieser Äusserung
würden denn also nur die eigentlichen Religionslehren
in der Bibel von Gott eingegeben sein; die übrigen
aber nicht. Da entsteht nun aber wieder die
Frage: Welches sind eigentliche Religionslehren, und welches sind denn
keine? Sind es dieienigen allein, welche das
menschliche Geschlecht zur rich
Manuskriptseite
109.
tigen Erkentnis
und thätigen Verehrung des einzigen wahren und unsichtbaren Gottes führen;
aller Herzen mit heiligen Gesinnungen, mit innerlicher Zufriedenheit,
mit Vertrauen und Hoffnung zu ihm erfüllen; mithin ungeheuchelte Frömmigkeit,
wahre Gemüthsruhe, rechtschaffene Tugend, kurz dauerhafte Glükseeligkeit
unter die Menschen zu verbreiten, und sie zum Himmel geschikt zu machen
fähig sind? Oder gehören noch mehrere dazu?
Da so mancherlei Dinge in
der h. Schrift stehen, und einige Leser dieses,
andere ienes zur Religionslehre zu machen geneigt sein möchten: so dürfte
die Beantwortung dieser Fragen wohl nicht anders, als von einer ohne Vorurtheile
anzustellenden, auf Vernunft, Gewissen und Erfahrung gegründeten Untersuchung
über den innerlichen Werth oder Unwerth, über die evidente Nüzlichkeit
oder Unnüzlichkeit, algemeine oder besondere Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit
der in der Bibel enthaltnen Sachen abhängen.
Eine solche Untersuchung würde uns freilich bald auf die sichere Spur
der wahrhaften Götlichkeit oder Nichtgötlichkeit einer Lehre, Vorstellung,
und Erzälung in der Bibel helfen. Was sich denn darin nur immer der erhabenen
Gotheit anständiges, der vernünftigen Natur des Menschen gemässes, ihren
Bedürfnissen abhelfendes, für alle Leser, auf alle Zeiten und unter
allen Völkern zur Lehre, zur Widerlegung schändlicher Irthümer, zur Besserung
und Unterweisung in der Gerechtigkeit, (????
???????????, ???? ???????, ???? ???????????, ???? ???????? ??? ????????????)
nüzliches fände, das würde auf unveränderlich
eine ????? ??????????? sein, ein von Gott herrührender
und zu Gott führender schriftlicher Unterricht frommer Menschen, für Menschen,
die zu allem guten Werk geschikt werden sollen; das würden
wir zu allen Zeiten als Gottes eigenes, Wort
wahres und ewiges Wort ohne Ausnahme zu glauben und zu befolgen haben;
das müste uns zum immerwährenden Danke gegen die Fürsehung Gottes erwekken,
dessen wohlthätiges Werk es lediglich bliebe, daß er die rechtschaffenen
Männer, die er zu Werkzeugen der auszubreitenden Religionswahrheit brauchen
wolte, mit den dazu nöthigen Einsichten, Gaben, Kräften und Trieben ausgerüstet
hätte, ihre für die Menschen so heilsamen Erkenntnisse von götlichen Dingen,
zunächst ihren Zeitverwandten und dan auch der
Nachwelt, in deren Hände ihre Schriften
Manuskriptseite
110.
kommen würden, mitzutheilen;
davon müsten wir dann auch in gleicher Absicht zu immer grössern Beförderung
des Erkentnis Gottes unter den Menschen beständig den pflichtmässigen
Gebrauch machen, der hauptsächlich darin mit bestehen würde, daß man sie
von frühen Iahren an den unmittelbaren Einflus dieser götlichen Lehren
in die Ausbesserung ihres Gemüths und in die Glükseeligkeit ihres Lebens
einsehen lehrte, und ihr Herz dafür einzunehmen bemüht wäre.
Ia-03-1779-0379
Was noch ausser
solchem Worte oder Lehren Gottes in den Büchern der h. Schrift geschrieben
stünde, was weder auf eine nahe noch entfernte Weise zu moralischen Endzwekken
für denkende Menschen genuzt werden könte, aller innerlichen Kenzeichen
eines götlichen Ursprungs ermangelte, und ganz das Gepräge menschlicher
Fabeln und Erdichtungen aus alten iüdischen Büchern, oder sonst woher
hätte, das stünde denn von den fromen Verfassern der Bibel, als für Iuden
oder iüdische Christen, in dem Geschmakke der
damaligen Zeiten geschrieben da; wer einen Werth darauf legte, und es
brauchen könte, braucht, es so gut es ihm beliebte;
aber als nothwendige Glaubensartikel, als wesentliche
Religionslehre, weil es ia die Religion das
?????????? ??? ???? ?? ???????? ??? ??????? selbst nicht betrift, dürfte
es niemanden aufgedrungen werden. ?" Seit. 343. 344.
