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Faszikel Ia-02-1778
     
 
Universität Würzburg
Arbeitsstelle Jean Paul

Transkription und digitale Edition von Jean Pauls Exzerptheften

Vorgelegt von: Sabine Straub, Monika Vince und Michael Will
unter Mitarbeit von Christian Ammon, Kai Büch und Barbara Krieger.

Universität Würzburg. Arbeitsstelle Jean-Paul-Edition
Leitung: Helmut Pfotenhauer

 
   
Titelblatt
 
  Exzerpten.  
  Zweiter Band.  
  1778.  
  Verschiedenes,  
  aus den neuesten Schriften.  
  Zweiter Band.  
  Schwarzenbach an der Saal, - - .  
  1778.  
 
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I.
 
 
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Über die Krankheiten der Gelehrten und die leichteste und sicherste Art sie abzuhalten und zu heilen von Johann Gottlieb Akkermann der Arzneigelahrtheit Doktor. Nürnberg, in der Martin Jakob Lauerischen Buchhandlung. 1777.
 
 
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1) Von Ideen.
 
 
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"Durch die Sinne bekömt der Mensch Begriffe in seine Seele, die leer war, da er gebohren wurde. Durch den Anstos des Nervensaftes werden sie der Seele zugeführt, und nehmen ihren Siz in einem der feinern Theile des Gehirns, der wohl derjenige sein mus, durch den die Seele wirkt, nemlich in dem algemeinen Zusammenflus der Sine, welcher der Siz der Seele ist. Die Weltweisen haben scharfsinnig geschlossen, daß dieser Theil aus einer unendlichen Menge von Fasern bestehe, und ausserdem, daß diese Fasern wegen ihrer Feinheit nicht in die Sinne fallen, und daß uns selbst der Vereinigungspunkt der Nerven unbekant ist, läst sich wider diesen Saz nichts erhebliches einwenden. Jede dieser bis ins unendliche vervielfältigten Fasern scheint einem Bild einer Idee bestimmt zu sein, welches, wenn es mit einer gewissen Heftigkeit empfangen worden, einen heftigen Eindruk in die Faser macht, und lange rege bleibt. Nach und nach vertilget die Zeit, und die Ankunft neuer Ideen die alten, die der Seele nicht mehr lebhaft sind und die durch die Einbildungskraft, oder durch ähnliche Begriffe wieder rege, und durch die Aufmerksamkeit der Seele lebhaft gemacht werden müssen. Wenn die Seele denkt, wenn sie aufmerkt, urtheilt, oder die Einbildungskraft anstrengt, so muß sie würken, und zwar immer durch das Gehirn, und besonders durch die zärtern Fasern des algemeinen Sammelplazzes der Sinnen. Ich glaube nicht zu * irren, wenn ich diese Wirkung unserer Seele auf eine Spannung einschränke, die bis zum Grad der Erschütterung bei heftigen Arbeiten des Geistes in die Höhe zu steigen fähig ist. Jede Idee macht diese
 
 
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bald lebhafte, bald minder lebhafte Veränderung in den Hirnfasern, und je stärker sie ist, je anhaltender die Seele denkt, und aufmerkt, je stärker die Eindrükke der Begriffe sind, die der Seele zugeführt werden, desto grössere Folgen müssen nothwendig davon erwartet werden können." Seit. 13. 14.
 
 
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2) Wie unsere Seele und unser Leib aneinander gekettet sind.
 
 
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"Durch die Nerven wird der Geist an den Körper gebunden, und durch diese findet die so wunderbare Gemeinschaft des Geistigen mit dem Körperlichen, des Materiellen mit dem Immateriellen stat. Ihre algemeine Ausbreitung, ihre beständige Würkung, die Empfindung und Bewegung hervor zu bringen ist bekant. Auch dieses weis man, daß sie das Werkzeug der Sinne sind, und daß ohne sie keine Empfindung, und kein Bewustsein neuer Ideen in der Seele stat finden könne. Von der Art kann ich hier nicht reden, wie sie würken. Gut genug, daß wir die Erscheinungen am genugthuendsten erklären können, wenn wir ein flüssiges, höchst feines, halbgeistiges, äusserst bewegliches Wesen annehmen, durch welches die Seele den Körper beherscht, und von dem Körper Befehle annimt, und dieses Wesen ist in den Nerven enthalten. Blos durch ein so beschaffenes Mittelding können wir die unbeschreiblich kurze Zeit, die zwischen der Empfindung und dem Bewustsein der Seele stat findet, und die so plözliche Würkung der Seele auf den Körper erklären. – " Seit. 18.
 
 
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3) Die Übung eines Sinnes macht ihn stark. –
 
 
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"Unser Gesicht wird feiner wenn wir unsre Augen üben, und an den andern Sinnen fühlen wir diese Feinheit nicht, die, weil sie weniger geübt, auch weniger scharf werden. Ist aber der eine Sin ganz vertilget; so erlangen sehr oft die andern eine bewundernswürdige Stärke, und es scheint, als wenn die Natur den Menschen den Verlust des einen Theils, durch eine grössere Schärfe des andern hätte vergüten wollen. Es hat Blinde gegeben,
 
 
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die die Farben und die feinsten Goldmünzen durch das blosse Gefühl richtig zu unterscheiden wusten, und es ist bekant, daß man dem, den die Natur mit einem feinen Gehör versehen, insgemein kein so gutes Gefühl zuschreibt. Kein Werkzeug der Sinne braucht der Gelehrte stärker und anhaltender, als die Augen, und ihre Kraft ist meistens durchdringender, als bei andern, die sie weniger nuzzen. – " Seite 50.
 
 
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4) Das entzückende Vergnügen des Morgens! –
 
 
  Ia-02-1778-0010
"Daher sind wir des Morgens am geschiktesten zu studieren, deswegen ist das alte Sprüchwort von dem algemein erquikkenden Einflus der Morgenröthe noch jezt wahr; deswegen erquikt uns die aufgehende Sonne, das schönste Schauspiel der Natur so unendlich sehr, und erfült unsere Sinne mit unaussprechlich grosser Wollust; deswegen ist jedes Thier des Morgens vergnügt, ausschweifend lustig, neu belebt, froh, und zeigt seine ausgelassene Freude auf jede Art, die in seinem Vermögen steht. Diese algemeine Erquikkung des Körpers, und dieser grosse Zuwachs der Kräfte unserer Seele macht, daß kein Unglüklicher ganz unglüklich ist, und daß jeder Mensch, auch unter den ungünstigsten Umständen seines Schiksals des Morgends wenigstens etwas von dem empfindet, was das vorzüglichste des menschlichen Lebens ist, von der unbegränzten Fröhlichkeit des Gemüths. Klaudius sagt, wenn ich des Morgens durch Städte gehe, oder durch Dörfer wandere, und jedes Geschöpf von Freude erfült sehe, wenn die Schaar von Arbeitern auf dem Feld einstimmig und aus vollem Herzen muthig singt, Wach auf mein Herz, und singe dem Schöpfer, und der Landman unbesorgt vor dem Unglük, welches ihn den Tag hindurch erwartet, froh an seine Arbeit geht, und seinem Gott dankt, so empfind‘ ich etwas unaussprechlich vergnügendes in meiner Seele, und mus mitsingen. – Mit dem innigsten Vergnügen meiner Seele hab‘ ich oft das nemliche gesehen, und diese Scene des wieder thätig werdenden menschlichen Lebens ist so fürtreflich, daß man ihr gewis nie sat wird. –" Seite 126. 127.
 
 
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II.
 
 
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Franz Hutchesons, der Rechte Doktors und der Weltweisheit Professors zu Glasgow, Untersuchung unserer Begriffe von Schönheit und Tugend in zwo Abhandlungen. I. Von Schönheit, Ordnung, Übereinstimmung und Absicht. II. Von dem moralischen Guten und Übel. Aus dem Englischen übersetzt. Frankfurt und Leipzig , in der Fleischerischen Buchhandlung, 1762.
 
 
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1.) Was Empfindung genennet wird. -
 
 
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"Diejenigen Ideen, die in der Seele durch die Gegenwart äusserlicher Gegenstände und ihre Wirkung auf unsern Körper hervorgebracht werden, heissen Empfindungen. Wir finden, daß die Seele in solchen Fällen sich leidend verhält, und nicht die Kraft hat, die Vorstellung gerade zu zu verhüten; oder sie bei ihrer Empfängnis zu verändern, so lange wir Körper behalten, die durch äusserliche Gegenstände gerühret werden können. – " Seit. 3. 4.
 
 
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2) Die Verschiedenheit der Sinne.
 
 
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"Wenn zwei Vorstellungen gänzlich von einander unterschieden sind, oder in nichts weiter als in der gemeinen Idee der Empfindung übereinstimmen, so nennen wir die Kräfte, diese verschiednen Vorstellungen zu empfinden, verschiedene Sinne. So bedeutet Sehen und Hören die verschiedenen Kräfte, die Ideen von Farben und Tönen zu empfinden. Und ob gleich die Farben, so wie die Töne, unter einander sehr verschieden sind, so ist doch eine grössere Übereinstimmung
 
 
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unter den widerwärtigsten Farben, denn zwischen einer Farbe und einem Ton . Daher nennen wir alle Farben Vorstellungen eines und eben desselben Sinnes. Alle die verschiedenen Sinne scheinen ihre besondre Werkzeuge zu haben, ausser das Fühlen, das in gewissem Grade über den ganzen Körper verbreitet ist." Seite 4.
 
 
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3.) Wie die Seele wirket.
 
 
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"Die Seele hat eine Kraft, Ideen, die sie von einander abgesondert empfangen hat, zusammen zu sezzen, Gegenstände durch Hülfe andrer Ideen zu vergleichen, und ihre Beziehungen und Verhältnisse zu beobachten, ihre Ideen nach Belieben, oder bis auf einen gewissen Grad Grad zu erweitern und zu verringern, und jede von den einfachen Ideen, die in der Empfindung mit einander verbunden waren, besonders zu betrachten. Dieses leztere Verfahren nennen wir gemeiniglich die Abstraktion oder Absonderung der Begriffe." Seite 4. 5.
 
 
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4) Die Begriffe von körperlichen Substanzen.
 
 
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"Die Begriffe von körperlichen Substanzen sind aus den verschiedenen einfachen Begriffen, die zusammen genommen auf die Seele, da sie sich unsren Sinnen vorstelten, gewirket haben, zusammen gesezt. Denn wir erklären die Substanz einzig und allein dadurch, daß wir diese sinlichen Ideen herrechnen. Und solche Erklärungen können in der Seele desjenigen, der niemals die Substanz unmittelbar empfunden hat, einen satsam klaren Begrif von ihr hervorbringen; wenn er nur durch seine Sinnen alle die einfachen Ideen besonders empfangen hat, die in der Zusammensezzung derer verbundenen Begriffe von der erklärten Substanz enthalten sind. Wären hier aber einige einfache Begriffe, die er nicht vorher empfangen hat, oder fehlet ihm einer von den Sinnen, die zu ihrer Vorstellung nothwendig sind; so kan auch keine Bestimmung einen einfachen
 
 
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Begrif hervorbringen, der nicht vorher durch die Sinnen ist vorstellig gemacht worden." Seit. 5.
 
 
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5) Vergnügen und Schmerz.
 
 
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"Von unsern sinlichen Vorstellungen sind viele unmittelbar angenehm, und viele unangenehm, und zwar ohne daß wir eine Ursache dieses Vergnügens oder Schmerzes erkennen, ohne daß wir wissen, wie die Gegenstände es erregen, oder die Veranlassung dazu ist sind, ohne daß wir den künftigen Nuzzen oder Schaden sehen, wozu der Genus dieses Gegenstandes könte abzielen. Ja auch die volständigste Erkentnis dieser Dinge würden weder das Vergnügen noch den Schmerz der Vorstellung verändern, ob sie gleich ein vernünftiges Vergnügen verschaffen könnte, das von dem sinlichen verschieden ist, oder eine deutliche Freude aus dem Vorhersehen eines Vortheils bei dem Gegenstande, oder einen Abscheu aus der Besorgung eines Übels zu erregen im Stande wäre." Seit. 6.
 
 
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6) Das Gefühl von Schönheit ist von dem Vorhersehen eines Vortheils verschieden, und geht vor diesem vorher.
 
 
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"Hieraus folget klar; daß manche Gegenstände unmittelbarer Weise die Veranlassung zu diesem Vergnügen an der Schönheit sind, daß wir Sinnen haben, die geschikt sind, dieses Vergnügen zu empfinden, und daß es sich von derjenigen Freude unterscheidet, die aus dem Vorhersehen eines Vortheils entspringet. Sehen wir nicht, daß oft Nuzzen und Schiklichkeit vernachlässiget wird, um die Schönheit zu erhalten, ohne ein anderes Vorhersehen eines Vortheils bei der schönen Gestalt des Dinges, als desjenigen, der aus der Hervorbringung der angenehmen Ideen von Schönheit entstehet? Dieses zeiget uns nun, daß, ob wir gleich aus Eigenliebe schöne Gegenstände verlangen können, in der Absicht, die Vergnügungen der Schönheit in der Baukunst, Gartenwesen und andern Dingen zu enthalten, doch im Gefühl der Schönheit vor dem Vorhersehen dieses Vortheils mus vorgegangen sein, ohne welches Gefühl diese Gegenstände uns nicht so vortheilhaft sein, noch das Vergnügen in uns erwekken würden, das sie nun so vortheilhaft
 
 
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machet. Unser Gefühl der Schönheit, durch die sie uns so vortheilhaft und gut bestimmet werden, ist sehr von dem Verlangen nach demselben verschieden, das alsdenn entstehet, wenn sie für uns auf diese Weise bestimmet sind. Das Verlangen nach der Schönheit kann durch Belohnungen oder Drohungen unterdrükt werden, aber niemals das Gefühl derselben. Die Furcht des Todes kan machen, daß wir nach einem bittern Tranke verlangen, und diejenigen Speisen verlassen, die uns das Gefühl des Geschmaks als angenehm empfehlen würde: aber nie wird sie im Stande sein zu verursachen, daß dieser Trank den Sinnen angenehm, oder die Speise unangenehm sei, die es vorhero ohne diese Absicht nicht waren. Eben dieses ist von dem Gefühl der Schönheit und Übereinstimmung wahr: denn daß wir öfters dergleichen Gegenstände nicht lieben, entweder aus dem Vorhersehen eines Nuzzens, aus Verabscheuung der Arbeit, oder einem andern Bewegungsgrunde des Eigennuzzes, dieses beweiset nicht, daß wir kein Gefühl der Schönheit haben; sondern daß das Verlangen nach derselben durch ein stärkeres Verlangen unterdrükt wird. – Hätten wir dieses Gefühl der Schönheit nicht, so würden Häuser, Gärten, Kleidung, Hausrath, u. d. g. als schiklich, nüzlich, warm, und bequem: allein niemals als schön sich uns empfehlen: und doch ist nichts gewisser, als daß alle diese Gegenstände bei vielen Gelegenheiten sich uns aus gänzlich verschiednen Absichten empfehlen. Was uns in einer Gesichtsbildung hauptsächlich gefält, dies sind die Anzeigen von moralischen Fähigkeiten. Allein wären wir auch durch die längste Erfahrung volkommen von den besten moralischen Fähigkeiten einer Person überzeuget, deren Gesichtsbildung wir für häslich halten, so würde dieses doch nicht verhindern, daß uns ihre Gestalt nicht solte unmittelbarer Weise misfallen, oder daß uns andre Gestalten nicht sollten besser gefallen. Gewohnheit, Erziehung oder Beispiele werden niemals solche Empfindungen in uns hervor bringen, die von denjenigen verschieden wären, die uns die Sinne vorhin verschaffeten, oder uns Gegenstände unter einem andern Begriffe, als daß sie den Sinnen angenehm seien, empfehlen. – " Seit. 15. 16. 17. Von
 
 
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7) Was Schönheit ist.
 
 
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"Aber bei allen diesen Beispielen von der Schönheit müssen wir noch anmerken, daß das Vergnügen auch denjenigen mitgetheilet ist, die niemals über diese algemeine Grundursache nachgedacht haben; und daß alles, was wir bishero angeführet haben, allein darinnen besteht, daß die angenehme Empfindung einzig und allein aus denen Gegenständen entspringet, in welchen Einförmigkeit mit Mannigfaltigkeit verbunden ist. Denn wir können die Empfindung haben, ohne zu wissen, was die Ursache davon ist; wie der Geschmak eines Menschen die Ideen von süsse, sauer, bitter erzeugen kan, ob er gleich von den Gestalten der kleinen Körperchen oder ihren Bewegungen nichts weis, die diese Vorstellungen in ihm hervorgebracht haben. –" Seit. 32.
 
 
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8) Innerliches Gefühl ist nicht eine unmittelbare Quelle des Schmerzens.
 
 
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"Wir erinnerten oben, daß alle Schönheit eine Beziehung auf eine empfindende Kraft hat; und weil wir nicht wissen, wie gros die Mannigfaltigkeit des Gefühls unter den Thieren ist, so ist keine Gestalt in der Natur, von der wir insbesondere sagen könten, daß sie keine Schönheit hätte, denn es kann noch eine empfindende Kraft geben, der sie gefält. Allein unsre Untersuchung ist blos auf die Menschen eingeschränkt; und ehe wir die Algemeinheit des Gefühls der Schönheit oder ihre übereinstimmende Liebe zur Einförmigkeit beweisen; so wird es nöthig sein zu betrachten: "ob dieses Gefühl der Schönheit, so wie andre Sinne, uns Vergnügen und Schmerzen verursache, und uns einige Gegenstände unangenehm mache, und Veranlassung zum Schmerz gebe." – Daß viele Gegenstände unserm Gefühl nicht angenehm sind, dies ist bekant, denn viele haben gewislich gar keine Schönheit: aber als denn giebt es keine Gestalt, welche an und für sich nothwendiger Weise unangenehm scheinet, wenn wir kein andres Übel von ihr befürchten, und sie mit nichts besserm von der Art vergleichen. Viele Gegenstände sind von Natur unsern äusserlichen Sinnen unangenehm, und andre
 
 
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angenehm; so wie viele Arten von Gefühl, Geruch oder viele einzelne Töne. Allein bei unserm Gefühl des Schönen scheint eine Zusammensezzung von Gegenständen, die keine unangenehme einfache Idee geben, nicht an und vor sich unangenehm und verdrüslich, wenn wir niemals etwas bessers von der Art wahrgenommen hätten. Häslichkeit ist blos eine Abwesenheit, oder ein Mangel der Schönheit, die wir bei einer Gattung erwartet hatten. Daher gefält Bauern nur schlechte Musik, die niemals eine bessere gehöret haben, und das feinste Ohr wird durch das Getön von Instrumenten, wenn es nicht dabei ekelhaft ist, nicht beleidiget, wo es keine Harmonie erwartet hatte; und doch wird ein weit geringerer Übelklang es unter der Aufführung einer Musik beleidigen, wo Harmonie erwartet wurde. Ein roher Haufen von Steinen wird denjenigen nicht beleidigen, der einen Misfallen an Unregelmässigkeit in der Baukunst findet, wo Schönheit zu erwarten war. Und hätte es eine Gattung von derjenigen Gestalt gegeben, die wir nunmehr häslich nennen, und hätten wir nie eine grössere Schönheit gesehen oder erwartet, so würden wir keinen Misfallen an ihr gefunden haben, obgleich das Vergnügen bei dieser Gestalt nicht so gros gewesen sein würde, als bei denjenigen, die wir nunmehro bewundern. Unser Gefühl der Schönheit scheint die Absicht zu haben, uns ein eigentliches Vergnügen, aber kein eigentliches Misvergnügen zu verursachen, ausser dasjenige, das aus einem Betruge oder einer fehlgeschlagenen Hofnung entstehet. –" Seit. 75. 76. 77.
 
 
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9) Wohlgefallen und Misfallen entsteht aus der Vergeselschaftung der Begriffe.
 
 
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"Es giebt in der That viele Gestalten, die bei dem ersten Anblikke scheinen gemacht zu sein, unsern Misfalen zu erregen, aber dies kömt gemeiniglich nicht von einer Häslichkeit her, die an und vor sich selbst eigentlich unangenehm wäre, sondern entweder von dem Mangel einer erwarteten Schönheit, oder vielmehr daher, weil sie verschiedene natürliche Anzeigen von moralischen Übeln Gemüthsbeschaffenheiten bei sich
 
 
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führen, die ein jeder in der Gesichtsbildung, Mienen und Gebärden leicht entdeckken lernet. Daß dies nicht durch eine an und für sich unangenehme Gestalt verursachet wird, erhellet daraus, daß, wenn wir durch eine lange Erfahrung versichert werden, eine sanfte Gemüthsart, Leutseeligkeit und Munterkeit bei einer Person zu finden, ihre Gestalt uns kein Misfallen mehr erwekket, ob gleich der Körper immer eben derselbe bleibt. Da hingegen, wenn uns etwas von Natur unangenehm wäre, und eigentliches Misfallen erregte, es immer fortfahren würde, unangenehm zu sein, ob gleich der Abscheu gegen dasselbe durch andre Betrachtungen könte überwogen werden. Es giebt eine Art von Abscheu gegen gewisse Gegenstände, die einzig und allein die Wirkung unsrer Furcht für uns selbst, oder des Mitleidens für andre ist, wenn entweder Vernunft, oder andre vergeselschaftete Ideen uns eine Gefahr befürchten lassen, die aber nicht aus dem Besondern, was die Gestalt an sich hat, entspringet. Denn wir finden, daß viele von diesen Gegenständen, die bei dem ersten Anblikke Schrekken erregen, wenn Erfahrung und Vernunft diese Furcht verbannet hat, Veranlassungen zum Vergnügen werden; so wie ein Raubthier, eine ungestüme See, ein steiler Abgrund, oder ein finsteres schattichtes Thal.
 
 
  Ia-02-1778-0031
Wir werden auch künftig sehen, daß vergeselschaftete Ideen uns Gegenstände angenehm und ergözzend machen können. Die von Natur nicht fähig sind, solches Vergnügen zu verschaffen, und daß auf gleiche Art zufällige Verbindungen von Ideen einen Misfallen an der Sache erregen können, wo die Gestalt an und für sich nicht unangenehm ist. Dies ist die Ursache von dem närrischen Abscheu für Figuren von verschiedenen Thieren und vielen andern Gestalten. So werden Schweine, Schlangen von allen Arten, und viele Insekten , die wirklich schön genug sind, mit Abscheu von vielen Personen angesehen, die einige zufällige mit ihnen vergeselschaftete Ideen angenommen haben. Und wegen des Misfallens von dieser Art, kan man keinen andern Grund angeben. –" Seit. 77. 78. 79.
 
 
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10) Algemeinheit des Gefühls von Schönheit.
 
 
  Ia-02-1778-0033
"Aber bei der algemeinen Übereinstimmung der Menschen in ihrem Gefühl der Schönheit, die aus der Einförmigkeit und Mannigfaltigkeit entspringet, müssen wir die Erfahrung zu Rathe ziehen: und da wir allen Menschen Vernunft zugestehen, weil alle Menschen im Stande sind einfache Säzze zu verstehen, obgleich wenige zusammengesezte Beweise begreifen können; so wird es um die Algemeinheit dieses Gefühls zu beweisen, genug sein, "wenn alle Menschen in den einfachern Fällen mehr durch die Einförmigkeit als durch das Gegentheil vergnügt werden, wenn auch kein Vortheil dabei für sie bemerkt wird; und eben so, wenn alle Menschen, nachdem sich ihre Fähigkeit erweitert, zusammengesezte Ideen zu begreifen, und zu vergleichen, ein grösseres Ergözzen an der Einförmigkeit haben, und durch ihre zusammengeseztere Arten sowohl die ursprüngliche als relative vergnüget werden."
 
 
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Nun wollen wir sehen, ob jemals eine Person bei denen einfacheren Fällen gänzlich leer von diesem Gefühl war. In den einfachsten Fällen der Harmonie sind wenig Versuche gemacht worden, weil wir uns nicht weiter Mühe darum geben, so bald wir finden, daß das Ohr einer Person weitläuftige Kompositionen zu empfinden unfähig ist. Allein, was die Figuren anlanget, hat wohl da jemals einer einen Trapezium oder eine irreguläre krumme Linie zu dem Grundrisse seines Hauses gewählet, wenn es nicht aus Nothwendigkeit, oder aus Absicht eines besondern Nuzzens geschehen ist? oder hat wohl jemand die gegen einander überstehenden Wände nicht parallel, oder in der Höhe ungleich gemacht? Wählte man jemals Trapezien oder irreguläre Vierekke und krumme Linien für die Gestalt der Thüren und Fenster, obgleich diese Figuren zu dem Gebrauche eben so gut gewesen wären, und öfter einen grossen Theil Zeit, Mühe und Unkosten denen Arbeitern würden ersparet haben, die man nun anwenden mus, um die Steine und das Bauholz nach den regulären
 
 
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Gestalten zuzurichten. Unter allen ausschweifenden Moden in der Kleidung war doch keine, die ganz und gar von Einförmigkeit leer gewesen wäre, wenn sie auch nur in der Ähnlichkeit der zweien Seiten eines Kleides, oder in einer gewissen algemeinen Einrichtung nach der menschlichen Gestalt, bestanden hätte. Das piktische Schminken hat allezeit eine relative Schönheit, durch die Ähnlichkeit mit andern Gegenständen, und diese Gegenstände waren ursprünglich schön: ob wir gleich mit Recht hier Horazens Tadel wegen der unschiklichen Beschreibungen in der Poesie anwenden könten: Sed non erat his locus.
 
 
  Ia-02-1778-0035
Allein niemals waren einige so ausschweifend, solche Figuren zu lieben, als durch das ohngefähre Verschütten flüssiger Farben entstehen. Wer vergnügte sich wohl jemals an einer ungleichen Höhe der Fenster in einer Reihe, oder an ungleichförmigen Gestalten derselben? an ungleichen Füssen, Armen, Augen oder Wangen einer Geliebten? Dem ohngeachtet mus man bekennen, "daß der "Nuzzen öfters bei dieser Sache so wohl, als bei andern unser Gefühl der Schönheit überwiegen kan, und höhere gute Eigenschaften uns solche Unvolkommenheiten zu übersehen bereden. – Seit. 79. 80. 81.
 
 
  Ia-02-1778-0036
11) Überal ist Schönheit!
 
 
  Ia-02-1778-0037
Dasjenige, was oben ist gesagt worden, wird auch unten bestätiget werden, "wenn wir bei dieser Untersuchung von der Algemeinheit des Gefühls der Schönheit eingedenk sind, daß auch da die Schönheit wirklich sein kan, wo sie nicht die grösseste ist; und daß es eine unendliche Menge von verschiedenen Gestalten gebe, die alle eben dieselbe Einheit haben; und doch alle von einander verschieden sind." So können Personen verschiedene Einbildungen von der Schönheit ha
 
 
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ben, und doch kan die Einförmigkeit die algemeine Grundursache sein, warum wir eine jede Gestalt als schön lieben. Und wir werden finden, daß dieses bei der Baukunst, dem Gartenwesen, der Kleidung, der Equipage, dem Hausgeräthe, auch unter den ungesittesten Völkern stat findet; wo die Einförmigkeit immer gefält, ohne einigen andern Vortheil, als dem Vergnügen, sie zu betrachten." Seit. 83. 84.
 
 
  Ia-02-1778-0038
12) Ein inneres Gefühl sezt angebohrne Ideen nicht zum voraus.
 
 
  Ia-02-1778-0039
"Hier wollen wir einmal für allemal merken: daß ein inneres Gefühl so wenig eine angebohrne Idee oder Erkentnisgrund voraussezzet, als das äussere. Beide sind natürliche Empfindungsvermögen oder Bestimmungen der Seele, *...* nothwendiger Weise gewisse Begriffe bei der Gegenwart gewisser Gegenstände zu empfangen. Das innere Gefühl ist ein leidendes Vermögen, Ideen der Schönheit aus allen den Gegenständen zu empfangen, worinnen Einförmigkeit mit Mannigfaltigkeit verbunden ist. Nichts scheint bei dieser Materie schwerer, als daß die Seele allezeit solte bestimt sein, die Ideen von Süsse zu empfangen, wenn Theilchen von einer solchen Gestalt in die P*...* Poren der Zunge dringen, und daß sie die Ideen eines Schalles allezeit bei einer schnellen Bewegung der Luft solte haben. Das erste scheint so wenig mit seinen Ideen Verbindung zu haben, als das andre, und einerlei Vermögen solte wohl eben so leichte das erstere als das leztere zur Veranlassung der Ideen bestimmen können." Seit. 85.86.
 
 
  Ia-02-1778-0040
13) Belieben und Misfallen sind von den Begriffen der Schönheit verschieden.
 
 
  Ia-02-1778-0041
"Und dies (die Vergeselschaftung der Begriffe) ist öfters die Ursache so wohl eines grossen Vergnügens als Misvergnügens, eines Gefallens oder Abscheues an Gegenständen, die
 
 
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an und für sich uns volkommen gleichgültig hätten sein können. Allein, dieses Belieben oder Misfallen ist weit von Begriffen der Schönheit entfernt, die gänzlich verschiedne Begriffe sind. – " Seit. 87. 88.
 
 
  Ia-02-1778-0042
14) Das innere Gefühl von Schönheit komt nicht von der Gewohnheit.
 
 
  Ia-02-1778-0043
"Die Gewohnheit von denen zweien übrigen unterschieden, wirkt auf folgende Weise. Bei den Handlungen giebt sie der Seele oder dem Körper nur eine Fähigkeit, diejenigen Handlungen leichter zu verrichten, die oft sind wiederholet worden, allein niemals beweget sie uns, sie unter einem andern Gesichtspunkte zu fassen , als wie sie fähig waren von Anfange zu fassen; viel weniger giebt sie uns ein neues Empfindungsvermögen für dieselben. Wir sind von Natur fähig, Begriffe von Furcht und Schrekken bei der Gegenwart eines mächtigen Wesens zu haben; und daher kann die Gewohnheit die Ideen von heiligem Schrekken mit gewissen Gebäuden verbinden: Allein, niemals hat die Gewohnheit verursachet, daß ein Wesen, das der Furcht unfähig war, solche Begriffe bekommen hätte. Wenn wir kein andres Vermögen hätten zu empfinden, oder uns Begriffe von Handlungen zu bilden, als in so fern sie uns nüzlich oder schädlich wären, so könte uns die Gewohnheit nicht weiter als geschikter gemacht haben, den Nuzzen oder Schaden der Handlungen einzusehen: Allein, dieses gehöret nicht zu unserm gegenwärtigen Vorhaben.
 
 
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Wir wollen nun zu der Materie von unserm Belieben oder Ergözzen ** an äussern Gegenständen fortgehen. Wenn das Blut oder die Lebensgeister, von welchen die Zergliederer reden, bewegt, belebt, oder auf eine angenehme Art durch Nahrung oder Arznei, wie sie es nennen, in Gährung gebracht worden; oder einige Drüsen häufig zu einer Absonderung gereizet werden; so ist es gewis, daß
 
 
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wir, um den Körper ruhig zu erhalten, an Gegenständen des Gefühls ein Vergnügen haben, die uns an und für sich nicht unmittelbar angenehm sind, wenn sie nur den angenehmen Zustand befördern, an welchen der Körper gewohnt * war. Ferner kan Gewohnheit den Zustand des Körpers so verändern, daß das, was zuerst unruhige Empfindungen erregte, nun aufhöret sie zu erregen, oder eine andre angenehme Idee des nämlichen Sinnes erreget; allein Gewohnheit kann uns niemals einen Begrif eines Sinnes geben, der von demjenigen verschieden wäre, d** den wir vorher hatten. Sie wird niemals machen, daß der Blinde Gegenstände wegen ihrer Farbe liebet, oder daß diejenigen, die niemals einen Geschmak hatten, Speise als köstlich rühmen, ob sie dieselben gleich als stärkend oder ermunternd rühmen können. Hätten unsre Drüsen oder ihre anliegende Theile kein Gefühl, empfänden wir *...* kein Vergnügen aus gewissen lebhaftern Bewegungen in unserm Blute, so würde die Gewohnheit uns niemals reizende oder dummachende Arzneien angenehm m* machen, wenn sie unserm Gefühl nicht vorher angenehm wären. Hätten wir kein natürliches Gefühl der Schönheit aus der Einförmigkeit; so hätte die Gewohnheit niemals zuwege bringen können, daß wir uns eine Schönheit bei gewissen Gegenständen vorgestellet hätten; hätten wir kein Gehör, so hätte uns niemals die Gewohnheit das Vergnügen bei Harmonien geben können. Da wir diese natürliche Sinnen zum voraus haben; so kan die Gewohnheit uns fähig machen, unsre Einsichten zu erweitern und zusammengeseztere Begriffe von der Schönheit bei Körpern, oder der Harmonie bei Tönen zu erhalten, indem sie unsre Aufmerksamkeit vermehret, und unsre Vorstellung lebhafter machet. Allein, obgleich die Gewohnheit uns fertiger machen kan, zusammengesezte Ideen zu fassen und mit einander zu vergleichen; so scheint sie doch die Begriffe
 
 
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von Schönheit oder die Eindrükke von regelmässigen Gegenständen mehr zu schwächen, als zu stärken. Denn wie wäre es sonst möglich daß jemand bei einem schönen Sommertage, oder an einem heitern Abend in die Luft gehen könte, oder solche erstaunende Entzükkungen zu fühlen, als worinnen uns Milton unsern erster Stamvater kurz nach seiner Schöpfung vorstellet. Denn jederman würde bei der ersten Vorstellung einer solchen Scene gewislich in eben diese Entzükkungen fallen. Die Gewohnheit kan auf gleiche Weise Art machen, daß eine Person den Gebrauch einer zusammengesezten Maschine leichter begreifet, und sie als vortheilhaft liebt; allein niemals würde sie dieselbe als für schön gehalten haben; hätte sie kein natürliches Gefühl der Schönheit. Die Gewohnheit kan machen, daß wir die Wahrheit der * zusammengesezten Lehrsäzze schneller begreifen: allein *ir wir finden, daß das Vergnügen oder die Sch Schönheit der Lehrsäzze von Anfang eben so stark ist, als jemals. Die Gewohnheit kan uns weniger fähiger machen, zusammmengesezte Ideen zu behalten und zu vergleichen, so daß wir die zusammengesezte Einförmigkeit, die der der Betrachtung der Anfänger in einer Wissenschaft entgehet, besser einsehen; allein alles dieses sezt ein natürliches Gefühl der Schönheit in der Einförmigkeit voraus: denn wäre nichts in der Gestalt gewesen, das als eine nothwendige Ursache des Vergnügens für unsere Sinnen bestimt wäre; so würde die Wiederholung von * andern gleichgültigen, und nicht zur Schönheit und Häslichkeit gehörigen Ideen niemals gemacht haben, daß sie uns angenehm oder unangenehm geworden wären. ? ?" Seit. 90. 91. 92. 93.
 
 
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15) Auch die Erziehung giebt uns das innere Gefühl von Schönheit nicht.
 
 
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"Die Wirkung der Erziehung ist diese: Wir bekommen durch sie manche beschauliche Meinungen, die öfters wahr und öfters falsch sind, und sie lehret uns oft glauben, daß Gegenstände von Natur geschikt sind, Vergnügen oder Schmerz in unsern äusserlichen Sinnen zu verursachen, die in der That solche Beschaffenheiten nicht haben. Ferner nehmen wir in der Erziehung solche starke vergeselschaftete Begriffe ohne einigen Grund an, zuweilen durch einen blossen Zufal, zuweilen mit Vorsaz, die hernach schwer zu verbannen sind. Auf diese Art entstehet die Abscheu gegen Dunkelheit, gegen verschiedene Arten von Speisen, und gewisse unschuldige Handlungen; und hingegen entstehet wieder ein Belieben an andern Gegenständen auch ohne allen Grund. Allein bei allen diesen Fällen macht doch die Erziehung niemals, daß wir Beschaffenheiten bei Gegeständen wahrnehmen, die wir von Natur nicht zu empfinden fähig wären. Wir wissen, was ein schwacher Magen ist, und können ohne Grund glauben, daß die gesundesten Speisen Schuld daran sind. Wir bekommen durch unser Gesicht und unsern Geruch unangenehme Ideen von dem Futter und den Ställen der Schweine, und können vielleicht die Erinnerung dieser Ideen bei Tische nicht verhüten: allein niemals war ein Blindgebohrner gegen einen Gegenstand eingenommen, weil er unangenehme Farben hatte, oder liebte hingegen einen Gegenstand, wegen seiner schönen Farbe; er kan vielleicht andre eine Farbe schelten hören, und kan sich vorstellen, daß diese Farbe eine ganz verschiedene Beschaffenheit für die andern Sinnen sei: allein dieses ist auch alles. Auf gleiche Art würde jemand, der keinen Geschmak hätte, niemals durch die Erziehung die Ideen vom Geschmak erhalten, oder für gewisse Speisen wegen ihrer Köstlichkeit eingenommen werden. Hätten wir kein natürliches Gefühl der
 
 
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Schönheit und Übereinstimmung, wir würden niemals für gewisse Gegenstände oder Töne, in so fern sie schön oder übereinstimmend wären, eingenommen werden. Die Erziehung kan machen, daß ein unachtsamer Gothe glaubet, seine Landsleute hätten die höchste Volkommenheit in der Baukunst erreichet; und eine Abneigung gegen ihre Feinde die Römer kan gewisse unangenehme Ideen auch selbst mit ihren Gebäuden verbunden und sie zu ihrer Zerstörung angetrieben haben: allein er hätte niemals diese Vorurtheile empfangen bekommen, wenn er ganz und gar kein Gefühl der Schönheit gehabt hätte. Stritte wohl jemals ein Blinder, ob Purpur oder Scharlach die feinste Farbe wäre? oder konte ihn die Erziehung für eine von beiden, in sofern sie Farben sind, einnehmen? Erziehung und Gewohnheit kan daher auf unsre innere Sinnen einen Einflus haben, wo sie nämlich schon zum voraus da sind, indem sie die Fähigkeit unsrer Seele erweitert, die Theile von einem weitläuftigen Ganzen zu behalten und zu vergleichen: und denn, wenn die feinsten Gegenstände uns vorgestelt werden, sind wir uns eines weit höhern Vergnügens bewust, als dasjenige ist, das gemeine Arbeiten bei uns erwekken. Allein alles dieses sezt voraus, daß unser Gefühl der Schönheit natürlich sei. Unterweisung in der Zergliederungskunst, Beobachtungen der Natur, und dererjenigen Minen in den Gesichtsbildungen und Stellungen des Körpers, welche eine Gesinnung, Handlung oder Leidenschaft begleiten, kan uns geschikt machen, zu urtheilen, was eine richtige Nachahmung ist: aber wenn wir kein natürliches Gefühl der Schönheit hätten, warum solte uns diese genaue Nachahmung mehr gefallen, als die Betrachtung der Lage von funfzig oder hundert Steinen, die von ohngefähr zusammen gekommen sind? Und wenn wir sie auch noch so oft betrachten, so solten wir uns niemals träumen lassen, daß sie schön wären. – " Seit.93. 94. 95. 96.
 