Ia-03-1779-0380
2) Falsche Vorstellung,
daß Gott selbst in die Welt gekommen ist.
Ia-03-1779-0381
"Gott hat sich durch
seinen Menschgewordenen Sohn, Christum Iesum,
geoffenbaret. Aber die Schrift sagt
nirgends, daß Gott ein klein Kind geworden. Gott sande
seinen Sohn, geboren von einem Weibe,
schreibt Paullus. So patripassianisch
beinahe, wie der V. wil, redeten die Apostel
nicht. ?" Seit. 399. 400.
Ia-03-1779-0382
3) Von Beschneidung,
Opfer und Sabbathsfeier.
Ia-03-1779-0383
"Die Beschneidung
zeigt der V. in ihrem rechten Gesichtspunkte, nicht sowohl als Einweihung
zur Religion, sondern vielmehr als Naturalisation. Man mus indessen nicht
aus der Acht lassen,
daß bei den Iuden beides sehr genau verbunden
war. Staat und Kirche waren in einander verwebt.
Die mosaische Religion solte nicht die Religion anderer Völker werden,
sondern sie war genau für das Eine Volk, für
seine Lage, Gränzen, übrige Umstände berechnet. Aber wer ein Glied dieses
Staats werden wolte,
der muste auch seine
Manuskriptseite
111.
ganze äusserliche
Religion annehmen, weil einmal seine bürgerlichen und kirchlichen Verordnungen
so sehr in einander liefen. ?" Seit.
455.
Ia-03-1779-0384
"Wenn manche Prediger
ein wenig über den politischen Nuzzen den die Opfer hatten, nachdenken,
wenn sie lernen, daß die Opfer ein Mittel waren, auch
den Armen im Volke etliche Fleischmalzeiten zu sichern, die Israeliten
an den Gebrauch des Weins und Öls zu gewöhnen,
um ihnen dadurch ihr Vaterland werth zu machen: so werden sie doch wohl
wenigstens zweifelhaft werden, ob denn auch nothwendig in allen diesen
Dingen neutestamentische Geheimnisse liegen müssen. ?" Seit.
455.
Ia-03-1779-0385
"Eine gleiche Aufmerksamkeit
verdient die Abhandlung des H. Michaelis vom
Sabbath und den Festen, insonderheit für dieienigen Asceten, die noch
immer die christliche Sontagsfeier aus dem dritten
Gebot herleiten. Die Erfahrung lehrt, daß manche,
die ihre Zuhörer in diesem Stükke gern zu Iuden machen wollen, nicht einmal
das mosaische Sabbathsrecht kennen. Hier können sie wenigstens lernen,
daß Gemütharbeit, lesen, schreiben, rechnen,
studiren, welches sie oft den Christen zur Sünde machen, den Iuden
nirgends verboten war, daß Gastmale und andere geselschaftliche Ergözzungen,
wider welche sie so oft eifern, recht eigentlich
der Absicht des Sabbaths gemäs waren, und daß dagegen manche andre Dinge,
die sie sich und andern am Sontage verstatten, z. B. Essen kochen, und
zubereiten, ausfahren, selbst zur Kirche fahren, zu denienigen
Arbeiten für Menschen und Vieh gehören, welche nach dem mosaischen Sabbathsgesezze
untersagt sind. ?" Seit. 255. 256.
Ia-03-1779-0386
4) Von abstrakten
Begriffen.
Ia-03-1779-0387
"Ähnliche Begriffe
erwekken einander, wenn also mehrere besondere Begriffe mit einem gemeinschaftlichen
symbolischen Zeichen versehen werden: so wird
auch dieses Zeichen von iedem der besondern Begriffe wieder erneuert werden;
und umgekehrt wird auch das Zeichen die besondern
Ideen wiederhervorbringen; dies Zeichen dient also stat aller der besondern
Ideen, und wenn nun die Seele etwas von ihnen prädiciren wil: so wird
sie es von dem symbolischen Zeichen prädiciren. ?" Seit.
486.
Manuskriptseite
112.
Ia-03-1779-0388
5)
Von der Belohnung und Bestrafung.
Ia-03-1779-0389
"Der V. (Ierusalem)
betrachtet die künftigen Belohnungen und Strafen nicht als wilkürlich
auferlegt, sondern als natürliche Folgen der Handlungen in diesem Leben.
Gott kan keinen Menschen nach wilkürlichen Gesezzen
unglüklich machen; alles in der ganzen Natur steigt von einer Stufe der
Volkommenheit zur andern, und der Mensch allein solte unvolkomner werden?
um seinen Abscheu an den unvolkomnen moralischen Zustand der
Menschen zu bezeugen, sol Gott die Menschen noch unvolkomner machen? Und
wo sol denn Gott die Grenzen zwischen dem Tugendhaften und Lasterhaften
finden? Die Stufen zwischen der höchsten menschlichen Tugend, höx...x
und dem höchsten menschlichen Laster hängen alle an einander, es giebt
keinen volkommen Tugendhaften, und keinen volkommen
Lasterhaften. Wer sol also belohnt, wer bestraft werden? Der ganz Tugendhafte?
So kan kxix
keiner belohnt: der ganz Lasterhafte? so kan keiner bestraft werden. Aber
es giebt verschiedne Stuffen der Belohnungen
und Strafen! Wohl, aber zwischen einem glüklichen und unglüklichen Zustand
ist ein wesentlicher Unterschied, und dieser ist zwischen den Tugendhaften
und Lasterhaften in Ansehung des Menschen nicht. Der Übergang zu ienem
höhern Grade von Volkommenheit ienem Leben ist folglich nur ein
algemeiner Übergang zu einem höhern Grade von
Volkommenheit, der aber, weil nichts ohne zureichenden Grund geschieht,
sich aus dem Grade von Volkommenheit, den ein ieder in diesem
Leben gehabt, erklären lassen, und nach demselben verschieden sein mus.
?" Seit. 489.
Ia-03-1779-0390
XXVII.
Ia-03-1779-0391
Algemeine
deutsche Bibliothek. Des fünf
und dreissigsten Bandes erstes Stük. Berlin und
Stettin, verlegts Friedrich
Nikolai. 1778.
Ia-03-1779-0392
1) Von den Psalmen
? und ihrer Inspiration.
Ia-03-1779-0393
"Die Dichter selbst
haben ursprünglich ihre Namen den Liedern vorgesezt:
denn dies ist die Gewohnheit morgenländischer
Dichter. Aber die Musik, unter deren Begleitung ein Psalm solte abgesungen
werden, wurde erst alsdenn hinzugefügt, wenn
ein Psalm zu
Manuskriptseite
113.
einem Kirchenlied
bestimt wurde. Natürlicher Weise war hierzu keine Inspiration nöthig.
- Zu drei verschiednen Zeiten wurden die Psalmen gesamlet; David
veranstaltet die erste Samlung, als er die Gottesdienstliche Musik einrichtete;
die zweite ward zu Biskias
Zeit gemacht, und die dritte nach dem babylonischen Exilio von Efras
und Nehemias. - In unsern Ausgaben sind theils
einzelne Psalmen falsch getrent, theils die Verse unrichtig abgetheilt.
Sehr frei, und doch mit einer lobenswerthen Bescheidenheit, urtheilt der
V. von der Inspiration dieser Lieder. Er begreift nicht, daß man Ursache
habe anzunehmen, daß der Geist der Inspiration auf allen
Dichtern ? bei allen Liedern der Psalmen geruht
habe! Zwar heist es von David 1 Sam.XVI. 13. seit seiner
Salbung durch Samuel habe der Geist Gottes auf
ihm geruht. Aber das brauche man nicht auf die Inspiration zu ziehen;
auch vom Saul werde dasselbe nach seiner Salbung
zum König, und zwar mit noch auffallendern Worten 1 Sam.X. 10. gesagt. Aber Niemand lasse deswegen den
Geist der Weissagung auf ihn ruhen. Blos bei den Psalmen habe über den
Dichter die Inspiration gewaltet, welche vom Messias, und der von ihm
zu stiftenden Religion handeln. ? So heillos diese Vorstellungen scheinen;
so wissen wir in der That nicht, was wir gegründetes dagegen einwenden
könten. Denn welcher Dichter des Altherthums rühmte sich nicht des Beistands
einer Gottheit bei seinen Liedern? und konte
David in seinem Exilio vor dem rebellischen
Absalom nicht in die Klagen über
sein Elend ausbrechen, daß er als Exulant und Vater des Rebellen doppelt
fühlen muste, ohne inspirirt zu sein. ? ?" Seit. 80.
81.