 
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16) Beispiele sind nicht die Ursachen des innern Gefühls.
 
 
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"Die Beispiele scheinen auf folgende Art zu wirken. Wir sind uns bewust, daß wir aus Vergnügen oder einem Privatnuzzen handeln; und deswegen glauben wir, daß es andre auch thun. Hieraus schliessen wir: Es mus eine gewisse Volkommenheit in denen Gegenständen sein, nach welchen sich andre Menschen bestreben; und ein Übel in denjenigen, die wir sie beständig meiden sehen. Oder, das Beispiel andrer kan uns stat so vieler Proben dienen, um die Befürchtung eines Übels bei denjenigen Gegenständen zu verbannen, für welche wir eine Abneigung hatten. Allein dies alles geschieht, nachdem wir Eigenschaften bemerkt haben, die durch unsre Sinnen konten empfunden werden; denn nie wird ein Beispiel einen Blinden oder Tauben bewegen, Gegenstände zu lieben, weil sie gefärbt oder wohlklingend sind, und wie würde ein Beispiel uns verleiten, gewisse Gegenstände als schön und übereinstimmend zu lieben, wen wenn wir kein natürliches Gefühl der Schönheit und Übereinstimmung hätten. Das Beispiel kan machen, daß wir ohne Untersuchung schliessen; unsre Landsleute hätten den höchsten Grad der Schönheit in ihren Arbeiten erreichet, und wenige Schönheit hersche in den Werken der Baukunst und Malerei bei andern Nationen, und daß wir uns auf diese Art mit sehr unvolkommenen Gestalten benügen. Die Furcht der Verachtung, als ein Man ohne Genie und Geschmak angesehen zu werden, macht, daß wir uns öfters mit dem alg algemeinen Lobe , das man den Arbeiten derer berühmtesten Künstler unsers Vaterlandes ertheilet, vereinigen, und hält diejenigen zurük, die von Natur einen schönen Geist und ihr innerliches Gefühl geschärft haben, daß sie sich nicht bemühen, den höchsten Grad der Volkommenheit zu erreichen; sie *...* macht, daß Leute von schlechtem Geschmak auf eine lebhaftere Empfindung der Schönheit, als sie wirklich haben, Anspruch machen. Allein alles dieses sezt ein gewisses natürliches Vermögen voraus, die Ideen von Schönheit und Übereinstimmung zu fassen. Das Beispiel kan nichts
 
 
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weiter thun, ausgenommen daß es Leute beredet, nach einem blinden Glauben Gegenstände wegen einer Schönheit zu lieben, die derjenige nicht kennet, welcher sie liebet, oder welche eine Eigenschaft ist, die weit von demjenigen Begriffe sich unterscheidet, den Leute von gutem Geschmak dabei empfinden. – " Seit. 97. 98. 99.
 
 
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17) Die Wichtigkeit der innern Sinnen.
 
 
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"Ein wenig Nachdenken wird uns überzeugen, daß die Wilfahrungen unsrer innern Sinnen eben so natürliche, wirkliche und vergnügende Güter sind, als alle andre Vergnügungen; und daß sie der hauptsächliche Endzwek sind, warum wir uns gemeinlich Vermögen und Gewalt wünschen. Weswegen ist Vermögen und Gewalt vortheilhaft? Wie macht es uns glüklich, oder wie wird es uns nüzlich? Auf keine andre Art, als in so fern es macht, daß wir unsern Sinnen wilfahren können; und in so fern es uns Vermögen an die Hand giebt, das Vergnügen zu empfinden. Nun aber sind diese Sinnen blos äusserliche? Nein. Jederman siehet, daß ein kleiner Antheil von Vermögen und Gewalt mehr Vergnügen der äusserlichen Sinnen an die Hand giebt, als wir geniessen können; wir wissen, daß Seltenheit diese Empfindungen oft mehr als der Überflus erhöhet, der dieses Verlangen sättiget, das für das Vergnügen bei dem Genusse so nöthig ist: und hieraus sehen wir, daß der Rath des Poeten seinen volkomnen Nuzzen hat:
 
 
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—— Tu Pulmentaria quære
 
 
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Sudando —— ——
 
 
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Kurz, der einige Nuzzen grosser Glüksgüter gegen kleine (ausgenommen in Freundschaftsdiensten und moralischen Vergnügungen) mus darinnen bestehen, daß sie uns die Vergnügungen der Schönheit, Ordnung und Übereinstimmung darbieten. Es ist in der That wahr, daß die edelsten Vergnügungen derer innern Sinnen bei der Betrachtung
 
 
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der Werke der Natur für jeden ohne Entgeld ausgesezt sind; der Arme und Niedrige kan einen eben so freien Gebrauch davon machen, als der Vermögende und Mächtige. Auch bei Gegenständen, die uns könten zugeeignet werden, ist das Eigenthum, bei dem Genusse ihrer Schönheit von weniger Wichtigkeit, und andre geniessen sie eben so gut, als der Besizzer. Allein es giebt auch andre Gegenstände dieser innern Sinnen, bei welchen Vermögen und Gewalt nöthig ist, um uns ihren Gebrauch so oft zu verschaffen, als wir wollen; so wie bei der Baukunst, Musik, dem Gartenwesen, der Malerei, Kleidung, Equipage und Meubeln, von denen wir ohne das Eigenthum nicht den völligen Genus haben können. Und es giebt gewisse verwirte Einbildungen, die uns bewegen, dem Besizze bei Gegenständen nachzustreben, deren B*s Besiz zu ihrem wahren Genusse nicht nöthig ist. Dieses sind die lezten Bewegungsgründe, wenn wir nach einer höhern Stufe von Macht und Reichthum streben, ohne den edelmüthigen Vorsaz zu haben, tugendhafte Handlungen auszuüben. Dieses wird durch das beständige Verfahren derjenigen bekräftiget, die selbst diesen Sinnen feind sind. So bald sie glauben, sie seien über die Welt weg, und aus dem Lärmen des Geizes und der Ehrsucht herausgerissen; so wird die verbante Natur zu ihnen zurükkehren, und sie bereden, daß sie nach Schönheit und Ordnung in ihren Häusern, Gärten, Kleidung, Tafel und Equipage streben. Sie sind niemals ruhig, ohne einen gewissen Grad dieser Volkommenheiten erreicht zu haben; und könten wir in ihr Herz sehen, so würden wir finden, daß Regelmässigkeit, Anstand, Schönheit alles ist, worauf sie für sich und ihre Nachkommen ihre Wünsche einschränken, und dasjenige, was sie sich als die möglichen Wirkungen ihrer Arbeiten denken: denn ohne diese könten sie niemals ihre Bemühungen bei sich selbst rechtfertigen.
 
 
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Es kan verschiedene Beispiele geben, wo sich die menschliche Natur in einen gänzlichen Geizhals verwandelt, der nichts als Geld liebet, und dessen Einbildung sich niemals über den kalten traurigen Gedanken des Besizzes versteigt: allein ein solches Beispiel in einem Zeitalter kan nicht der Maasstaab sein, nach dem wir die Menschen gegen ihr ganzes Geschlecht beurtheilen könten. Wenn wir die Bemühung eines Wollüstigen untersuchen, von dem wir glauben, daß er sich gänzlich seinem Bauche gewidmet habe; so werden wir finden, daß der gröste Theil seines Aufwands angewendet wird, andre sinliche Empfindungen, als die Empfindungen des Geschmaks hervorzubringen, das meiste wird nämlich für saubere Bedienten, regelmässige Zimmer, Silbergeschir und dergleichen ausgegeben. Über das mus vorausgesezt werden, daß ein grosser Theil der Zurüstung für gewisse grosmüthige freundschaftliche Absichten angesehen sei, nämlich seine Bekanten, Freunde, und Schmarozzer zu vergnügen. Wie wenige würden zufrieden sein, eben diese sinlichen Empfindungen allein in einer Hütte, oder aus irdenen Krügen zu geniessen. Kurz davon zu reden, obgleich diese innere sinlichen Empfindungen in unsern philosophischen Untersuchungen über die menschlichen Kräfte mögen übergangen werden; so werden wir doch in der That finden, daß sie uns mehr beschäftigen, und in dem Leben weit mehr zu unserm Vergnügen, oder Unzufriedenheit beitragen; denn alle unsre äussere Sinnen zusa*...*g*...* zusammengenommen. – " Seit. 99. 100. 101. 102.
 
 
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18) Moralisches Gute und Übel.
 
 
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"Das Wort moralische Güte bezeichnet unsern Begrif, von einer bei gewissen Handlungen wahrgenommenen Beschaffenheit, welche unsern Beifal erhält, und mit einer Begierde, die handelnde Person glüklich zu sehen, begleitet ist. Moralisch Übel bezeichnet den unsern Begrif von einer entgegen
 
 
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gesezten Beschaffenheit, welche unsern Misfallen und Tadel erreget." Seit. 111.
 
 
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"Alle Leute, die von dem moralischen Guten sprechen, bekennen, daß es Beifal und Wohlgewogenheit gegen diejenigen hervorbringe, die es besizzen, das hingegen das natürliche Gute nicht thut. In dieser Materie müssen die Menschen ihr eignes Herz fragen. Was für verschiedne Neigungen fühlen sie gegen diejenigen, bei denen man Ehrlichkeit, Treue, Grosmuth und Gütigkeit voraussezzet, und gegen diejenigen, die das natürliche Gute besizzen, als Häuser, Ländereien, Gärten, Weinberge, Vermögen, Stärke, Verschlagenheit? Wir werden finden, daß wir nothwendiger Weise die Besizzer der erstern lieben; der Besiz aber der leztern aber erregt keine Hochachtung und Wohlgewogenheit gegen den Besizzer überhaupt, sondern öfters gegenseitige Neigungen, als Neid und Has. Auf gleiche Art erreget je jede Eigenschaft, die wir als moralisch böse finden, unsern Misfallen gegen diejenige Person, bei der wir sie bemerken, so wie Verrätherei, Grausamkeit, Undankbarkeit; wir lieben hingegen und schäzzen diejenigen hoch, die den natürlichen Übeln, als dem Leiden, der Armuth, dem Hunger, der Krankheit und dem Tode ausgesezzet sind. – " Seit.112.
 
 
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19) Nuzzen und Vortheil.
 
 
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"Das Vergnügen bei unsern sinlichen Vorstellungen von jeder Art, giebt uns unsre erste Idee von dem natürlichen Guten oder der Glükseeligkeit, und daher werden alle Gegenstände, die geschikt sind dieses Vergnügen zu erregen, unmittelbar gut genennet. Diejenigen Gegenstände aber, welche noch andre unmittelbare angenehme Gegenstände verschaffen können, werden vortheilhaft genennet, und wir streben nach beiden Arten aus Eigennuz und Selbstliebe. Unser Gefühl des Vergnügens gehet vor dem Vortheil und Nuzzen
 
 
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vorher, und ist der Grund davon. Wir empfinden kein Vergnügen bei Gegenständen, weil es unser Vortheil ist, es zu empfinden; sondern die Gegenstände oder Handlungen sind vortheilhaft, und werden aus Eigennuz gesucht und unternommen, weil wir ein Vergnügen durch sie erhalten: Unsre Empfindung des Vergnügens ** ist nothwendig, und nichts ist uns vortheilhaft oder natürlich gut, als nur dasjenige, so geschikt ist, mittelbarer oder unmittelbarer Weise Vergnügen zu erwekken. Nach solchen Gegenständen, von denen wir aus der Vernunft und Erfahrung wissen, daß sie uns mittelbarer oder unmittelbarer Weise vortheilhaft, oder geschikt sind Vergnügen zu verschaffen, sagt man, daß wir aus Eigennuz streben, wenn einzig unsere Absicht ist, das Vergnügen zu geniessen, das sie zu erwekken vermögend sind. So werden uns durch unsre Sinnen, Essen, Trinken, Harmonie, feine Prospekte, Malereien, Statuen als unmittelbar gut vorgestellet, und unsre Vernunft zeigt uns, daß Gewalt und Reichthum mittelbarer Weise gut, nämlich geschikt sind, uns mit Gegeständen des unmittelbaren Vergnügens zu versehen. Und nach beiden Arten dieser natürlichen Güter streben wir aus Eigenliebe und Eigennuz. – " Seit. 112. 113. 114.
 
 
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20) Unterschiedene Begriffe von dem moralischen und natürlichen Guten.
 
 
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"Daß die Vorstellungen vom moralischen Guten und Übel völlig von den Vorstellungen des natürlichen Guten, oder von dem Vortheil verschieden sind, davon mus sich ein jeder selbst überzeugen, wenn er über die verschiednen Arten nachdenket, womit ihn diese Gegenstände rühren. Hätten wir kein Gefühl des Guten, das von dem Vortheil oder Nuzzen, der durch die äusserlichen Sinne entstehet, verschieden wäre, und hätten wir keine Vorstellungen von Schönheit und Harmonie; so würden die Empfindugen und Neigungen, die wir gegen ein fruchtbares Feld, oder eine
 
 
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bequeme Wohnung haben, mit denen Empfindungen, gegen einen grosmüthigen Freund, oder einen edlen Karakter völlig einerlei sein; denn beide sind, oder können uns vortheilhaft sein: und wir würden eine Handlung nicht mehr bewundern, oder eine Person in entfernten Zeitaltern und Gegenden, die keinen Einflus auf uns hat, nicht mehr lieben, als die Berge von Peru, da wir nicht in der spanischen Handlung mit begriffen sind. Wir würden eben die Gesinnungen und Neigungen gegen unbelebte Wesen haben, die wir gegen vernünftige Wesen fühlen, das doch, wie jeder weis, falsch ist. Bei der Vergleichung sagen wir: "Warum solten wir leblose Wesen lieben? Sie haben keine Absicht und Willen uns oder andern gut zu sein; ihre Natur machet sie zu unserm Gebrauche geschikt, ohne daß wir sie es wissen oder sich bemühen, uns zu dienen. Aber mit vernünftigen Wesen hat es eine andre Beschaffenheit: sie bemühen sich uns zu nüzzen, und wünschen die Glükseeligkeit andrer Wesen, mit denen sie umgehen." Wir sind uns also alle von dem Unterschied zwischen derjenigen Hochachtung, oder Empfindung moralischer Fürtreflichkeit bewust, welche ein Wohlwollen gegen die Person erwekket, bei der wir sie wahrnehmen, und zwischen derjenigen Meinung von natürlicher Güte, welche allein eine Begierde, den guten Gegenstand zu besizzen, erreget. "Was solte nun diesen Unterschied verursachen, wenn alle Empfindung des Guten aus einem vorhergesehenen Vortheil käme?" Befördern leblose Gegenstände nicht eben so wohl unsern Vortheil als wohlwollende Personen, die uns Freundschaftsdienste und Gefälligkeiten erzeigen? Solten wir also nicht beide auf gleiche Art lieben? oder nur von beiden die kalte Meinung eines Vortheils haben? Der Grund, warum es nicht so ist, mus dieser sein: "Wir haben nämlich eine deutliche Vorstellung
 
 
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der Schönheit und Vortreflichkeit bei den liebreichen Neigungen vernünftiger Wesen, und daher werden wir bewogen, solche Karaktere und Personen zu lieben und zu bewundern." Wir wollen sezzen, daß wir einerlei Vortheil von zwei Personen ziehen, von denen der eine aus dem einzigen Verlangen, uns glüklich zu sehen, mit dienet, der andre aus Eigennuz oder Zwang; beide erzeigen uns in diesem Falle einerlei Wohlthaten, und sind uns beide gleich vortheilhaft, und doch haben wir gänzlich verschiedne Gesinnungen gegen sie. Wir müssen daher gewislich andre Vorstellungen von denen moralischen Handlungen, als von dem Vortheile haben: und dasjenige Vermögen, diese Vorstellung zu erhalten, können wir ein moralisches Gefühl nennen, denn es stimmet mit der Erklärung des Gefühls überein, es ist nämlich eine Bestimmung unsrer Seele, solche Begriffe aus der Gegenwart eines Gegenstandes zu erhalten, die nicht von unserm Willen abhangen. – " Seit. 117. 118. 119.
 
 
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21) Unterschiedliche Begriffe von dem moralischen und natürlichen Übel.
 
 
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"Dieses wird auf gleiche Art aus unsern Ideen von dem Übel, das uns vorsezlicher Weise von vernünftigen Wesen angethan wird, erhellen. Unsre Empfindungen von natürlichem Guten und Übel würden machen, daß wir einen Angrif, eine Ohrfeige, einen Schimpf von einem Nachbar, einen Betrug, von einem der mit uns in Kompagnie stehet, oder von einem Vormund mit gleicher Heiterkeit und geseztem Wesen annehmen, als wir einen gleichen Schaden von einem herabfallenden Balken, Ziegel, oder einem Ungewitter ansehen, und wir würden bei beiden Gelegenheiten einerlei Gesinnungen und Neigungen haben. Niederträchtigkeit, Verrätherei, Grausamkeit würden wir eben so sanftmüthig aufnehmen, als einen Brand oder Mehltau im Getrei
 
 
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de, oder einen ausgetretenden Strom. Allein ich glaube, ein jeder wird bei diesen Gelegenheiten auf ganz verschiedne Weise gerühret werden, obgleich das natürliche Übel bei beiden gleich sein kan. Ja Handlungen, die auf keine Art nachtheilig sind, können den grösten Widerwillen und Erbitterung verursachen, wenn sie einen ohnmächtigen Has oder Verachtung entdekken lassen. Und auf der andern Seite können darzwischen gekommene moralische Begriffe den Has gegen die handlende Personen und den übeln moralischen Begrif von derjenigen Handlung verhüten, welche uns das grösseste natürliche Übel verursacht. So kan die Meinung von der Gerechtigkeit eines Ausspruchs alle Begriffe von dem moralischen Übel bei der Volziehung, oder den Has gegen die Obrigkeit verhüten, welche die unmittelbare Ursache unseres Ungemachs ist." Seit. 119. 120.
 
 
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22) Dieses moralische Gefühl sezt keine angebohrne Begriffe zum Grunde.
 
 
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"Wir meinen hiermit nicht, daß dieses moralische Gefühl mehr als unsre andre Sinnen, einige angebohrne Ideen, Erkentnis, oder praktische Säzze voraussezze: wir verstehen nichts weiter dadurch, als eine Fähigkeit unsrer Seele, die einfachen Begriffe des Beifals oder Misfallens bei gewissen Handlungen zu empfangen, ohne daß wir vorher wusten, daß uns ein Vortheil oder Schaden aus derselben entstünde, so wie wir uns an einer regulären Gestalt, oder einer harmonischen Komposition vergnügen; ohne einige Erkentnis von der Mathematik zu haben, oder daß wir ausser diesem unmittelbaren Vergnügen, einigen Vortheil für uns, bei dieser Gestalt oder Komposition bemerkten. Damit wir den Unterschied zwischen moralischen Empfindungen, und zwischen andern desto deutlicher einsehen, so dürfen wir nur auf dies einzigeAchtung geben. Wenn wir eine angenehme Frucht kosten,
 
 
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so sind wir uns eines Vergnügens bewust, und wenn sie ein andrer kostet, so schliessen wir, daß er auch Vergnügen dabei empfinde; und wenn wir voraussezzen, daß wir nicht besonders gütig oder unwillig vorher gegen ihn gewesen sind, so wird sein Vergnügen, das er geniesset, eine ganz gleichgültige Sache für uns sein, die keine neue Liebe und Zuneigung erwekket. Allein, wenn wir ein tugendhaftes Herz haben, und durch dieses zu tugendhaften Handlungen geleitet werden, so sind wir uns nicht allezeit eines Vergnügens dabei bewust, und wir suchen auch dadurch nicht blos unser Vergnügen zu befördern, wie künftig wird gezeigt werden: blos bei unserm Nachdenken über unser Herz, und über unsre Aufführung wird uns allezeit die Tugend ein Vergnügen empfinden lassen. Wenn wir auch von dem Herzen eines andern urtheilen, daß es tugendhaft sei; so stellen wir uns nicht nothwendiger Weise vor, daß er eben alsdenn ein Vergnügen geniesse, ob wir gleich wissen, daß ihm das Nachdenken über seine Handlungen dasselbe Vergnügen verschaffen könne; und doch erwekt die Wahrnehmung seines tugendhaften Herzens Hochachtung, Bewunderung, Liebe und Zuneigung gegen ihn in uns. Wir stellen uns vor, daß diejenige Eigenschaft, die uns, vermöge unsers moralischen Gefühls, gefält, in der uns gefallenden Person ihren Siz habe, und eine Volkommenheit und Vorzug an ihr sei; allein wir glauben nicht, daß dieses Gefallen, das wir an einer andern Tugend haben, denjenigen, dem sie gefält, tugendhaft, glüklich oder hochachtungswerth mache, ob es gleich allezeit mit einem kleinen Vergnügen begleitet ist. Wir nennen die Tugend daher liebenswürdig, weil sie eine gütige Gesinnung oder Liebe des Zuschauers gegen die handelnde Person erwekket¸und nicht deswegen, weil die handelnde Person bemerktet, daß ihm ein tugendhaftes Herz nüzlich sei, und es in dieser Absicht zu erhalten sich bestrebet. Ein tugend
 
 
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haftes Herz wird gut oder glüklichmachend genennet, nicht deswegen, als ob es allezeit bei der handelnden Person mit Vergnügen begleitet wäre; noch vielweniger deswegen, weil ein gewisser kleiner Grad von Vergnügen die Betrachtung desselben, bei demjenigen, der einen Gefallen daran hat, begleitet: sondern daher nennen wir es so, weil jeder Zuschauer versichert ist, daß die Überlegung und das Nachdenken über ihr eignes Herz der handelnden Person das höchste Vergnügen verschaffen wird. Die bewunderte Eigenschaft betrachten wir als eine Volkommenheit der handelnden Person, und in so fern ist sie von dem Vergnügen unterschieden, das derjenige, der handelt, und derjenige, der die Handlung billiget, empfindet; ob sie gleich eine sichere Quelle des Vergnügens für die handende Person ist. Die Vorstellung desjenigen, der die Handlung billigt, zeiget, ob sie gleich mit Vergnügen begleitet ist, doch etwas, das gänzlich von diesem Vergnügen unterschieden ist; so wie die Vorstellung äusserlicher Gestalten mit Vergnügen begleitet ist, und doch etwas zeiget, das von diesem Vergnügen sich gänzlich unterscheidet. Dieses kan gewisse unnüzze Spizfindigkeiten bei dieser Materie zu verhüten dienen." Seit. 136. 137. 138. 139.
 
 
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23) Die Neigungen sind die Bewegungsgründe zu den Handlungen.
 
 
  Ia-02-1778-0066
"Wir sezzen voraus, daß jede Handlung, die wir als moralisch gut oder böse ansehen, allezeit aus einer Neigung gegen empfindende Wesen fliesse, und was wir Laster oder Tugend nennen, entweder eine Neigung oder Handlung sei, die daraus folget. Oder es kan genug sein, daß eine Handlung oder Unterlassung lasterhaft scheinet, wenn sie den Mangel dieser Zuneignung gegen vernünftige Wesen beweiset, so wie wir bei Karakteren erwarten, die wir für moralisch gut halten. Man sezt voraus, daß alle die Handlungen, die man für gotseelig hält, bei denjenigen, die sie dafür halten, aus einer Liebe oder Neigung gegen Gott, und daß
 
 
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das, was wir gesellschaftliche Tugend nennen, aus einer Neigung gegen unsre Nebengeschöpfe fliesse: denn hierin scheint jederman einig zu sein: daß äusserliche Bewegungen, wenn sie mit keiner Liebe gegen Gott oder Menschen begleitet sind, oder keinen Mangel dieser erwarteten Neigungen gegen beide zeigen, nicht moralisch gut oder böse sein können. Man frage zum Exempel den enthaltsamsten Einsiedler, ob die Mässigkeit an und für sich moralisch gut sein würde, wenn sie keinen Gehorsam gegen Gott bezeugte, und uns nicht geschikter zur Andacht, zum Dienste der Menschen, oder zur Erforschung der Wahrheit, als die Schwelgerei machte; und er wird leichte zugeben, daß sie nicht moralisch gut sein würde, ob sie gleich natürlich gut oder der Gesundheit vortheilhaft sein kan. Blosser Muth oder Verachtung der Gefahr würde, wenn wir ihn ohne Absicht auf die Vertheidigung der Unschuld, und nicht als ein Mittel, uns *** vor dem Unrechte zu schüzzen, seinem Besizzer nichts als ein Recht zum Tolhause geben. Wenn diese Art von Herzhaftigkeit zuweilen bewundert wird, so g** geschieht es daher, weil wir eine gute Absicht bei dem Gebrauche derselben voraussezzen, oder, weil wir sie als eine natürliche Fähigkeit ansehen, die nüzlich angewendet werden könte. Klugheit, wenn sie blos angewendet wird, einen Privatnuzzen zu befördern, halten wir niemals für eine Tugend; und Gerechtigkeit, oder die Beobachtung einer genauen Gleichheit, die Erhaltung der Rechte und des Friedens, wenn sie keine Absicht auf das Wohl des menschlichen Geschlechts hat, ist eine Eigenschaft, die sich besser für ihr gewöhnliches Sinbild den Wagebalken und die Wagschaalen schikket, als für ein vernünftiges Wesen. Diese vier Eigenschaften, die man gemeiniglich Haupttugenden nennet, erhalten daher diesen Namen, weil sie zur Beförderung des gemeinen Wohls algemein nothwendig sind, und Liebe und Zueignung gegen vernünftige Wesen anzeigen, sonsten würde man keine Tugend bei ihnen wahrnehmen." 139. 140. 141.
 
 
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  Ia-02-1778-0067
24) Liebe aus Wohlgefallen, und Has aus Misfallen.
 
 
  Ia-02-1778-0068
"Diejenigen Neigungen, die moralisch betrachtet von der meisten Wichtigkeit sind, begreifen wir gemeiniglich unter Has und Liebe. Wenn wir hier von der Liebe reden, so braucht man uns nicht vorhero d* zu erinnern, die Liebe zwischen den beiden Geschlechtern nicht mit darunter zu begreifen, denn diese ist, wenn sie mit keinen andern Neigungen begleitet ist, nichts weiter, als eine Begierde nach Vergnügen, und wird niemals für eine Tugend gehalten. Die Liebe gegen vernünftige Wesen wird wieder eingetheilet in die Liebe aus Wohlgefallen, (complacence) oder aus Hochachtung, und in die Liebe aus Wohlwollen (benevolence); Und der Has in den Has aus Misfallen oder Verachtung, und in den Has der Bosheit. Wohlgefallen oder Hochachtung bedeutet die Genehmhaltung der Handlung mittelst eines andern Mittels unsers moralischen Gefühls, und ist eher eine Empfindung, als eine Neigung obgleich die Neigung der Wohlgewogenheit daraus folget. Wohlwollen ist das Verlangen, den andern glüklich zu sehen. Ihr Gegensaz heist Misfallen und Bosheit. Wenn wir jedes von diesen besonders betrachten, so werden wir sehen, ob die Bewegungsgründe des Eigennuzzes einen Einflus auf sie haben können." Seit. 142.
 
 
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25) Uneigennüzziges Wohlwollen.
 
 
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"Der Name der Liebe aus Wohlwollen schliest schon allen Eigennuz aus. Wir nennen denjenigen niemals wohlwollend, der in der That andern nüzlich ist, allein zugleich nur seinen eigenen Nuzzen zur Absicht hat, ohne die lezte Begierde zu haben, andrer Wohl zu befördern. Wenn es eine wirkliche Wohlgewogenheit und Gütigkeit giebt, so mus sie uneigennüzzig sein; denn die nüzlichste Handlung, die nur zu denken ist, verliert allen Anschein des Wohlwollens, so bald wir bemerken, daß sie blos aus Selbliebe oder Eigennuz fliesse. Niemals war wohl dem menschlichen Geschlechte etwas nüzlicher, als die Erfindung des Feuers und Eisens; wenn aber diese Erfin
 
 
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dungen zufällig waren, oder der Erfinder blos seinen eigenen Nuzzen dabei zur Absicht hatte; so ist nichts dabei, was man eine Wohlthat nennen könnte. Wo man daher Wohlwollen voraus sezzet, da glaubt man auch, daß dasselbe uneigennüzzig sei, und das Wohl andrer zur Absicht habe. Um unser Wohlwollen rege zu machen, ist nichts nöthig als ein empfindendes Wesen, das andern nicht schädlich ist, ruhig zu betrachten. Die Dankbarkeit wird durch Wohlthaten erwekket, die uns, oder denjenigen, die wir lieben, erzeiget werden; Wohlgefallen ist eine Vorstellung des moralischen Gefühls. Dankbarkeit schliest einiges Wohlgefallen ein, und Wohlgefallen erwekt noch eine weit stärkere Wohlgewogenheit, als diejenige, so wir gegen gleichgültige Karaktere haben, wenn ihr besondrer Vortheil dem unsrigen nicht entgegen steht. – Allein, so wie die Menschen so wohl Selbstliebe als Wohlwollen haben; so können auch diese zwei Grundtriebe zusammen genommen einen Mann zu einer und eben derselben Handlung aufmuntern, und dann werden sie wie zwei Kräfte angesehen, die einerlei Körper in Bewegung sezzen; zuweilen sind sie mit einander einig, zuweilen von einander verschieden, und zuweilen stehen sie einander gänzlich entgegen. Wenn das Wohlwollen eines Mannes so stark wäre, daß es eine Handlung ohne eigennüzzige Absichten hervorgebracht haben würde; so vermindert dies, daß er neben dem gemeinen Wohl als der Wirkung seiner Handlungen auch einen Privatvortheil zur Absicht gehabt hätte, nichts von dem Werthe der wohlthätigen Handlung. Wenn er ohne diese eigennüzzige Absichten das gemeine Wohl nicht so sehr befördert haben würde; so mus alsdenn die Wirkung der Selbstliebe abgezogen werden, und sein Wohlwollen verhält sich, wie der Rest des Guten, welches blos das Wohlwollen ohne andre Absichten hervorgebracht haben würde. Wenn das Wohlwollen eines Mannes ihm selbst schädlich ist; so ist die Selbstliebe alsdenn dem Wohlwollen entgegengesezt,
 
 
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und das Wohlwollen verhält sich wie die Sinnen des hervorgebrachten Guten wenn es zu dem durch dasselbe überwundenen Widerstande der Selbstliebe addiret wird. In den meisten Fällen ist es für uns unmöglich zu wissen, wie weit dieser oder der andre Grundtrieb bei den Handlungen unsrer Nebenmenschen gewirket hat; allein diese algemeine Wahrheit bleibt doch allezeit gewis, daß dies der Weg ist, wodurch wir das Wohlwollen einer Handlung berechnen können." Seit. 144.145.146.
 
 
  Ia-02-1778-0071
26) Beweis, daß das Wohlwollen uneigennüzzig sei.
 
 
  Ia-02-1778-0072
"Daß das erste System nicht *i richtig sei, erhellet aus dieser algemeinen Betrachtung, Wohlwollen oder jede andre Neigung und Begierde kan durch unser Wollen nicht unmittelbar erreget werden. Wenn dieses möglich wäre, so könten wir durch Geschenke und Belohnungen zu einer jeden Neigung auch gegen den unschiklichsten Gegenstand bewogen werden. Wir könten Eifersucht, Furcht, Zorn, Liebe, gegen gewisse Art von Leuten jedes Geschenke erwekken, so wie wir die Menschen zu äusserlichen Handlungen, oder zu Vorstellung ihrer Leidenschaften bewegen; allein dieses wird jeder nach seiner eignen Überlegung für unmöglich finden. Der Gedanke, daß uns dadurch, daß wir diese Neigung haben, ein Vortheil erwachse, kan wirklich unsre Aufmerksamkeit auf solche Eigenschaften des Gegenstandes wenden, die von Natur die nothwendigen Ursachen der vortheilhaften Neigung sind, und wenn wir diese Eigenschaften in dem Gegenstande finden; so wird die Neigung gewis rege werden. So kan mittelbarer Weise das Vorhersehen eines Vortheils unsre Neigung zu erregen dienen; allein wenn wir diese Eigenschaften bei dem Gegenstande nicht wahrgenommen haben, so kan auch niemals unser Wille oder unsre Wahl einige Neigung bei uns erwekken. Allein es kan, um diese Sache genau zu untersuchen, niemals behauptet
 
 
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werden, daß diese Begierde, nach dem Wohl andrer, die wir als tugendhaft billigen, durch unsern freien Willen aus dem Vorhersehen des Vergnügens entspringe, das die Handlung selbsten begleitet. Denn es ist bekant, daß unser Wohlwollen nicht allezeit mit Vergnügen begleitet ist; Ja, daß es öfters mit Misvergnügen vergeselschaftet ist wird, wenn der Gegestand desselben in Noth ist. Die Begierde überhaupt ist mehr unruhig als angenehm. Dies ist gewis, daß alle Leidenschaften und Neigungen sich selbst rechtfertigen. So lange sie dauern, sagt Malebranche, billigen wir es gemeinigleich, daß wir bei dieser Gelegenheit in diesem Affekte sind, und verdammen denjenigen, der bei gleicher Gelegenheit diesen Affekt nicht fühlet. Der Bekümmerte, der Zornige, der Eifersüchtige, der Mitleidige billigen ihre verschiedne Leidenschaften bei gewissen Gelegenheiten: allein deswegen dürfen wir nicht schliessen, daß Kummer, Eifersucht, Zorn und Mitleiden angenehme Affekten sind, oder daß man sie wegen des Vergnügens, das sie begleitet, gewählet habe. Die Sache verhält sich vielmehr so. Die Einrichtung unsrer Natur bestimt uns bei den Gelegenheiten, die unsre Leidenschaften erregen, so und nicht anders gerührt zu sein, und zum wenigsten unsern Affekt als eine unschuldige Sache für gut zu halten. Unruhe begleitet gemeinigleich alle Arten unsrer Begierden, und diese Empfindung dient unsre Aufmerksamkeit zu befestigen, und die Begierde zu erhalten. Allein, die Begierde richtet sich nicht nach der Entfernung der Unlust, die diese Begierde begleitet, sondern nach einer andern Begebenheit: die begleitende Unlust ist selten dasjenige, worüber wir nachdenken, ausser w** wenn sie sehr stark ist. Auch der Affekt oder die Begierde richtet sich nicht nach dem Vergnügen, das sie begleiten kan, noch vielweniger wird sie durch eine Handlung unsers Willens in Absicht, dieses Vergnügen zu erhalten, regieret erreget. Eben diese Betrachtung wird zeigen, daß wir dieses Wohlwollen, das
 
 
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wir als tugenhaft billigen, nicht durch eine Handlung unsers Willens in uns erregen, in Absicht das künftige Vergnügen unsers eignen Beifals, vermöge unsers moralischen Gefühls, dadurch zu erhalten. Könten wir auf diese Art Neigungen erwekken; so würden wir durch das Vorhersehen eines Vortheils, der am Werthe dem Beifal unsers eignen Herzens gleich wäre, als durch Reichthum und sinliches Vergnügen, bei manchen Gemüthern mehr Macht haben, zu einer Neigung bewogen werden; und doch gestehen wir alle, daß diejenige Fähigkeit, andern Dienstgefälligkeiten zu leisten, die durch diese Bewegungsgründe erreget, wird, keine Tugend sei: wie können wir uns daher vorstellen, daß das tugendhafte Wohlwollen durch einen gleich eigennüzzigen Bewegungsgrund könne in uns hervor gebracht werden? Doch wir werden noch mehr von der Wahrheit überzeiget werden, wenn wir unser eignes Herz fragen, ob wir nicht meistens eine Begierde nach dem Wohl andrer haben, ohne Absicht dieses Vergnügen dadurch zu erhalten, das wir bei dem Nachdenken über unsre eigne Tugend fühlen. Ja öfters ist dieses Verlangen da am stärksten, wo wir am wenigsten auf Tugend dabei denken, z. E. bei der natürlichen Liebe gegen unsre Kinder, oder bei der Dankbarkeit gegen **nen einen Wohlthäter. Die Abwesenheit dieser Neigung ist zwar in der That das grösseste Laster: allein, diese Neigungen selbst werden nicht auf eine beträchtliche Art für tugendhaft geschäzt. Eben diese Betrachtung wird uns auch überzeigen, daß diese Begierden oder Neigungen nicht durch unsre eigne Wahl und Absicht, dieses Privatgut dadurch zu erhalten, hervorgebracht werden. So wenig unser Wollen unmittelbarer Weise gewisse Neigungen aus den vorigen eigennüzzigen Absichten
 
 
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in uns erwekken kan, so wenig kan unser Wollen in Absicht, ewige Belohnungen zu erhalten, oder *...* Strafen zu vermeiden, diese Neigung in uns erregen. Die erstere Bewegungsgründe sind von diesen nur als kleinere von grössern, und kürzere von dauerhaftern unterschieden. Wenn Neigungen unmittelbarer Weise durch unsern Willen könten erwekket werden; so würde eben diese Betrachtung uns über den unschuldigsten und tugendhaftesten Karakter zornig, über den treuesten und aufrichtigsten eifersüchtig, und bei dem Glükke eines Freundes verdrüslich machen können; welches aber unmöglich ist. Das Vorhersehen eines künftigen Zustandes kan ohne Zweifel mittelbarer Weise einen grössern Einflus auf uns haben, indem es unsre Aufmerksamkeit auf Eigenschaften der Gegenstände wendet, die geschikt sind, die erforderte Leidenschaft eher zu erwekken, als jede andre Betrachtung. Dies ist in der That gewis, daß diejenigen, die durch die vorhergesehne künftige Belohnungen bewogen werden, ihren Nebenmenschen Liebesdienste zu erweisen, neben diesen das tugendhafte Wohlwollen besizzen, das sie zu dieser Handlung ermuntert: weil das Wohlwollen, so wie wir hernach zeigen werden, ihnen natürlich ist, und allezeit wirket, wo sich ihm nicht ein anscheinender Vortheil widersezzet, oder wo dieser anscheinende entgegenstehende Vortheil durch einen grössern überwogen wird. Diejenigen, die sich dieses bewust sind, geben gemeiniglich denjenigen Liebesdiensten ihren Beifal, zu welchen die Bewegungsgründe eines künftigen Zustandes die handelnde Person zum Theil ermuntert hatten. Allein, daß sich dieser Beifal auf die Wahrnehmung einer uneigennüzzigen Begierde gründe, die zum Theil die handelnde Person ermuntert hatte,
 
 
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erhellet daher, weil der Gehorsam gegen bösen Gott, Schaden anzurichten oder läppische Cärimonien zu volbringen, einzig und allein aus Hofnung einer Belohnung, oder eine vorhergesehene Strafe zu vermeiden, ja selbsten der Gehorsam gegen einen guten Gott, wenn er aus eben diesen Bewegungsgründen ohne einige Liebe oder Dankbarkeit gegen ihn, und mit einer volkommenen Gleichgültigkeit wegen des Glüks oder Elendes der Menschen erfolgt, wenn wir von diesem Privatvortheil abstrahiren, niemals unsern Beifal verdienen wird. Wir sehen leichtlich, daß eine Veränderung der äusserlichen Umstände des Vortheils unter einem bösen Gott, wenn auch die Gemüthsbeschaffenheit der handelnden Personen unverändert bleibt, ihn dennoch zu jeder Grausamkeit und Unmenschlichkeit verführen könte. Dankbarkeit gegen Gott ist in der Tat eine uneigennüzzige Eigenschaft, wie wir hernach zeigen werden. Diese Neigung kan daher, wo sie zu einer Handlung ermuntert, unsern Beifal erhalten, wenn gleich ein andres Wohlwollen die handlende Person nicht dazu ermuntert hätte. Doch dieser Fal ist fast unter Menschen nicht möglich. Allein, wo die Sanktion des Gesezzes der einzige Bewegunsgrund der Handlung ist, da können wir nicht mehr Wohlwollen oder Neigung erwarten, als bei einem Manne, der durch die Gesezze gezwungen ist, der Vormund eines andern zu sein, für den er nicht die geringste Achtung hat. Er würde sich so betragen, daß er, wenn er könte, ohne Schaden davon käme, allein um den Erfolg seiner Bemühungen, oder um die Glükseeligkeit desjenigen, dem er dienete, würde er sich wenig bekümmern, wenn er nur das Geschäfte volbracht hätte, welches das Gesez von ihm fordert, und niemand würde auch seine Aufführung mit grossem Beifal erheben. – " Seit. 147. 148. 149. 150. 151. 152.
 