Ia-03-1779-0394
"Sind wirklich die
Psalmen auf die Weise inspirirt, wie die gewöhnliche Dogmatik angiebt:
wie wil man die grobe Rachsucht erklären, die in unzähligen Stellen vorkomt!
Der V. nimt keine andre weissagende Psalmen, als die Messianischen
an; und unter sie sezt er nur dieienigen, welche sich nicht ohne Rüksicht
auf den Messias erklären lassen. Ihrer sind nach ihm 5,
nämlich Ps. II. XVI. XXII.
XL. und CX. (vielleicht
möchte noch mancher den 22sten ausstreichen.) ? Darin hat er gewis recht,
daß unter den Psalmen kein einziger vorkomt, der den politischen Zustand
des iüdischen Volks in einer Weissagung enthielte. ?" Seit.
82.
Ia-03-1779-0395
2) Von der Dreieinigkeit.
Ia-03-1779-0396
"Die Schrift offenbart
nichts vom Geheimnis der Dreieinigkeit, sie
Manuskriptseite
114.
weis nichts von
derselben. Von Gott dem Vater, und dem Sohne, den er gesand hat, und dem
h. Geiste, der vom Vater ausgeht, schreibt sie, und ich glaube was sie
von ihnen schreibt, aber das ist nicht die Dreieinigkeit, wie sie von
den Nicänischen Vätern angenommen und durch das Athanasianische
Symbolum festgelegt worden ist. Weder Christus
noch seine Apostel haben ie an eine solche Dreieinigkeit gedacht. ?" Seit.
84.
Ia-03-1779-0397
"Alle vernünftige
Religion beruht auf den ersten Prinzipium von der Einheit Gottes. Aber
eben weil Christus
selbst sie darauf gebauet hat, Ioh.
17, 3. so wird seine ganze Lehre ohne Dreieinigkeit viel lichtvoller,
als mit der Dreieinigkeit, die gerade vielerlei darin dunkel, verwirt
und räthselhaft macht, was sonst so ganz verständlich und klar sein würde.
?" Seit. 87.
Ia-03-1779-0398
3) Wir können ohne
Geheimnisse eben so from leben.
Ia-03-1779-0399
"Es wäre wahrhaftig
ein grosser Beweis für den Glauben an die Mysterien der Kirche, wenn man
ohne diesen Glauben schlechterdings nicht um Christus
Willen seinen Beleidigern von Herzen vergeben könte. Als Iesus
Liebe gegen seine Feinde predigte, und vor Rachgier
warnte, und die Menschen beten lehrte: Unser Vater,
vergieb uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern,
hatten doch, die ihn hörten, weis es Gott, noch
keine Idee von unsern kirchlichen Glaubensgeheimnissen ? und die gepredigte
Tugend, eine der besten und Gott gefälligsten
des Lebens, muste ihnen doch möglich zu üben sein, weil der götliche Lehrer
sie sonst nicht würde verlangt haben. Wenn also ein frommer Arianisch
oder Socinianisch gesinter Christ
H. Münters Erfahrung
seiner Erfahrung entgegen sezte, und eben so gewis
versicherte, daß er aus dem Grunde, weil Iesus
den Sündern und seinen Feinden verziehen hätte,
auch seinem ärgsten Feinde gerne und willig vergeben habe: so würde weiter
nichts daraus folgen, als daß beide aus christlichen Bewegungsgründen
gehandelt hätten; der eine durch die Kraft geglaubter
Geheimnisse, und der eine ohne die Kraft derselben.
? ?" Seit. 88. 89.
Manuskriptseite
115.
Ia-03-1779-0400
XXVIII.
Ia-03-1779-0401
Algemeine
deutsche Bibliothek. Des sechs und dreissigsten Bandes zweites
Stük. Berlin und Stettin,
verlegts Friedrich Nikolai, 1778.
Ia-03-1779-0402
1) Erklärung der
Stelle Ioh. 20, 22.
23. ? die man zum Beweise für die Macht der
Geistlichen gebraucht.
Ia-03-1779-0403
"Dem V. ist nicht
beigefallen, daß die Stelle Ioh.
20, 22. 23., (wie Matth.
16, 19. 18, 18.) einen ganz andern Sin haben könne, und wirklich habe.
Sehr einsichtvolle, und mitunter orthodoxe
Theologen, als Klerikus, Olearius,
Heilmann, Zachariä,
Leß u. a. haben sich von der geweihten
Erklärung derselben entfernt, eine ganz verschiedene angenommen, und mit
den stärksten Gründen diese unterbauet; ? ??????? ??? ?????. nämlich und
????? von der wunderthätigen Macht, Krankheiten
den Menschen abzunehmen, selbst von dem Tode
sie zu befreien, ? ??????? ?. ?????. und ????
von der, Krankheiten, ia den Tod, aufzulegen,
oder zu verhängen, ausgelegt. Bekantlich haben
Seldenus, Lightfoot,
Morinus, I. B. Karyzow,
Ioach. Lange, Zach. Pearce,
u. a. m. eine Auslegung der vorhin angeführten zwo Stellen im Matthäus
vorgetragen, die ebenfals nichts weniger, als ohne Schein ist, ? von der
den Aposteln ertheilten Freiheit zu bestimmen, welche mosaischen Gesezze
für Christen verbindlich
seien oder nicht, sie erklärt. ? Zugegeben aber,
die gangbare Auslegung sei die richtige: so kan
immer gesagt werden, und ist schon mehrere male gesagt worden: Unter den
Aposteln, und den übrigen Lehrern
der christlichenKirche,
ist ein grosser Unterschied. Eph. 4, 11. u.
a. O.; diese können also die Vorrechte und Kräfte
iener nicht auf sich ziehen, auf solche keinen Anspruch machen; werden
iene Stellen auf alle Lehrer ausgedehnt: so mus auch die Mark.
16, 17. 18. von Iesu
seinen Aposteln ertheilte Verheissung für eine
algemeine erklärt; dasienige, was wir 1 Kor.
7, 38. 40. Kor. 11, 6. 10. lehren, algemein
befolgt werden, u. s. f. Der V. schreibt zwar, nachdem er die Worte IesuIoh. 20, 22. 23.
hergesezt hatte: " Auf gleiche Weise konten
also auch die Apostel zu denen sagen, die von
ihnen zum Lehramte waren eingeweihet worden: Gleichwie
uns unser Herr und Meister gesanft hat; so senden wir euch. Welchen
Manuskriptseite
116.
ihr
die Sünden vergebet, denen sollen sie vergeben
sein. pp." Ob die Apostel dieses konten,
(eingestanden nämlich, daß sie selbst diese Macht besessen haben.) ? liesse
sich vielleicht noch fragen. Angenommen aber! Haben
sie es wirklich gethan? Haben
sie die Macht, Sünden zu vergeben, denienigen,
welche von ihnen zum Lehramte waren eingeweiht, wirklich
übertragen? Wo steht im N. T. auch nur
ein Wort zum Beweise der geschehenen Übergebung?
Und die, von den Meisten zur Bestätigung gewisser Dogmen so schnel aufgebotene
Kirchengeschichte, - was lehrt uns diese? Daß
in mehr als der Hälfte der christlichen Iahrhunderte, auch in der abendländischen
Kirche, die Geistlichen nicht für thätige Austheiler
der Vergebung der Sünden sind gehalten worden. Der deutlichen Zeugnisse
eines Ambrosius, Hieronymus,
u. a. nicht zu gedenken, sind die formulae absolvendi
bis in das 13teIahrhundert
deprecatoriæ gewesen, remittat tibi Deus, absolvat
te Deus, absolutionem et remissionem tribuat tibi omnipotens Deus, Deus
te dignetur absolvere, u. dgl. wie unter
andern Dalläus in seinem
bekanten Buche de confessione bewiesen, auch der
Dominikaner Goarus (not.
in Eucholog. p. 676.) bezeugt haben. Wie iene aus den Meinungen
und Gebräuchen des catholicorum Folgerungen ziehen:
so liesse sich auch hier schliessen: Wenn die Apostel die von ihnen bestelten
Lehrer mit der Macht, Sünden zu vergeben, wirklich ausgerüstet hätten,
diese wieder andere u. s. f.: so würde man nicht
so lange der angeführten Formeln, absolvat
te Deus etc. sich bedient, sondern die (in der Mitte des x...x13tenIahrhunderts
ungefehr, aus bekanten Gründen, eingeführte, und bis iezt gewöhnliche)
so genante verba iudicativa, ego te absolvo, remitto tibi, u. dgl. so
fort gebraucht haben u. s. w. ?" Seit. 352. 353. 354.
355.
Ia-03-1779-0404
2) Erklärung der
Stelle 1 Tim. 5,
24. ?