 
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27) Widerlegung eines zweiten Einwurfs gegen das uneigennüzzige Wohlwollen.
 
 
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"Das andre System ist wahrscheinlicher: daß das Wohl
 
 
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wollen nämlich nicht durch unser Wollen aus dem Vorhersehen eines Vortheils hervorgebracht werde; sondern daß wir die Glükseeligkeit andrer verlangen, in so fern wir sie für nothwendig halten, gewisse angenehme Empfindungen hervor zu bringen, die wir, wenn wir andre glüklich sehen, zu fühlen hoffen, und daß wir *...* aus eben diesem Grunde einen Abscheu vor ihrem Elende haben. Diese Verbindung zwischen der Glükseeligkeit andrer, und unserm Vergnügen, sagen sie, findet sich besonders bei Freunden, Ältern, Kindern, und ausnehmend tugendhaften Karakteren. Allein, dieses Wohlwollen fliesset eben so wohl unmittelbar aus der Selbstliebe, als jede andre Begierde. Um zu zeigen, daß dieses System in der That falsch ist, dürfen wir nur bemerken, wenn wir bei unserm Wohlwollen die Glükseeligkeit andrer einzig als ein Mittel unsers Vergnügen verlangten, woher es denn komme, daß niemand das Verlangen nach der Glükseeligkeit andrer als ein Mittel, uns Vermögen oder sinliches Vergnügen zu verschaffen, billige? Wenn jemand wegen der künftigen Glükseeligkeit eines Mannes gewettet hätte, der so aufrichtig wäre, daß er freimüthig gestehen würde, ob er glüklich wäre oder nicht; würden wir wohl die Begierde des Wettenden nach der Glückseeligkeit des andern in Absicht, die Wette zu gewinnen, als tugendhaft billigen? Wenn wir es nicht thun, worinnen unterscheidet sich denn dies Verlangen von dem ersteren? In nichts weiter, als daß man in dem erstern Falle angenehme, und in dem leztern andre Arten von Empfindungen erwartete: denn wenn die gewettete Summe vergrössert oder vermindert wird, so wird der Vortheil in diesem Fal grösser oder geringer, d** denn der in dem andern Falle. Wenn wir auf unser eignes Herz Achtung geben, so werden wir die Wahrheit noch besser entdekken. Viele haben niemals an diese Verbindung gedacht, und ordentlicher Weise suchen wir niemals dieses Vergnügen zu erhalten, wenn wir andern Liebesdienste erweisen. Wir fühlen alle ein Vergnügen, wenn wir andre glüklich sehen: allein so lange unsre Begierde nach ihrer Glükseeligkeit
 
 
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dauert, haben wir nicht die Absicht dieses Vergnügen zu erhalten. Wir fühlen öfters den Schmerz des Mitleidens; allein, wäre unser einiges leztes Verlangen und Absicht, uns von dieser Pein zu befreien; so würden wir, wenn sich Gott darböte, entweder das Andenken der unglüklichen Person gänzlich auszulöschen, und diese Verbindung aufzuheben, so, daß wir bei dem Elend unsrer Freunde ruhig sein würden, oder ihn aus seinem Elende zu erretten, eben so bereit sein das erstere zu wünschen, als das leztere: denn beides würde uns von unsrer Pein befreien, welches nach diesem System der einzige Endzwek ist, den sich die mitleidige Person vorsezt. – Finden wir aber nicht in uns selbsten, daß nach der Entfernung dieser Pein diese Begierde des Mitleidens keinesweges in uns aufhöret? Wäre dies unsre einzige Absicht, so würden wir weglaufen, unsre Augen zuschliessen, oder unsre Gedanken von dem elenden Gegenstande abwenden, als der sicherste Weg, unsre Pein zu entfernen. Allein, dieses thun wir selten, wir versamlen uns vielmehr um solche Gegenstände, und sezzen uns freiwillig dieser Pein aus, obgleich ein ruhiges Nachdenken über unser Unvermögen, dem Elenden zu helfen, diese Neigung verbieten, oder ein eigennüzziger Affekt, wie die Furcht vor der Gefahr, sie überwältigen kan. Um dieses klärer zu machen, so sezze man den Fal, Gott zeigte einem gutgesinten tugendhaften Manne an, daß er plözlich würde vernichtet werden, daß es aber in dem Augenblikke seines Endes in seiner freien Wahl stünde, ob seine Freunde, seine Kinder, oder sein Vaterland ins künftige glüklich oder unglüklich sein solte, wenn er selbst weder Vergnügen noch Misvergnügen aus ihrem Zustande empfände. Würde er wohl izzo, da er nichts mehr wegen von ihnen zu hoffen oder zu fürchten hätte, wegen ihres Zustandes gleichgültiger sein, als in er es in einem vorhergehenden Zeitpunkte seines Lebens war? Ja ist es nicht eine sehr gemeine Meinung unter uns, daß wir nach unserm Hintritte nichts von demjenigen wissen, was denen, die uns überleben, begegnet? Woher komt es denn, daß wir bei Herannäherung des Todes nicht sogleich alle Sorge für unsre Familie, Freunde und Vaterland fahren lassen? Kan man denn ein
 
 
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einziges Beispiel angeben, daß wir etwas als ein Mittel eines Privatguts eben so heftig verlangten, wenn wir wissen, daß wir es nur wenige Minuten geniessen sollen, als wenn wir dieses Gut viele Jahre *...* zu besizzen hoffen? Berechnen wir auf diese Art den Werth unsrer jährlichen Einkünfte. – –" Seit. 152.163.154.155. *
 
 
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"Es könte jemand fragen: wenn keine von diesen eigennüzzigen Bewegungsgründen unser Wohlwollen erwekken, sondern wir bei tugendhaften Handlungen ganz allein das Wohl andrer zur Absicht haben, zu was dient denn unser moralisches Gefühl, unser Gefühl des Vergnügens bei der Glükseeligkeit andrer? zu was dient die weise Ordnung der Natur, wodurch uns die Tugend gemeiniglich in diesem Leben vortheilhaft gemacht wird? Zu was vor einem Endzwekke sind ewige Belohnungen gesezt und geoffenbaret? Die Antwort auf diese Frage ist schon zum Theil geschehen: alle diese Bewegungsgründe können das Verlangen in uns erwekken, diese wohlwollende Neigungen zu haben, und folglich unsre Aufmerksamkeit auf solche Eigenschaften der Gegenstände richten, welche sie erwekken; sie können alle anscheinende entgegenstehende Bewegungsgründe, und alle Versuchungen zum Laster überwiegen. Allein es wird auch dies ein der Gottheit würdiger Endzwek sein, durch eine weise Einrichtung der Natur die Tugend glüklich zu machen, der Tugendhafte mag nun bei jeder Handlung diese Glükseeligkeit zu erhalten zur Absicht gehabt haben, oder nicht. Wohlthätige Handlungen zielen auf das gemeine Beste ab; es ist dahero gütig und liebreich von Gott gehandelt, alle mögliche Bewegungsgründe, die beigefüget werden können, hinzuzuthun; und diejenigen, die einen schwachen Grad von Wohlwollen in sich haben, aufzumuntern, das gemeine Beste aus eigennüzzigen Bewegungsgründen eifriger zu befördern, oder diejenigen, die gar keine Tugend haben, zu äusserlichen wohlthätigen Handlungen aufzumuntern, und sie vom Laster zurük zu halten. Wenn wir das Ganze zusammen nehmen, so erhellet, daß in der menschlichen Natur eine uneigennüzzige lezte Begierde
 
 
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nach dem Wohl andrer liegt; und daß unser moralisches Gefühl uns bewegt, nur solche Handlungen als tugendhaft zu billigen, von denen wir wahrnehmen, daß sie zum Theil wenigstens aus dieser Begierde herrühren. – " Seit.157.158.
 
 
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28) Die menschliche Natur ist einer ruhigen Bosheit unfähig.
 
 
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"Was die Bosheit anlanget, so scheinet die menschliche Natur kaum eines boshaften uneigennüzzigen Hasses, oder einer ruhigen lezten Begierde, andre unglüklich zu sehen, fähig zu sein, wenn wir sie uns nicht als schädlich vorstellen oder glauben, daß sie unserm Vortheil entgegen stehen. Derjenige Has, der da machet, daß wir uns denjenigen, deren Vortheil dem unsrigen entgegen stehet, wid*...* widersezzen, ist einzig und allein die Wirkung der Selbstliebe und nicht einer uneigennüzzigen Bosheit. Eine plözliche Leidenschaft kan uns unrechte Begriffe von unserm Nebenmenschen beibringen, und sie uns eine kurze Zeit als schlechterdings böse vorstellen; und so lange diese Einbildung dauret, können wir vielleicht einige Beweise einer uneigennüzzigen Bosheit geben: allein so bald wir über die menschliche Natur nachdenken, und richtige Begriffe bilden, so wird diese unnatürliche Leidenschaften gemässiget, und die Selbstliebe bleibt nur zurük, die da machet, daß wir uns aus Eigennuz unsern Gegnern widersezzen. – . –" Seit.158.159.
 
 
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"Es ist klar, daß wir fast niemals eine ruhige Bosheit gegen eine Person, oder eine leztere Begierde nach ihrem Elende haben. Unser ruhiger Widerwille komt einzig und allein daher, weil unser Nuzzen dem Nuzzen des andern entgegen stehet; oder wenn wir wirklich eine ruhige Bosheit unterhalten können; so mus es gegen einen Karakter sein, von dem wir glauben, daß er nothwendiger und unveränderlicher Weise moralisch böse sei; so wie eine plözliche Leidenschaft uns unsre Feinde zuweilen vorstelt, und uns vielleicht doch niemals ein solches Wesen unter den Werken eines gütigen Gottes für Augen kömt." Seit. 160. 161.
 
 
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29) Noch ein Einwurf gegen das uneigennüzzige Wohlwollen wird widerlegt.
 
 
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"Es giebt noch einen Einwurf gegen das uneigennüzzige Wohlwollen, welcher aus dieser Betrachtung entstehet, "daß nichts unsre Liebe gegen vernünftige Wesen so sehr erwekket, als ihre Wohlthätigkeit, und besonders ihre Wohlthätigkeit gegen uns selbst, und daß wir hierdurch bewogen werden, zu glauben, daß unsre Liebe, sowohl gegen Personen, als unvernünftige Gegenstände gänzlich aus Eigennuz fliesse." Allein hier müssen wir uns selbsten etwas genauer fragen. Wünschen wir dem Wohlthäter Gutes, weil es unser Nuzzen ist, es zu wünschen? oder lieben wir ihn deswegen, weil unsre Liebe das Mittel ist, uns seine Gütigkeit zu verschaffen? Wenn dieses wäre, so könten wir jeden Karakter lieben; auch nur die Gütigkeit einer dritten Person zu erhalten; oder wir könten durch eine dritte Person bestochen werden, den grössesten Spizbuben von Herzen zu lieben, so wie zu äusserlichen Dingen Diensten bestochen würden. Allein das ist völlig unmöglich. Ferner ist nicht unsre Wohlgewogenheit eine Folge der Gütigkeit, und keinesweges ein Mittel sie zu verschaffen? Ein äusserlicher Schein, Gehorsam und Verstellung kan vor der Meinung der Wohlthätigkeit einer Person voraus gehen; allein wirkliche Liebe sezt dieselbe allezeit woraus, und wird nothwendiger Weise auch da, wenn wir nichts mehr hoffen, aus der Betrachtung vergangener Wohlthaten entspringen. Oder kan jemand sagen, er liebe einen Wohlthätigen, wie er sein Feld, einen Garten wegen seines Nuzzens liebet? Seine Liebe mus alsdenn gegen denjenigen aufhören, der sich sich durch die vielen guten Dienste, die er ihm erzeiget, zu Grunde gerichtet hat, wenn er es nicht mehr zu thun im Stande ist: so wie wir einen
 
 
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unbelebten Gegenstand aufhören zu lieben, wenn er aufhöret uns nüzlich zu sein, wenn nicht, wie sehr oft geschiehet, eine poetische Prosopopäie ihn belebet, und eine eingebildete Dankbarkeit gegen ihn erwekket. Wohlthätigkeit mus also unsre Wohlgewogenheit vermehren, so wie es die Hochachtung erwekt, welche immer mit stärkern Graden des Wohlwollens begleitet wird; und deswegen lieben wir auch diejenigen, welche gegen andre wohlthätig sind. Wir werden bei denjenigen Wohlthaten, die wir selbst empfangen, weit mehr von ihrem Werthe und denjenigen Umständen der Handlung gerühret, welche Beweise von der grosmüthigen Denkungsart des Gebers sind, und wegen der guten Meinung, die wir von uns selbst haben, sind wir geneigt zu glauben, daß die Gütigkeit besser an uns als an andern angewendet sei, von denen wir eine geringere Meinung haben. Dem sei wie ihm wolle, so ist es genug, um den Einwurf zu heben, daß die Gütigkeit, die von einem Geber kömt, von dem wir wissen, daß er moralisch böse sei, die durch Gewalt erpresset ist, oder aus eigennüzziger Absicht herfliest, niemals eine wirkliche Wohlgewogenheit hervorbringet, ja daß sie vielmehr einen Unwillen erreget, wenn wir eine verstelte Liebe, oder eine Absicht muthmassen, uns dadurch zu etwas unehrbaren zu verleiten: da hingegen weislich angewendete Gütigkeit allezeit Beifal erhält, und ihrem Urheber die Liebe aller derer, die dadurch davon hören, erwirbt." Seit. 161. 162. 163.
 
 
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30) Die wahre Quelle der Tugend.
 
 
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"Indem wir nun die falschen Quellen der tugendhaften Handlungen entfernet haben; so wollen wir eine wahre f*st fest sezzen, und diese ist eine gewisse Bestimmung unsrer Natur, um das Wohl andrer besorgt zu sein: oder ein gewisser Instinkt, der eher war, als alle Gründe des Eigennuzzes, und der uns zur Liebe andrer beweget; eben so wie das moralische Gefühl, das wir oben erklärten, uns bestimt, diejenigen Handlungen zu billigen, welche bei uns *...* oder andern aus dieser Liebe fliessen." Seit. 166.
 
 
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31) Natürliche Zuneigung.
 
 
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"Ein ehrlicher Pachter wird uns sagen, daß er die Erhaltung und Glükseeligkeit seiner Kinder suchet, und sie liebt, ohne einige Absicht, sich selbst Nuzzen dadurch zu verschaffen. Allein, sagen viele von unsern Philosophen, "die Glükseeligkeit der Kinder giebt denen Ältern Vergnügen, und ihr Elend giebt ihnen Misvergnügen, und um das erstere zu erhalten, und das leztere zu vermeiden, suchen sie aus Selbstliebe das Beste ihrer Kinder." Man sezze verschiedne Kaufleute, die ihr ganzes Vermögen mit einander in Gemeinschaft haben: der eine von ihnen ist auswärtig beschäftigt, das Kapital der Geselschaft Geselschaft wohl anzulegen; bei seinem Glükke gewinnen sie alle, und sein Verlust macht wegen des Antheils, den sie daran nehmen, allen Verdrus. Ist dies nun eben die Neigung, die Ältern gegen Kinder haben? Ist denn hier eben diese zärtliche, diese persönliche Verbindung? Ich glaube, nie werden dies Ältern sagen. Bei allen Fällen der Kaufleute ist eine *...* offenbare Verbindung des Vortheils; aber woher komt die Verbindung des Nuzzens zwischen Ältern und Kindern? Machen die Empfindungen des Kindes den Ältern Vergnügen oder Schmerz? Ist der Vater hungrig, durstig, krank, wenn es seine Kinder sind? Nein! sondern seine natürlich eingepflanzte Begierde nach ihrem Wohl, und sein Abscheu gegen ihr Elend macht, daß er bei ihrem Vergnügen oder Misvergnügen, Kummer oder Freude fühlt. Diese Begierde gehet vor der Verbindung des Nuzzens vorher, und ist ihre Ursache, und nicht ihre Wirkung. Sie mus also uneigennüzzig sein. "Nein! sagen andre, die Kinder sind Theile von uns selbsten, und indem wir sie lieben, lieben wir uns selbsten." Eine sehr gute Antwort! Wir wollen sie so hoch treiben, als sie gehen wil. Wie sind sie Theile von uns selbst? Nicht als ein Arm oder Bein: denn wir sind uns ihrer sinlichen Empfindungen nicht bewust: "allein, ihre Körper sind aus den unsrigen gebildet." So ist es eine Fliege oder Made, welche in unserm verlohrnen Blute oder Feuchtigkeit brütet; gewis uns sehr liebe Insekten! Es mus also etwas anders sein, das die Kinder zu
 
 
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Theilen von uns selbst machet; und was ist dies anders, als diejenige Neigung gegen sie, wozu uns die Natur bestimt? Diese Liebe macht sie zu Theilen von uns selbst, und komt nicht daher, weil sie es zuvor schon waren. Es ist dies in der That eine gute Metapher; und wo wir unter verschiednen vernünftigen Wesen eine Bestimmung zu gegenseitiger Liebe wahrnehmen; so wollen wir denken, daß jedes Individuum ein Theil eines Ganzen oder Systems, und selbst in dem algemeinen Wohl desselben mit begriffen sei. Ein andrer Schriftsteller glaubt, daß dieses alles sehr leicht aus der Selbstliebe herzuleiten sei. " Kinder sind nicht allein aus unserm Körper hervorgebracht, sondern sind uns dem Körper und dem Geiste nach ähnlich: sie sind vernünftige Wesen, wie wir sind, und wir lieben nur unsre eigne Gleichheit in denselben." Das ist alles sehr gut. Was ist Gleichheit? Es ist keine individuelle Identität; sie ist blos unter einer algemeinen oder besondern Idee mit begriffen. So ist eine Gleichheit zwischen uns und andrer Leute Kinder, und so ist in verschiedner Absicht ein Mensch einem andern gleich; ein Mensch ist auch einem Engel, und in andrer Betrachtung auch einem Viehe gleich. Ist also eine natürliche Anlage in jedem Menschen seines gleichen zu lieben, nicht allein seinem individuellen Selbst Gutes zu wünschen, sondern auch andern gleichen vernünftigen und empfindenden Wesen? Und ist diese Neigung am stärksten, wo die Gleichheit in denen höheren Eigenschaften am grösten ist? Wenn dies * alles mit dem Namen der Selbstliebe benennet wird, so sei es so. Die höchste Mystik braucht keinen uneigennüzzigern Grundsaz. Sie schränkt sich nicht auf sich selbst ein, sondern hat das Wohl andrer einzig und allein zum Endzwek, und kan sich auf alle ausbreiten; weil jeder dem andern gewissermaassen gleichet. Nichts kan besser, nichts kan grosmüthiger, denn diese Selbstliebe sein. Wenn man den Einwurf macht, " daß die Ältern allezeit Vergnügen, öfters Ehre haben, und zuweilen ihre äusserlichen Umstände durch die Wohlfahrt und Klugheit ihrer Kinder verbessern, und daß daher alle Sorgfalt der Ältern entspringe," so wollen wir das, was wir oben gesagt haben, wiederholen; Alle diese
 
 
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Bewegungsgründe hören bei der Annäherung des Todes auf, und doch ist alsdenn ihre Liebe st so stark, als jemals. Man lasse die Ältern ihr eignes Herz untersuchen, und sehen, ob dies die einzige Quelle ihrer Liebe, und zwar gegen die ohnmächtigsten ist, von denen sie die geringste Hofnung haben. Doch ein neuerer Autor merkt an, daß die natürliche Liebe in denen Ältern schwach ist, bis die Kinder anfangen, Beweise von ihrer Erkentnis und Neigungen zu geben. Die Mütter, sagen sie, fühlen diese Neigung schon sehr stark, auch gleich zu Anfange; und doch könte ich wünschen, um seine Hypothese übern Haufen zu werfen, daß das, was er behauptet, wahr wäre; so wie ich glaube, daß es gewisser maassen ist, ob wir gleich zuweilen bei vielen Ältern eine Liebe gegen unwissende wahrnehmen. Die Wahrnehmung des Verstandes und der Neigungen bei Kindern, die da machen, daß wir sie als moralische Wesen ansehen, kan unsre Liebe gegen sie ohne Absicht eines Vortheils vermehren; denn ich hoffe, diese Liebe ** wächst deswegen nicht, weil wir einen Vortheil aus der Erkentnis oder denen Neigungen der Kinder voraussehen, für welche die Ätern immerfort arbeiten, und niemals die Absicht haben, ihre Unkosten wieder erstattet, oder für ihre Arbeit, ausser in den äusserlichen Nothfällen, belohnt zu werden. Wenn also die Wahrnehmung einer moralischen Fähigkeit nach der Einrichtung unsrer Natur die Ursache sein kan, daß unsre Liebe ohne Eigennuz wächst, kan sie denn da nicht der Grund von einer schwächern Liebe sein, wo keine Bande der Verwandschaft vorhergegangen sind, und sich auf alle Menschen erstrekken. – " Seit.166.167.168.169.170.
 
 
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32) Algemeine Liebe ist natürlich.
 
 
  Ia-02-1778-0086
"Und daß es sich in der That so verhält, dieses wird sich zeigen, wenn wir etwas entferntere Verbindungen in Erwägung ziehen. Wenn wir einige Nachbarn bemerken, von denen wir nie einige Gefälligkeit genossen haben, welche Freundschaften, Haushaltungen, und einen geselschaftlichen Handel mit einander aufgerichtet haben, und sich unter einander ehrlich und freundschaftlich beistehen, so frage man einen Sterblichen, ob er nicht lieber ihre
 
 
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Wohlfahrt wünschen würde, wenn ihr Elend und ihr*...* Untergang* Nuzzen keinesweges mit dem unsrigen streitet, als ihr Elend und ihren Untergang? Und man wird finden, daß sich die Gränzen des Wohlwollens weiter als auf eine Familie und Kinder erstrekken, obgleich diese Bande nicht so stark sind. Man sezze wiederum den Fal, daß eine Person des Handels wegen ihr Vaterland verlassen, und mit ihrer ganzen Verwandschaft sich auswärts niedergelassen, ohne Absicht, jemals wieder zurük zu kehren; und man stelle sich dabei vor, daß er niemals von seinem Vaterlande sei bleidigt worden; so frage man diesen Mann, ob er nicht lieber die Wohlfahrth seines Vaterlandes wünschte, als daß es nunmehr, da seine Vortheile mit den Vortheilen der Nation nicht mehr verbunden sind, durch Tyrannei oder eine fremde Macht verwüstet würde? Ich stelle mir vor, seine Antwort wird uns zeigen, daß sich das Wohlwollen weiter als auf Nachbarschaft und Bekantschaft erstrekke. Man lasse einen Mann von einer gesezten Denkungsart ausser dem Lärm seiner Privatgeschäfte, nur von der Einrichtung eines fremden Landes, auch in den entlegensten Erdtheilen lesen, und dabei Kunst, Absicht und eine Liebe des gemeinen Besten in den Gesezzen dieser Geselschaft bemerken, und er wird zu ihrem Vortheile in seiner Seele gerühret sein; er wird suchen Verbesserungen und Änderungen in ihrer Einrichtung zu erfinden, wenn der eine Theil derselben unglücklich ausgefallen, und ihren Vortheilen schädlich sein kan. Er wird das Unglük, das sie befält, beklagen, und mit der Liebe eines Freundes Antheil an ihrem Schiksaale nehmen. Dieses beweiset nun, daß sich das Wohlwollen gewisser maassen auf alle Menschen erstrekke, wo kein streitender Vortheil darzwischen komt, welcher es aus Selbstliebe erstikket. Und hätten wir einge Begriffe von vernünftigen Wesen, die moralischer Neigung auch in den entfernsten Planeten fähig wären; so würden sie unsre guten Wünsche begleiten, und wir würden ihre Glükseligkeit wünschen. Und daß
 
 
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alle diese Neigungen, sie mögen nun mehr oder weniger ausgedehnt sein, eigentlich uneigennüzzig sein, und sich nicht eben auf eine Begierde nach derjenigen Glükseeligkeit, die wir aus der Wohlfahrt andrer erwarten, gründet. Dieses erhellet daraus, daß sie auch noch in dem Augenblikke unsers Todes, oder unsrer gänzlichen Zernichtung fortdauern, so wie wir bei dem vorigen Abschnitte bereits bemerket haben." Seit. 170. 171.172.
 
 
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33) Nationalliebe.
 
 
  Ia-02-1778-0088
"Hir können wir im Vorbeigehen den Grund der Nationalliebe, oder der Liebe des Vaterlandes bemerken. Wir haben an einem jeden Orte, wo wir einige Zeit gelebet haben die verschiedne Neigungen der menschlichen Natur bemerket. Wir haben manche liebenswürdige Karaktere kennen lernen, wir erinnern uns der Freundschaften, Geselschaften und Familien und natürlichen Neigungen: unser moralisches Gefühl bestimt uns diese liebenswürdigen Eigenschaften zu billigen, wo wir sie am deutlichsten wahrgenommen haben; und unser Wohlwollen verwikkelt uns in das Interesse derer Personen, die sie besizzen. Wenn wir eben dieses eben so deutlich in einem andern Lande wahrnehmen; so fangen wir an eine Nationalliebe auch gegen dasselbe zu fühlen; und unser Vaterland hat in unsrer Idee keinen andern Vorzug, es müste denn durch die Vergeselschaftung derer angenehmen Begriffe unsrer Jugend mit denen Gebäuden, Feldern und Wäldern, wo wir sie empfiengen, geschehen. Dieses zeiget uns, *...* warum Tyrannei, Aufruhr, eine nachlässige Verwaltung der Gerechtigkeit, verderbte Sitten, und alles, was das Elend * der Unthe Unterthanen bewirkt, diese Nationalliebe und diesen werthen Begrif von einem Lande zerstöret. – " Seit. 172. 173.
 
 
  Ia-02-1778-0089
34) Alle Tugend ist wohlwollend.
 
 
  Ia-02-1778-0090
"Wenn wir alle Handlungen untersuchen, welche man für liebenswürdig hält, und auf den Grund gehen, warum sie
 
 
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gebilliget werden, so werden wir finden, daß sie in der Meinung desjenigen, der sie billigt, gemeiniglich als wohlwollend erscheinen, oder als ob sie aus guter Gesinnung gegen andre, oder aus dem Verlangen nach ihrer Glükseeligkeit entspringen; derjenige, der sie billiget, mag nun eine von den geliebten Personen sein oder nicht, so erscheinen alle liebreiche Neigungen; welche uns bewegen, andre glükseelig zu machen, und alle Handlungen, von denen wir voraussezzen, daß sie aus diesen Neigungen fliessen, als moralisch gut, wenn sie, indem sie gewissen Personen wohlwollend sind, andern dadurch nicht schädlich werden. Niemals werden wir an einer Handlung, wo wir uns kein Wohlwollen dabei denken; oder bei einer Geschiklichkeit und Anlage, von der wir nicht voraussezzen, daß sie auf wohlwollende Endzwekke könte angewendet werden, etwas Liebenswürdiges finden. Ja diejenigen Handlungen, wie wir ob. erinnert haben, die in der That ausserordentlich nüzlich sind, werden scheinen, als ob sie gar keine moralische Schönheit hätten, wenn wir wissen, daß sie nicht aus gütigen Gesinnungen gegen andre geflossen sind; und eine unglükliche Bemühung der Gütigkeit, oder der Neigung, das gemeine Beste zu befördern, wird eben so liebenswürdig als die glüklichste scheinen, wenn sie aus einem eben so starken Wohlwollen entsprungen ist. – " Seit.174. 175.
 
 
  Ia-02-1778-0091
35) Moralisches Übel ist nicht jederzeit Bosheit.
 
 
  Ia-02-1778-0092
"Uneigennüzzige Bosheit oder eine lezte Begierde nach dem Unglük andrer, ist der höchste Gipfel von dem, was wir für lasterhaft halten; und jede Handlung scheint böse, v** von der wir glauben, daß sie aus einem gewissen Grad dieser Neigung fliesse. Vielleicht kan eine heftige Leidenschaft auch einige Augenblik jemand dazu hinreissen, und in dem ersten Anfal unsers Zorns können wir uns unsre
 
 
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Feinde vorstellen, als ob sie solche verhaste Eigenschaften hätten; allein es ist aus den oben angeführten Gründen sehr wahrscheinlich, daß es in der menschlichen Natur keinen solchen Grad von Gotlosigkeit giebt, bei kaltem Blute das Unglük andrer zu verlangen, wenn wir es uns und unserm Vortheil auf keine Weise nüzlich vorstellen. Die öftern und dem Scheine nach unangereizte Grausamkeiten der Neronen und Domitianen, werden öfters zum Beweise des Gegentheils angeführet; allein vielleicht nicht mit Grunde. Solche Tyrannen sind sich bewust, daß sie von allen denen gehast werden, die die Welt für tugendhaft hält, und sie befürchten sich einer Gefahr von denselben. Ein Tyran siehet solche Leute an, als ob sie, unter einem falschen Scheine der Tugend, falsche, listige oder ehrsüchtige Leute wären. Er stelt sich vor, das sicherste Mittel zu seiner eignen Sicherheit sei dasjenige, wenn er schrekbar scheine, und seine Feinde aller ihrer Hofnung beraube, durch sein Mitleiden zu entweichen. Der Ruf der Tugend bei erhabenen Personen ist eine Ursache des Neides und ein Vorwurf für den Tyrannen. Er schwächet seine Gewalt, und macht sie ihm gefährlich. Die Gewalt wird ein Gegenstand des Vergnügens für den Tyrannen, und um dieses zu zeigen, durchbricht er alle Schranken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Bei einem solchen Wandel kan man sich endlich Fertigkeit in Grausamkeiten erwerben. Diese anscheinende Vortheile scheinen mir die Grausamkeiten des Tyrannen besser zu erklären, als wenn man einen Grundtrieb von ruhiger Bosheit ohne Nuzzen voraussezt, deren alle übrige Menschen gänzlich unfähig zu sein scheinen." – Seit. 181. 182.
 
 
  Ia-02-1778-0093
36) Die Denkungsart eines Tyrannen.
 
 
  Ia-02-1778-0094
"Die Denkungsart eines Tyrannen scheinet ein auf einander
 
 
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folgender beständiger Zustand von Zorn, Has und Furcht zu sein. Damit wir also von den Bewegungsgründen seiner Handlungen und den Handlungen derjenigen in niedern Ständen urtheilen können, so wollen wir die Begriffe näher erwägen, die wir uns von Personen machen, wenn wir uns in einem von den Affekten befinden, die dem Tyrannen gewöhnlich sind. Wenn wir von einem angethanen Unrechte noch frische Eindrükke haben, so werden wir finden, daß unsre Seele mit solchen Begriffen von dem Beleidiger angefüllet ist, als ob er schlechterdings böse wäre, und ein Vegnügen darinnen fände, Schaden anzurichten: wir übersehen die Tugenden, die wir bei ruhigem Blut in ihm bemerkt hätten: wir vergessen, daß er vielleicht aus Selbstliebe, und nicht aus Bosheit oder aus einer grosmüthigen, liebreichen Absicht gegen andre handelte. Dieses sind wahrscheinlicher Weise die Meinungen, die ein Tyrann gemeiniglich von seinem Nebenmenschen hat: und da er alle liebreiche Neigungen in sich geschwächt hat, ob er gleich Anspruch auf dieselben machen mag; so urtheilt er von der Gemüthsart andrer nach seinen eigenen. Und wären die Menschen wirklich so, wie er sie ver*...*thet vermuthet, so würde sein Vermuthen Verfahren gegen sie nicht sehr unvernünftig sein. Wir werden finden, daß gemeiniglich unsere Leidenschaften aus den Begriffen entspringen, die wir uns von andern bilden; wenn wir uns diese in der Hizze nach gewissen plözlichen und kleinen Absichten gebildet haben, so ist es kein Wunder, wenn wir Eigenschaften entdekken, die aus ihnen folgen, die aber mit der wirklichen Beschaffenheit der menschlichen Natur schlecht übereinkommen." Seit. 182. 183.
 
 
  Ia-02-1778-0095
37) Die ordentliche Quelle des Lasters.
 
 
  Ia-02-1778-0096
"Die ordentliche Quelle des Lasters mus also eine irrige Selbstliebe sein, die so heftig geworden, daß sie das Wohlwollen überwindet, oder solche starke Begierden und Leidenschaften, die entweder eigennüzzig oder auf geringe Dinge gerichtet sind, und unsre Liebe zum gemeinen Wohl überwiegen; oder Affekten, die aus falschen und übereilten Meinungen von unsern Neben
 
 
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menschen entspringen, in welche wir wegen der Schwäche unsers Wohlwollens verfallen. Wenn sich der Fal ereignet, daß Leute, die eine gute Meinung von einander hegen, entgegengesezte Vortheile haben, so ist es sehr leicht möglich, daß ihre gute Meinung von einander verschwindet, indem sie sich vorstellen, daß diese Widersezzung aus Vorsaz und Bosheit herrühre; ohne dies können sie einander schwerlich hassen. So wünschen zwei Kandidaten, die sich um einen Dienst bewerben, einander todt, weil dies der ordentliche Weg ist, wodurch die Menschen einander Plaz machen; allein wenn noch einiges Nachdenken über die Tugend des andern übrig bleibt, so wie es bei einer wohlwollenden Denkungsart möglich ist; so kan dieser ihr Streit ohne Has sein, und wenn jener eine bessere Stelle bekomt, worum dieser sich nicht mit beworben hat, so wird dieser sich darüber freuen." Seit. 183. 184.
 
 
  Ia-02-1778-0097
38) Das Wohlwollen ist von verschiedenen Gattungen.
 
 
  Ia-02-1778-0098
"Wohlwollen ist ein Wort, das geschikt genug ist, überhaupt die innerliche Quelle der Tugend zu bezeichnen, so wie es Kumberland allezeit brauchet; doch, um dieses deutlicher zu verstehen, müssen wir nothwendiger Weise die Erinnerung machen, daß unter diesem Namen ganz verschiedne Fähigkeiten der Seele begriffen sind. Zuweilen bezeichnet es eine ruhige ausgebreitete Zuneigung, oder guten Willen gegen alle Wesen, die eines Glüks oder Unglüks fähig sind. Zweitens eine ruhige überlegte Neigung der Seele für die Glükseeligkeit gewisser kleinerer Systemen oder einzelner Personen; wie Patriotismus, die Liebe zum Vaterlande, Freundschaft, die Zuneigung gegen Verwandte, so wie sie bei Personen, die sich selbst beherschen, und weise sind, angetroffen wird. Oder drittens, die verschiedene besondre liebreiche Leidenschaften der Liebe, des Mitleidens, der Sympathie und Theilnehmung an des andern Glükke. Dieser Unterschied, zwischen den ruhigen
 
 
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Bewegungen des Willens, den Affekten, Fähigkeiten, oder Instinkten der Seele, und zwischen denen verschiednen unruhigen Leidenschaften *...* ist an einem * andern Orte Orte weitläuftiger in Erwägung gezogen worden." S. 185. 186.
 
 
  Ia-02-1778-0099
39) Das Wohlwollen, wie es durch die Eigenschaften seiner Gegenstände bestimt wird.
 
 
  Ia-02-1778-0100
"Die moralische Schönheit oder Häslichkeit der Handlungen wird durch die moralischen Eigenschaften der Gegenstände nicht geändert, als in so fern die Eigenschaften der Gegenstände das Wohlwollen der Handlung, oder das gemeine Wohl vermehren oder vermindern, das man dabei zur Absicht hat. So kan das Wohlwollen gegen die schlimsten Karaktere eben so liebenswürdig sein, als jede andre Neigung, ja öfters mehr, als das Wohlwollen gegen gute Karaktere, weil es einen solchen starken Grad des Wohlwollens anzeigt, der das gröste Hindernis, das moralische Übel in dem Gegenstande überwinden kan. Daher rechtnet man die Liebe gegen ungerechte Feinde unter die höchsten Tugenden. Doch wenn unser Wohlwollen gegen böse Menschen, dieselben in ihren niederträchtigen Absichten unterstüzzet, und dieselben fähiger machet, Unheil anzurichten, so vermindert oder zernichtet dies die Schönheit der Handlung, oder machet sie böse, weil es eine Vernachlässigung des Wohls andrer, das beträchtlicher war, verräth, da die Wohlthätigkeit gegen diese mehr zum gemeinen Besten als die Wohlthat für uns unsre Günstlinge würde beigetragen haben. Allein das Wohlwollen gegen böse Karaktere, das sie weder fähiger machet, noch mehr ermuntert, Schaden zu thun, noch unser Wohlwollen von nüzlichern Personen abziehet, hat eben so viele moralische Schönheit, als jede andre Neigung. Seit. 190. 191.
 
 
  Ia-02-1778-0101
40) Gewisse Grundsäzze, um die Moralität der Handlungen mit allen ihren Umständen zu berechnen.
 
 
  Ia-02-1778-0102
"Um eine algemeine Regel finden, die Moralität einiger Handlungen mit allen ihren Umständen zu berechnen, wenn wir von unsern oder andrer Handlungen urtheilen, müssen wir folgende Grundsäzze beobachten.
 