Ia-03-1779-0405
"Paullus
wil im 22 V. des 5 Kap. dieses Schreibens an den Evangelisten
Timotheus, dem ganzen Zusammenhange nach,
(er hatte im 19 V. angefangen, demselben Vorschriften wegen der Ältesten
zu ertheilen) so wie dem Sprachgebrauche gemäs, sagen: bestelle
Niemand (so geradehin, keinen) zu voreilig,
(oder unbedachtsamer Weise.) zum Lehrer oder Ältesten
(?????? ?????? ?????? ????????). Warum? Damit du dich,
wofern ein solcher hernach untauglich,
Manuskriptseite
117.
ia für die Gemeine
schädlich, befunden wurde, durch solche Unbedachtsamkeit
nicht fremder Sünden theilhaftig machest; halte dich
vielmehr von dergleichen Tadel rein. Wenn ich dich aber ermahne,
nicht ohne vorhergegangene sorgsame Prüfung bei ienem Geschäfte zu Werke
zu gehen: so thue ich es deswegen, weil der wahre Gehalt mancher Menschen
nicht so leicht zu erforschen ist; denn (so fährt
der Apostel V. 24 fort) die
Vergebungen Mancher sind zwar so fort ganz offenbar, bereits vorher,
ehe von ihrer Bestellung zu einem Kirchenamte die Frage ist, bekant, so
daß es keiner Untersuchung bedarf, ob sie dazu
untüchtig sind, oder nicht; aber die Sünden Andrer
bleiben eine Zeitlang verborgen, verrathen sich erst
nach einiger Zeit. Eben so sind auch mancher Menschen gute Werke vorher
bekant, fallen so in die Augen, daß du ohne Bedenken sie zu einer
Kirchenstelle wählen und einsezzen kanst; und da, wo
ienes nicht sogleich offenbar ist, kan und wird es doch nicht lange
verborgen bleiben. Verschiebe
du also diese Verrichtung so lange, bis du durch sorgfältige Erforschungen
zureichende Gewisheit von dem Werthe selbiger erhalten hast. So erklären
diese Stelle, - wir wollen nicht den Kastalio,
Benson, Vernet, Polier
pp. nennen, ? Glassius, Schöttgen,
Graf Eynar u. a. Kein Wort von der Macht,
die Sünden wirklich zu vergeben, als einem bei
der Bestellung zum Lehramte zugleich ertheilten Vorrechte. Angenommen
aber mit dem V., Paullus verstehe unter ??????
???. ?????? ???????? das Vergeben der Sünde: so
hilft ihm dieses gleichwohl nichts; es ist vielmehr die ganze Stelle (V.
22. 24.) iener Äusserung gerade entgegen. Offenbar ist, nach dieser Auslegung,
der Sin des Apostels, kein andrer, als folgender: eile nicht, von deiner
Macht, die Sünden wirklich zu vergeben, Gebrauch zu machen, iedem, auf
sein blosses Mundbekentnis hin, die Thore des Himmels sofort aufzuschliessen:
sondern warte, bis du überzeugende Proben von der Aufrichtigkeit ihrer
Busse hast, damit du durch Lossprechung Unwürdiger, nicht Lasterhaftigkeit
beförderst, und so fremder Sünde dich theilhaftig machest
(V. 22.) denn u. s. f.
(V. 24)." Seit. 357. 358. 359.
Ia-03-1779-0406
3) Von der Fürbitte
Iesu.
Ia-03-1779-0407
"Die hohepriesterliche
Fürbitte Iesu, ist, wie noch neuerlich
der seel. Zachariä
bemerkt hat, nicht als ein beständig fortgehendes Gebet
zu denken, (dieses erregte eine Vorstellung von Gott, welche sich mit
seinen übrigen Begriffen gar nicht vereinigen liesse;) sie drükt vielmehr
nichts anders aus: als das beständig fortgehende Verhältnis Christi
gegen die Menschen, daß er die Ursache der Vergebung der
Sünden ist. ?" Seit. 366.
Manuskriptseite
118.
Ia-03-1779-0408
4) Vom Geheimvollen
des LeidensIesu.
Ia-03-1779-0409
"Von manchem Geheimnisvollen,
so sich in den Leiden unsers Erlösers finden
sol, weis nun freilich das N. T. nichts. Die
h. Geschichtschreiber geben in ihren simpeln Erzählungen auch keine Spur
davon an. Aber alte und neue Kirchenlehrer haben es darin entdekken wollen.