 
  Ia-02-1778-0103
1) Die moralische Wichtigkeit eines Handelnden, oder die
 
 
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Grösse des algemeinen Guten, das er hervorbringet, bestehet in einem zusammengesezten Verhältnisse seines Wohlwollens und seiner Fähigkeiten. Denn es ist klar, daß seine guten Dienste von diesen zweien Dingen gemeinschaftlich abhängen. Gleicherweise bestehet die Grösse des besondern Guten, das der Handlende für sich selbst erhält, in einem zusmmengesezten Verhältnisse seiner eigennüzzigen Grundsäzze und seiner Fähigkeiten. Wir sprechen hier nur von den äusserlichen Gütern dieser Welt, die jemand aus eigennüzzigen Grundsäzzen suchet. Denn die innerlichen Güter der Seele der Seele werden am merksamsten durch die Ausübung andrer Grundsäzze und Neigungen erhalten, als diejenigen, welche wir eigennüzzig nennen, auch diejenigen, so den Handlenden ausser sich selbst auf das Wohl andrer führen.
 
 
  Ia-02-1778-0104
2) In Vergleichung der Tugenden verschiedner Personen, deren Fähigkeiten gleich sind, verhalten sich die Grössen des gemeinen Guten, wie die Güte der Denkungsart oder das Wohlwollen; und wenn die Denkungsart gleich ist; so sind die Grössen des Guten wie die Fähigkeiten.
 
 
  Ia-02-1778-0105
3) Die Tugend also, oder die Güte der Denkungsart ist gerade wie die Grösse des Guten, wenn andre Umstände gleich sind, oder umgekehrt, wie die Fähigkeiten. Das heisset so viel, wo die Fähigkeiten die grösten sind, da ist eine Anzeige von weniger Tugend bei einer gegebenen Grösse von hervorgebrachtem Guten.
 
 
  Ia-02-1778-0106
4) Allein so wie die natürlichen Folgen unsrer Handlungen mannigfaltig sind, einige gut für uns, und übel für das Ganze; und andre übel für uns, und gut für das Ganze, oder entweder beides uns und andren nüzlich oder schädlich; so ist auch die wahre Quelle der guten Handlungen nicht allezeit das Wohlwollen allein; oder derer Bösen, die Bosheit allein (denn ruhige Bosheit findet man selten), sondern in den meisten Fällen müssen wir die Selbstliebe als eine andre Kraft ansehen, die zuweilen mit dem Wohlwollen übereinstimmet, und ihm eistehet, wenn wir so wohl durch Absichten
 
 
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eines Privatnuzzens als auch des gemeinen Bestens ermuntert werden, zu handeln, und zuweilen eine mit dem Wohlwollen streitende Kraft, wenn die gute Handlung einiger maassen schwer oder schmerzhaft zu volbringen, oder in ihren Folgen der handlenden Person schädlich ist. Diese eigennüzzigen Bewegungsgründe sollen hernach weiter erwogen werden; hier können wir sie algemein mit dem Worte Nuzzen anzeigen, welcher, wenn er mit dem Wohlwollen zusammen komt, bei einer Handlung, die eines Wachsthums oder Verminderung fähig ist, eine beträchtlichere Grösse des Guten hervorbringen mus, als das Wohlwollen allein bei eben denselben Fähigkeiten; und wenn die Grösse des Guten in einer Handlung, die zum Theil das Wohl des Handlenden zur Absicht hatte, nur der Grösse des Guten in der Handlung eines andern, der blos durch das Wohlwollen bewogen worden, gleich ist, so ist die erstere weniger tugendhaft, und in diesem Falle mus der Nuzzen bestimt werden, um die wahre Wirkung des Wohlwollens oder der Tugend zu finden. Und eben so, wenn der Nuzzen dem Wohlwollen entgegen steht, und doch durch dieselbe überwunden wird, mus dieser Nuzzen zu der Grösse addiret werden, um die Tugend der Handlung oder die Stärke des Wohlwollens zu vermehren. Durch Nuzzen in diesem leztern Fal verstehen wir allen den Vortheil, welcher der Handlende durch Unterlassung der Handlung ** könte erhalten haben, welches ein negativer Bewegungsgrund dazu ist, und dieser, wenn er abgezogen wird, wird positiv. Hier müssen wir anmerken, daß der Vortheil, den wir nicht zur Absicht hatten, der aber natürlicher oder zufälliger Weise aus der Handlung fliest, nichts zu ihrer Moralität beiträgt, oder sie weniger liebenswürdig machet; so wie eine Schwierigkeit oder ein Übel, das wir nicht vorhergesehen, oder nachdem wir uns nicht entschlossen haben, eine liebenswürdige Handlung nicht tugendhafter machet; denn in solchen Fällen hilft oder streitet die Selbstliebe nicht mit dem Wohlwollen. Ja der Eigennuz vermindert nur alsdenn Wohlwollen, wenn ohne diese eigenüzzige Absicht die Handlung nicht würde unter
 
 
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nommen worden sein, oder so viel Gutes nicht würde hervorgebracht haben, und er lindert das Laster einer übeln Handlung nur alsdenn, wenn ohne diesen Nuzzen die Handlung von dem Handlenden nicht würde sein unternommen oder so viel Übels durch ihn würde sein hervorgebracht worden. Der sechste Grundsaz erkläret nur diejenigen äusserlichen Kenzeichen, nach welchen die Menschen urtheilen müssen, die einander nicht ins Herz sehen können. Denn es kan in manchen Fällen geschehen, daß Leute ein solches starkes Wohlwollen haben, das hinreichend wäre; jede Schwierigkeit zu überwinden, und daß sie doch überhaupt keine antreffen; und in diesem Falle ist gewis, daß hierneben so viel Tugend bei dem Handlenden ist, ob er gleich seinen Nebengeschöpfen keine Proben davon giebt, als ob er in seinen liebreichen Handlungen Schwierigkeiten überwunden hätte. Und dieser Fal mus bei Gott sein, dem nichts Schwierigkeiten machen kan. –" Seit. 198. 199. 200. 201.
 
 
  Ia-02-1778-0107
41) Volkommene Tugend.
 
 
  Ia-02-1778-0108
"Da nun also bei Beurtheilung der guten Denkungsart einer handlenden Person die Fähigkeiten mit in die Rechnung kommen müssen, und niemand über seine natürliche Fähigkeiten handeln kan; so mus dies die volkommenste Tugend sein, wo die Grösse des hervorgebrachten Guten der Fähigkeit gleichet, oder wenn ein Wesen nach aller seiner Macht das gemeine Wohl zu befördern suchet; und denn verhält sich die Volkommenheit der Tugend in diesem Fal wie die Einheit. Dieses kan uns den Grund von dem hochtrabenden Sazze der Stoiker anzeigen: "daß eine Kreatur, die man als unschuldig voraussezt, wenn sie nach der Tugend mit aller ihrer Macht strebet, an Tugend den Göttern gleich kommen könne;" denn in diesem Falle, wenn die Fähigkeit unendlich wäre, ist die Tugend, ausser wenn das Gute, das im Ganzen hervorgebracht würde, auch unendlich wäre, nicht absolut volkommen, und der Quotient kan niemals die Einheit übersteigen. –" Seit. 201. 202.
 
 
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  Ia-02-1778-0109
42) Die Moralität ist von dem Nuzzen einer Handlung unterschieden.
 
 
  Ia-02-1778-0110
"Aus den vorhergegangenen Betrachtungen können wir nun eine demonstrative Folge ziehen: "daß wir ein Gefühl der Güte und moralischen Schönheit bei den Handlungen haben, das von dem Vortheile unterschieden ist." Denn hätten wir keinen andern Grund, Handlungen zu billigen, als den Vortheil, welcher uns aus derselben erwachsen könte, wenn sie uns zum besten geschäche; so würden wir die Fähigkeiten des Handlenden nicht in Erwägung ziehen, sondern sie blos nach ihrer Wichtigkeit schäzzen. Die Fähigkeiten kommen blos deswegen mit in Betrachtung, um den Grad des Wohlwollens zu zeigen, welcher ein nothwendiger Weise liebenswürdiges Wohlwollen voraussezt. Wer findet deswegen mehr Vergnügen an einem trokkenen felsigten Feld, oder an einem unbequemen Hause, wenn man ihm sagt, daß das schlechte Feld so viel Früchte trage, als es tragen könne, und daß das Haus seinem Besizzer so bequem wäre, als es gekont hätte? Und doch wird es in unsrer Meinung von den Handlungen, deren Wichtigkeit sehr unbeträchtlich ist, die Schönheit sehr vermehren, wenn man dazu sezt, daß dies alles war, was der arme Handlende für das gemeine Beste, oder seinen Freund thun konte: –" Seit. 205.
 
 
  Ia-02-1778-0111
43) Der Instinkt kan die Quelle der Tugend sein.
 
 
  Ia-02-1778-0112
"Es wollen viele nicht zugeben, daß die Tugend aus Leidenschaften, Instinkten oder Neigungen einer Art entspringen kan. Dies ist wahr, liebreiche Leidenschaften gegen einzelne Personen sind nur eine niedrige Gattung der Güte, wenn sie auch dem algemeinen Guten nicht entgegen stehen. Diejenigen ruhigern Bestimmungen des Willens, sie mögen nun von grösserer oder geringerer Ausdehnung, oder stille, starke Affekten oder Begierden nach dem Wohl andrer sein, sind liebenswürdiger. Diese können eben so stark in dem Wesen der Seele eingewurzelt sein, oder es kan eine natürliche Fähigkeit zu
 
 
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denselben da sein, wie zu den Leidenschaften gegen einzelne Personen. Sie sagen uns, daß die Tugend gänzlich aus der Vernunft entspringe; eben als ob die Vernunft oder die Erkentnis eines wahren Sazzes uns zu einer Handlung bewegen könte, wo kein vorhergesezter Endzwek, und keine Neigung oder Begierde zu diesem Endzwekke ist, der lezte Endzwek nach der Meinung vieler von unsern Moralisten, ist eines jeden seine eigne Glükseeligkeit, und doch sucht er diese nach einem Instinkt. Nun kan nicht ein andrer Instinkt für das algemeine Wohl, oder das Wohl andrer eben sowohl eine Quelle der Tugend sein, als der Instinkt für unsre Privatglükseeligkeit? Dies ist gewis, daß, wenn wir auch die eigennüzzigen Handlungen andrer aufs höchste mit Gleichgültigkeit ansehen, wir doch etwas liebenswürdiges bei jeder Handlung sehen, die aus liebreichen Neigungen oder Leidenschaften gegen andre fliest; wenn sie durch Klugheit geleitet werden, daß sie ihren Endzwek erreichen, ohne dem algemeinen Wohl zu widersprechen. Solte man sagen: "Handlungen, die man aus Instinkt thut, sind nicht die Wirkungen der Klugheit und Wahl," so gehet dieser Einwurf auch die Handlungen an, die aus der Selbstliebe fliessen; da der Gebrauch unsrer Vernunft eben so geschikt ist, die gehörigen Mittel für das gemeine Wohl, als unser Privatbeste auszufinden. Und so wie es ein Instinkt oder eine Bestimmung sein mus, die eher war, als unsre Vernunft, die da machet, daß wir daß Privatbeste sowohl, als das gemeine Wohl als unsern Endzwek suchen; so kan es eben auch der Fal für unsre Wahl und Klugheit sein, bei der Wahl gehöriger Mittel beides zu befördern. Ich sehe keinen Schaden, wenn man voraussezt, "daß wir natürliche Fähigkeit zur Tugend haben, und nicht gänzlich gleichgültig gelassen worden, bis das Vorhersehen eines Vortheils uns dazu antreibt." Gewis, die Voraussezzung eines algemein wohlwollenden Instinkts würde die menschliche Natur
 
 
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und ihren Werkmeister der Liebe eines gutgesinten Mannes mehr empfehlen und Gelegenheit genug übrig lassen, unsre Vernunft in Festsezzung gewisser Rechte, Gesez und Verordnungen, in Erfindung der Künste, und in Ausübung derselben zu gebrauchen; so, daß wir auf die wirksamste Art dieser edelmüthigen Neigung wilfahren. Und wenn wir die Selbstliebe hinzuthun müssen, um die Tugend vernünftig zu machen, so wird uns ein kleines Nachdenken entdekken, daß dieses Wohlwollen unsre gröste Glükseeligkeit ist; und daher können wir uns entschliessen, so viel als möglich diese angenehme Fähigkeit aus zuarbeiten, und jeden entgegenstehenden Nuzzen zu verachten. Nicht, daß wir wahrhaftig tugendhaft wären, wenn wir blos das Vergnügen zu erhalten suchen, welches aus der Wohlthätigkeit entspringt, ohne daß wir Liebe gegen andre hätten: sondern selbst dieses grose Vergnügen gründet sich darauf, daß wir uns der uneigennüzzigen Liebe gegen andre, als der Quelle unsrer Handlungen bewust sind. Allein Eigennuz kan unser Bewegungsgrund sein, uns zu bemühen, diese liebreichen Neigungen zu erregen, und in diesem angenehmen Zustande fortzufahren, ob er gleich nicht der einzige und vornehmste Bewegungsgrund einer Handlung sein kan, welche unserm moralischen Gefühl tugendhaft scheinet. – "Seit. 206. 207. 208. 209.
 
 
  Ia-02-1778-0113
44) Der Heldenmuth ist in allen Ständen.
 
 
  Ia-02-1778-0114
"Aus denen vorhergehenden Betrachtungen wollen wir nur diese einzige Folgerung ziehen, die auch dem niedrigsten Stande der Menschen erfreulich ist, nämlich, daß keine äusserliche nachtheilige Glüksumstände einen Sterblichen von der Heldenmüthigsten Tugend ausschliessen. Denn so klein auch die Wichtigkeit des algemeinen Bestens sein mag, die jemand befördern kan, wenn seine Fähigkeiten eben so klein sein mögen, so kan die Tugend doch die gröste sein. Der Fürst, der Staatsman, der General, sind nicht allein des wahren Heldenmuths fähig, ob gleich dieses die vornehmsten Karaktere sind, deren Ruf durch viele Nationen
 
 
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und Zeitalter verbreitet wird; sondern, wenn wir in einem ehrlichen Handelsman, den liebreichen Freund, den treuen klugen Rathgeber, den freigebigen und gastfreien Nachbar, den zärtlichen Eheman, den aufrichtigen Verwandten, den ruhigen und muntern Geselschafter, den grosmütigen Beistand des unbekanten Verdienstes, und den behutsamen Mann in Beilegung des Streites und Zwistes, den Beförderer der Liebe und des guten Verständnisses zwischen Bekanten finden; wenn wir bedenken, daß dieses alle die guten Dienste waren, welche seinem Nebenmenschen zu erzeigen ihm sein Stand Gelegenheit gab; so müssen wir diesen Karakter wirklich für eben so liebenswürdig halten, als diejenige, deren äusserer Schimmer eine unbedachtsame Welt zu glauben verblendet, daß sie die einzigen Helden in der Tugend wären. – " Seit. 209. 210.
 
 
  Ia-02-1778-0115
45) Das Wohlwollen ist der einzige Grund des Beifals.
 
 
  Ia-02-1778-0116
"Niemals werden wir die Handlung einer Person gebilligt haben, wenn nicht eine wohl oder übelgegründete Wahrnehmung einer wirklichen guten moralischen Eigenschaft vorhergegangen ist. Wenn wir auf die Meinung der Menschen von gewissen Handlungen Acht geben, so werden wir finden, daß allezeit ein wirklich liebenswürdiger und wohlwollender Anschein ihren Beifal bewirkt. Wir können vielleicht Fehler begehen, wenn wir glauben, daß gewisse Handlungen zu dem gemeinen Besten abzielen, die es nicht thun, oder auch, wenn wir unachtsam sind, so daß wir, indem unsre Aufmerksamkeit auf gewisse gute Wirkungen für einzelne Personen gerichtet ist, viele üble Folgen, welche das Gute überwiegen, gänzlich übersehen. Unsre Vernunft kan ihre gehörigen Dienste nicht thun, wenn sie uns partheiische Vorstellungen von dem Zwekke der Handlungen beibringt; allein, alzeit ist doch eine anscheinende Gattung von Wohlwollen da, die unserm Beifal gebietet. Und dieses Gefühl, ob es zwar nie in unsern andern Sinnen durch stärkeren Bewegungsgründe des äusserlichen Vortheils überwunden wird, höret nicht auf zu wirken, sondern machet uns unruhig und un
 
 
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zufrieden mit uns selbst; so wie der Geschmak uns den übelschmekkenden Trank ekelhaft und verdrüslich macht, den wir uns wegen seines Nuzzens einzunehmen bewegen lassen. Man macht also hier ohne Grund den Einwurf, daß gewisse Handlungen wirklich gethan werden, die zum algemeinen Schaden abzielen. Denn auf gleiche Art werden öfters Handlungen verrichtet und gebilliget, die zu dem Schaden des Handlenden abzwekken. Allein so wie wir aus dem leztern Falle nicht folgern, daß die handlende Person gar keine Selbstliebe oder Gefühl des Nuzzens habe; so dürfen wir auch nicht aus dem erstern schliessen, daß diese Leute kein moralisches Gefühl oder keine Begierde, das gemeine Beste zu befördern, haben solten. Die Sache verhält sich so: die Menschen betrügen sich bei der Abzwekkung einer Handlung entweder zu dem algemeinen oder zu dem Wohl einzelner Personen; ja öfters verursachen heftige Leidenschaften, daß, so lange sie diese dauren, sie nach ihrem moralischen Gefühl sehr schlechte Handlungen biligen, und diejenigen, welche für die handlende Person am schädlichsten sind, für nüzlich ansehen. Allein dies beweiset weiter nichts, als daß zuweilen ein stärkerer Bewegungsgrund zu handeln, als das moralische Gefühl, da sein kan, und daß Menschen gegen ihren eignen Vortheil durch ihre Leidenschaften blind werden können. Allein, um zu beweisen, daß die Menschen gar kein moralisches Gefühl haben, müssen wir einige Beispiele von grausamen, boshaftigen Handlungen ausfindig machen, die ohne einige wirkliche, oder anscheinende, eigennüzzige Bewegungsgründe geschehen wären, und die man gebilliget hätte, ohne die Meinung zu haben, daß sie zu dem gemeinen Besten abzielten, oder aus Wohlwollen geflossen wären: wir müsten ein Land finden, wo Mord und Todtschlag, die mit kaltem Blute geschehen, Martern, und alles, was man boshaftes nennen kan, ohne einigen Vortheil, wo nicht gebilliget, dennoch mit Gleichgültigkeit ange
 
 
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sehen wird, und keinen Abscheu gegen die handlenden Personen bei unpartheiischen Zuschauern erwekket: Wir müsten Menschen finden, bei denen der Verräther, der Undankbare, der Grausame mit dem grosmüthigen, freundschaftlichen, treuen und leutseeligen Manne in gleicher Achtung stehet, und welche den leztern nicht höher als den erstern schäzzen, in allen diesen Fällen, wo sich der Einflus dieser Eigenschaften nicht auf sie selbst erstrekket, oder wo das natürliche Gute oder Übel andre Personen betrift. Und es ist die Frage, ob das Weltgebäude, ob es gleich gros genug, und mit einer unglaublichen Mannigfaltigkeit von Karakteren versehen ist, uns ein einziges Beispiel, nicht nur von einer Nation, sondern auch v** von einer Geselschaft, oder einer einzelnen Person darbieten solte, die alle Handlungen für gleichgültig halten h wird ausser diejenigen, die sie selbsten und ihren eignen Vortheil betreffen. – – –" Seit. 211. 212. 213. 214.
 
 
  Ia-02-1778-0117
46) Das moralische Gefühl komt nicht von der Erziehung.
 
 
  Ia-02-1778-0118
"Die Algemeinheit des moralischen Gefühls, und daß es vor der Unterweisung vorausgehe, wird daraus klar werden, wenn wir die Empfindungen unsrer Kinder bemerken, wenn sie die Geschichten hören, mit denen sie gemeiniglich unterhalten werden, so bald sie die Sprache verstehen. Sie nehmen allezeit die Parthei derjenigen, von denen man sagt, daß sie gütig und menschenfreundlich wären, und verabscheuen den Grausamen, Geizigen, Eigennüzzigen und Verrätherischen. Wie stark werden ihre Leidenschaften der Freude, der Liebe, des Unwillens, durch diese moralische Vorstellungen erreget, ob man sich gleich keine Mühe gegeben hat, ihnen Begriffe von einer Gotheit, von Gesezzen, von einem zu künftigen Zustande, von der Abzwekkung des algemeinen Wohls zu dem Wohl jeder einzelner Person beizubringen! – " Seit. 229.
 
 
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  Ia-02-1778-0119
47) Dankbarkeit!
 
 
  Ia-02-1778-0120
"Nichts wird uns einen richtigern Begrif von der weisen Ordnung geben, nach welcher die menschliche Natur für eine algemeine Liebe und gegenseitige Dienstleistungen gebildet ist, als wenn wir diejenige starke anziehende Kraft des Wohlwollens betrachten, welche wir Dankbarkeit nennen. Jederman weis, daß Wohlthätigkeit gegen uns selbst einen weit tiefern Eindruk auf uns macht, und die Dankbarkeit oder eine stärkere Liebe gegen den Wohlthäter erwekket, als gleiche Wohlthätigkeit gegen eine dritte Person. Wegen der grossen Anzahl der von Menschen, ihren entfernten Wohnpläzzen, und wegen der U* Unmöglichkeit, daß jeder einer grossen Menge wirklich nüzlich sein könte, hat es unsre Natur, damit unser Wohlwollen durch die Menge von Gegenständen, deren gleiche Tugend sie unsrer Achtung gleichmässig empfehlen würde, nicht verwirt gemacht, oder damit es dadurch nicht unnüzlich würde, daß es auf eine grosse Anzahl sich gleich weit erstrekke, deren Vortheile wir nicht verstehen oder nicht befördern könten, weil wir keine Gelegenheit haben, ihnen Dienste zu erweisen, so weislich geordnet, daß, so wir unsre Dankbarkeit durch diejenigen guten Dienste, die man uns oder unsern Freunden erzeiget, mehr erwekket wird, sie auch eine stärkere Empfindung der Hochachtung in uns verursachen, und ein stärkeres Wohlwollen gegen den Urheber derselben hervorbringen. Dieses nennen wir Dankbarkeit. Und so ist auch ein Grund für alle fröhliche Verbindungen in allen Gattungen von Geschäften und tugendhaften Freundschaften gelegt. Vermöge dieser Einrichtung wird auch der Wohlthäter zu seiner Wohlthätigkeit mehr aufgemuntert, und durch dankbare Erwiederungen besser von dem Wachsthume der Glükseeligkeit versichert, als wenn seine Tugend nur durch die kältere algemeinen Gesinnungen gleichgültiger Personen geehret würde, die seine Nothdurft nicht kenneten und nicht wüsten, wie sie ihm
 
 
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nüzlich sein könten; besonders, wenn sie alle gleichmässig bestimmet würden, unzählbare Mengen zu lieben, deren gleiche Tugenden eben die Ansprüche auf ihre Liebe haben würden. Das algemeine Wohlwollen gegen alle Menschen können wir mit dem Grundtriebe der Schwere vergleichen, welche sich vielleicht auf dem Körper in dem Weltgebäude erstrekt; allein, allezeit wächst, so wie die Entfernung vermindert wird, und am stärksten ist, wenn Körper einander berühren. Dieses Wachsthum bei mehrerer Annäherung ist eben so nothwendig, als eine anziehende Kraft überhaupt. Denn eine algemeine anziehende Kraft, die in allen Entfernungen gleich wäre, würde durch den Streit der vielen gleichen Kräfte aller regelmässigen Bewegung ein Ende machen, ja sie ganz unterbrechen. Neben dieser algemeinen anziehenden Kraft zeigen uns die Gelehrten in dieser Gattung von Wissenschaft noch viele andre anziehende Kräfte, unter verschiednen Arten von Körpern, die mit gewissen besondern Bewegungen aus gewissen besondern Ursachen übereinstimmen. Und diese anziehende Kraft, oder die Kraft, durch welche die Theile jedes Körpers zusammen hängen, kan die Selbstliebe jeder einzeln Person vorstellen. Diese verschiednen Arten der Liebe gegen gewisse Personen nach denen nähern Verbindungen, die wir wegen ihrer Wohlthaten mit ihnen haben, bemerkt man in dem hohen Grade der Liebe, welche Helden und Gesezze weit eher in ihrem Vaterlande als auswärtig, auch bei denjenigen, die gegen ihre Tugend nicht unempfindlich sind, erhalten; und in allen den starken Banden der Freundschaft, Bekantschaft, Nachbarschaft und Gemeinschaft, welche zu der Ordnung und Glükseeligkeit der menschlichen Geselschaft ausserordentlich nothwendig sind. – " Seit. 232. 233. 234.
 
 
  Ia-02-1778-0121
48) Die moralische Unfähigkeit ist eine Ursache sich zu schämen.
 
 
  Ia-02-1778-0122
"Wir werden uns bei jedem Beweis von moralischer Un
 
 
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fähigkeit, und zwar mit gutem Grunde, schämen, wenn diese Unfähigkeit durch unsre eigene Nachlässigkeit ist verursacht worden. Ja wenn ein gewisser Umstand in einem Lande so unanständig als beleidigend für andre als häslich scheinet, so werden wir ausser dem Verlangen nach der guten Meinung andrer uns schämen, in solchen Umständen gefunden zu werden, wenn wir auch wissen, daß diese Unanständigkeit oder Beleidung in der Natur ihren Grund nicht hat; sondern blos die Wirkung der Gewohnheit ist. Wenn man uns in solchen natürlichen Verrichtungen antrift, welche für unanständig und beleidigend gehalten werden, so werden wir unruhig werden, ob wir gleich wissen, daß sie kein Beweis des Lasters oder einer Schwachheit sind. Allein wir werden, da alle moralische Fähigkeiten, weil man die algemeine Vermuthung hat, daß sie gut angewendet würden, und man sie sich durch Tugend h*...* erworben habe, die Hochachtung andrer erwerben, uns ihrentwegen hochschäzzen und stolz auf dieselbe werden, und uns schämen, wenn wir unsern Mangel an solchen Fähigkeiten entdekken. Dies ist die Ursache, warum Reichthum und Gewalt, diese grossen Werkzeuge der Tugend, so bald man die Vermuthung hat, daß sie zu wohlwollenden Absichten, entweder für unser Vaterland, oder unsre Freunde angewendet werden, uns Ehre von andern erwerben, und Stolz in dem Besizzer hervor zu bringen fähig sind; diese Leidenschaft können wir, weil sie algemein, und gut oder böse sein kan, nachdem sie einen Grund hat, so beschreiben, daß sie die Freude sei, welche aus dem wirlichen oder eingebildeten Besiz der Ehre oder des Rechts dazu entspringet. Eben so sind die Wirkungen der Erkentnis, Weisheit und Stärke; und hieher hierher komt es, daß die Menschen fähig sind, mit denselben zu prahlen. Allen, so bald man sieht, daß Leute bei der Anwendung dieser Fähigkeiten blos ihren
 
 
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Privatnuzzen oder natürliche Vortheile zur Absicht haben; so höret die Ehre auf, und wir bemühen uns, sie zu verbergen, oder sind zum wenigsten nicht ämsig, sie zu entdekken, und zwar alsdenn noch weit mehr, wenn der Argwohn einer lasterhaften Anwendung da ist. So schämen sich viele Geizhälse ihres Vermögens, und bemühen sich, dasselbe, so wie die Boshaften und Eigennüzzigen ihre Gewalt, zu verbergen; ja öfters geschieht es auch aus keiner wirklich übeln Absicht; weil die Verminderung ihrer Fähigkeiten das moralische Gute einer kleinen liebreichen Handlung vermehrt.
 
 
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Kurz, wir sehen alezeit, daß diejenigen Handlungen, welche aus Liebe zum gemeinen Wohl fliessen, mit edelmüthiger Kühnheit und Offenherzigkeit begleitet sind; und daß nicht allein boshafte, sondern auch nur eigennüzzige Handlungen Schaam und Verwirrung mit sich führen; und daß man sie zu verheelen sich bemühet. Die Liebe zum Privatvergnügen ist die gewöhnliche Veranlassung des Lasters, und wenn gewisse Leute einige lebhafte Begriffe von Tugend haben; so fangen sie gemeiniglich an sich alles dessen zu schämen, was Eigennüzzigkeit auch da, wo sie unschuldig, verräth. Wir sind sehr geneigt uns vorzustellen, daß andre, die uns über solchen Handlungen antreffen, die üble Meinung von uns bekommen, als ob wir dem Privatvergnügen zu sehr nachhiengen, und daher finden wir, daß der Genus solcher Dinge bei den feinern Nationen vor denjenigen Personen verheelet wird, die ihn nicht mit uns theilen; so wie die Vergnügungen der Wollust zwischen verheiratheten Personen, oder wenn eines ohne das andre bessere und köstlichere Gattungen von Speis und Trank zu sich nimt. Einer gastfreien Tafel rühmet man sich vielmehr
 
 
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öffentlich, und verheirathete Personen machen aus den liebreichen und edelmüthigen Dienstgefälligkeiten, die sie einander erzeigen, kein Geheimnis, weil hier kein Argwohn von Selbstliebe bei der handlenden Person stat findet, sondern man glaubt, daß sie blos aus der Liebe gegen ihren Geselschafter also handele. Dieses erhöhet die natürliche Ehrbarkeit bei civilisirten Nationen, so wie Fertigkeit und Erziehung sie verbessern, so, daß wir uns nun mancher Dinge aus gewissen dunkeln und verwirten Meinungen von moralischem Übel schämen, ob wir gleich nicht wissen, aus was für vor einem Grunde wir es thun. Hier sehn wir auch den Grund, warum wir uns nicht gewisser Arten, von Grösse und vornehmer Lebensart schämen. Hier ist eine solche Mischung moralischer Ideen von Wohlwollen und liebreich angewandten Fähigkeiten; von unterstüzten Klienten, von unterhaltenen Freunden, und von der Fähigkeit zu grossen und liebenswürdigen Handlungen, daß wir uns derselben niemals schämen, sondern vielmehr rühmen. Wir bemühen uns niemals es zu verbergen, sondern wünschen, daß unser Staat und Pracht allen bekant werden möchte. Wenn diese Verbindung moralischer Ideen nicht wäre, so würde niemand die Sklaverei des Staats ertragen. Würde wohl jemand ein Vergnügen daran finden, seine Tafel mit einer Geselschaft von Statuen umringet zu sehen, die so künstlich eingerichtet wären, die verschiedenen Aufsäzze von seinen Speisen zu verzehren, und durch einen Diener gleich so vielen Puppen regieret würden, die gewöhnliche nichts bedeutende Danksagungen für die gute Mahlzeit abzustatten, oder so viele Maschinen zu haben, die bestellet wären, die Büklinge und das Gezischel einer Stube vol
 
 
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unterthäniger Klienten zu verrichten? Daß wir uns des ebenden Zustandes unsrer Kleidung, Tafel und Equipage schämen, dies ist eben dieser Ursache zuzuschreiben. Man glaubt, dieser elende Zustand der Kleidung oder der Tafel sei eine Anzeige des Geizes oder Niederträchtigkeit, eines Mangels an Fähigkeit oder Lebensart, Fleis oder andern Gattung moralischer Fähigkeiten. Um dieses zu bestätigen, dürfen wir nur bemerken, daß sich Leute öfters dieses schlechten Zustandes rühmen, wenn er durch eine gute Handlung veranlasset worden ist. Wie viele würden sich schämen, zu Mittag über kalter Küche angetroffen zu werden, die sich doch rühmen, Hunde– und Pferdefleisch bei der Belagerung von Derry gegessen zu haben? Und alle werden sagen, daß sie sich desselben niemals schämen, noch geschämt haben. – Die ordentliche Verbindung in unsrer Einbildung zwischen äus äusserlicher Grösse, Regelmässigkeit in Kleidung, Equipage, Gefolge und Ehrenzeichen, und zwischen mehr als gewöhnlich grossen moralischen Fähigkeiten ist vielleicht in der Welt von mehrern Folgen, als gewisse verschlossene Philosophen wahrnehmen, die stolz darauf sind, diesen äusserlichen Schein zu verachten. dies kan möglicher Weise eine grosse, wo nicht die einzige Ursache von dem sein, was wir für für so wunderbar halten, daß nämlich leutseelige Regenten, die nicht mehr Fähigkeiten besizzen, als andre, durch eine nicht zu erklärende Ehrfurcht und Ansehen den Geist des Pöbels dämpfen, und sie durch solche Schranken in der Unterwürfigkeit erhalten, welche leicht durch Verbindungen mit Misvernügten könten durchbrochen werden, die unter ihres gleichen kühn genug dazu sind, und die gehörige Verachtung des Todes zu einer solchen Unter
 
 
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nehmung zeigen. – Hier können wir auch die Ursachen entdekken, warum wir, wenn wir unserm höhern Gefühl der Schönheit und Übereinstimmung wilfahren, oder das Vergnügen der Erkenntnis geniessen, niemals Schaam oder Verwirrung fühlen, wenn auch dieser Genus der ganzen Welt bekant wäre. Die Gegenstände, welche dieses Vergnügen darreichen, sind von einer solchen Beschaffenheit, daß sie nach einer grossen Menge andrer Leute eben dieses Vergnügen gewähren; es ist auch bei ihrem Genusse nichts, was einen Sterblichen von einem gleichen Genusse ausschliessen könte. Also wird, ob wir gleich diese Güter und Vergnügungen aus Selbstliebe suchen, dennoch weil unser Genus andern nicht schädlich sein kan, niemand vor unmenschlich eigennüzzig gehalten, weil er sie so sehr geniest; als er nur kan. Eben die Regelmässigkeit, oder Übereinstimmung, die mich ergözzet, kan noch sehr viele von meinen Nebenmenschen zugleich ergözzen; eben der Lehrsaz wird noch eben so fruchtbar an Vergnügen sein, wenn er tausend vergnüget hat. Wir schämen uns deswegen niemals solcher Bemühungen, weil sie niemals an und vor sich zur Bosheit und zum Neide verleiten, und nie wird einer den andern deswegen, weil er Gegenstände von unerschöpflichem algemeinen Vergnügen nachstrebt, für zu eigennüzzig halten. Dies lehrt uns auch die Ursache, warum man in seiner eigenen Gegenwart nicht gerne gelobt ist. Jeder ergözt sich an der Hochachtung andrer, und mus ein grosses Vergnügen geniessen, wenn er sich loben höret; allein wir sehen es nicht gerne, daß andre unsern Genus dieses Vergnügens, welches wirklich eigennüzzig ist, bemerken oder glauben solten, wir hätten es gern, und die Hofnung dazu bewegte uns zu unsern guten Handlungen, dazu deswegen wählen wir Einsamkeit zu dem Genusse des Lobes, so wie wir die es mit den übrigen Vergnügungen zu thun pflegen, welche niemand anders mit uns zu theilen hat. – " Seit. 245. 246. 247. 248. 249. 250. 251.
 
 
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49) Das Mitleiden ist ein Bewegungsgrund zur Tugend.
 
 
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"Wir wollen nun eine andre Bestimmung unsrer Seele, welche ein starker Beweis ist, daß uns das Wohlwollen natürlich sei, nämlich das Mitleiden betrachten, mittelst welches wir geneigt sind, den Nuzzen andrer ohne einge Absichten eines Privatvortheils zu befördern. Dieses hat einer kleinen Erklärung nöthig. Jeder Sterblicher wird bei dem sch*...*z schmerzhaften Elend, worin er andre verwikkelt sieht, unruhig werden, ausser, wenn er sich die Person moralisch böse vorstellet: ja es ist unmöglich, daß er in diesem Falle ungerühret bleiben solte. Der Vortheil kan uns zu einer grausamen Handlung verleiten, oder das Mitleiden überwältigen; allein fast niemals wird er es auslöschen. Ein plözlicher Zorn und Has kan eine Person als schlechterdings böse vorstellen, und auf dies Art das Mitleiden auslöschen, allein wenn die Leidenschaft vorüber ist, so kehrt es öfters wieder zurük. Eine andre uneigennüzzige Absicht kan auch bei kaltem Blute das Mitleiden überwältigen; wie die Liebe zum Vaterlande, und der Eifer für die Religion. Verfolgungen haben allezeit eine Liebe zur Tugend, und die Begierde, seinen Nebenmenschen ewig glüklich zu sehen, zum Grunde, ob uns gleich öfters unsre Thorheit ungereimte Mittel zur Beförderung derselben anräth; ja sie sind öfters mit so vielem Mitleiden begleitet, daß der Verfolger darüber, was er aus überwiegenden Gründen thut, unruhig wird, wenn er nicht aus besondrer Meinung die Kezzer für schlechterdings und gänzlich böse ansiehet. Wir sehen hieraus, wie wunderbar die Einrichtung unsrer Natur zur Erregung
 
 
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des Mitleidens geschikt gemacht ist. Unser Elend oder Traurigkeit zeigt sich alsbald auf unserem Gesichte, wenn wir uns nicht bemühen, es zu verhüten, und pflanzt auf alle Zuschauer einen gewissen Schmerzen fort, welche alle die Meinung dieser traurigen Gebärden geschwinde verstehen. Wir stossen auf eine mechanische Weise Seufzer und Schreien bei der Wahrnehmung eines Übels Übels aus, und zwar so, daß uns auch die Rüksicht auf den Wohlstand selten davon zurük halten kan. Dies ist die von allen Nationen verstandene Stimme der Natur, wodurch alle die gegenwärtig sind, zu unserem Beistande aufgemuntert, und öfters unsre ungerechten Feinde ihr Verfahren zu bereuen bewogen werden. Wir haben oben gesehen, daß wir durch das Mitleiden nicht unmittelbar ermuntert werden, die Entfernung unsres eigenen Schmerzes zu verlangen: wir halten es v*...* vielmehr für recht, bei dieser Gelegenheit so gerührt zu sein, und misbilligen diejenigen, die es nicht sind. Allein wir werden unmittelbar ermuntert, die Erleichterung des Elenden zu wünschen, ohne den geringsten Gedanken, daß diese Erleichterung ein Privatgut für uns selbst sei: nur wenn wir sehen, daß es unmöglich ist, so können wir durch Betrachtungen einsehen, daß es unnüzze sei, unserm Mitleiden ferner nachzuhängen; und dann räth uns die Selbstliebe, den Gegenstand, welcher uns Anlas zu unserm Schmerz gegeben hat, zu verlassen, und unsre Gedanken davon abzuziehen. Allein, wo diese Betrachtung nicht stat findet, werden die Menschen durch einen natürlichen liebreichen Instinkt bewogen, Gegenstände des Mitleidens gerne zu sehen; und sich, wenn sie auch keine Ursache davon angeben können; diesem Schmerz auszusezzen; so wie bei öffentlichen
 
 
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Hinrichtungen. Eben dieser Grundtrieb führt den Menschen zu den Trauerspielen; Obgleich zwar noch eine grosse Ursache davon die moralische Schönheit von Karaktern und Handlungen ist, welche wir so gern ansehen. Denn ich zweifle, ob eine Versamlung an erdichteten Scenen des Unglüks Vergnügen finden würde, wenn sie völlig fremd, mit den moralischen Eigenschaften der Leidenden, oder mit ihren Karaktern und Handlungen wären. So wie in diesem Falle keine Schönheit da wäre, um die Begierde, solche Vorstellungen zu sehen, in uns zu erregen; so würden wir, wie ich glaube, uns auch dem Schmerz nicht allein aussezzen, der aus einem Unglük entstehet, das uns als erdichtet bekant ist. – – – – " Seit. 251. 252. 253. 254.
 
 
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"Wie wenig die Neigung zum Mitleiden von Gewohnheit, Erziehung oder Unterweisung abhänge, dieses wird daraus erhellen, daß es bei Kindern und Weibern seine gröste Macht hat, auf die alle diese Dinge wenig Einflus haben. Daß die Kinder an gewissen Handlungen, die grausam und marternd für gewisse Thiere sind, die sie in ihrer Gewalt haben, Vergnügungen finden: Dieses kömt nicht aus Bosheit oder Mangel des Mitleidens her, sondern weil sie die Zeichen des Schmerzens, welche gewisse Thiere von sich geben, nicht verstehen, und zugleich aus einer Neugierde die verschiedenen Verdrehungen ihrer Körper zu sehen. Denn wenn sie mit diesem Geschöpf näher bekant werden, oder ihr Leiden auf gewisse Art kennen lernen, so wird öfters ihr Mitleiden zu stark für ihre Vernunft; so wie es bei Hinrichtungen zu geschehen pfleget,
 
 
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wo sie, so bald sie nur einige Zeichen der Traurigkeit oder des Schmerzes bei dem Missethäter sehen, sie geneigt sind, diese nothwendige Art der Selbstvertheidigung in dem Staate zu tadeln. – Seit. 255. 256.
 
 
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III.
 
 
  Ia-02-1778-0128
Tagebuch eines Weltmans. Übersezt von Heinrich Leopold Wagner. Erstes Stük. Frankfurt am Mayn bei den Eichenbergischen Erben, 1775.
 
 
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1) Von Übeln.
 
 
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"Ich habe auf meinen Reisen ein Geheimnis gelernt, daß ich Ihnen mittheilen wil, mein lieber Freund! ... es sei .... Wenn Boetius die Glükseeligkeit in der Abwesenheit alles Übels und in dem Besiz alles Guten sezt, so hätte er selbst nie glüklich sein können, weil er nie hätte vergnügt sein können. – Wenn wir gerecht und stolz sind, die Fehler unsrer Freunde sowol, als ihr Verdienst ertragen, so wird das Leben dem Menschen, der nur zu sehr geneigt ist sichs zur Quaal zu machen, gewissermassen w* immer gut sein. So eben habe ich eine Entdekkung gemacht, welche mich viele schlaflose Nächte, und tiefes Nachdenken gek*stet gekostet hat. – Eine Entdekkung, welche dem grösten Theil unsrer Weltweisen entwischt ist, – die fähig ist,
 
 
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die unerschrokkensten Beobachter der Natur ausser Fassung zu bringen ... wo? wenn? .. hier .. gestern .. wo noch einmal? .. an einem Krankenbette ... Sie scherzen, sagt Herr Abadie, um uns zu verhindern unglüklich zu sein, wird eine Abwesenheit aller Übel erfordert ... Ich antworte also .. unvermeidliche Übel machen uns gut, .. zu den besten Menschen auf der Welt ... so bald ein Man krank ist, hört er auf geizig, ausschweifend, ehrgeizig, leichtsinnig zu sein .. Die Begierde nach Gold verläst ihn, er denkt nicht dran mehreres zu samlen, ganz gewis ist ihm alles genug .. in diesem Augenblik erinnert er sich, daß er Mensch ist, er giebt kein Gehör .. er wil .. alle seine Wünsche zielen nur aufs Gute .. aufs Leben .. man d*...* denkt niemals daran, was man al Gutes auf der Welt verrichten könte, als wenn man auf dem Punkt ist, sie zu verlassen, .. jeder ehrliche Man nimt es sich, so lang er krank ist, im grösten Ernst vor, seine übrige Tage so zu leben, daß sie des erhabensten Todes würdig sein könten möchten ... Das ist alles, was zu Gunsten meines Sazzes gesagt kan werden. – Um besser zu werden, müssen wir ohne andre Prozesform uns erst krank machen ... Unsre Speisen – unsre Nachtwachen – unsre gekünstelte Lebensart, – alles trägt dazu bei, uns diesem Stande der Volkommenheit näher zu bringen – Sechs fremde Köche – Punch des Caillettes in Menge, werden uns dieses Glük bald bewürken. Aber die Sorgen, die Schmerzen,
 
 
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der Tod, sind doch etwas würkliches? Panischer Schrekken und sonst nichts! – Eingebildete Übel, die, wenn sie auf ihrem höchsten Punkte sind, sich in Güter verwandeln. –" Seit 11. 12. 13.
 
 
  Ia-02-1778-0131
IIII.
 
 
  Ia-02-1778-0132
Des Herrn Grafen Maximilian Joseph von Lamberg Tagebuch eines Weltmans. Übersezt von Heinrich Leopold Wagner. Zweites Stük. Frankfurt am Mayn bei den Eichenbergischen Erben 1775.
 
 
  Ia-02-1778-0133
1) Von Träumen.
 
 
  Ia-02-1778-0134
"Bei Vanini, zu Florenz, schlief ich in dem nämlichen Zimmer, mit einem Ur=ur=urenkel des Epimenides, glaub ich. Sie kennen meine thätige und aufgewekte Denkungsart. Zehnmal des Tages, redete ich ihn an. Ohne zu antworten, schlief er in einem fort, und trieb seinen Schlaf öfters auf drei ganze Tage hinaus. Er hatte wie Epimenides, alles, sogar seinen Namen, vergessen: er hatte grosse Mühe, mich, bei seinem Erwachen, zu erkennen. Die Brükke über den Arno hielt er für den Teich der Prüfung, und den Kamin in meinem Zimmer, für die Höhle der sieben Schläfer zu Ephesus. – Wenn Epimenides im Schlaf so geschrien hätte, wie er, so hätte er nicht sieben und zwanzig Jahr verstekt bleiben
 
 
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können, wie er doch that. – Dieser Fremde jagte, rief seinen Hunden, ahmte den Ton des Jagdhorns nach, machte alles im Gasthof aufrührisch, und erzürnte sich gar nicht über seine Freunde, die ihn von seiner Krankheit benachrichtigten. – Unsre Eigenliebe entzieht uns uns selbst, wir leben mit unsern Fehlern, sagt Voltaire, wie mit den Wohlgerüchen, die wir bei uns tragen; wir riechen sie nicht mehr, sie sind nur andern beschwerlich. Er fühlte das gröste Vergnügen, bei der Erzählung seiner Träume, die er das Talent hatte, unterhaltend und angenehm zu machen. – Wenn mein Gedächtnis, sagte er, eben so treu wäre, als fruchtbar mein Geist in diesen Augenblikken ist, so würde ich nie anders als in meinen Träumen studiren, und diese Zeit für meine Religionsübungen bestimmen. Seiner Meinung nach, kan unsre Einbildungskraft im Schlafe auf verschiedene Arten, bewegt, und die Handlungen, die wir den Tag über gethan haben, können während demselben, durch einen kurzen glüklichen oder unglüklichen Zeitverlauf, entweder belohnt, oder bestraft werden. – Ich glaube aber mein Geselschafter allein empfand dieses mit Nachdruk. Er hatte einige Briefe geschrieben, die Eile hatten. – Die Post reist in einer Stunde ab, sagte er, ich mus sie endigen. Einen Augenblik hernach trat ich ins Zimmer, und fand ihn in einem Armstuhl, vor seinem Schreibtisch, eingeschlafen: ich rief Geselschaft herbei, und wir unterhielten uns, ich gesteh es, auf Rechnung des Schlafenden. – Kaum hatten wir ihn verlassen, so kam er uns nach, und
 
 
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hatte einen Brief von zwo Seiten in der Hand – ich habe nicht mehr Zeit gehabt, als um ihn eben zu schreiben; erlauben sie mir, sagte er, ihn in ihrer Gegenwart zuzusiegeln. Welch ein häsliches Vergnügen, immer zu schlafen, sprach ein Engländer, der jezt zum erstenmal, den Mund aufthat – – sich in einer Trunkenheit der Sinne, in einer Abwesenheit, völligen Erlöschung aller Vernunft glüklich zu schäzzen!– Ach mein Herr, antwortete der Schläfer, glüklich zu sein mus der Mensch nicht denken: Wenn er seine Ruhe behalten wil, mus er sich zum Vieh herabsezzen, mus er seine Vernunft auslöschen, wie ich diese Kerze. – Neue Verwirrung unter uns! Er warf seinen Leuchter um, und lies uns im Finstern. Noch ehe man gerufen hatte, und er sich heimlich hätte fortschleichen können, war das Licht wieder angestekt, und, siehe da! unser Epimenides schlief; und wenn es wahr ist, daß sein Schlaf nicht affektirt war, so ist es auch wahr, daß wir aus guten Gründen über die Schwachheit unsrer Organen lachten. Ich habe übrigens immer geglaubt, daß unter allen Muthmassungen diejenige am schwersten zu beweisen wäre, welche uns an die Nachtgänger glauben macht. Ich wil auf den Dächern herumspazzieren, wenn man es haben wil, sagt Brigilla; hernach wil ich en Bustrof schreiben, und ein grosses Glas, auf Gesundheit der Madonna von Sevillias, in Gegenwart des ganzen Volks, ausleeren, und nach einem zehnstündigen Spazziergange wird man mich für einen Nachtgänger ausschreien. Der König wird von meiner Person **t mit der Königin sprechen, man wird
 
 
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Abhandlungen über mich schreiben, und mit einem einzigen Narrenstreich aus meiner Fabrik werde ich hundert Gehirne zerrütten. Ohne das Geschwäz eines Komödianten unsrer Aufmerksamkeit zu würdigen, hab ich mir seitdem die Gedanken gemacht, daß die Träume sich gar leicht aus den Regeln der Optik erklären liessen. Unsre nächtliche Gesichter sind nichts als eine Folge des Eindruks, welchen diejenigen Gegenstände, die uns besonders auffallend gewesen sind, wachend auf uns gemacht haben. Die Bilder gleich den Schatten berühren ganz leicht unsre Fibern, und berühren ganz entwischen ihnen wechselweise; es sind eben so viele Gegenstände, die wir so zu reden ausserhalb einem konkaven Spiegel sehen. Lieber D. du hast im Schlafe die nämlichen Empfindungen, die dir bei Tag am Herzen liegen, daher hältst du dich für unglüklich; da die Summe aller Übel weit grösser ist, als die Summe aller Güter, so kanst du deine Unglüksfälle nicht vergessen, so folgen sie dir bis in die Arme des Schlafs nach. Ich schlief eines Tags unter einem schönen Baum; ich sah mich mit einer Krone auf dem Haupt, einem Zepter in der Hand, in einer gelben Perukke, einem langen Talar, mit einem grünen Bart, einem paar lilafarbnen Handschuh, ich d stand auf einem Fus, den andern hatte ich in der Tasche, und die rechte Hand unter der Ferse – – Nestor, dem ich meinen Traum erzählte, sagte, ich würde König werden – – Ich fange meine gewöhnliche Pat Parthie Piket wieder an, ich bekomme Quintmajor in Trefle, ich sehe
 
 
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meinen König, meinen Zepter, meine Perükke, meine Krone, ich sehe mich ganz darin, es ist nicht mehr ein Traum, den ich sehe, es ist die Erfüllung davon. – – " Seit. 81. 82. 83. 84. 85.
 
 
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V.
 
 
  Ia-02-1778-0136
Predigten von protestantischen Gottesgelehrten. Dritte Samlung. Berlin bei August Mylius, Buchhändler in der Brüderstrasse 1773.
 
 
  Ia-02-1778-0137
1) Glükliches Leben – wo Wohlwollen ist!
 
 
  Ia-02-1778-0138
"Begebt euch zu der niedrigen Bauerhütte, in welcher Liebe und Friede ihre Wohnung aufgeschlagen haben, und sehet, wie fein und lieblich es sei, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen. Bemerket die ungezwungene Munterkeit, die aus ihren Blikken lächelt; – höret, in welcher ungekünstelten Sprache sie die Zufriedenheit und Freude ihrer Herzen ausdrükken;– sehet, mit welcher Bereitwilligkeit sie sich einander tausend Liebesdienste erweisen – mit welchem Vergnügen sie sich zusammen niedersezzen, und ihre schlechte aber gesunde Malzeit geniessen – mit welcher ungeheuchelten Dankbarkeit und Freude sie ihre Danksagungen gegen den Vater aller Familien der Erde vereinigen, und wie freudig und zärtlich sie sich und andre der Fürsorge und dem Seegen Gottes empfehlen. Haltet euch eine Zeitlang bei dieser glüklichen Familie auf, und lernet den unschäzbaren Wehrt und die
 
 
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Vortreflichkeit der häuslichen Einigkeit und Liebe. – Wo Herzen solchergestalt durch das stärkste und angenehmste von allen Banden, durch gegenseitige Zuneigung, sich vereinigt sind, und wo diese Zuneigung sich durch eine beständige Folge von Liebesdiensten erweiset, da ist in der That die Wohnung der Zufriedenheit und Glükseeligkeit; – da wird man das wahre Vergnügen finden, das in den gedrängten und lärmenden Auftritten der Geschäfte und Ergözlichkeiten vergebens gesucht wird. –" Seit. 33. 34.
 
 
  Ia-02-1778-0139
"Alle diejenigen, die ihre Tage in beständiger Übung wohlwollender Neigungen und in der täglichen Erfüllung gegenseitiger Liebesdienste zugebracht haben, können in den lezten Augenblikken aus der Erinnerung ihres vergangenen Lebens unaussprechliche Zufriedenheit schöpfen; diese können mit Gelassenheit und Freudigkeit, sich zusammen den Händen des Gottes empfehlen, der ihr Führer in der Jugend und ihre Stüzze im Alter gewesen ist; und diese können die demüthige Hofnung haben, sich in einem glükseeligern Zustande wiederzufinden, und in den Gegenden des ewigen Friedens und der unaufhörlichen Freude ewig zu wohnen. – –" Seit. 36.
 
 
  Ia-02-1778-0140
2) Von dem blinden Religionseifer.
 
 
  Ia-02-1778-0141
"Der blinde Eifer in der Religion entspringt aus irrigen und gefährlichen Gründsäzzen. – Dienenigen, die sich von demselben regieren lassen, glauben, daß Gott seine Liebe in der besondern Sekte einschränke, zu welcher sie zu gehören das Glük haben. Sie bilden sich ein, daß sie
 
 
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das einzige Volk sind, das Gott mit der Erkentnis seiner Wahrheit zu erleuchten gewürdigt hat, und daß alle andre um sie her sich in der bejammernswürdigsten Finsternis und Irthum befinden. Sie sehen ihre kleine Anzahl als ein auserwähltes Häuflein an, auf welches Gott mit partheischer Güte herabsieht, und sie betrachten den übrigen Theil der Welt als eine blin wilde und unfruchtbare Wüste, die mit dem Unkraut der Unwissenheit und des Lasters bewachsen ist. Kein Wunder ist es daher, daß sie sich aus blosser Menschlichkeit bestreben, andre zu ihrer glüklichen Heerde zu ziehen. Kein Wunder, daß die abergläubischen Juden zu den Zeiten unsers Heilandes, und daß die blinden Eiferer zu allen Zeiten und in allen Ländern See und Land durchstrichen haben, um einen Proselyten zu machen. – Allein solche Leute schmeicheln und betrügen sich in der That auf die gröbste Art. Denn ist Gott nicht der Vater aller Familien der Erde? Haben nicht alle Bewohner der Welt, selbst die wildesten und ungesittesten, ein gleiches Recht, auf seinen Schuz und auf seine Gnade zu hoffen? Und theilt er nicht in der That die Gaben der Natur und die Geschenke seiner Vorsehung weit und breit, und ohne Einschränkung, aus? Erfreuet er nicht einen jeden Himmelsstrich und ein jedes Geschöpf mit dem Lichte der Sonnen? Wie kan also ein Mensch auf die Gedanken gerathen, daß seine Gnade in irgend einem besondern Stam, oder Volk, eingeschränkt sei; oder daß er die nöthigen Hülfsmittel der Tugend und Glükseeligkeit nur einem kleinen und unbeträchtlichen Theil
 
 
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der Menschen mittheile? Gott ist sowohl in den Wohnungen der Wilden als bei den gesittesten Völkern der Welt gegenwärtig. Er ist der gemeinschaftliche Vater aller Menschen. Und nichts kan ungereimter und ungegründerter – eitler und übermüthiger sein, als wenn eine kleine und unerhebliche Anzahl von Menschen die Gnade Gottes an sich zu reissen sucht, als ob sie allein die einzigen wären, die seelig werden solten. Die Thorheit dieses Vorgebens fält zu sehr in die Augen, als daß wir uns dabei aufzuhalten nöthig hätten. Und doch ist auf diesem schwachen Grunde der blinde Eifer in der Religion oft gebauet worden. Eine andre Meinung, die zu vieler Lieblosigkeit und Verfolgung Anlas gegeben hat, ist diese, daß niemand, der nicht, in de wichtigsten Punkten, mit uns denselben Glauben annimmt, was er auch sonst für gute Eigenschaften an sich haben mag, sich Hofnung machen kan, von Gott zu Gnaden angenommen zu werden. Die Menschen haben sich von dem eitlen Wahn einnehmen lassen, daß etwas anders als eine rechtschaffene Gesinnung und ein frommes Leben nöthig sei, um jemanden zu dem Namen eines wahren Christen zu berechtigen, und ihn des Besizzes der im Evangelium verheissenen Seeligkeit zu versichern – und daß dasjenige, das allen seinen Tugenden den rechten Wehrt ertheilen, und vorzüglich ihn der Gnade Gottes empfehlen kan, ein eifriges Bekentnis besondrer Lehrbegriffe des Glaubens und eine strenge Anhänglichkeit an besondern Gebräuchen des Gottesdienstes sei. Diese ungereimte und seltsame Meinung ist in den Herzen vieler, selbst unter den Christen,
 
 
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so tief eingewurzelt, daß sie nicht im Stande gewesen sind, Leuten von einer verschiednen Religion oder Sekte mit Freundlichkeit und Höflichkeit zu begegnen, und daß sie allen vertraulichen und freundlichen Umgang mit denselben, als eine Versündigung gegen die Strenge und Heiligkeit, die ihr christliches Bekentnis erfordert, vermieden haben. Aus dem, das bisher gesagt worden, läst sich leicht schliessen, zweitens: daß der blinde Eifer in der Religion sehr enge und eingeschränkte Gesinnungen verrathe. Wenn die Menschen sich einmal entschliessen, die Grundsäzze der Religion mit einem freien Gemüthe zu untersuchen, so werden sie *...* bald in dieser Sache solche richtige und vernünftige Begriffe bekommen, und von der Wichtigkeit der Tugend über alles andre so völlig überzeugt werden;– sie werden die Schwierigkeiten, die mit einem jeden spekulativischen Lehrbegrif und eingeführten System verbunden sind, so deutlich einsehen, und ihre eigene Unwissenheit so gut erkennen lernen, daß sie nicht sehr geneigt sein werden, andre, wegen einer Verschiedenheit in Meinungen, zu tadeln und zu verdammen. Es wird ihnen nicht möglich sein, ihren Brüdern blos dieserhalb mit dem geringsten Grade der Verachtung und des Mistrauens zu begegnen, wenn übrigens ihre Gesinnung und ihr Karkater Hochachtung zu verdienen scheint. Wenn die Menschen Gelegenheit gehabt, zu einer grossen Kentnis der Welt zu gelangen und erfahren haben, daß in ** allen Religionspartheien Leute von Verdiensten und von Tugend, und zugleich
 
 
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auch solche anzutreffen sind, die einer jeden Geselschaft Schande machen würden; so lernen sie bald alle spekulativischen Streitigkeiten und alle Verschiedenheiten der Partheien mit der Gle* Gleichgültigkeit und Verachtung, die sie verdienen, zu betrachten; – so werden sie bald überzeugt werden, daß es nur wirkliche Rechtschaffenheit des Karakters sei, die unsre vornehmste Achtung verdienet, und daß diese keinesweges in irgend einer besondern Geselschaft von Christen, oder von Menschen, eingeschränkt sei. Es sind nur solche, die niemals genug *…* gedacht haben, um an etwas zu zweif*...* zweiffeln, und solche, die niemals Gelegenheit gehabt, den kleinen Kreis, in welchem sie gebohren und erzogen worden sind, zu verlassen, auf welche der Geist des blinden Religionseifers und der Lieblosigkeit einen starken Einflus haben kan. Und wir können gewis versichert sein, daß unsre Mässigung und Menschenliebe allezeit in einem genauen Verhältnis mit unserm Wachsthum in der Kentnis der Menschen und der Sachen zunehmen wird. Um die häs häsliche Gestalt des blinden Religionseifers recht zu entdekken, last uns drittens auf die unglüklichen Folgen desselben Acht haben. Die schädlichen Wirkungen der Lieblosigkeit und des Verfolgungsgeistes in der christlichen Kirche haben wir bereits gesehen. Hiezu kommet komt noch, daß ein vom blinden Religionseifer eingenommenes Gemüth einen Menschen in sich selber unglüklich, mit der Welt unzufrieden – und unfähig macht, die erhabenen und grosmüthigen Gesinnungen eines unumschränkten Wohlwollens zu fühlen, und das Vergnügen, alle Menschen als seine Brüder zu lieben, kennen zu lernen. Es macht ihn unruhig in der Geselschaft derer, die vielleicht viel besser und weiser, als er, sind. Es verstopft ihm unzählige Quel
 
 
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len der Freuden, die derjenige geniest, der einen jeden rechtschaffenen Menschen als seinen Freund und Bruder liebt, und der mit einem ehrlichen und verständigen Man sich in Geschäfte einlassen, ihm Dienste erwiedern, oder sich mit ihm eine Stunde freundschaftlich unterhalten kan, ohne zu wissen, oder wissen zu wollen, zu welcher Kirche oder Sekte er gehöret, oder durch welchen Namen sich seine Parthei unterscheidet. ––" Seit. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71.
 
 
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VI.
 
 
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Von der *...* Predigten von protestantischen Gottesgelehrten. Vierte Samlung. Berlin bei August Mylius, Buchhändler in der Brüderstrasse 1774.
 
 
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1) Von der Almacht Gottes.
 
 
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"Ein bedachtsamer Blik auf den unermeslichen Umfang der Geschöpfe kan uns lehren, was die almächtige Hand Gottes auszurichten vermag; und * seine Weisheit ist so darin eben so sichtbar vor unsern Augen. Die ganze Welt ist dadurch entstanden, daß er gewolt hat, und dadurch hat sie auch noch bis in ihre kleinsten Theile ihre Erhaltung und ihre Ordnung. Die Sonne, die am Himmel glänzt, und der Wurm, der auf der Erde kriecht, die sind, eines sowol als das andre, sein Werk. Wohin unser Auge und unser Verstand reichet, das ist nur der kleinste Theil von demjenigen, worauf
 
 
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sich seine Erkentnis und Macht, aber auch seine Aussicht und Fürsorge erstrekt. Es darf uns gar nicht wundern, daß wir Menschen uns von der Art und Weise, wie Gott würkt, wie er herscht, keine Vorstellung machen könen. Denn wenn wir das könten, so wären wir nicht schwache eingeschränkte Kreaturen, und er, unser Schöpfer und Regierer, wäre nicht Gott. Uns ist es genug, daß wir die Nothwendigkeit, die Wahrheit dieser seiner höchsten Obergewalt einsehen, und mit David sagen: Unser Gott ist gros und von grosser Kraft, und ist ungegreiflich, wie er regiert. So bald wir das nur einigermassen mit Aufmerksamkeit bei der Benennung Gottes im Sinne haben, so mus es ohnfehlbar den tiefsten Eindruk der Demuth und der Verehrung in unser Herz machen. Dir, Herr, ist Niemand gleich. Du bist gros, und dein Name ist gros, und kanst es mit der That beweisen. ––" Seit. 8. 9.
 
 
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2) Von den Vergnügungen der Seele.
 
 
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"Einem volkommen gesunden Körper ist die schlechteste Speise schmakhaft; und einer Seele, die durch die Religion recht gestimt ist, verschaft alles Vergnügen. Der Aufenthalt auf dem Lande, die häusliche Stille, freundschaftliche Unterredungen, gelehrte Beschäfti Bemühungen, philosophische Untersuchungen, Werke des Verstandes und der Einbildungskraft; ja selbst die stillen Schönheiten der ungeschmükten Natur, ein h* heitrer Tag, ein stiller Abend, ein gestirnter Himmel, das alles sind Quellen reiner Vergnügungen für diejenigen, deren Geschmak nicht durch strafbare Verwöhnungen verdorben, oder durch nichts
 
 
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bedeutende erniedrigt ist. Und wenn ihr euch von diesen zu den noch vernünftigern und vortreflichern Vergnügungen der Tugend erhebt: zu der Zufriedenheit mit euch selbst, die in der Seele durch das Bewustsein entspringt, daß ihr der Würde eurer Natur gemäs gehandelt, und alle eure Kräfte angewendet habt, eure Fehler zu bessern, eure Leidenschaften zu bezähmen, eure Einsichten zu vermehren, eure Neigungen zu erhöhen und zu reinigen, die Wohlfart eurer Nebenmenschen zu befördern, euren Schöpfer zu lieben, und ihm zu gehorchen; dann ist die menschliche Glükseeligkeit bis auf den höchsten Gipfel gestiegen, und dann hat diese Welt keine höhere Vergnügungen zu gewähren. –" Seit. 40. 41.
 
 
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VII.
 
 
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Das Grab des Aberglaubens. Dem Ros eine Geissel, und dem Esel ein Zaum, und dem Narren eine Ruthe auf den Rücken. Salomon. Erste Samlung. Frankfurt und Leipzig 1777. bei J. B. Mezler.
 
 
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1) Der Aberglaube ist ausgebreiteter, als man vermuthet.
 
 
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"Der Aberglaube ist ausgebreiteter, als man vermuthet. Er kehrt zwar mehr in Hütten ein, und wächst am geschwindesten in einem einfältigen oder düstern Kopf; jedoch trift man ihn auch in Pallästen an. Der Herr erblast, wenn ihm sein Trinkglas unvermuthet zerspringt, und der Niedere bebt, wenn er
 
 
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die Eule auf seinem Hause schreien hört. – Der Aberglaube mischt sich auch in die Religion ein. Der Pharisäer wäscht aberglaubig seine Hände. Julian, der Feind des Herrn, opfert aus Aberglauben fast alles Vieh seines Reichs den Gözen, um durch der Bökke und der Kälber Blut selig zu werden. Der Aberglaube baut prächtige Tempel, verschliest tyrannisch den Menschen zwischen vier Wände, bildet ihn zum Phantasten um, daß er Erscheinungen sieht, Stimmen hört, und seine Träume für untrügliche Wahrheiten hält. Er richtet aus heiliger Einfalt dem Nebenmenschen einen Scheiterhaufen auf, und mordet sich an dem Regenten zuversichtlich in Himmel hinein. –" Seit. 4. 5.
 
 
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2) Von Lissabons Erdbeben und von Kometen.
 
 
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"Wenn ich auf die grosse Begebenheit im Naturreiche, auf das Erdbeben, zurüksehe, welches Lissabon zu Grunde gerichtet hat, welcher Aberglaube ist nicht bei dieser Gelegenheit wach worden? Portugal hat nicht nur eifriger seine Heiligen angerufen, sondern noch dazu einen neuen Schuzherrn unter den Seligen in der Geisterwelt gesucht. Andre haben eben so aberglaubisch, als lieblos, Lissabon als ein zweites Sodom ausgeschrien, und nicht bedacht, daß noch grosse Städte stehen, die, wo nicht ärger, doch eben so grosse Sünderinnen sind, als Lissabon; wenigstens sind die Städte in grösserer Verdamnis, die bei grösserer Glaubensfreiheit und hellerem Lichte der Wahrheit eben so leben, als die armen Lissaboner gelebt haben sollen. – So bald sich ein Komet sehen läst, oder eine andre Lufterscheinung entstehet; so entstehen auch aberglaubische Auslegungen, die bei so aufgeklärten Zeiten
 
 
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billig wenigen Beifal, und höchstens bei dem untersten Pöbel und dem alten Frauenzimmer nur noch Glauben finden solten. ––" Seit. 11. 12.
 
 
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3) Viel Aberglaube ist schon verloschen.
 
 
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"Gottlob, die Scheiterhaufen der Hexen sind umgestürzt. Feurige Drachen läst man heutiges Tages kaum noch Häuser anzünden, und entsezt sie alles teuflischen Ansehens. Die Sterndeuterkunst, die Tochter der Unwissenheit und des Aberglaubens, ist in diesem aufgeklärten Jahrhundert in die äusserste Verachtung gerathen, und hat weder in Frankreich noch Engelland und sonsten einen Vertheidiger, der sich zu nennen getraute. Die strafbare Art des Aberglaubens, sich fest zu machen, und vor Hieb und Stich in Sicherheit zu sezzen, oder die sogenante Passauerkunst, die sonst zu Kriegszeiten den Betrügern viel Geld einbrachte, ist wohl izt kaum mehr zu finden, sie müste denn bei solchen Völkern noch geübt werden, die von Jugend auf zu tausend abergläubischen Dingen selbst in der Glaubenslehre angeführt werden. So viel ist gewis, daß die sogenante Andreasthaler, nebst gewissen mansfeldischen Gülden und Thalern, die der Aberglaube bei Kriegszeiten mit vierfacher Bezahlung einhandelte und aufsuchte, nunmehr völlig ihr Ansehen verloren haben, und nur noch in den Samlungen seltener Münzen zum Andenken des alten thörichten Gebrauchs derselben aufbehalten werden, u.d. –" Seit. 17. 18.
 
 
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4) Vom Schlafen und Träumen.
 
 
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"Schlaf und Träume sind unerkante Wohlthaten Gottes. Jener wird dem matten Leib zur Stüzze, und strömt ihm neue Kraft zu, diese stellen unsre geheime Neigungen im Schattenris vor, und entdekken uns die Anglage unsers Herzens. Der Aberlaube hat die Träume sich eigen gemacht, und herscht durch sie über d** den Menschen unumschränkt. Mir hat geträumet! Mir hat geträumet! es bedeutet – halt inne schwermende Gertrudis! es bedeutet, daß dein Geschwäz ein Getöse von leeren Tönen werden wil, und du nicht werth seiest, ferner unter den Menschen geduldet zu werden. Träumender! wirf das Joch des Aberglaubens ab, und halte dich an mich; ich wil freimüthig den wahren Werth der Träume * izzo bestimmen. Träume sind Vorstellungen in der Seele, wenn der Leib schläft. Sind wir uns dieser Vorstellung beim Erwachen nicht bewust: so nennen wir den Traum dunkel, welches gemeiniglich stat findet, wenn wir auf aus dem ersten, tiefen Schlaf kommen. Sind wir aber uns ihrer umständlich bewust: so ist es das Gegentheil. Die Seele ein ungemein geschäftiges Wesen; wenn jederman des Nachts der Ruhe pfleget: so thut doch sie es nicht, und denket im Traum an dem Faden fort, den sie den Tag über angesponnen hat. Sie denket um so freier, als die äusserlichen Sinne im Schlaf ihr keine neue Gegenstände vorhalten, und ihr auf keinerlei Weise Schranken sezzen." Seit. 45. 46. 47.
 
 
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5) Von Irwischen.
 
 
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"Irwische bestehen aus einer Materie, die aus der
 
 
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Erde ausdünstet, und sich nicht entzündet, sondern nur im Finstern leuchtet. Sie haben ja doch auch schon Johanniswürmgen, Faulholz, oder auch faule fette Seefische gesehen. Ohnfehlbar ist dort ein sumpfigter und morastiger Ort, oder ein Schindanger, oder dergleichen etwas. Was ängsten sie sich vergebens? Wer Muth hat, komme mit mir, wir wollen auf diese Geister losgehen, und sie genau betrachten. Nein das thue ich nicht, sagt Simplicius, ich weis, daß man von diesen Geistern in Sumpf geführt und elendiglich mishandelt werden kan; und fluchen und poltern mag ich auch nicht, ob man sie gleich, wie es heist, damit vertreiben kan. Man kan sie freilich damit vertreiben, erklärt sich Redlichstein; denn wenn einer fluchet und poltert: so stöst er die Luft stark heraus, und macht mit Händen und Füssen einen Wind; eben, wie wenn einer in Furcht ist, und mit starkem Seufzen betet, er die Luft an sich ziehet, wodurch also auch das Irlicht, wenn es nicht alzuweit von Einem ist, mit der zuschiesenden Luft näher herzugezogen wird. Es folgt der Bewegung der Luft, und ist eben so beschaffen, wie die Bewegung einer Blase von Seiffenwasser, die von der Luft hin und her gerissen wird. Es können daher wohl einige Zufälle Anlas gegeben haben, daß man geglaubt hat, durch Beten würden die Irlichter zu Einem gezogen, durch Fluchen aber vertrieben. Überdies weil sie sich an morastigen Örtern, auf Schindangern u.d. sehen lassen: so ist es kein Wunder, wenn diejenigen, so es für ein Licht im Dorf, oder für eine Fakkel eines Reisenden halten, und ihm nachgehen, in Morast, auf den Schindanger u.d. geleitet werden. –" Seit. 138. 139. 140.
 
 
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6) Von lechzenden Flammen.
 
 
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"Die lechzenden Flammen brennen nicht, sondern leuchten nur. Man sieht sie an dem Haupt und Haaren von denen, so im Finstern gekämt werden. Streicht man die Kazzen: so sprizt eben diese Flamme weg. Blos die Ausdünstungen aus dem Leib der Thiere und Menschen leuchten; daß aber der Schweis leuchten könne; siehet man aus der Verwandschaft, in welcher er mit dem Urin stehet. Je mehr wir schwizzen, desto weniger geht Urin geht ab. Aus dem Urin aber wird der Phosphorus, der eine leuchtende Materie ist, durch Kunst bereitet. –" Seit. 141. 142.
 
 
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7) Von verschiednen Lufterscheinungen.
 
 
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"Der fliegende Drache oder ziehende Alp, die fliegende Funken, die springende oder hüpfende Ziegen, die brennende Fakkeln und Balken sind an sich einerlei, und bekommen eine ohngefähre Figur, nachdem die Menge der ausgedünsteten Materie oder der Widerstand der Luft es mit sich bringt. Die brennenden Kugeln oder Feuerballen, die man öfters vom Himmel fallen gesehen, und schon, wie der Bliz angezündet haben, sind ein Klumpen, der aus schweflichten und andern dazu gekommenen Materien bestehet, der, wenn das Feuer sich zertheilet und von einander fähret, das Ansehen einer zerspringenden Bombe hat. Dem fliegenden Drachen haben die Unverständigen viel seltsames angedichtet. Er ziehet sich gerne gegen die Schorsteine. die Schorsteine aber sind die engen Pässe, durch welche die Hexen und Unholden defiliren müssen, wenn sie auf den Heuberg, Bloksberg, oder
 
 
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auf die Kreuzstrassen kommen wollen. Näherte sich nun der Drache einem Schorstein: so konte dieser Niemand anderst, als der Teufel sein, der vor demselben die Hexen in seine Suite nehme; daher ehemals der Zuschauer den Drachen nicht ohne Zittern und Beben wahrnahm. Äusserst verdächtig aber war der Inwohner des Hauses, gegen dessen Kamin der Drache sich zog. Er muste mit zu den irregulairen Trouppen des Teufels gehören, und zum Scheiterhaufen zeitig sein. Heil dem Thomasius, dem ersten Helden, der Muth und Einsicht genug hatte, die Scheiterhauffen umzustürzen, die man für arme Männer und Weiber erbauet hatte, wenn sie so unglüklich waren, alt und triefäugig zu sein. Welche Zerrüttung hat nicht der Aberglaube von je her angerichtet? in der Finsternis triumphirt er noch immer. Der gemeine Man, der sich was gefährliches bei den ermeldten Lufterscheinungen einbildet, wird so lange dafür erschrekken, als er die natürlichen Ursachen davon nicht weis; hingegen aufhören, einem bösen vermeinten bösen Geist ein solches Feuerwerk zuzuschreiben, so bald er ins Klare siehet. –" Seit. 146. 147. 148.
 
 
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8) Von der Toden=Uhr.
 
 
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"Es ist ein algemein herschendes Vorurtheil, daß eine Art von Mükken, welche in den Häusern das Getöse einer Sakuhr von sich gibt, von einer bösen Bedeutung sei, und den Tod eines Inwohners vorher verkündigen sol, wodurch sich die hasenschrekkischen Gemüther unnöthiger Weise in Furcht
 
 
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und Schrekken sezzen lassen. Das Thier, welches dieses Getöse macht, ist ein kleines graues Insekt, das doppelte Flügel hat, und sich den Sommer hindurch im Getäfel oder anderm Schreinwerk aufhält. Ich habe ihrer viele gefangen, und sie in sehr dünnen Schächtelgen aufbehalten. Ich habe genau gesehen, wie sie mit ihrer Schnauze wider die Wand des Schächtelgens gestossen, und gemeiniglich neun oder eilf Stösse nacheinander gethan haben, besonders beweisen sie sich geschäftig, wenn die Witterung warm ist. Es haben daher die Grosmütter und Ammen nicht nöthig, durch solche unschuldige Thiergen sich in Unruhe sezzen zu lassen, und zu glauben, es habe der Tod ihre schreiende Kinder schon unter der Sense, wenn sie die Toden=Uhr hören. – – " Seit. 211. 212.
 
 
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VIII. Das Grab des Aberglaubens. Disce, seo ira cadat naso rugosague sanna, dum veteres avias tibi de pulmone revello. Persius. Zweite Samlung. Frankfurt und Leipzig 1777. Bei J. B. Mezler.
 
 
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1) Die Schädlichkeit des Aberglaubens.
 