Und als man erst ein, zwei, drei Geheimnisse in dem und dem Umstande aufgefunden
hatte, fand man auch das vierte, fünfte u. s. w. Nun nahm man endlich
die darin liegen sollenden Geheimnisse in den
kirchlichen Lehrbegrif auf, und so wurden sie bis auf uns fortgepflanzt,
daß man wenig Passionsbetrachtungen höret und lieset, in denen nicht ein
grosser Werth darauf gelegt würde. Uns dünkt, man kan den Deisten immer
zugeben, und mus es zugeben, daß es mit der Verfolgung und Hinrichtung
des unschuldigen Iesu von Seiten des iüdischen
Volks ganz natürlich zugegangen sei, ohne daß sie damit das allergeringste
wider seine götliche Sendung und Lehre gewönnen. Es ist hier nur nicht
der Ort solches zu beweisen. Die Menschen bleiben sich immer gleich. Welt
ist Welt. Viele Christendenken
gerade so, wie die Iuden dachten. Der sitliche Zustand des Volks, unter
welchem derChristus
Gottes mit seiner Lehre auftrat, war von der Beschaffenheit, daß es ein
Wunder hätte sein müssen, wenn er mit dem Leben davon gekommen wäre. Man
sezze den Fal, Iesus erschiene jezt in der Welt,
griffe christliche Priester und Laien in ihren
Irthümern, Vorurtheilen und Lastern so freimüthig an, wie er die Oberpriester
seiner Nation angrif, sagte denen dies und das, so sie nicht leiden können,
widerspräche über diesen und ienen Punkt ihrer Orthodoxie, wie er der
iüdischen widersprach ? was meinen wir? würde er wohl unverkezzert und
unverfolgt durchkommen? Sicherlich dürfte es an allen Orten, wo Christen
sind, nicht an Leuten fehlen, die ihn für den schreklichsten Irlehrer
und Verführer des Volks erklärten, welcher die Menschen von der wahren
Religion, von dem Gesezze Mosis und der Propheten, und der heiligen Kirchenväter
abführte, und im blinden Eifer das Kreuzige über ihn ausriefen. Die götliche
Vorsehung lies die vorhergesehne und mit höchster Weisheit beschlossene
Hinrichtung Iesu Christi zu, wie sie viel Böses
zuläst, und beförderte dadurch die Glükseeligkeit aller derienigen, welche
sich durch den Glauben an sein götliches Evangelium von Irthum und Sünde
frei machen lassen. Weiter ist in den einzelnen Leidensumständen und Mishandlungen,
die der Erlöser von seinen Feinden hat erdulten müssen, nach der evangelischen
Geschichte an sich nichts Geheimvolles. ?" Seit. 386.
387.
Manuskriptseite
119.
Ia-03-1779-0410
5)
Eine Vorrede.
Ia-03-1779-0411
"Schau
Leser! Hier Freuden und Wonnen! Wonnen für dich und für mich, und für
alle unsre Brüder im Sterbthal! Ich bald nicht mehr Iüngling
Iüngling, schrieb sie ? noch aber als Iüngling vol Leben und Muth; vol
Flamme für Menschengeschlecht, Tugend und Gott.
Da waren ihrer freilich tausendmal tausend; aber mein Auge mocht sie nicht
alle umfassen. Sonnenstral in der Mittagsstunde, starker brennender Sonnenstral,
blendete mich. Ich grif zu ? kans selbst nicht sagen, wo ich hin grif,
und grif nur eine Handvol. Als ich sie hernach betrachtete, siehe, da
sagte mir mein Herz algewaltig: Danks Gott! Danks tausendmal
Gott! Du geniessest viel davon. ? Blik auf mich her, Freund, wenn
du mich kenst, und kenst du mich nicht, so denke dir einen Menschen, der
? mit dem frölichen sich freut, und mit dem Weinenden
weint, blikke mir star ins Auge ? ich wünsche dir sie alle.
Besizze sie! Behalt sie ungestört, unbetrübt! Ich wünsche dir sie alle!
Geniesse sie alle! Besizze, behalt, geniesse ihrer noch tausendmal mehr!
Ha! ists schon im Sterbethale so schön; wie
wirds sein aufs Lebens glorienvoller Höh! ? Mag doch schreiben Menschenelend,
wer wil! ? zerstaucht ihm die Feder!!
? ?" Seit. 615.so
wie dem mans tun solte, der Menschenfreuden
schreibt
Manuskriptseite
120.
Ia-03-1779-0412
Verzeichnis
der neuen Schriften, die in diesem Bande enthalten sind.
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I.
Algemeine deutsche
Bibliothek. Des siebenten Bandes zweites Stük. Seit.
1.
Ia-03-1779-0414
II.
Neues Organon
oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen
Unterscheidung vom Irthum und Schein durch I. H. Lambert.
Erster Band. Seit. 4.
Ia-03-1779-0415
III.