 
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"Der Aberglaube ist eine Pest, die das menschliche Geschlecht in unendliche Übel gestürzt hat. Er verfinstert nicht nur den Verstand des Menschen, und verleitet ihn so gar die allerdumsten und abgeschmaktesten Irthümer auf eine
 
 
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andächtige Art anzunehmen, und mit Gefahr des Lebens zu vertheidigen, sondern er vergiftet auch den Willen und treibt einen Menschen an, die allerschändlichsten und lächerlichsten Handlungen vorzunehmen. Nicht nur Bayle, sondern auch der grosse Bako, und was sage ich? selbst einer der aufgeklärtesten unter den Heiden, Plutarch, haben behauptete, daß der Aberglaube so wol seiner Beschaffenheit, als noch vielmehr seinen abscheulichen Folgen nach schlimmer, gefährlicher und verabscheuungswürdiger sei, als die gänzliche Verleugnung Gottes. Der Atheist erweiset deswegen Gott keine Ehre, weil er keinen Gott glaubet; der Aberglaubische hingegen beschimpfet den Gott, den er glaubet und äusserlich bekennet, und misbrauchet seinen Namen und die Religion zu den allerlasterhaftesten und unmenschlichsten Handlungen. Ein Atheist kan in Absicht auf die menschliche Geselschaft viel erträglicher und in manchen andern Stükken viel besser sein, als der Aberglaubische, weil dieser alle Regeln der Gerechtigkeit und Erbarkeit so gar kühnlich übertrit, und im Stande ist, seinen König zu ermorden, wenn sein Aberglaube es erfordert. Johan Chastell sticht mit einem Messer nach dem Könige, Heinrich, dem vierten, der sich durch seine ausserordentliche Fähigkeiten und Thaten den Namen des Grossen, und nach Bayle Bericht über 50 Lobredner erworben hat. Allein er bricht ihm nur einen Zahn aus, weil sich derselbe zu gutem Glük bükte. Warum begieng er diese Frevelthat? Die Hofnung, wie er sagte, von Gott Vergebung und Gnade wegen seinen abscheulichen Jugendsünden zu erlangen, hatte ihn verleitet, einen Herrn zu ermorden,
 
 
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mit dem die katholische Klerisei so übel zufrieden, und der mit der Kirche als ein ehmaliger Kezzer noch nicht ausgesöhnt wäre. So sucht der aberglaubische Frevler den beleidigten Gott mit neuen Frevelthaten zu versöhnen, und sein volgestricheltes Kerbholz zu zerbrechen. –" Seit. 5. 6. 7. 8.
 
 
  Ia-02-1778-0169
2) Von der Eule.
 
 
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"Der Schöpfer hat die Eule zum Nachtvogel bestimt, dessen angeborne Art, wie aller übriger Nachtvögel, es ist, mit einem furchtbaren Geschrei nach eingebrochner nächtlicher Finsternis hervorzubrechen, und die vom Schlaf auftaumelnde Vögel hinterlistig und plözlich zu überfallen, und zu erwürgen. Daher haben auch die Nachtvögel vor den Ohren bewegliche Dekkel erhalten, welche den Gehörgang erweitern, und ihnen das geringste Geräusch verstärkt anzeigen. Vermittelst dieser Höle entdekket auch die Eule die geringste Bewegung eines Vogels und einer auf Streifereien ausgehenden Maus; wie sie denn von vielen Leuten zum Mäusefangen höher als die besten Kazzen gehalten werden. –" Seit. 82.
 
 
  Ia-02-1778-0171
IX.
 
 
  Ia-02-1778-0172
Algemeine deutsche Bibliothek. Des zwei und dreissigsten Bandes zweites Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai. 1777.
 
 
  Ia-02-1778-0173
1) Beweis, daß des Nabals Betragen gegen David nicht vom Geize herrührte.
 
 
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"Nabals Betragen gegen David stehet hier, wie in allen moralischen Kompendien und Systemen, als ein Beispiel vom
 
 
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Geizze. Zu seiner Vertheidigung oder Entschuldigung liesse sich vielleicht folgendes sagen: wir versezzen Uns nicht immer sorgfältig genug in die Lage und Denkart jener Menschen und Zeiten, – sehen im David überal den Gesalbten der Herrn; Davids königliche Würde und Gewalt war damals noch nicht so algemein anerkant und geachtet, als gewöhnlich dafür gehalten wird; Nabal sahe den David mit seinen Leuten für herrenloses, herumstreichendes Gesindel, für eine Räuberbande an, welcher von dem Seinigen Etwas zu geben Verschwendung sei; zwar hätten sie seine Heerden gegen andere Räuber geschüzzet, aber nicht aus Wohlwollen, sondern aus Neid – ehe sie solche andern überliessen, solte sie lieber der Eigenthümer behalten; – oder aus Eigennuz, um sie etwan künftig einmal, bei einer andern Gelegenheit, für sich zu brauchen; schlägt doch Mancher heut zu Tage Leuten, die er für Vagabunden u.s.w. hält, Etwas ab, ohne deswegen zum Geizigen, zum Filze, wie Hr. Miller sich ausdrükt, gebrandmarkt zu werden; aber es hätte Nabal aus Klugheit wenigstens Etwas von dem begehrten mittheilen, besonders seinen Abschlag nicht mit solchen Worten begleiten sollen. Hierauf kan geantwortet werden: vielleicht hielt er Davids Leute nicht für so zahlreich und fruchtbar, glaubte sich ihnen, im Falle eines Angrifs, mit seinen Knechten und andern widersezzen zu können. Einige dürften hinzusezzen: Die Karakterisirung Nabals 1 Sam. 25, 3. rühre von einem erklärten Anhänger Davids her, sei also zu nehmen, wie jeder Bericht eines Partheiischen von den (angeblichen oder wirklichen) Feinden seines Helden, und was das Urtheil der Knechte von ihrem Herrn dem Nabal ( 1 Sam. 25. 14. 17.) betreffe, so sei dieses von keinem Belange; denn einen Herrn, der auf Ordnung hält, einen harten, heillosen, Mann schelten, sei unter Knechten nichts seltenes, u.s.f. –" Seit. 365. 366.
 
 
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  Ia-02-1778-0175
2) Erklärung einer gewissen Schriftstelle.
 
 
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"Was sollen die Worte aus unsrer eingeführten Bibelübersezzung heissen: Aber über dem Wasser schwebe der Geist Gottes. Was für grobe Begriffe müssen bei Lesung derselben in der Kinderseele keimen? und wie wenige Eltern, auch wohl Lehrer, werden fähig sein, durch gesunde Erklärung der ganzen Stelle jenen vorzubeugen? Wer nicht mit Aben=Esra, Luther, ( Ausg. von 1523. ) Mascho, Damm, u. a. starker Wind übersetzen wil: dem beut sich eine andre dar, die durch den biblischen Sprachgebrauch, besonders Ps. 33,6 unterstüzzet, von verschiedenen Vätern gegeben, auch Grotius angenommen hat, der aber dafür freilich von Kalov, nach seiner Art, weidlich angeschnaubet, ein Socinizante genennet worden. Sie ist diese: Gott ordnete und bereitete durch seine albelebende Kraft, die rohe Materie zur Hervorbringung der von ihm bezielten Dinge zu. – " Seit. 366. 367.
 
 
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3) Von der Inspiration der Bibel.
 
 
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"Wenn ein König seinen Gesandten hinlänglich von seinem Willen unterrichtet, und ihn darauf an einen fremden Hof abgehen läst: wird man wohl zweifeln, daß alle mündliche und schriftliche Vorstellungen, welche der Gesandte daselbst thut, seines Herrn Wille sei? Die Wahrheit der apostolischen Vorträge bleibt also allezeit sicher. Wenn der Verf. anführt, daß die Eingebung der Sachen durch Worte geschehen sein müsse: so beweiset solches nicht, was es beweisen sol. Der Gesandte hat seine Instinktion von seinem Herrn auch durch Worte. Wenn er aber an dem fremden Hofe weitläuftige Vorträge zu thun, und Einwürfe zu beantworten hat: so mus er sich bald hier,
 
 
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bald da, ausdehnen, und andere Wörter und Konstruktionen gebrauchen. Der Schlus aus Matth. 10, 19 ist ganz unrichtig. Man wil a minori ad majus schliessen, und schliesset offenbar a majori ad minus. Für geringe und furchtsame Leute, als die Apostel damals waren, ist es weit schwerer, sich vor erzürnten Fürsten in Lebensgefahr sich geschikt zu verantworten, als mit ruhiger Überlegung bei aller möglichen Sicherheit in seinem Zimmer eine erlebte Geschichte aufzusezzen, oder einen Brief an Freunde zu schreiben. Ich dächte, der Augenschein bewiese genug, daß die Worte und die Konstruktionen der Bibel nicht von Gott diktirt sein könen. Nicht nur die Schreibart ist verschieden, sondern auch oft so schwankende und so voller Einschiebungen, daß daher viel Undeutlichkeit entsteht. Wenn Gott diktirt hätte, würde alles leicht und deutlich sein. Gott, der mit Fleis schlechte Leute zu Lehrern der ganzen Welt erwählte, lies ihnen mit weislich ihren schlechten Stil, damit derselbe ein beständiger Beweis bliebe, daß die Apostel unstudirte Leute gewesen, und daß die götliche Weisheit nicht aus ihrem Gehirne entsprossen, sondern einen götlichen Ursprung habe. – " Seit. 378.
 
 
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4) Vom heil. Abendmale.
 
 
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"Wenn es daraus folgen solte, daß wir im heil. Abendmale das Fleisch Christi geniessen, weil er Joh. 6, 55. eine wahrhaftige (a?????) Speise heist: so müste er auch ein wirklicher Weinstok sein, weil er Joh. 15,1. ? ?µpe??? ? ??????? heist. –" Seit. 383.
 
 
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5) Vom biblischen Ausdrukke "Begraben."
 
 
  Ia-02-1778-0182
"Daß in dieser Vorstellung (in Christo begraben sein) nichts
 
 
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mehr als Allegorie liegen könne, erhellet aus Tit. 3, wo die Taufe als Besprengen vorgestelt, und dadurch die moralische Reinigung, die das Christenthum bewirken sol, angedeutet wird, so daß also das Begraben nichts wesentliches sein kan, sondern ebenfals nur Schwächung unserer unsitlichen Gewohnheiten bezeichnen mus. –" Seit. 384.
 
 
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6) Erklärung einer Schriftstelle.
 
 
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"Johannes sagt: ein Kind Gottes, (oder ein Mensch, der Gottes und seines evangelischen Unterrichts würdige, angemessene und dadurch hervorgebrachte Gesinnungen hat,) überwindet die Welt, (läst seine moralische Urtheilskraft nicht durch die Scheingüter der Sinlichkeit berükken). –" Seit. 384. 385.
 
 
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7) Von Jesu, wie er die Welt erleuchtet hat.
 
 
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"Allerdings sind diese Stellen ( * Joh. 1,4 vergl. Joh. 12, 46. 47.) Hauptstellen, und es erhellet deutlich aus denselben, daß Jesus die Menschen erleuchte und beglükke: wir wüsten auch nicht, daß ein Gottesgelehrter, der das erstere erkent, das leztere läugnen werde; vielmehr ist zwischen beiden eine wesentliche, unzertrenliche Verbindung. Die ganze Sache wird durch das Bild aus der Körperwelt nicht deutlicher, wenigstens erhellet nicht aus demselben, daß eins ohne das andere sein könne. Die Naturforscher haben noch nicht * ausfinden können, ob die belebende Kraft von der leuchtenden Kraft des Lichts verschieden sei: wahrscheinlich ist es nicht. Dem sei aber wie ihm wolle, so ist gewis, daß die ganze Untersuchung für den gemeinen Gebrauch unnüz ist, da ich wissen wil, was ich zu thun
 
 
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habe. Wenn ich da frage, wie mache ich es, daß ich Jesum als ein belebendes, beglükkendes Licht nuzze: so kan ich nicht anders antworten, als: gebrauche ihn als ein erleuchtendes Licht. –" Seit. 385. 386.
 
 
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8) Von den Geschichtsbüchern des A.T.
 
 
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"Es ist auch ein offenbar falscher Lehrsaz, wiewohl ihn der Verf. mit andern immer als unläugbar voraussezt, daß die götliche Wahrheit des Christentums auf der Authenticität aller im Kanon des A.T. befindlichen Geschichtbücher, auf der genauen Wahrheit aller darin befindlichen historischen Nachrichten beruhe. Das Buch Esther habe ein kanonisches Ansehen oder habe keins; die Umstände des abgewendeten Bludbades, so den Juden im persischen Reiche zugedacht war, mögen genau so sein, wie sie da erzählt werden, oder etwas verändert, was können die vortreflichen Lehren Jesu, deren Götlichkeit sich durch sich selbst empfiehlt, bei dem einen gewinnen, * oder bei dem andern verlieren? – –" Seit. 294.
 
 
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9) Vom Teufel.
 
 
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"Schon andre einsichtsvolle Männer, unter andern Farmer, dessen Meinung von dämonischen Leuten durch die Bambergerische Übersezzung bekant ist, haben gezeigt, was man in vorigen Zeiten unter Dämonen verstanden hat; gezeigt, daß die gemeine Meinung von den Einwirkungen des Teufels mit der Weisheit und Güte Gottes streitet, und daß die Lehre vom Teufel nicht so genau als man als insgemein vorgeben wil, mit der christlichen Religion verbunden ist. Was
 
 
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man aus Christi Zeugnissen dagegen einwendet, läst sich wohl noch beantworten. Zur Ersparung des Raums verweisen wir jezt nur auf das, was ein andrer Recensent in dieser Alg. deutschen Biblioth. kurz berühret hat. Christus hatte keine Zeit, tief eingewurzelte (nach der damaligen Denkart unschädliche) Vorurtheile aus jüdischen Köpfen durch metaphysische Vorlesungen zu verbannen: glükliche Aufklärungen überlies er der almäligen Anstrengung. Viele gestehen, daß die meisten biblischen Sprüche eine mit den götlichen Eigenschaften verträglichere Erklärung leiden; nur die Geschichte von Christi Versuchung scheint ihnen entscheidend: hier werden dem Teufel als einer Person wirkliche Reden und Handlungen beigelegt. Wir wollen izt etwas davon erwähnen. Vielleicht geben wir einen Anlas zu weitern Nachdenken. Markus gedenkt der Versuchung Kap. 1, V. 12. nur im Vorbeigehen mit wenigen Worten, es sei nun daß sie ihm zu dunkel oder zu unwichtig schien, viel davon zu reden. An zween Orten Matth.4, und Luk. am 4, wird sie volständig erzält, aber so, daß durch alles Dunkle, Empörende und Abweichende, grosse Zweifel entstehen, z.B. Christus ward vom Geist geführt (von welchem? wie? mit, oder wider seinen Willen? Lukas sagt: im Geist; war es etwa ein blosses Entzükken?) daß er versucht würde, (bedurfte er einer Prüfung? war seine Weisheit und Treue zweifelhaft? oder solte der Teufel dadurch belehrt werden?) Warum hungerte ihn erst nach 40 Tagen? Bei der Versuchung selbst spielt der Teufel eine lächerliche Rolle. Andre Sprüche legen ihm grosse List, Macht und Kentnis bei; auch hier zeigt er seine Bekantschaft
 
 
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mit der Bibel; gleichwohl redet und handelt er wie ein dummes Kind. Ja Kinder mögen auf solche läppische Art einander auf die Probe stellen, aber nicht Geister von höherer Art. "Mach aus Stein Brod! Spring hinunter! Bete mich an!" O der einfältige Teufel! wust er nichts bessers gegen einen Man vorzubringen, den er selbst einen Sohn Gottes nent? Man mache mit einem 10jährigen Knaben den Versuch, ob er sich zum Spas von einer beträchtlichen Höhe wird herabstürzen. Und doch beweist man noch immer in Predigten steifweg aus dieser Geschichte die grosse Weisheit Christi. – Noch auffallender ist die grosse Verschiedenheit in der Erzählung. Matthäus läst den Teufel erst nach 40 Tagen kommen: Lukas läst die Versuchungen die 40 Tage hindurch dauern, und in einer ganz andern, fast möchte man sagen unschiklichen, Ordnung auf einander folgen. Bei jenem entfernt sich der Versucher gleich auf den Befehl: hebe dich weg! aber nach des Lukas Bericht war er nicht so gehorsam; auf den Befehl: hebe dich weg! führte er Christum auf des Tempels Zinne:– Zween Zeugen, deren keiner zugegen gewesen ist, und die so sehr in ihrer Aussage von einander abweichen, schreiben offenbar nach Hörensagen, nicht aus götlicher Eingebung; oder Gott muste sich bei dem einen sehr geirret haben: das wäre Lästerung. – Was Semler überhaupt von der götlichen Eingebung behauptet, und was Andre von den 4 ersten Kapiteln des Matth. erinnern, wissen unsre Leser. Lukas schrieb ohnehin blos aus eingezogenen Nachrichten. (Kap. 1, V. 3.) – Aus einer solchen zweifelhaften dunkeln Geschichte, für das Dasein und den Einflus des Teufels einen Beweis zu führen, wäre immer zu viel gewagt. – Was wir noch beifügen könten, wird ein aufmerksamer Leser selbst hinzu denken." Seit. 396. 397. 398.
 
 
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10) Von der Ergreifung des Verdienstes Jesu.
 
 
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"Im Ernst, wir fragen noch einmal, wie sollen alle diese Säzze unter einander vereiniget werden? Gott sol durch das Blut Jesu völlig versöhnt und durch die Heiligkeit dieses unsers Erlösers alles hinlänglich ersezt sein, und dennoch sind auf unserer Seite nicht nur Reue und Glauben, d.i. Ergreifung des Verdienstes Jesu, nach des Verfassers Begrif, sondern auch Genugthuung an den Nächsten zur Erlangung der Seeligkeit nöthig. Hat Christus alles ersezzet, wozu sol ichs noch ersezzen; wird mir seine volkommene Heiligkeit durch den Glauben zugeeignet, was bedarf ich denn eigner Verdienste?–" Seit. 401.
 
 
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11) Eine Bemerkung am menschlichen Herzen.
 
 
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"Nur der entdekt oft einen Fehler, der aus Argwohn scharf darnach siehet, und nur der argwohnet ihn, der des Fehlers Möglichkeit bei sich selbst *...* erfahren hat; Unschuldigere können ihn sich kaum denken, also auch nicht vermuthen. Darauf gründet es sich, wenn der tragische Dichter sagen läst: O Norton, du must ein grosser Bösewicht gewesen sein, daß du mich so erräthest." Seit. 455.
 
 
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12) Von menschlichen Tugenden.
 
 
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"Der Geist unsrer Modemoralisten mus aus dem Kamel des Arabers (es ist eine gewisse Fabel, auf die hier gezielt wird) gesprochen haben, die uns in Thiere verwandeln wollen, weil wir nicht Engel sein können. Auch Tugenden, denen die Menschheit anklebet, sind besser für die Welt, als gar keine. – –" Seit. 456.
 
 
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Von der Erkentnis, die Menschen haben.
"Du eile, liebster Freund! und koste bald die Freude,
Die aus Entdekkung quilt! – Vom Siz der ewgen Ruh:
"Auch du, mein Sohn, arbeitest an dem Weltgebäude!"
Ruft dir der grosse Kepler zu.
Welch einen Namen nenn' ich dir? Ach Freund, hier fliesset
Des Unmuths Thräne mir die glühnde Wang' herab herab.
Bei Königen schläft Newton; Newtons Lehrer misset
In seinem Vaterland ein Grab.
Als er den kühnen Flug bis zu dem Irstern wagte,
Und seine Laufbahn fand; sah ihm von seiner Sphär'
Ein höhrer Geist halb eifersüchtig zu, und sagte:
" Den Sterblichen ist nichts zu schwer.
Einst wagten sies, den Thron der Götter anzufechten
Da noch ihr Arm entwurzelte Gebürge wog,
Bis hoch herab aus Jupiters geschwungner Rechten
Der Bliz auf ihre Scheitel flog.
Izt weicht dem schwachen Volk kein Berg mehr aus der Erden,
Allein ihr Geist erstarkt, und wird erfindungsreich.
Durch ihn erheben sie sich von dem Staub, und werden
Den Bürgern des Olympus gleich."–
Der Donnerer vernahms, und lies die Stimme hören:
"Mir ist die Geisterwelt von Ewigkeit bekant.
Mit Weisheit zeichnet' ich den Wesen ihre Sphären,
Und gab dem Menschen den Verstand.
 
 
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Und wer den Trieb ernährt, die Wahrheit auszuspähen,
Dem räum' ich einen Plaz bei höhern Wesen ein.
So sol der Mensch, wie ihr, von Stuf zu Stufe gehen,
Und ich nur werd' unendlich sein." – "
Seit. 470. 471.
 
 
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Der Morgen!
"Er aber, der der Sphären ewge Bahn
Mit feurgem Blik bewacht,
Gott rührt den Erdenkreis almächtig an,
Und dreht ihn aus der Nacht.
Indem er stil um seine Spindel rolt,
Wird alles übersont.
Der Berge gipfel sind ophirisch Gold,
Sapphir der Horizont.
Ein Meer von Regenbogen brent im Thal,
Gen Himmel schikt die Flur
Den Balsamrauch aus Blumen ohne Zahl,
Ein Opfer der Natur."
Seit. 473.
 
 
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15) Von Pflanzen.
 
 
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"Die Luft ist den Pflanzen eben so nothwendig wie den Thieren, weil sie zur Beförderung ihres Wachsthums mit ihrem Gewicht, Schnelkraft, Wärme, Feuchtigkeit, Trokkenheit u. s. w. mannigfaltig reizt, und noch mehr, weil sie selbige durch die Substanzen, die sie enthält; ernähret. Dies leztere wird dadurch bewiesen, daß selbst der Dünger und
 
 
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die Bearbeitung der Erde nur schwache Werkzeuge der Fruchtbarkeit sein würden, wenn nicht aus der Atmosphäre unaufhörlich feine geistige Substanzen abgesezt würden, welche die gröbern Theile des Düngers und der Erde zur Pflanzennahrung geschikt machten, und solche z** den Wurzeln derselben zuführten. Noch mehr aber wird dieser Saz bestätigt, wenn die Beobachtungen des Hales, Guetard, Bonnet, Duhamel, u. a. m. darthun, daß die Pflanzen durch Hülfe der Poren, und anfangenden Gefässe der Rinde und der Blätter, eine saftige und körperliche Feuchtigkeit zur Nahrung aus der Luft anziehen. Die Zweige und Blätter derselben sind ihre Wurzeln in der Luft. Newton und nach ihm Franklin, glauben, daß die Pflanzen ausser der Luft auch noch Licht= und Feuertheilchen einziehen, welche sich mit den feinern flüssigen Körpern in der Pflanze festsezzen, und vermuthlich den angenehmen Geruch und Geschmak der Blumen und Früchte, und andere geistige Eigenschaften der Pflanzen hervorbringen. Dem Wachsthum ist nichts günstiger, als eine feuchte Wärme; die Feuchtigkeit giebt die Materie, die Wärme die Bewegung. Der Grund hievon ist die elektrische Materie, welche bei feuchter warmer Witterung sich den Pflanzen mehr mittheilet, und ihre feinsten Haarröhrchen Haarröhrchen durchdringet, und daher nur mit mit Mühe durch die Maschinen alsdenn konzentrieret werden kan, weil sie von den feuchten Dünsten der Luft absorbiert wird. – Die Winde befördern in den Bäumen und Pflanzen die Zirkulation, die Absonderung und Ausdünstung der Säfte, und sind für die Pflanzen das, was Bewegung, Lauf und Leibesübung den Thieren ist.
 
 
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So wie die Materien beschaffen sind, die sie herzuführen, so sind sie dem Wachsthum nüzlich oder schädlich, und geben überhaupt zu jeder Art von Witterung den Ausschlag. Der Regen enthält alles, was zum Wachsthum der Pflanzen erforderlich ist, feste Theile, geistige Theile und das Vehikulum, den Keim dieser beiden Elemente, nemlich das Wasser. Der Thau enthält wie der Regen, viele fremdartige Theile, die von allen Körpern, hauptsächlich aber von den Pflanzen, ausdunsten, und wie diese Theile ihrer Natur nach beschaffen sind, so ist er zum Wachsthum nüzlich oder schädlich; überhaupt aber ist er fruchtbarer als der Regen, so wie der Regen fruchtbarer ist, als gemeines Wasser. Mit dem Nebel hat es gleiche Bewandnis. Der Schnee, welcher mit dem Regen fast gleiche Bewandnis Bestandtheile hat, erwärmet die Erde, indem er die auch im Winter ausdunstende Wärme, welche sich sonsten zerstreuen würde, zurükhält." Seit. 598. 599. 600.
 
 
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X.
 
 
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Algemeine Deutsche Bibliothek. Des ersten Bandes erstes Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1765.
 
 
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1) Von der Angst über Gottes Zorn.
 
 
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"Die grosse Angst über Gottes Zorn ist oft übertrieben, man solte mehr über die Strafwürdigkeit als über die Strafe seiner Sünden unruhig sein; die heilige Schrift fordert auch solch gewaltiges Gefühl der Angst nicht, noch viel weniger ganz algemein das Gefühl der Hölle und der Verdamnis, denn sie mildert uns dieses Gefühl selbst gleich durch die Bekantmachung der götlichen Barmherzigkeit Jesu Christo. Auch die lebendige Vorstellung der grossen Liebe Gottes
 
 
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kan uns zur Reue, Schaam und Bekehrung bringen, (und sol es vornehmlich nach dem Evangelium; möchten wir hinzusezzen.)–" Seit. 11.
 
 
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2) Einige Fehler des bei dem gewöhnlichen Unterricht der Kinder im Christenthum.
 
 
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"1) Man lehrt die Kinder beten, wenn sie von Gott und der Ehrwürdigkeit dieser Unterredung mit ihm noch nichts vestehen; man lehrt sie solche Gebete hersagen, deren Bedeutung sie ohne Einsicht in die Geheimnisse des Christenthums nicht fassen können; daraus der Schade entsteht, daß das Kind auch dann, wann es erwachsen ist, die Gewohnheit behält, ohne Verstand und Empfindung zu beten und nur Worte her zu plappern. 2) Es ist schädlich, daß die Kinder bei dem, was zur Religion gehört, lesen, schreiben und memoriren lernen; denn der Verdrus und Ekel, den sie bei dem leztern erfahren, bleibt ihnen gegen die Religion selbst. 3) Die Kinder werden auf die Werke der Natur, auf die Absichten, die sich darin finden, und auf das viele gute, das wir geniessen, nicht aufmerksam genug gemacht. 4) Sie müssen die Wahrheit solcher Säzze heilig halten, damit sie noch keine Gedanken verbinden können; welches oft hernach die Ursache des Aberglaubens oder des Unglaubens wird. Denn man hält sie entweder so heilig, daß man gar nicht prüfen wil, und also blind mit glaubt, was die Kirche glaubt; oder man fängt an zu prüfen, und findet keinen Grund der Grund von den bisher heilig gehaltenen Säzzen, und wirft also gleich alles als ungegründet hinweg. Der Verf. sieht zwar selbst ein, daß es von verschiedenen Wahrheiten solche Beweise giebt, die ein Kind nur auf Autorität annehmen mus, weil es die Kraft derselben noch nicht fassen kan; aber er wil, daß diese Beweise so bündig und angemessen richtig sein sollen, daß der in der Kindheit genossene Unterricht mit der Einsicht nach eigner Untersuchung in erwachsenen Jahren übereinstimme, und also von der prü
 
 
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fenden Vernunft einst richtig befunden werde: und wir wolten noch wohl hinzusezzen, daß man in solchem Fal die leichtern Säzze des Unterrichts den Kindern desto faslicher und überzeugender machen mus, um für schwerere und noch nicht fasliche desto mehr Zutrauen gegen die Autorität zu erwekken. 5) Man fängt den Unterricht in der Religion, bei den Geheimnissen an, da man doch umgekehrt von der Erkäntnis der Natur zur natürlichen Religion, von dieser zur natürlichen Offenbarung fortschreiten, und zul zulezt erst auf die Geheimnisse kommen solte. 6) Man bleibt bei der alten Methode, ob man gleich sieht, daß die mehresten dabei nach ihrer Erkentnis unfähig zum heiligen Abendmal bleiben. 7) Man zwingt die ganze Moral in die zehn Gebote, welche doch der Form und dem Umfange nach mehr für ein Gesez anzusehen sind, das besonders den Juden gegeben worden. 8) Man fordert von allen, ohne Unterschied, das ganze A.T. zu lesen, das doch nur in besondern Stellen und Büchern algemein verständlich und erbaulich ist; man behält auch in den Lehrbüchern noch immer die Beweisstellen der Schrift bei, von denen doch nach richtigerer Auslegung bekant ist, daß sie die daraus bisher gefolgerte Lehre nicht beweisen. 9) Der Beweis von der Wahrheit des Christenthums und von der Götlichkeit der heiligen Schrift ist in den meisten Lehrbüchern der Kinder schlecht oder gar versäumt."– Seit. 28. 29. 30.
 
 
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3) Etliche Bemerkungen.
 
 
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"Die Almacht und Alwissenheit Gottes erstrekt sich über alle Örter, und darum heist er algegenwärtig."– "Nachdem Gott ausser sich zu wirken angefangen, sind seine Handlungen und die Vorstellungen davon aufeinander folgend, und nicht so unveränderlich als sein Wesen." Seit.34.
 
 
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4) Von der götlichen Eingebung der heil. Schrift.
 
 
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"Die Sprüche der Bibel, die zum Beweise ihrer götlichen Eingebung angeführet werden, sind mit Recht ihrem Zusammenhange nach, nur auf das A.T. zu deuten." S. 38. 39.
 
 
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"In der Hauptsache wird es zur Autorität der Schrift genug sein, zu glauben; daß Worte Gottes selbst, und Nachrichten, welche die heiligen Verfasser sonst nicht hätten wissen können, unmittelbar von Gott geoffenbart sein; daß die Gesandten Gottes, nachdem sie einmal von Gott in den Lehren, die sie verkündigen sollen, unterrichtet waren, hernach auch ohne einen ausserordentlichen Beistand davon haben reden und schreiben können; daß sie manche historische Nachrichten ohne Offenbarung haben wissen, und sie auf erhaltenen Befehl von Gott aufzeichnen können, und daß man Worte Gottes selbst, und Reden derer in der Schrift angeführten Personen, immer sorgfältig von einander unterscheiden müsse. Jedes Urtheil eines heiligen Geschichtschreibers; jedes erzählte Gespräch zweier Personen; jedes affektvolle Lied, jeder Ausspruch Hiobs, oder seiner Freunde, ist nicht für einen götlichen Ausspruch zu halten. Es fehlt uns nur noch an einer genau bestimten hermenevtischen Regel, die götlichen Aussprüche von den blos erzählten menschlichen Reden in jedem Fal zuverlässig zu unterscheiden. Der V. sieht verschiedene Stükke des A.T. als historische Beilagen an, z. E. das hohe Lied Salomons ist nach seiner Meinung eine solche Beilage, zum Zeugnisse, wie sehr sich dieser König durch heidnische Weiber zur Wollust und dadurch zur Abgötterei verführen lassen." Seit. 39. 40.
 
 
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5) Von der Gotheit Christi.
 
 
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"Es erhellet aus der Schrift, daß der Vater Jesu Christi
 
 
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der einzige wahre Gott, der Gott über alles sei, und wo er mit im N.T. mit dem Sohn oder mit dem heiligen Geist zusammengesezt werde, nur der Vater und kein andrer Gott genant werde, daß aber Christus in Betrachtung unserer und der Welt, nicht aber in Betrachtung seines Vaters allerdings gleichfals Gott, und götlich zu verehren sei, aber in einer andern Bedeutung Gott, auf irgend eine Art abstammend, Gott von Gott, nicht so volkommen Gott über alles, wie der Vater, oder besser, Gottes Sohn sei, daß er unvergleichbare Hoheiten habe, und mit dem Vater auf eine unvergleichbare Weise eins sei. –" Seit. 40.
 
 
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6) Von der Taufe.
 
 
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"Die Taufe ist nichts weiter, als ein von Christo eingesezter heiliger Gebrauch, sich öffentlich zu den Lehren des Evangeliums zu bekennen, und zur Verehrung der im Evangelium geoffenbarten Gotheit zu verpflichten." Seit. 46.
 
 
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7) Etwas vom Folgen Falle Adams.
 
 
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"Die Ursache des götlichen Verbots war, daß des Menschen gute Fähigkeiten durch öftere Übung gestärkt werden solten. Wohl! Aber es war nicht die einzige Ursach; der Mensch solte dadurch in dem Gedanken erhalten werden, daß er unter Gottes Aufsicht stehe; ohne diesen Gedanken ist kein vernünftiges Geschöpf fähig, wahrhaftig glükseelig zu sein. Das vierfache natürliche Übel, daß auf den Fal erfolgt ist, geben wir zwar aus der Erfahrung zu; aber wir sehn nicht daß ein, daß es unmittelbar daraus folgen müsse. Diese Übel bestehn in habituellen Mängeln, die aus einer einzigen Handlung, als die Übertretung Adams war, nicht natürlicher Weise folgen
 
 
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musten. Hier müssen die Verändrungen in dem Menschen, der zu sündigen anfängt, und in dem, der darin fortfähret, genauer studirt werden. –" Seit. 85.
 
 
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8) Von der Erbsünde.
 
 
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"Die Mängel in dem Vortrage der Lehre von der Erbsünde haben auf den Wandel der Christen, *u* und auf die Abneigung der Ungläubigen so mancherlei schädlichen Einflus gehabt, daß der Muth, womit sie der Verf. (Teller) angezeigt und verbessert hat, liebenswürdig ist. Die Erklärung der Erbsünde selbst, die der Verf. in der herschenden bösen Lust, oder Temperamentssünde, die jedem Menschen eigen ist; der Beweis für ihrer Fortpflanzung durch die leibliche Geburt; des aus ihr entspringenden Übergewichts der Sinlichkeit, und Mangels thätiger und anhaltender Entschliessungen zum Guten u.s.w. ist der Schrift und Erfahrung so gemäs, und aus beiden so deutlich entwikkelt, daß nur der, der beide nicht satsam geprüft hat, dem V. seinen Beifal nicht versagen kan. Was wir aber oben *n Absicht der Folgen des Fals erinnert haben, müssen wir hier in Absicht der Folgen der Erbsünde, doch mit der Einschränkung wiederholen, daß sich diese Folgen bei dem habituellen Fortgange der Erbsünde deutlicher gezeigt haben, als es aus der ersten Sünde Adams begreiflich zu machen ist. So sehen wir auch nicht ein, wie das, was der V. von dem gänzlichen Unvermögen des Menschen zum Guten behauptet, mit der vorhergehenden genauern, und unsrer Meinung nach sehr richtigen Bestimmung des
 
 
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natürlichen Verderbens bestehen könne. Denn einmal, wenn auch die Sinlichkeit, und zwar, welches wohl zu merken, die sich nur auf gewisse bestimte Gegenstände überwiegend neigt, über den Verstand und Willen herschet, so folgt doch nicht, daß sie es jenem ganz unmöglich mache, Dinge zu begreifen, und *...*h diesem Dinge zu verlangen, die ausser ihrem Bezirk sind. Die Erfahrung aller Zeiten lehrt es vielmehr, daß der Mensch die Rechtmässigkeit und Güte der Tugend nicht alleine einsehen, sondern auch diesem gemäs seine Handlungen einrichten könne, so lange seine herschende Lust nicht in Kollision kömt. Wir wolten also lieber sagen, das natürliche Unvermögen bestehe darin, daß die herschende Sinlichkeit den Menschen durch ihr Übergewicht allezeit verhindere, sichere und beständige Grundsäzze zu fassen, darnach er sich zum Guten entschliessen könne, und also der Mensch an Volbringung des Guten, so bald die herschende böse Neigung mit ins Spiel geräth, gestöret werde. Und so scheint Paullus auch gedacht zu haben, Röm. 7, 18. u.f. Wenn die Schriftbeweise des V. wirklich das Gegentheil hievon sagten, so müsten wir die Hand auf den Mund legen. Aber wer den Zusammenhang von 1 Kor. 2, 14. und den Anfang des folgenden Kapitels geprüft hat, wird dem V. nicht zugeben, daß ??????? ?????p?? der animalische Mensch heissen müsse. Blind und verfinstert waren die Epheser vor ihrer Bekehrung gar sehr gewesen; auch tod in Sünden; Knechte der Sünde; die jezzigen Heiden sind es auch noch. Aber unbekehrte Christen sind es nicht in dem Grad; welches nicht satsam unterschieden wird. Und überdem weis ja der V. aus der Analogie der Sprachen, darauf er sich so oft beruft, wohl, daß das eigentliche in einer Metapher niemals in seiner ganzen
 
 
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Ausdehnung auf das darunter abgebildete dogmatisch gedeutet werden darf, wo es nicht die Natur der Sache, oder der Ausspruch des Verf. in eigentlichen Worten, nothwendig macht. Der Mensch heißt doch bei obiger Erklärung mit völligem Rechte tod in Sünden, und ein Knecht derselben, wenn gleich keine gänzliche Unmöglichkeit zum Guten von ihm behauptet wird; Phil. 2, 13. ist sehr wahr, aber der 12. Vers mus doch auch neben ihm wahr bleiben, Joh. 15, 5. wird ja das Bleiben am Weinstok von den Reben erfordert, wenn sie durch ihn Furcht Frucht bringen sollen. Es ist auch noch die Frage, ob dieser Vers so algemein gedeutet werden könne, als ihn der V. nimt. – Überhaupt wird man den V. in diesem ganzen Abschnit nicht in jedem einzelnen Urtheil übereinstimmend mit sich finden. – Von der Zurechnung der Sünde Adams sagt die heilige Schrift nichts; vielmehr kan aus 2 Kor. 5, 19. das Gegentheil geschlossen werden: das System hat sie hienein getragen, und der V. thut wohl, solche hineingedichte Lehren wieder heraus zu weisen."– Seit. 91. 92. 93.
 
 
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9) Der Grund, warum Gott die Offenbarung nicht mit augenscheinlichern Beweisen versehen hat.
 
 
  Ia-02-1778-0223
"Der Grad der Gewisheit, mit welchem die Offenbarung Gottes in der heiligen Schrift versehen ist, hat auf einer freien Wahl Gottes beruht, und mus aus dem Endzwek erkant werden, welchen Gott bei demselben hatte. Dieser war nun nicht sowohl dahin gerichtet, durch sie ein Mittel zur Seeligkeit der Menschen an sich und überhaupt, als vielmehr ein Mittel zu einem höheren Grade der Seeligkeit derselben zu stiften; denn zur Seeligkeit an sich und überhaupt führet er die Menschen bereits durch eine natürliche Offenbarung, und es ist unläugbar, daß sich seine übernatürliche Offenbarung in der Schrift
 
 
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als ein Mittel zu einer höhern und grösseren Seeligkeit verhält. Solte sie aber dergleichen dem Endzwek Gottes gemäs wahrhaftig sein, so muste alles in und bei derselben dahin eingerichtet werden, daß die Menschen Gelegenheit erhielten, mehrere und grössere Tugenden auszuüben, und also grösserer Gnadenbelohnungen empfänglich zu werden. Bei diesem von Gott beliebten Grade der Beweisthümer erhalten sie dieselbe, indem dabei ihr Glaube selbst eine Tugend werden kan; nämlich durch den ehrerbietigen Gehorsam, welchen sie um des überwiegenden Ansehns götlicher Zeugnisse willen, der Offenbarung leisten. Bei einem höheren Grade der Beweisthümer hingegen würde nicht nur der Glaube selbst, sondern es würden auch alle damit zusammenhängende Tugenden geringerer Belohnungen empfänglich sein, weil die Erkäntnis der Religion alsdenn anschauend, mithin unwidersezlich, der Glaube völlig evident und mit seinen Früchten keiner eigentlichen Zurechnung an die Menschen fähig gewesen sein würde. Gott konte also seinem bei der Offenbahrung in der Schrift gehabten Endzwek gemäs, ihr keinen höheren Grad der Gewisheit beilegen, als sie wirklich für die izt lebenden Menschen hat. Folglich ist auch erwiesen, daß ein höherer Grad derselben der volkommensten Weisheit und Güte Gottes unanständig gewesen sein würde."– Seit. 133. 134. 135
 
 
  Ia-02-1778-0224
10) Was heißt "mit der Bibel reden"?
 