Des Abtes Trublet,
der preuss. Akademie der Wissenschaften Mitglieds, Archidiak. und Korherrn
zu St. Malo, Versuche über verschiedene Gegenstände
der Sittenlehre und Gelehrsamkeit. Aus dem Französischen
übersezt. Erster Theil. Seit. 14.
Manuskriptseite
121.
Ia-03-1779-0416
IV.
Philosophische
Werke des Herrn Diderot. Erster
Theil. Aus dem Französischen. Seit. 17.
Ia-03-1779-0417
V.
Neue Mannigfaltigkeiten.
Eine gemeinnüzzige Wochenschrift. Des ersten Iahrganges drittes Vierteliahr.
Seit. 19.
Ia-03-1779-0418
VI.
Neue Mannigfaltigkeiten.
Eine gemeinnüzzige Wochenschrift. Des ersten Iahrganges viertes Vierteliahr
Seit. 22.
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VII.
Algemeine deutsche
Bibliothek. Des achten Bandes erstes
Stük. Seit. 33.
Ia-03-1779-0420
VIII.
Algemeine deutsche
Bibliothek. Des achten Bandes zweites Stük. Seit.
38.
Manuskriptseite
122.
Ia-03-1779-0421
IX.
Neues Organon
oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren
und dessen Unterscheidung vom Irthum und Schein. Durch I.
H. Lambert. Zweiter Band. Seit. 41.
Ia-03-1779-0422
X.
Die Schönheit
der deutschen Sprache in auserlesenen prosaischen
Stükken aus den besten Schriftstellern der Nation. Zur Bildung der Sitten
und des Geschmaks. Seit. 45.
Ia-03-1779-0423
XI.
Auserlesene
kleinere Gedichte aus den besten deutschen Dichtern zur Bildung iugendlicher
Herzen und des Geschmaks. Seit. 52.
Manuskriptseite
123.
Ia-03-1779-0424
XII.
Das Leben
und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker.
Dritter und lezter Band. Seit. 61.
Ia-03-1779-0425
XIII.
Lehrbuch zur Bildung
des Verstandes und des Geschmaks.
Zum Behufe des öffentlichen Schul= und Privatunterrichts
verfasset von Christian Gottfried
Schüz Prof. der Philosophie auf der Friedrichsuniversität
zu Halle. Erster Band. Seit. 63.
Ia-03-1779-0426
XIV.
Handbuch für Kinder
von reiferem Alter, zur Bildung des Verstandes und Herzens.
Seit. 68.
Manuskriptseite
124.
Ia-03-1779-0427
XV.
Briefe zur Bildung
des Geschmaks an einen iungen Herrn von Stande.
Zweit Erster Theil. Seit. 73.
Ia-03-1779-0428
XVI.
Die Leiden des
iungen Werthers. Erster Theil.
Zweite ächte Auflage. Seit. 79.
Ia-03-1779-0429
XVII.
Briefe zur Bildung
des Geschmaks an einen iungen Herrn von Stande. Dritter
Theil. Seit. 81.
Manuskriptseite
125.
Ia-03-1779-0430
XVIII.
Betrachtungen
über die vornehmsten Wahrheiten der Religion an Se. Durchlaucht den Erbprinzen
von Braunschweig und Lünneburg. Von Ierusalem.
Zweiter Theil. Seit. 84.
Ia-03-1779-0431
XIX.
Die Leiden iugex
des iungen Werthers. Zweiter Theil. Seit. 93.
Ia-03-1779-0432
XX.
Auserlesene Gedichte
von Anna Louisa Karx
Karschin. Seit. 95.
Manuskriptseite
126.
Ia-03-1779-0433
XXI.
Der goldene Spiegel,
oder die Könige von Scheschian, eine
Wwahre Geschichte.
Aus dem Scheschianischen übersezt. Erster Theil
Theil. Seit. 97.
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XXII.
Der goldene Spiegel,
oder die Könige von Scheschian, eine wahre Geschichte. Aus dem
Scheschianischen Über übersezt. Zweiter Theil.
Seit. 100.
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127.
Ia-03-1779-0435
XXIII.
Der goldene Spiegel,
oder die Könige von Scheschian, eine wahre Geschichte. Aus
dem Scheschianischen übersezt. Dritter Theil. Seit. 101.
Ia-03-1779-0436
XXIV.
Der goldene Spiegel,
oder die Könige von Scheschian, eine wahre Geschichte. Aus dem
Scheschianischen übersezt. Dritt Vierter Theil.
Seit. 102.