 
  Ia-02-1778-0225
"Mit der Bibel reden kan nichts anders heissen, als diejenigen Wahrheiten, welche in der heiligen Schrift auf hebräisch und griechisch vorgetragen worden, mit solchen deutschen Worten und Redensarten ausdrukken, wodurch bei dem Zuhörer eben die Vorstellungen erwekt werden, welche die heil. Verfasser bei jederman erwekt wissen wollen. – –" Seit. 175. 176.
 
 
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  Ia-02-1778-0226
11) Von einem Ausdrukke, der falsch ist.
 
 
  Ia-02-1778-0227
"Läst sich der Ausdruk Gott am Kreuze, wohl rechtfertigen, und ist er nicht unbehutsam, ja falsch, da der Mensch, Jesus Christus, nicht und nicht der Gott gekreuzigt wurde?––" Seit. 265.
 
 
  Ia-02-1778-0228
XI.
 
 
  Ia-02-1778-0229
Algemeine deutsche Bibliothek. Des ersten Bandes zweites Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1765.
 
 
  Ia-02-1778-0230
1) Von der menschlichen Seele.
 
 
  Ia-02-1778-0231
"Die denkende Seele schwingt sich mit ihren Gedanken über die Erde, erforschet die Bahn der Sterne, spürt den Grundursachen der Dinge nach, entdekt sie aus den Wirkungen der Natur ihrer verborgenen Wesen; steigt bis zu dem Urheber aller erschaffenen Dinge, ist unersätlich im Erforschen, ihre wahre Wollust ist Wissen, und ihr höchster Wunsch ist alles zu wissen. Wenn sie im Gegentheil von den Sinnen bethört wird, daß sie vergängliche Eitelkeiten für die Mittel wahrer Glükseeligkeit ansieht, und erlangt dieselben, so sättiget sie keine; sondern sie strebt immer nach mehrern; und wenn sie auch jeden Wunsch darinnen erreicht, so wird sie bald der höchsten Ehrenstaffeln, wie der Schäzze und wollüstigen Freuden überdrüssig, und bleibt auf dem Gipfel der Eitelkeiten, wir unten auf der ersten Stufe unruhig, alles scheint ihr zu klein, und sie findet nichts, was ihr Vergnügen befestigen kan. – Dagegen brennen * in ihr lauter Begierden nach Freiheit, Volkommenheit und Unsterblichkeit, die alle unermeslich weit sich über dies
 
 
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Wohnhaus der Erde erhöhen. Ihre Kräfte sind auch gar nicht auszumessen, sondern je weiter sie im Denken und im Wissen steigt, so eröfnet sich ihr immer noch ein grösseres Feld, und noch ein ferneres Ziel für ihren Fleis, gegen welches ihre erstiegene Höhe ihr niedrig und verächtlich wird. – Allemal aber in der eifrigsten Arbeit, in der heftigsten Begierde, und oft bei der besten Zubereitung in den Grund und Wesen der Dinge zu dringen, komt der Tod, und führt die Seele von ihrem Stande auf der Erde hinweg, von welchem sie die Werke Gottes betrachtete."– Seit. 40. 41.
 
 
  Ia-02-1778-0232
2) Eine Erklärung einer Schriftstelle.
 
 
  Ia-02-1778-0233
"Die Gotlosen werden denn hingehen in die ewige unbestimte Strafe (wie wir einen ewigen Frieden nennen, einen solchen, da nichts bestimt wird, wie lange er währen solle, oder da man nicht vorher siehet, wie lange er währen kan) die Gerechten hingegen in das ewige und ohne Ende fortdaurende Leben. Denn hier ist bei dem Worte ewig kein sonderlicher Zweifel, ungeachtet auch, hier nicht offenbaret ist, in wie mancherlei oder wie oft abwechselnde Einschränkungen dieser unser Geist gesezt werden solle; denn auch vom ewigen Leben redet die gemeine Orthodoxie gar zu dreiste."– Seit. 92.
 
 
  Ia-02-1778-0234
3) Etwas aus der Historie des vorigen Jahrhunderts.
 
 
  Ia-02-1778-0235
"Im vorigen Jahrhundert, da der Geist des Streiteifers fast die ganze protestantische Kirche eingenommen hatte, und die Gotseeligkeit beinache darüber vergessen ward, traten redliche Männer auf, welche es einsahen, daß die Religion nicht blos für den Kopf, sondern vornämlich für das Herz
 
 
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gegeben sei. Sie fingen an, mit desto grösserm Eifer auf die gotseeligen Empfindungen des Christenthums zu treiben, je mehr dieselben bis dahin aus den Augen gesezt worden. Es geschahe mit grossem Beifal, denn der Mensch empfand nun das reelle der Religion. Natürlicher Weise geriethen sie mit denen, die das Zanken zur Hauptsache machten, in Streit; und die Hizze des Streits, der Mangel hinlänglicher exegetischer Einsicht, die Schwierigkeit, sich über Empfindungen deutlich und bestimt auszudrükken, und die Realität dessen, was sie doch wirklich bei sich empfanden, verursachten, daß sie ihre Lehrart übertrieben, alle Kentnis, welche nicht von denen Empfindungen, die sie bezeichneten, begleitet wurde, tod, heidnisch u.s.w. nanten; das Götliche und Natürliche vermischten; alles, was nur Empfindung war, priesen; und auf eine unbestimte Weise einen gewissen Gang von Empfindungen zur Bekehrung und zur Seeligkeit für nothwendig zu halten schienen. Andre redliche Männer folgten ihrer Bahn, und besserten theils, theils verdarben sie; je nachdem mehr oder weniger Licht in ihrem Kopf war. Der grosse Haufe, der hier was reelles zu finden meinte und zum Theil auch wirklich fand, folgte nach; die Unwissenheit erlernte mit leichter Mühe die Sprache dieses Systems, und verbarg sich hinter den vol Bedeutung scheinenden Worten, und schalt aus Einfalt, aus Partheieifer und Dünkel auf alle, die sich bemüheten, das Licht von der Finsternis zu scheiden. Die Heuchelei ergrif dieses bequeme Mittel, Beifal zu zu erlangen, und über andre zu herschen: und der gemeine Man, der die Gabe der Unterscheidung in Sachen des Gefühls am wenigsten besizt, lies sich durch die Stärke der
 
 
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ersten Eindrükke, die diese Methode natürlicher Weise machen muste, hinreissen; zu glauben, daß er das einzige Nothwendige zur Seeligkeit nun gefunden habe. Aus allen diesen Ursachen wurde es ein herschender Ton in der Kirche. Solte es denn nun nicht wichtig sein, die Richtigkeit oder Sicherheit oder Algemeinheit solcher Methode zu prüfen, da sie von vielen redlichen Männern, aber auch von noch mehrern Heuchlern und Unwissenden, als die einzige heilsame angepriesen wird? und schikte es sich nicht, dieses mit Bescheidenheit, Anstand und kaltem Blute zu thun?––" Seit. 120. 121. 122.
 
 
  Ia-02-1778-0236
4) Von der Seele.
 
 
  Ia-02-1778-0237
"Kan der, der über die moralische Beschaffenheit seiner Natur nachdenkt, sich wohl eines edlen Stolzes erwehren, der ihn über die sichtbare Schöpfung erhebt, ihn mit einem grossen Gefühl seiner Würde und Vorzüge begeisterte, und diese Betrachtung auch Begeisterung auch auf die fortpflanzt, * die seinen Betrachtungen folgen?–" Seit. 158.
 
 
  Ia-02-1778-0238
5) Etliche Fragen, die beim Buche Hiob zu untersuchen sind.
 
 
  Ia-02-1778-0239
"Die erste Frage; ob nicht das ganze von K. 3. Hiobs an, ein dramatisches Stük sei und ob Herr Lowth Recht gehabt habe, es neuerlich zu verneinen; die zweite, ob, wenn auch dies nicht wäre, nicht wenigstens eine Erweiterung derselben von dem Schriftsteller sei vorgenommen worden? Die dritte, ob man nicht selbst die wechselsweise Unterredung Gottes mit dem Satan für eine parabolische Vorstellung des von von neidischen und übelgesinten Menschen dem rechtschaffenen Manne zugefügten Unheils und andrer Unglüksfälle halten könne, dabei immer noch nicht geleugnet werden dürfte, daß ein Hiob gelebt, der ansehnliche
 
 
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Besizze gehabt, durch eine Menge unglüklicher Vorfälle in Verfal gerathen, von seinen besten Freunden an seinem moralischen Karakter angegriffen worden sei und und endlich durch Standhaftigkeit gesieget habe? Die vierte, ob es nicht am wahrscheinlichsten sei, daß das Lehrende der ganzen Geschichte dieses sei, es gebe eine Vorsehung, die sich gegen den Frommen allezeit wohlthätig erweise und ihn durch Labyrinthe von Elend doch endlich auf die schöne Ebene der Freuden hindurch führe? Die fünfte, ob man nicht aus gewissen uralten Ausdrükken auf die Spur des eigentlichen Alters des Hiobs kommen könne? So gehört z. E. die Benennung der Kinder Gottes, nach der hier anzunehmenden Bedeutung zu der ehrwürdigen alten patriarchalischen Sprache." Seit. 191. 192.
 
 
  Ia-02-1778-0240
6) Vom Essen, Trinken u. d. g. *
 
 
  Ia-02-1778-0241
"Die Verdauung nimt ihren Anfang im Munde, der Speichel, welcher mehr nach mechanischen Bewegungen, als nach einem blossen Reize zufliest, löset die Speisen auf und erleichtert ihren Weg nach dem Magen. Es ist daher die Verschwendung dieses Safts höchst nachtheilig." Seit. 193.
 
 
  Ia-02-1778-0242
"Mittags sol man mehr als Abends essen, und den uns drauf übereilenden Schlaf nicht fliehen. Feld= und Gartenfrüchte, unterhalten zwar wegen eine feinere Ausarbeitung der Säfte, allein wegen der Kräfte und der nöthigen Auflösung des Schleimes ist das Fleisch unentbehrlich. Unter allen Arten des Getränks erhält das Wasser sowohl in Absicht auf die Erhaltung der Gesundheit, als auch auf die Bestreitung hizziger Fieber
 
 
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gefährlicher Zufälle, als des Blutauswurfs und hizziger Fieber den Vorzug. Der Wein sol zur Stärkung, Gewürze und Salz aber blos mässig, wegen der zu besorgenden Austroknung, gebraucht werden." Seit. 194.
 
 
  Ia-02-1778-0243
7)
 
 
  Ia-02-1778-0244
Etwas von der – Liebe.
"Man denkt, ein Blik von Ferne, von der Seiten,
Ein blosser Blik hat wenig zu bedeuten:
O glaubet mir, ihr habt schon viel gethan,
Der erste Blik zieht stets den andern an."– Seit. 288.
"So sieht und liebt nach Plutons Lehren
Der junge Kallias in seiner Tänzerin
Das höchste Gut, womit sich unsre Geister nähren,
Eh sie, Gott weis warum, in diese Leiber ziehn,
Singt ihm, den Grazien zu Ehren,
Ihr süsser Mund ein Tejisch Liedchen vor:
So glaubt euch der entzükte Thor,
Er höre den Gesang der Sphären
Ein Druk von ihrer weichen Hand,
Ein Florentinerkus der buhlerischen Zungen
Erwekt von seinem Götterstand
Die schlummernden Erinnerungen;
Auf einmal ists, ob um ihn her,
Der blaue Himmel offen wär
Er sieht die Sterne doppelt blikken;
Er steigt; verliert sich in den Schwarm
Der Geister, welche Nektar trinken,
Glaubt in den Quel des Lichts zu sinken
Und sinkt – in Phrynens Arm. –"
Seit. 226.
 
 
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  Ia-02-1778-0245
XII.
 
 
  Ia-02-1778-0246
Algemeine deutsche Bibliothek. Des zweiten Bandes erstes Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1766.
 
 
  Ia-02-1778-0247
1) Widerlegung des Vorurtheils, da man sagt: "man habe fromme Leute gesehen, die zur Verwunderung aller aus ihrer Frömmigkeit trefliche Einsichten in ihren Berufsgeschäften bekommen, ob man sie sonst gleich nicht von ihnen erwartet".
 
 
  Ia-02-1778-0248
"Last uns einmal die Begriffe untersuchen. Es giebt wahre Fromme und anmasliche Fromme. Die erstern finden sich in allen Religionen. Ihr Karakter besteht in einer solchen durch Übung erlangten Richtung des Herzens, der zu Folge die Ehre und der Dienst des von ihnen erkanten Gottes, der oberste Bestimmungsgrund aller ihrer Handlungen, die eine solche Aufmerksamkeit verdienet, ist und bleibet. Da die Klugheit in den Geschäften theils auf eine leichte Erfindung der nöthigen Werkzeuge, theils auf die richtige Unterordnung der Zwekke, theils auf die geschikte Verbindung der Mittel mit den Absichten ankömt: so ist unbegreiflich, daß die Übung einen gewissen obersten Zwek sich zu denken auch einen nothwendigen Einflus auf die leztbenante drei Stükke haben, und dieselbe unvermeidlich nach sich ziehen solte. Mit andern Worten: Frömmigkeit wirkt nicht unausbleiblich die Geschäftsklugheit. – Aber vielleicht den Verstand der zu den Wissenschaften gehört? Dieser ist nichts anders als eine für jeden Inbegrif von Käntnissen schiklich abgemessene Zusammenfügung der mancherlei Seelenkräfte, und diese Zusammenstimmung der Seelenkräfte wird ja nicht durch die blosse und feste Vorstellung des richtigsten Bewegungsgrundes unsrer Handlungen gewirket. Es kan jemand Gott vor Augen haben, ohne des
 
 
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wegen eine lebhafte Einbildungskraft, ein fertiges Gedächtnis und Wiz und Scharfsin zu besizzen. Die Anwendung auf die Frömmigkeit des Christen ist leicht. Nun kommen aber zwo Einwendungen zum Vorschein: 1) "Der Fromme ist vor Leidenschaften bewahrt, und sein Verstand heiter." * Gut! vor einigen Leidenschaften; aber vor allen? niemals Schwachheiten und niemals Vorurtheile? Überdies verschaffen einige gute und richtige Urtheile noch nicht die Öfnung des Kopfes, welche erst durch ein gewohntes Nachdenken über die verwikkelteste Verknüpfungen erworben wird. 2) "Eine übernatürliche Kraft, die den Frommen erleuchtet, kan viel thun." Ja, aber zu ihrem Zwekke, und nichts, was dazu nicht gehört. Nun ist es algemein zugestanden, daß tiefe Einsichten und Klugheit in Geschäften gar nicht wesentlich zur Bildung des Christenthums sein: folglich wird auch derjenige, der es in den Seelen vermehrt, auf die erstere seine übernatürliche Kraft gar nicht verwenden. Der anmasliche Fromme hat noch weniger Anspruch auf Verstand – blos seiner Frömmigkeit wegen. Er beschäftigt sich, wie er sagt, einzig und allein mit dem Gedanken an seinen Heiland, ihm betet, ihm singt er, von ihm spricht er mit andern auserwählten Seelen, seine Liebe für diesen Heiland prüft er an sich und andern, und jede Käntnis, jede Unterredung, die nicht auf diesen Heiland unmittelbar führet, hält er für sündlich oder doch für höchst unnüzze. Ich sage nichts vom Handeln, weil dies sehr oft bei Singen, Seufzen und Reden wegzufallen pflegt, und höchstens in
 
 
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Enthaltungen, selten in wahren Ausübungen zum Besten des Nächsten bestehet. Dies ist eine wahre Beschreibung von Leuten, die boshaft genug sind, um gesunde Vernunft für eine Feindschaft gegen das Christenthum auszugeben, und einfältig genug, um sich nicht anders belehren zu lassen; die einen gewissen Kant auswendig lernen, und sich daran wie an Handwerkswörtern erkennen, jede andre Sprache aber für ungötlich halten, und die zum Glük durch ihre Lehren zu sehr verrathen, daß ihre Religion nicht von Gott sei, weil sie die wahre Bestimmungen des Menschen aufheben würde, wenn man sie befolgen müste. Es mag einem veralteten gnädigen Fräulein leicht fallen, ihren Müssiggang auf eine solche Art zu verandächteln: aber wer in den verschiedenen Ständen des Lebens der götlichsten Bestimmung nach dienen mus, kan unmöglich Jesum zunächst ohne Aufhören in Gedanken haben. Armenrechnungen durchsehen und sie beschleunigen, ist besser als auf die Blähungen des Magens und Veränderlichkeit der Laune Acht geben, ist und eine Anstalt für Nothleidende treffen, ist Gott angenehmer, als ein einem Freunde oder einer Freundin, die noch zuweilen wiederkommenden Versuchungen des Fleisches mit frommer Beklemmung offenbaren. Und dergleichen Geschwäzze unter Leuten, die eine zugestandene Unwissenheit in Beurtheilungen der Seele haben, dergleichen Geschwäzze solte ihre Einsichten vermehren? Ihr Verstand, dessen pflichtmässigen Anbau sie vorsäzlich verabsäumen, ja wohl gar an sich unmöglich machen, ihr Verstand solte durch die Bilder von Braut und Bräutigam, die sie sich machen, klärer werden?"– Seit. 7. 8. 9. 10.
 
 
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  Ia-02-1778-0249
2) Eine Vertheidigung der Liebe.
 
 
  Ia-02-1778-0250
"Ich bin izt dreuste genug zu behaupten, daß eben das Denken an die Liebe den Unterschied zwischen Menschen und Thieren in diesem Stükke ausmache. Da keine Religion den Trieb zur Fortpflanzung sich aufheben kan; da auch die frömsten Menschen sich entweder verehlichen dürfen, oder sich verehlichet haben: so ist offenbar, daß ihnen dieser Gegenstand zuweilen in Gedanken schwebe. Ihn als blossen Instinkt in der Seele zu haben, würde sie zu Thieren erniedrigen. Sie werden ihn also wie geistige Wesen verfeinern, das heist, die Liebe mit allen feinern Empfindungen, oder schön denken müssen. Es giebt keinen Einwurf dagegen, wenn man nicht auf die zween Auswege verfält, die freilich alles abschneiden, entweder die Ehe und folglich alle Liebe als eine Unreinigkeit zu verwerfen (die Ausflucht der Gnostiker und Mönche) ** oder ihre Volstrekkung zu e***r einer gottesdienstlichen Handlung zu machen (wie die Herrnhuter und überhaupt alle Gnostiker). Auch unsre frömste und heiligste Theologen haben am meisten gegen diesen Punkt der zinzendorfischen Gesezgebung geschrien, ohne zu bedenken, daß vielleicht dies das allerfeinste am ganzen System sei, wenigstens demselben am zuträglichsten: da alle andre sich eben dadurch in offenbare Widersprüche verwikkeln. Aber wenn man nun auch an die Liebe denken darf, mus man denn auch davon sprechen? Ich weis nur dies: da die beiden Geschlechter ihre Neigung einander müssen zu erkennen geben: da die Leidenschaft ganz nothwendig die Sprache aus der Brust hervortreibt und Entzückkungen am Ende in
 
 
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Worten her ausströmen: so wird ganz gewis eines dem andern in Worten den Antrag thun, und diese Worte können edel sein, die Gedanken können feurig sein; die Ordnung derselben kan blos in Empfindungen gegründet sein; kurz, der nothwendigste und unentbehrlichste Liebesantrag kan wohl gar eine Ode werden! und wahrhaftig, wenn er je geschehen darf: so sehe ich nicht, wo denn das Unglük herkömt, wenn er schön wird, wenn er eine Ode wird. Gut; aber so bleibe er denn unter zweien? Dies ist nun auch wahr. Man müste denn sagen, daß man besser thue, gute Muster andern vorzulegen, als jeden seinem eigenen Nachsinnen dabei zu überlassen; daß unter den Menschen allezeit von Liebe werde gedichtet werden, und daß es jungen Gemüthern heilsamer sei, ihnen, da sie doch Bilder der Liebe suchen, mit Gratien und Liebesgöttern, die eine nakte Venus mit Blumen bestreuen, vorzumahlen, als sie der ersten besten Unfläterei auszusezzen. –" Seit. 16. 17. 18.
 
 
  Ia-02-1778-0251
3) Vom Verdienste.
 
 
  Ia-02-1778-0252
"Das Verdienst eines Menschen besteht in der Thätigkeit, die er aus eigner Entschliessung und aus Wohlwollen, andern zum erheblichen Nuzzen, durch seine Seelenkräfte beweiset. Es gehört also zu der Thätigkeit, welche das Verdienst ausmacht, eine Neigung andern nüzlich zu sein, und ein Vermögen des Geistes, es auch sein zu können. Daher rechnet Hr. A. folgende drei Stükke zu den Bestandtheilen des Verdienstes: Grösse des Geistes, Stärke der Seelen und das Wohlwollen. Wer kan die Grösse des Geistes untersuchen, finden und anschauen, und nun davon reden, ohne warm, ohne begeistert zu werden?
 
 
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Der V. sieht die Thore an dem Tempel des Nachruhms plözlich aufspringen, und die Genies aller Nationen hervortreten: er fühlt ihre Gegenwart. Nur die philosophische Furcht, durch ihren ehrwürdigen Anblik und durch den süssen Klang ihres Nachruhms zu partheiisch in seinem Urtheil zu werden, ruft ihn aus seiner Entzükkung zurük. – Der Geist ist gros, der grosse Dinge, die eine besondere Anstrengung der Kräfte erfordern, überdenken kan; und wenn man die grossen Sachen nach ihren verschiedenen Klassen, und ihren Unterschied von dem, was nur schwer ist, kennete; und die Art und Weise verstünde, nach welcher sich ein Geist damit beschäftiget, (welches lezte gerade das schwerste ist) so würde man die Natur des grossen Geistes aufgedekt vor sich haben. Wir nennen aber diejenigen Sachen gros, wo wir verschlungene Anstalten, verflochtene Mittel, ausgedehnte Zwekke und eine leicht trenbare Verbindung unter beiden wahrnehmen; und der Geist, der sich mit Gedanken von solchen Dingen beschäftigen, und sie zu rechter Zeit und am rechten Ort zusammenfügen, und ein Ganzes daraus machen kan, ist grss gros, es mag nun in der Spekulation oder in der Ausübung sein. Aber das Denken grosser Gegenstände macht nicht allein den grossen Geist aus. Denn was ist grösser als Gott? Und von wem wird wohl am häufigsten niedrig gedacht? Die Grösse des Geistes mus sich also auch durch die Art zu Tage legen, wie er diese Gegestände behandelt. Die Natur macht hier einen Unterschied unter den Genies, der schwer zu bestimmen ist. Man mus es daher dem V. der diese Schwierigkeit fühlt, nicht verdenken, wenn er sich nicht deutlich und volständig darüber zu erklären weis. In magnis voluisse sat est.
 
 
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Hier sind die Hauptzüge, die er davon angiebt. Ein grosser Geist, sagt er, breitet sich mehr aus, der starke strenget sich mehr an. Jener sieht mehr Gegenstände auf einmal neben einander, er sieht ihre Beziehung auf einander klar und lebhaft, und ergreift den glüklichen Augenblik, der das meiste Licht über dieselben verbreitet: und so zeigt sich ein Kromwell. Der V. sucht den Gang, den der grosse Geist in der Spekulation so wohl als Ausübung bei dieser seiner Arbeit nimt, zu zeichnen; er erräth ihn aber mehr, als daß er ihn findet. Man mus auch in der That nicht allein selbst ein grosser Geist sein, sondern auch auf die mannigfaltige Wendung seiner eigenen Thätigkeit genau merken; die Kraft, des Eindruks jeder Gelegenheit fühlen; die Triebfedern die dadurch in schnelle Wirkamkeit gesezt werden, sehen; und die plözlichen, oft unerklärbaren Ausbrüche des erfindenden Genies, die den ganzen Umfang seiner Thätigkeit in Bewegung sezzen, und die Geburten hervorbringen, die Bewunderung und Erstaunen auspressen, man mus sie gleichsam auf der That erwischen, wenn man dem Wege, den der grosse Geist geht, nachspüren wil. So viel ist gewis, daß er niemals ohne eine äussere Gelegenheit in solche Arbeit geräth. Bei solchen Gelegenheiten müssen wir ihn also beobachten, und auf die Entwikkelungen lauren, wozu sie ihn veranlassen. Oder noch besser, der grosse Geist mus uns selbst ehrlich erklären, durch welche Gelegenheit und wie er zum Gefühl seiner Grösse gelangt ist. Wir kommen auf die Stärke der Seele. Grosse Geister scheinen tauglicher zum Rathschlagen, starke Seelen zum Volführen. Wer den Muth hat, ein Unternehmen, zu denken,
 
 
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wofür gemeine Seelen erschrekken, und so wie Hannibal, Rom in Italien zu bekriegen; wer es mit heiterm und unerschrokkenem Geiste ausführt, und bei allen Wendungen, die es bekömt, ruhig bleibt; wer die Stetigkeit des Willens behält, troz aller Hindernisse und Schwierigkeiten von seinem Unternehmen nicht abzulassen, bis es ausgeführt ist, welche eigentlich in der Wirkung der Seele auf sich selbst besteht, sich gegen ihren eignen Wankelmuth, eigenes Zagen und eigene Empfindung zu Hause zu wafnen; wer die Gedult hat bis zum Ziel auszudauern; und herzhaft genug ist, äusserlichen Gefahren, die dabei aufstossen, entgegen zu gehen, und innerlich seine eigne Meinungen, Vorurtheile und Neigungen zu besiegen; der besizt Stärke der Seele. Der V. sucht den Pukt auf, darin alle diese Eigenschaften gemeinschaftlich zusammen laufen, und findet ihn darin, daß eine gewisse Anzahl Vorstellungen über einen erheblichen Vorwurf, vorzüglich vor allen andern den Willen beherschen müssen. Er sezt daher die Stärke der Seele in ihrer Leichtigkeit, diese zum Vortheil wichtiger Ideen nöthige Herschaft über den Willen zu erhalten. Woher entsteht nun aber diese Leichtigkeit? Der H. V. hält sie mehr für etwas angebohrnes, als erworbenes; und in den meisten Fällen ist es auch so. Er glaubt daher, daß bei eingien Seelen die Vereinigung zwischen Verstand und Willen stärker sei als bei andern; und daß die eine Seele ihre Vorstellungen eher als die andere zu einer Entschliessung erheben könne. Diese Anmerkung scheint ihm die Sache eben so klar zu machen, als sie es durch die Erklärung der so genanten lebendigen Erkentnis werden kan. Wir wolten ihm darin beistimmen, wenn er uns nur einen Wink
 
 
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gegeben hätte, worin wir die Bestimmungskraft der Entschliessungen nach seiner Meinung eigentlich suchen solten? Bisher hat man sie in der Kraft und Art der Vorstellungen zu finden vermeinet. Er nimt diese weg, die doch viel Wahrheit vor sich hat, und sezt keine andere an deren Stelle. – Daß das Temperament viel Einflus auf die Stärke der Seele habe, wird wohl nicht geläugnet werden. Auch die öftere Erfahrung, Schwierigkeiten, Hindernisse und Gefahren überwunden zu haben, macht es zur Gewohnheit, ähnliche Thaten mit einer gewissen Zuversicht zu übernehmen, sie mit Ruhe und Gleichmüthigkeit zu verfolgen, und bis zu ihrer Vollendung standhaft auszudauern. Doch davon ist hier eigentlich die Rede nicht. Nun, warum solten wir denn nicht glauben, daß die Natur in Absicht des Willens eben den Unterschied unter den Seelen mache, den wir ihr in Absicht des Verstandes zuschreiben? Sie hat, wie wir nicht ohne Grund dafür halten, einem mehr, dem andern weniger Fähigkeit gegeben, zum Begreifen. Einer hat weit mehr Leichtigkeit der Vorstellung als der andere u.s.w. Warum solte sie nicht auch einem Menschen mehr Leichtigkeit des Gefühls gegeben haben, als dem andern? Und aus diese Leichtigkeit entsteht eine hurtigere Beweglichkeit zur Entschliessung, und eine Dauer und Festigkeit derselben, die dem Grade der herschendbleibenden Lebhaftigkeit jenes Gefühls proportionirt ist. Wenigstens denken wir sehr unrichtig, wenn wir den Willen gleichsam als eine tode Masse betrachten, der erst von der Vorstellungskraft belebt wird. Er mus immer von der Natur harmonisch mit dieser gestimt sein. Hat sie dieser ein schnelleres, wirksamers und leichter
 
 
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thätiger Leben ertheilt, so mus auch jener eine feinere Empfindlichkeit, fertigere Triebe und eine schnellere Bewegung von ihr erhalten haben. Ja der Wille äussert sein Leben ehe eher als der Verstand. Wenn wir an Kindern das Genie noch nicht wahrnehmen, können wir schon aus der Thätigkeit ihres Willens auf jenes zurükschliessen, und sicher; zum gewissen Beweise, daß die Natur beide zugleich dotirt, und den Willen schon angebauet hat, ehe er noch vom Verstande hat bearbeitet werden können. Aber wie ungebaut liegt dieser Theil der Seelenlehre noch!– –" Seit. 44. 45. 46. 47. 48. 49.
 
 
  Ia-02-1778-0253
4) Was die Heiterkeit und Unerschrokkenheit des Gemüths ist.
 
 
  Ia-02-1778-0254
"Die Natur giebt manchen Menschen eine solche Fassung, daß sie durch keine entgegengesezte Vorstellung gehindert werden, eine Idee, die sie einmal ins Auge gefast haben, mit unverrükter Aufmerksamkeit und in gleicher Klarheit darin zu behalten. Denn in dieser unverrükbaren Aufmerksamkeit besteht das, was man Heiterkeit und Unerschrokkenheit des Geistes nennen kan. Darauf past auch das bekante Exempel von Turenne, das der Verf. gleich darauf aus den Nachrichten des Kardinals von Rez anführt, und das vom Sokrates. Diese Fassung des Gemüths ist ein Geschenk der Natur. Zwar strebt der Weise durch einen langen Kampf nach diesem Nicht=entsezzen. Vorschriften, Regeln, wiederholte Betrachtungen sollen ihm das Gleichmüthige, Unwankende verschaffen, das alleine glüklich machen,
 
 
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und auch glüklich erhalten kan. Unstreitig gelangt er endlich zu dieser Gemüthsfassung, zwar leider oft erst, wenn sie bald unnüzze wird: jedoch gelingt es ihm in so weit, daß er nicht mehr umfält, sich aufrecht erhalten kan, und höchstens nur mit einer Hand noch stemmen darf. Aber die erste Anwandlung des Schrekkens vermeidet er selten, die erste Bestürzung, die Abwesenheit des Geistes auf einen Augenblik, die einer Verfinsterung und Verdunkelung aller Ideen so nahe ist. – Sind denn also die Bemühungen des Weisen um die Ruhe, um die Gelassenheit, welche er sucht, ganz überflüssig? Nein. Die Absicht seiner Bemühungen geht weiter. Sie wollen der Seele nicht nur das Dauerhafte gegen das Reiben neuer von aussenher kommender Ideen verschaffen, sondern sie auch in Absicht ihrer eigenen Wünsche und Vorstellungen im Gleichgewichte erhalten. Eben der Turenne, den von aussenher nichts aus seiner Fassung bringen konte, litte in sich selbst die stärksten Umwälzungen, da er sich bald zu dieser, bald zu jener Parthei schlug, und so gar von Weibern geleitet wurde. – Und an der Ruhe des Gemüths, welche von der Weisheit gewirket wird, und das Werk der Vernunft, Überlegung und Erfahrung ist, erkent man auch bald ihren Ursprung; denn sie führt etwas gleichförmiges, etwas gleichgespantes durch das ganze Leben des Menschen hindurch, das sich von jeder Seite, und unter allen Umständen darin antreffen lässet."– Seit. 50. 51.
 
 
  Ia-02-1778-0255
5) Von Empfindung und Empfindnis.
 
 
  Ia-02-1778-0256
"Um sich zur Erklärung des Wohlwollens den Weg
 
 
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zu bahnen, bemerkt der V. den Unterschied, den die Franzosen zwischen Sensation und Sentiment machen. Jenes drukt er zu deutsch durch Empfindung, dieses durch Empfindnis aus. Die Empfindung beziehet nach eine Sache lebhaft auf uns vermittelst der Sinne, das Empfindnis hingegen vermittelst der Einbildung. Im erstern Falle beschäftiget uns die Sache wie gegenwärtig; im andern Falle thut es mehr ihr Bild. Aus den Empfindungen entspringen die Empfindnisse. Ie lebhafter die Fantasie ist, desto reicher ist man auch an Empfindnissen; doch werden aus den durch die Fantasie vorgestelten Bildern nicht ehr Empfindnisse, als bis man sich ihre Beziehung auf sich selbst hinzudenkt; man denkt sich aber die Beziehungen, wenn man die vorgestellten Sachen als Beiträge zu seinem Ich ansehen lernt, und hierzu gelangt man, wenn man durch den Gebrauch mehrerer Sinne sein Ich zwar von Vorstellungen andrer Dinge unterscheidet, aber ihre Ähnlichkeit und Verwandschaft mit uns zugleich wahrnimt. Die Organisation des Körpers trägt also auch zum Empfindnisse sehr viel bei, und ist zu ihrer natürlichen Anlage nach der Einbildungskraft das zweite Stük. Die Grade ihrer Feinheit machen den Grund des Unterschiedes in den Empfindnissen der Menschen. Einige von den Dingen, die wir in Beziehung auf unser Ich denken, sind uns aus einem Reize, dessen Ursach uns verborgen ist, angenehm (und wir wolten lieber sagen, weil sie sich zu der individuellen Struktur unsrer Seele so genau passen;) sie sind uns so angenehm, daß wir die Vorstellung von ihrer Beziehung nicht allein wiederholen, so oft wir nur können, sondern sie auch zu unserm Ich rechnen, und sie auf uns nicht blos als Ähnlichkeit, sondern
 
 
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als ein Eigenthum beziehen, und dan wird das Empfindnis zur Leidenschaft. Und daraus zieht der V. den Schlus: daß nur fruchtbare Fantaseien, wenn sie bei feinen Organisationen, ohne herschende Leidenschaft bleiben, daß nur sie, an Empfindnissen für andere einen Überflus haben. Und nun kömt der V. zur Erklärung des guten Herzens, welches er in der Leichtigkeit der Empfindnisse sezt, die aus einer blühenden Fantasei und feinen Organisation entspringt, und durch keine tyrannische Leidenschaft überwunden wird." – Seit. 53. 54.
 
 
  Ia-02-1778-0257
6) Vom angebohrnen guten Herze.
 
 
  Ia-02-1778-0258
"Das angebohrne gute Herz ist also da anzutreffen, wo entweder einige Leidenschaften gar nicht stat finden, oder doch nicht zu einer gewissen Stärke anwachsen. Dieses gute Herz hat zwei Grade, die sehr weit von einander abstehen. Es ist weich, das heist, es wird durch den Zustand andrer leicht gerührt; aber es ist auch bei vielen Menschen nichts weiter als weich. Unendlich weit davon ist das gute Herz verschieden, das auch geschäftig wird zum Helfen, und den Zustand anderer, wodurch es gerühret worden, zu verbessern. Zu dieser Thätigkeit wird das gute Herz vornemlich durch das Wohlwollen erhoben, und seine Geschäftigkeit beständig gemacht und geadelt. Dieses berichtigt die Beziehungen, hebt die unnöthigen auf, verstärkt die wahren und vortreflichen, sieht anstat zu fühlen, geht auf das Entfernte, wie auf das Nahe, erstrekt sich auf die Zukunft, wie auf die Gegenwart, wird nicht blos durch
 
 
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den Schmerz gerührt, sondern auch durch das Unglük; und, um alles mit einem male zu sagen, wirkt in uns als eine Nachahmung der Gotheit, und nicht blos als eine Folge der Menschheit. Zu dieser Höhe bringt es die Deutlichkeit der Überlegung, und ohne sie mus sich oft der Verstand des besten Herzens schämen. Sol das gute Herz in Wohlwollen verwandelt werden, so mus man sich aus dem kleinen Zirkel, darin man lebt, herausschwingen, den ganzen Erdkreis übersehen, und deutlich erkennen, wir gehören alle einem Herrn an; sein alle zum Frieden als Nebenunterthanen erschaffen; durch tausend Bande vereiniget; durch jedes stärker angezogene Band glüklicher; durch jede Wohlthat volkommener; gegen alle Dinge ausser uns zur Dankbarkeit verpflichtet. – Aus der Vereinigung aller dieser Gedanken entsteht der Vorsaz dieser Erkentnis gemäs zu wollen; eine Richtung des Willens zum friedlich sein, zum Hülfe leisten, zum Wohlthun; eine Spannung aller Kräfte mit einer beständigen Rüksicht auf den Vortheil anderer Dinge ausser uns; eine Freude über den Beitrag, den man ihnen abliefert; ein Eifer, ihn richtig abzutragen; eine Klugheit, ihn gehörig und verhältnismässig auszutheilen: kurz, das Wohlwollen. – Die Grösse des Wohlwollens hängt von der Menge der Menschen ab, welche es umfasset; von den Gütern, die es ihnen zu verschaffen sucht; von der Neigung womit dies geschieht. Das Wohlwollen ist algemein in den Grundsäzzen und in desselben Ausbreitung; aber jederzeit thätig in einzel
 
 
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nen Fällen, wo die Gelegenheit ist, nach diesen Grundsäzzen zu handeln. Grosse, ausgebreitete Gelegenheiten zur algemeinen Wohlthätigkeit hat beinahe nur der Vater des Vaterlandes durch den Einflus seiner Anordnungen; der Fürst durch sein Exempel; der Weise durch seinen Unterricht."– Seit. 54. 55. 56. 57.
 
 
  Ia-02-1778-0259
7) Der sterbende Held für das Vaterland!
 
 
  Ia-02-1778-0260
"Wenn diesem kriegerischen Erdenklose ein lebendiger Odem eingeblasen wird, wenn er Einsichten für den Verstand, und redlichen Diensteifer für das Herz kriegt, wenn er wie Anführer denkt, und wie ein rechtschaffener Bürger empfindet, wenn er Wunden und Tod nicht scheuet um der Brüder willen, und sein Leben nicht theuer achtet um des Vaterlandes willen, das ihn sendet; wenn ihm seine Tage wirklich abgefordert werden, und er sie freudig dahin giebt. – Ja, da liegt er auf dem Bette der Ehren, des bleibenden Nachruhms, der Verdienste! Tretet näher, Jünglinge: Ihr habt nicht immer einen solchen Anblik! prägt euch die Bildung des wakkern Mannes tief ein. Vergesset nicht der Rührung, die ihr in diesem Augenblik habt: werdet nicht neidisch – es ist schwer, ein solches Verdienst zu übertreffen; denn seine Mitbürger bis zum Tode lieben, und für sie bluten, dies ist das gröste Wohlwollen! – " Seit. 60. 61.
 
 
  Ia-02-1778-0261
8) Gott ist alwissend!
 
 
  Ia-02-1778-0262
"Gott ist alwissend; eine Wahrheit, welche leicht ausgesprochen und erwiesen ist, deren Begrif aber alle Kräfte
 
 
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aller endlichen Geister unaussprechlich weit übersteigt! Eine Erkentnis ohne alle Gränzen; unendlich in ihrem Umfange; unendlich in ihrer Deutlichkeit; unendlich in ihrer Richtigkeit; unendlich in ihrer Gewisheit! Welch eine unergründliche Tiefe! Wie gewis ist der Ausspruch der götlichen Offenbarung, daß Gott in einem Lichte wohne, zu dem Niemand kommen kan! Eher kan ich alle Tropfen des Weltmeers, e* eher alle Sterne am Himmel, eher jedes Sandkorn an den Ufern aller Seen, eher alle Stäublein des Erdbodens, eher alle Gedanken aller Menschen in allen Jahrhunderten, eher alle Augenblikke der Zeit zählen und übersehen, ehe ich nur einen schwachen Begrif von der Unendlichkeit der götlichen Erkentnis erhalten; ehe ich mich der grossen Vorstellung, daß Gott ein alwissender sei, nur von ferne nähern kan. Jemehr ich diesen erhabenen Gedanken zu erweitern suche, desto unermeslicher wird er; desto tiefer der Abgrund, an dem ich stehe; desto stärker meine Empfindung, daß es kaum ein es Wörtlein sei, was ich von der unaussprechlichen Erkentnis meines Schöpfers vernommen habe."– Seit. 193. 194.
 
 
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9) Vom Enthusiasmus.
 
 
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"Die Begeisterung (oder: der Enthusiasmus) ist die algemeine Anstrengung aller Seelenkräfte, sich mit dem Gegenstande, zu beschäftigen, und alles auf dessen Idee zu beziehen, der einen Affekt, oder eine lebhafte Empfindung in uns erregt hat. Daher drängen sich die Gedanken, denn die ganze
 
 
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Seele ist in Arbeit, und auf einen Pu*kt Punkt gericht; daher ist der Mensch in der Begeisterung für alles, was nicht auf diesen Punkt zielt, abwesend; daher das Feuer, das in seinen Adern glüht, denn der Körper kömt harmonisch in eine gleich algemeine Bewegung; daher scheint sich der Mensch über sich selbst zu erheben, über seine Sphäre zu gehen, einen Hauch der Gotheit zu fühlen, weil die algemeine harmonische Arbeit seiner Seelenkräfte nothwendig ausserordentlichere Wirkungen hervorbringen mus, als wenn er wenig Antrieb zur Thätigkeit hat, oder jede von seinen Kräften gleichsam ihr eigenes Geschäfte treibt. – Nach dem Grade der Lebhaftigkeit des Affekts, nach Verschiedenheit des Temperaments, des Karakters, der herschenden Fähigkeit, der erlangten Übung durch oft wiederholte ähnliche Handlungen, wird auch der Enthusiasmus verschieden sein; und theils stark, theils schwach; theils anhaltend, theils vorübergehend; theils rednerisch, poëtisch, martialisch u.s.w. sein; jeder wahre Enthusiasmus mus immer etwas ihm eigenes unterscheidendes, folglich neues, haben, das in dem Gepräge besteht, welches ihm die individuelle Beschaffenheit der begeisterten Person eindrukt. Dies scheinen uns die innern Grundzüge des Enthusiasmus zu sein. Äusserlich mus er sich durch Worte, Handlungen u.s.w. zu erkennen geben; und diese sind der innern Geschäftigkeit der Seele so angemessen, daß sie nicht allein den Enthusiasmus mahlen, sondern auch andere in einen ähnlichen Enthusiasmus versezzen. Wo diese Wirkung nicht erfolgt, da ist der Enthusiasmus entweder falsch und blos gemacht; oder die Zuhörer und Zu
 
 
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schauer alles Gefühls beraubt. Dies ist also der Probierstein, daran man die wahre Begeisterung erkent. Wer andre begeistert, ist es gewis auch gewesen; wer niemand begeistert, hat auch selbst keinen Enthusiasmus empfunden."– Seit. 232. 233.
 
 
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XIII.
 
 
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Algemeine deutsche Bibliothek. Des zweiten Bandes zweites Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1766.
 
 
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1) Von Sinnen.
 
 
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"Unter unsern Sinnen ist der merkwürdige Unterschied, daß wir beim sehen und hören uns der Berührung der sinlichen Werkzeuge nicht bewust sind, sondern die Empfindung nur innerlich haben, dahingegen mit den übrigen sinlichen Werkzeugen Empfindungen allezeit das Bewustsein dieser Berührung verbunden ist, und der Gegenstand zugleich ausser uns, ja mehr ausser uns als in uns empfunden zu werden scheint. Die Ergözzungen der Augen und Ohren haben also eine höhere Würde, als die Ergözzungen der übrigen Sinne, und eine nähere Verwandschaft mit den Ergözzungen des Verstandes; sie machen zwischen beiden einen Mittelrang aus, denn sie sind sanfter als jene, und nicht so anstrengend als diese: daher sind sie auch sowohl geschikt, jener Heftigkeit zu mässigen und die dadurch gesunkene Lebensgeister zu heben, als auch sie langsam abzuspannen und zu erquikken, wenn sie durch die leztern zu sehr angestrengt und überspant sind. – Selbst die Natur beobachtet diesen Fortgang der Ergözzungen im Menschen. Er fängt bei dem sinlichen an, geht zu den Ergözzungen
 
 
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der Augen und Ohren fort, und wird dadurch zubereitet, an innerlichen Gegenständen und Beschäftigungen des Verstandes Vegnügen zu finden. – Den Geschmak für Gegenstände der Natur bringen wir schon in seiner Volkommenheit mit auf die Welt, aber nicht für die Gegenstände der Kunst, welche vornämlich beide feinern Sinne vergnügen sol. (Und warum nicht? Solte nicht das die Ursach sein, daß der Schöpfer unsere Seele für Gegenstände der Natur schon sympathetisch gestimt hat; da wir hingegen die Gegenstände der Kunst erst mit jenen vergleichen, ihre Übereinstimmung wahrnehmen, und also erst durch Hülfe von Schlüssen uns zum Gefühl der Ergözzung darüber habituiren müssen? Wenigstens je mehr sich die Kunst der Natur nähert, und den Übergang der Vergleichung erleichtert, desto algemeiner ergözt sie auch alle Menschen.) Der Geschmak an den Künsten hat also Wartung nöthig, und mus durch Nachdenken und Kunst schöner gezogen, die Grundsäzze der schönen Künste in dem empfindenden Theil der menschlichen Natur studirt, und aus ihr entwikkelt werden, welche Gegenstände angenehm oder unangenehm, niedrig oder erhaben, schiklich oder unschiklich u.s.w. sind. Nach diesen Grundsäzzen kan man über den Geschmak philosophiren. Wer nicht nach denselben urtheilt, sondern blos nach Empfindung, der urtheilt unsicher; die schönen Künste haben keinen Reiz für ihn. –" Seit. 4. 5.
 
 
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2) Eine Bemerkung.
 
 
  Ia-02-1778-0270
"Das Genie geselt sich zu einem hizzigen Temperamente, daher es oft bei Leuten ist, die ein Raub aller Leidenschaften sind; ein feiner Geschmak hingegen ist mit einer ruhigen Seele verbunden."– Seit. 6.
 
 
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  Ia-02-1778-0271
3) Untersuchung wie die Ideen und Empfindungen in der Seele auf einander folgen.
 
 
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"Die Reihe der Vorstellungen wird einmal durch die Verhältnisse bestimt, wodurch die Gegenstände in der Natur mit einander verbunden sind. Alles ist nach diesem Grundgesez Kette in der Seele, und wir haben keine Gewalt über irgend eine Vorstellung, die nicht mit dieser Kette zusammen hienge. Nur selten beut sich eine Vorstellung dar, ( und das sind Einfälle, ) die, so weit man es entdekken kan, mit dem vorhergehenden keine Verbindung hat. (Wir wolten lieber sagen: Hier gilt gar keine Ausnahme, nur die Verbindung ist zu fein, als daß wir sie bemerken solten.) Die Reihe der Ideen geht nach der natürlichen Ordnung der stärksten Verbindung unter den Gegenständen fort; unser Wille kan dieselbe wohl verändern, aber nicht ganz auflösen, noch die Gedanken ohne Verbindung fortsezzen; sondern nur ihre Ordnung anders bestimmen. – Die Reihe der Vorstellungen hängt aber auch zweitens von der verschiedenen Bildung der Seele ab. Gewisse Seelen denen es an Unterscheidungskraft fehlt, häufen sich Gedanken und Umstände durch die leichteste Verbindungen auf einander, und bekommen einen grossen Umfang von Ideen. Andere, die richtig urtheilen, haben keinen grossen Zuflus von Ideen, weil Verbind schwächere Verbindungen keinen Eindruk auf sie machen. Daher kömt es, daß ein richtiger Verstand der Deklamation, oder einer wortreichen Beredsamkeit, selten günstig ist. Andere, welche viel Wiz haben, und also Dinge durch entfernte und phantastische Verhältnisse verbinden, machen uner
 
 
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wartete Verbindungen; jedes Verhältnis ist ihnen wilkommen. Wiz und Gedächtnis sind deshalb oft, aber eins von beiden selten mit gründlichem Verstande vereinigt. – Die Reihe der Vorstellungen hängt endlich auch von der Empfindung der Ordnung ab, die wir haben. Bei Dingen von ungleichem Range führt uns der Hang unsrer Seele, das wesentliche vor dem zufälligen, das höhere vor dem geringern, das Ganze vor den Theilen zu betrachten. Bei natürlichen Handlungen geht dieses Gefühl in gleichem Schritte mit der Ordnung der Natur: die Seele fält mit einem schweren Körper, fliest mit einem Flusse, steigt mit dem Feuer u.s.w. Bei historischen Begebenheiten folgt sie der Ordnung der Zeit, von den Ursachen auf die Wirkungen. In den Wissenschaften lieber umgekehrt, d. i. analytisch, und warum? Der Geschmak der Seele an solcher Ordnung ist das Vergnügen, das sie aus der Stellung der Gegenstände und Ideen in ihrem natürlichsten Verhältnisse empfindet."– Seit. 6. 7. 8.
 
 
  Ia-02-1778-0273
4) Die Ursachen der Leidenschaften und Bewegungen.
 
 
  Ia-02-1778-0274
"Die Gegenwart gewisser äusserlichen Dinge und ihre Eigenschaften, die innerlichen Eigenschaften, und die Handlungen empfindender Wesen, auch die Absichten ihrer (wilkührlichen) Handlungen, die wir durch Nachdenken herausbringen, doch nie in abstrakto für sich, sondern anschauend erkant, machen angenehme oder unangenehme Eindrükke auf uns. Eben diese Eindrücke erfolgen auch, nur schwächer, wenn wir diese Ursachen durch die Einbildungskraft, oder durchs Gedächtnis wieder in die Seele zurük rufen. Diese Eindrükke sind (Gemüths=) Bewegungen. – Sind sie mit Verlangen
 
 
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verbunden, so sind es Leidenschaften. Jene sind ruhig, diese treiben zu Handlungen, sie haben also einen Gegenstand, welches eben der ist, der sie zuerst erregt hat. Ist die Handlung selbst der Zwek, so ist kein Nachdenken dabei, sondern es sind Triebe oder instinktmäsige Leidenschaften, oder sie ist ein Mittel zum Zwek, und denn sind es überlegende Leidenschaften, die ihren Bewegungsgrund haben, welcher in der Versicherung besteht, daß die Handlung zur Erreichung des Zweks führt. Die leztern sind also mit dem denkenden Theile verbunden, jene hängen vom empfindenden ab. –" Seit. 9. 10.
 
 
  Ia-02-1778-0275
5) Von der sympathetischen Bewegung der Tugend.
 
 
  Ia-02-1778-0276
"Tugendhafte Handlungen, die wir sehen, oder aus der Geschichte kennen lernen, billigen wir nicht allein, schäzzen und lieben nicht allein die handl handelnde Person, sondern fühlen auch etwas ähnliches davon; unsere Seele wird auf eben den Ton gestimt, und wir werden, ohne einen Gegenstand zu haben, begierig, unser Verlangen, eben solche That zu thun, zu befriedigen, so wie wir den Instinkt des Hungers zu befriedigen begierig sind. – Diese sympathetische Bewegung fühlen wir nicht bei lasterhaften, nur bei tugendhaften Thaten; bei jenen fühlen wir Abscheu. Sie sind Reizungen zur Tugend, die Gott in unsre Seele gelegt hat. Sie enthalten den Grund von der Kraft guter Beispiele. Sie sind gewissermassen Vorübungen der zur Tugend; wenigstens eine innerliche Übung; die öftere Wiederholung derselben kan eine Fertigkeit wirken; und jeder kan sich vermittelst derselben, durch den Umgang mit würdigen Personen, Lesung der Geschichte edler Thaten u.s.w. eine Übung zur Fertigkeit und zur Befestigung in der Tugend erwekken.
 
 
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Wie vortreflich kan auch diese Anlage Gottes in der Erziehung genuzt werden!–" Seit. 10. 11.
 
 
  Ia-02-1778-0277
6) Beantwortung der Frage. "wie können Erdichtungen Leidenschaften verursachen?"
 
 
  Ia-02-1778-0278
"Wenn wir uns vergangene Dinge mit allen ihren Umständen lebhaft wieder vorstellen, so vergessen wir, daß sie vergangen sind, wir bringen sie uns in einer idealen Gegenwart gleichsam vor Augen, und werden eben so (nur nicht ganz so stark) dadurch gerührt, als das erstemal, da uns die Sache wirklich gegenwärtig war. Dies ist gleichsam ein wachender Traum. Reden, Beschreibungen, Gemälde geben uns auch diese ideale Gegenwart; sie machen uns zu Zuschauern, und versezzen uns in die Umstände und Zeit selbst hinein. (Was ist das anders? als, sie bringen eine anschauende Erkentnis hervor.) Die Gewalt der Rede hängt gänzlich von dieser Kunst ab; nie wird die Leidenschaft des Lesers erregt, wenn er nicht in diese Art der Träumerei vesezt wird; als denn verliert sich das Bewustsein des gegenwärtigen; er ist Augenzeuge von der beschriebenen Sache. Es mag Geschichte oder Fabel sein, das was diese ideale Gegenwart hervorbringt, ist gleichviel. Durch die ideale Gegenwart wird die Sympathie erregt, und das Nachdenken und die Untersuchung, ob die Personen der Geschichte wirklich noch leben, oder gar vorhanden gewesen, kömt erst hinter her. So bald der Geschichtschreiber mir Zeit zum Nachdenken läst, daß die Personen nicht mehr leben, oder der Dichter mich durch Unwahrscheinlichkeit
 
 
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die Erdichtung blikken läst, verschwindet die ideale Gegenwart, nebst den sympathetischen Eindrükken, die sie gemacht hatte. Nichts thut also der Erdichtung so viel Schaden, als die Unwahrscheinlichkeit, denn sie vernichtet gleich die ideale Gegenwart. Hieraus erhellet, wie nothwendig die Wahrscheinlichkeit theatralischer Vorstellungen sei, welche das kräftigste Mittel ist, ideale Gegenwart zu bewirken. – Kan uns der Geschichtschreiber in dieselbe versezzen, so nimt er auch unsern Verstand ein, und stärkt unsern Glauben. ––" Seit. 13. 14.
 
 
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7) Einige Beobachtungen über den Wachsthum und Abnahme der Leidenschaften.
 
 
  Ia-02-1778-0280
"Bewegungen von fühllosen Gegenständen erregt, kommen fast in einem Augenblik zur Volkommenheit, und dauern lange wider die gemeine Regel: quod cito sit, cito perit. – Liebe und Has und einige andere steigen stuffenweise bis zu einem gewissen Grade, von dem sie wieder nach und nach herabsinken. – Einige werden durch einen Aktus der Befriedigung erschöpft, andere verlangen öftere Befriedigung. – Leidenschaften entstehn meistens in ihrer ganzen Volkommenheit, wenn die Natur velangt, daß sie schnel entstehen; als z. B. Furcht und Zorn, Verwunderung und Erstaunen; aber wiederholte Eindrükke erschöpfen sie. – Leidenschaften, die einen ursprünglichen Hang zum Grunde haben, kommen bald zur Volkommenheit, und werden schwerlich ausgerottet. – Was schnel zunimt, nimt schnel wieder ab, die Furcht abe ausgenom
 
 
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men, welche wider die Regel cessante causa etc. oft n*h noch dauert, wenn ihre Ursach schon gehoben ist. Sonst hören die Leidenschaften auf, wenn sie ihren Zwek erreicht haben. Einige haben einen besondern Zwek, der durch eine einzelne Handlung erreicht wird, als Dankbarkeit und Rache; andere einen algemeinen, der unzählbare Handlungen erfordert, und selten völlig erreicht wird. Die Neigung gegen Kinder ist vielleicht von der längsten Dauer. – Der gröste Theil unsrer Leidenschaften ist Neigung, d.i. Liebe oder Has, die durch Umstände zu Leidenschaften entflamt werden. Die Liebe zum Sohn wird Furcht, wenn er in Gefahr ist; Hofnung, wenn er was rühmliches thut; Scham wenn er unrecht handelt, u.s.w. –" Seit. 15. 16.
 
 
  Ia-02-1778-0281
8) Von der Koexistenz der Bewegungen und Leidenschaften.
 
 
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"Gleichartige Bewegungen, d. i. solche, die auf einerlei Ton der Seele gestimt sind, vereinigen sich leicht, und machen gleichsam nur eine Bewegung aus, so wie gleichstimmige Töne einen harmonischen Ton ausmachen; ihre Ursachen mögen übrigens ähnlich oder verschieden sein. Ungleichartige können nicht zugleich existiren, sondern müssen auf einander folgen, es kan aber schnel sein. Die Verbindung der Ursachen kan aber auch zwischen ungleichartigen eine Art der Verbindung Vereinigung erzwingen, z. E. das Unglük der Geliebten macht süsses Leiden (holde Wehmuth). Diese Art der Vereinigung macht eine Art von Misklang in der Seele, es ist ein dunkeles, unvolständiges Gefühl von verschiedenen Tönen, die zugleich in der
 
 
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Seele erregt werden. z. E. Grösse und Schrekken; Mitleid und Verdrus. Dies sind die geschiktesten Subjekte zu Trauerspielen. - Eben dieses gilt auch von den Leidenschaften. – Leidenschaften z.E. von entgegengeseztem Hange können aus einerlei Gegenstande entstehn, z.E. Liebe und Unwillen; aber sie sind nicht neben einander, sondern folgen wechselsweise auf einander, und meistentheils behält eine im Streit die Oberhand; und dies ist eine Quelle der schönsten Situationen für die Dichter. –" Seit. 16. 17.
 
 
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9) Von der Simplizität.
 
 
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"Die Simplizität ist deswegen schön, weil sie sie die Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand zusammenfast, und einen volständigen Eindruk macht, der gleichsam mit einem Schlage trift. Aber alles, was nicht simpel ist, zerstreut die Aufmerksamkeit, und macht einzelne kleine Eindrükke, die auf einander folgen. Ist das simple zugleich gros, so verstattet der Eindruk der Hoheit, der Seele keine Beschäftigung mit niedrigern Schönheiten. Darum müssen grosse Schönheiten simpel sein, und leiden keine Zierathen. –" Seit. 19.
 
 
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10) Vom Grossen und Erhabenen.
 
 
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"Grosse Gegenstände erweitern nicht allein die Seele, sondern treiben auch die Brust auf, der Zuschauer sucht seine Gestalt zu erweitern; und bei dem Anblik des Hohen sich zu r**hren erhöhen. – Grösse und Höhe macht für sich Eindruk auf die Seele, und allezeit ergözzende
 
 
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Bewegungen. Deswegen aber macht das kleine und niedrige (an sich selbst) nicht verdriesliche Bewegungen, sondern es ist gleichgültig. (Wir verstehen das so, so lange das kleine nicht mit dem grössern verglichen wird, kömt die Kleinheit und Niedrigkeit des Gegenstandes gar nicht in Anschlag; wenn es aber mit homogenen Dingen verglichen wird, verliert es allezeit dabei, und bekömt einen Zug von Unannehmlichkeit.) – Gros und erhalben, niedrig und klein in figürlichen Verstande wird alles das genant, was die Seele auf eine ähnliche Weise erhebt oder niederdrukt, als das sichtbare und eigentliche grosse oder kleine; welches der V. in vielen Beispielen erläutert. – Wichtig ist die Anmerkung, daß auch selbst das wahre erhabene seinen gehörigen Eindruk nicht macht, wenn es über unsern Gesichtskreis hinausgeht. Die Seele mus es mit einem Blik überschauen können, sonst sieht sie es nicht ganz, sondern stükweise; oder wenn sie es ganz sehn wil, wird es ihr dunkel, weil sie sich nicht so erweitern kan, es deutlich zu fassen. (Hieraus erhellet, wie nothwendig das erhabene auch simpel sein müsse.) – Die Seele kan in einem hohen Grade belebt werden, und fühlt doch nichts von einer erhabnen Bewegung. Das erhabene erhebt, bezaubert, ist immer angenehm und macht gegen geringere Mängel des Gegenstandes unaufmerksam (oder partheiisch.) – Die Regel, das erhabne in den Werken der Kunst zu erreichen, ist diese; "man mus nur die Theile und Umstände eines Gegenstandes fühlen wählen, welche die gröste Figur machen, und alles was niedrig und gemein ist, aus den Augen entfernen." Dies kan man die grosse Manier nennen,
 
 
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und dadurch kan der Künstler die Natur übertreffen. – Bilder die im Fortgange immer stärkern Eindruk machen, geben im Ganzen eine grössere Empfindung, als einzelne Ausdrükke (oder auch einzelne Gegenstände.) – Das grosse und erhabene mit einem demüthigenden Umstande verknüpft, ist das wirksamste Mittel, die Seele niederzuschlagen. –" Seit. 20. 21. 22.
 
 
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11) Vom Wiz.
 
 
  Ia-02-1778-0288
"Der Wiz verbindet Dinge mit einander durch entfernte, und in der Einbildungskraft erzeugte Verhältnisse, die uns in Erstaunen sezzen, weil sie unerwartet sind, er kan sich nur in Gedanken oder in Worten zeigen. Der Wiz in Gedanken zeigt sich in scherzhaften Bildern, in scherzhaften Verbindungen und Entgegensezzungen z. E. phantastischer Ursachen mit natürlichen Wirkungen, phantastischer Folgerungen natürlicher Ursachen, in Verbindung kleiner Dinge mit grossen, ferner in Verbindung entgegengesezt scheinender Dinge, in dem Betruge der Erwartung des Lesers u. s. w. seine N mannigfaltigen Gattungen lassen sich leicht aus der Beobachtung der verschiedenen Anwendung des Wizzes vermehren. – Der Wiz im Wiz in Worten macht in Wortspiele, die meistentheils aus der Wahl solcher Worte, die verschiedene Bedeutungen haben, entstehen. Je mehr eine Sprache zur Reife gelangt ist, und die Bedeutung ihrer Worte genauer bestimt wird, verlieren sich auch die Wortspiele." Seit. 28. 29.
 
 
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  Ia-02-1778-0289
XIV.
 
 
  Ia-02-1778-0290
Algemeine deutsche Bibliothek. Des dritten Bandes erstes Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1766.
 
 
  Ia-02-1778-0291
1) Von den einfachen Begriffen.
 
 
  Ia-02-1778-0292
"Einfache Begriffe sind, die, die nicht aus mehrern innern Merkmalen zusammengesezt, daher auch keiner Zergliederung fähig sind; sondern an und für sich nicht anders als klar gedacht werden können. Von dieser Art sind z.E. Schal, Farbe, Gefühl, Geschmak, Zeit, Raum, Kraft, Dasein, Ausdehnung u.s.w. die ihrer Natur nach, für an sich selbst gedenkbar, aber unerklärbar sind. Sie können gleichwohl an Grösse und Graden verschieden sein, auch sonst verschiedene Verhältnisse haben; nur sind sie an und für sich so homogen, daß keine innerliche gemeinsame Merkmale in denselben anzutreffen sind, sondern ein jeder ist sein eigenes inneres Merkmal, und unter sich haben sie nichts gemein, als *...* etwa äusserliche Verhältnisse. Indessen gestehet Hr. L. (Lambert) daß die Bewegungen und Verändrungen, welche in den Gliedmassen vorgehen, so oft in den Sinnen ein einfacher Begrif erregt wird, allerdings zusammengesezt sind; allein die sinlichen Empfindungen, in so weit es Begriffe in der Seele sind, können gleichwohl einfach sein, und gar nichts
 
 
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zusammengeseztes haben. Er glaubet also nicht, daß die Vorstellung in der Seele ein treues Bild alles dessen sei, was in den Gliedmassen unsrer Sine vorgeht; denn seiner Meinung nach, können in den Werkzeugen der Sinne vielfältige Veränderungen und Bewegungen vorgehen, denen zusammengenommen ein einfacher, unauflöslicher Begrif in der Seele entspricht, In diesem einfachen Begriffe kan also nichts anzutreffen sein, das jenen einfachen Bewegungen und Veränderungen in den Gliedmassen, durch deren Zusammensezzung er veranlasset worden, entsprechen könte. –" Seit. 16. 17.
 
 
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2) Vom Genie.
 
 
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"Das Genie zeigt sich nicht blos von Seiten der Einbildungskraft, es beruht zugleich auf dem ganzen Umfange des Verstandes. Ganze Reihen Begriffe zu übersehen; sie zu ordnen; das Ganze bis an das untheilbare aufzuschliessen; dieses mit andern wiederum in einem Ganzen zu denken, weite Felder angehäufter Bilder zu durchlaufen, an allen etwas, und alle nach Gefallen in Bewegung zu sezzen, dieses alles sind Wirkungen des Genies, aber auch zugleich des Verstandes und nicht der blossen Einbildungskraft, denn diese überschreitet in ihrem ganzen Feuer gedacht, die Grenzen des Verstandes; also begegnet die Einbildungskraft dem Verstande auf der höchsten Stuffe; beide vereinigen sich; und werden Genie. Der Wiz steht mit dem Genie in
 
 
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nähern Verhältnis als der blosse Verstand. Dieser begreift die ihm gezeigte Wahrheit; jener bemerkt und entdekt an dieser Wahrheit ganz besondere Umstände, das Genie erfindet die Wahrheit. Es giebt verschiedene Stuffen auf welchen das Genie volkommener gedacht werden kan, und jede Stuffe fasset verschiedene Arten des Genies. Herr Zimmermann bestimt diese Arten dreifach. Das Genie der Dichter und Mahler verräth mehr Einbildungskraft als Verstand. Das Genie der Naturlehrer und Mathematiker mehr Verstand als Einbildungskraft; ein Staatsman, ein General, ein Arzt wird durch dasjenige Genie gros, an welchem Verstand und Einbildungskraft gleich starken Antheil nimt. Verschiedene Arten des Genies sind oft glüklich mit einander verbunden. Ein grosser Arzt kan niemals ohne Genie gedacht werden; es fehlt ihm oft an Regeln; und diese sind nach Trüblets Meinung grossen Genies hinderlich. Das Genie ist die Seele der Erfahrung, es sieht stark und viel auf einmal. Das Genie der Arzneikunst ist in seine ersten Begriffe aufgelöst, die Kunst, eine grosse Menge zerstreuter Begebenheiten plözlich zu übersehen und zu verbinden, von diesen Vebindungen auf lichtvolle Schlüsse, und von dem bekanten auf das unbekante zu kommen. Oft mus der Arzt bei verborgenen Krankheiten alle Umstände genau verbinden und ihr Wesen entweder wahrscheinlich denken oder gar erfinden. – Genau bestimt ist das Genie eines grossen Arztes, das Vermögen die Ähnlichkeit der Fälle zu finden; dieses Vermögen wird zu einer Fertigkeit und diese zulezt zu einer Art von Induktion."– Seit. 25. 26.
 
 
  Ia-02-1778-0295
3) Beantwortung der Frage: "Haben die Apostel vor
 
 
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der Auferstehung Jesu den lebendigen Glauben an sein Verdienst gehabt?" – und einige daraus geleitete Folgerungen.
 
 
  Ia-02-1778-0296
"Nach der evangelischen Geschichte ist diese Frage nicht anders zu beantworten; als daß die Apostel nichts vom Tode Jesu, noch weniger von seinem verdienstlichen Tode, gewust; ihn folglich auch nicht geglaubt, noch die Art ihrer Erlösung verstanden haben: sondern ihr Glaube bestand darin, daß sie ihn als den grossen Gesandten Gottes, als den verheissenen Messias, mit fester Überzeugung und mit redlichem Herzen annahmen, und alles Gute, das sie von Gott hoffeten, durch ihn von Gott erwarteten. Und konten sie bei diesem Glauben, der auf die Vorstellungen von der Versöhnung, vom Opfer Christi, von der Erlösung durch sein Blut, keine Beziehung hatte, seelig werden, wenn sie darin verstorben wären? Dies kan man nicht läugnen; daß es ist gewis, daß sie seelig geworden wären.
 
 
  Ia-02-1778-0297
Nun wollen wir einen Schrit weiter gehen. Die Apostel predigen, als sie das Evangelium von Christo zu verkündigen anfangen, daß Gott den Jesum, der in Judäa gekreuziget worden, zum Herrn und Christ gemacht habe, daß er durch ihn jederman Vergebung der Sünden anbiete, daß alle, die an ihn glauben, seelig werden sollen. Auf genauere Bestimmungen, wie diese Vergebung bewirkt worden, lassen sie sich nicht ein. Nachdem die Gemeinen auf diesen Glauben gegründet waren, unterrichteten sie sie näher von der Art und Weise, wie diese Vergebung durch ihn vermittelt worden ist. Sie sagen, es sei
 
 
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durch seinen Tod und durch sein Blut geschehen; sie nennen dies eine Erlösung, eine Reinigung von Sünden, eine Versöhnung mit Gott, eine Rechtfertigung, die uns Gott durch ihn darbiete; sie sezzen aber immer das Resultat dieser seiner vermittelnden Handlung hinzu: nämlich die Vergebung der Sünden. Der wesentliche Punkt des Glaubens scheint also nach allen ihren Schriften und nach ihrem eigenen Lehrvortrage darauf anzukommen; daß der Mensch die Zusage Gottes von der Vergebung seiner Sünden annehmen, und Jesumals den Stifter derselben ehren solle, der sie durch seine Lehre und Liebe vermittelt und bekräftigt bewirkt und durch seinen Tod bekräftigt habe. Daß man die Art und Weise, wie Jesus sie vermittelt habe, und was er eigentlich seinem himlischen Vater zu leisten, und mit ihm darüber, wenn wir so sagen dürfen, abthun abzuthun gehabt habe; ob es eine Ersezzung, eine eigentliche und rechtliche Genugthuung, eine Stillung des Zorns im eigentlichen Verstande, eine Versöhnung und Aufhebung seiner Feindschaft gegen uns gewesen sei, u.s.w. daß man, sagen wir, diese Art und Weise in diesem und oder jenem bestimten Verstande nehmen und glauben müsse, wenn man seelig werden wolle: das scheinen sie nirgends von den Christen überhaupt zu fordern. Es ist wahr, sie erwähnen auch dieser Art und Weise, aber nicht so wohl als wolten sie das Verhalten Gottes und Christi gegeneinander bei diesem Erlösungswerk ausdrüklich
 
 
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vorstellig, und diese Vorstellungsart zur algemeinen Glaubensregel machen; sondern bei Gelegenheit der Streitgkeiten, welche durch die Religionsmengerei der Jüdischgesinten verursacht wurden, brachten sie in Rüksicht auf diese Streitigkeiten, und in Beziehung auf die Haushaltung des A. B., so viel zur Erläuterung dieser Sache bei, als denen, welche beide Haushaltungen satsam verstanden, nöthig war, den Ungrund der erregten Streitigkeiten und Irthümer der Gegner einzusehen. Dieses war ein Unterricht für erwachsene Christen, welche beide Religionen hinlänglich mit einander vergleichen konten; wie es aus dem Inhalt der Briefe Paulli an die Römer und Hebräer deutlich erhellet.
 
 
  Ia-02-1778-0298
Wozu sol, wird man fragen, diese Betrachtung? Dazu, um diese Frage zur Prüfung vorlegen zu können: Ob Gott allen Christen ohne Unterschied, den schwachen sowohl als den starken, den einfältigen und tiefsinnigen, den fähigen und unfähigen, eine gewisse Vorstellungsart von dem modo ihrer Erlösung vorgeschrieben habe, die sie nothwendig haben müssen, wenn er sie seelig machen sol: oder ob er vielmehr dieselbe in einem jeden nach dem Maas seiner Fähigkeiten und der gewissenhaften Anwendung derselben richte und zurechne? Ob es also zum wesentlichen Glauben, der da seelig macht, für den Christen, als Christen betrachtet, nicht genug sei zu wissen und
 
 
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es dem Worte Gottes zu glauben, daß Gott ihm die Vergebung seiner Sünden und die Seeligkeit durch Christum aus Gnaden schenken wolle, und hierzu fordern, daß man Christo und seiner Liebe bis zum Tode für diese Wohlthat verpflichtet sein solle?
 
 
  Ia-02-1778-0299
Mit dieser Frage sind einige andere verbunden, die zugleich beantwortet werden müssen. Waren die Apostel Jesu, so lange sie nicht wusten und verstanden, ja es sogar leugneten, daß der Tod Jesu die Ursach ihrer Seeligkeit sei, unter dem Urtheil der Verdamnis? Sind diejenigen bekehrten Heiden unter den ersten Christen, welche wahrscheinlicher Weise zwischen dem *...* alten und neuen Bunde keine volständige Vergleichung anstellen konten, und also die Art und Weise ihrer Erlösung nicht bestimt verstanden haben; sondern simpel und dankbar glaubten, daß Gott ihnen durch Jesum, den sie für ihren Herrn und Christ, für den Stifter ihres Friedens und ihrer Seeligkeit annahmen, Vergebung und Seeligkeit schenke: sind sie, sagen wir, nicht im seeligmachenden Glauben gewesen? Sind die ersten Väter der Kirche, welche über die Ursachen des Todes Jesu ganz anders philosophirten, als wir, und von einer Genugthuung, in dem Sinne, wie wir sie erklären, grossentheils nichts wusten; sind sie um deswillen verlohren gegangen? Ist es für den Christen zu seiner Beruhi
 
 
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gung in der Bekehrung nothwendig, daß er wisse, ob seine Sünden durch eine Genugthuung, Ersezzung, Bezahlung, Aufhebung des Schadens, Befriedigung der götlichen Gerechtigkeit u.s.w. abgethan sind; oder ist das Gottes Sache, und für den Menschen hinreichend, überzeugt zu sein, daß sie abgethan sind? Ist es blos erlaubt, über das Verhältnis Gottes und Christi bei diesem Gnadenwerk sobrie zu philosophiren, oder ist es für alle und jede ein Glaubenspunkt, dieses Verhältnis in einem bestimten modo zu denken? Sind also alle die diesen modum aus Mangel der Fähigkeit nicht denken können; aus entstandenen Zweifeln, oder aus alzuvielem raffiniren darüber, oder aus Vorurtheilen und Grundsäzzen, die sie durch die Erziehung eingesogen, ihn entweder Gott nicht anständig, oder nicht ganz vernunftmässig halten, oder zu keinen festen Begriffen davon gelangen können, wegen eines Irthums zur Verdamnis vor Gott verwerflich? Ist aller Irthum in der Vorstellungsart vom Erlösungswerke sündlich und verdamlich, von denen an, welche in dem vergossenen leiblichen Blute Jesu und seinen körperlichen Wunden die Ursach ihrer Begnadigung auf eine alzu sinliche Weise suchen; bis zu denen, welche entfernt von aller Sinlichkeit in dem Tode Jesu ein Exempel des heiligen Abscheues Gottes gegen alle Sünde verehren? Ist der Geist des Menschen so gleichförmig von Gott gebildet, daß er in irgend einer Sache eine gleichförmige Vorstellungsart von allen fordern kan? – – – – – – – *...*.
 
 
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Durch Entscheidung dieser Fragen würde man
 
 
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eine genauere Bestimmung der Gränzen, die zwischen dem Glauben und zwischen der Philosphie des Glaubens sind, veranlassen. Man würde lernen, in wie fern man das Gewissen gemeiner Christen ohne Noth beschwere, und sie durch den Vortrag solcher Lehrsäzze, über deren Nachgrübeln sie schwindlicht werden, entweder zur unreinen Mystik, oder zu Zweifeln und Irthümern verleite: und in wie fern man diesem Abweichungen durch Einschränkungen des für sie bestimten Lehrbegrifs vorbeugen könne und dürfe. Man würde die so nothwendige Mittelstrasse, die zwischen dem eigentlichen gelehrten System und zwischen dem, was Religion ist, gehalten werden sol, näher treffen. Der algemeine Unterricht könte kürzer, faslicher und für den Wandel verbindlicher und einleuchtender werden. Die Gradation, welche Gott und Christus und seine Apostel bei der Verkündigung der Wahrheiten des Heils beobachet zu haben scheinen, würde auch uns zum Muster und zur Nachfolge dienen. Vielleicht erkenneten wir, daß Gott gegen die verschiedene menschliche Vorstellungsart der von ihm geoffenbarten Wahrheiten sehr tolerant sei, und um der verschiedentlich von ihm selbst ausgetheilten Gaben, Verhältnisse und Umstände willen nicht anders als tolerant dagegen sein könne: und wir würden eben die Toleranz von ihm lernen, welche wir andern Vorstellungsarten, als menschlichen Schwachheiten, schuldig sind; als die wir wieder von andern eben dieser Toleranz für unsre Vorstellungsart, die auch irrig sein kan, bedürfen. Wir würden es Gott, dem Herzenskün
 
 
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diger überlassen, ob eine irrige Vorstellungsart ein Fehler des Verstandes oder des Herzens, verzeihlich oder strafwürdig sei? Wir würden ruhiger, und ich kan wohl sagen, menschlicher, über solche Punkte streiten, von welchen es ausgemacht wäre, daß sie nicht wesentlich zur Seeligkeit gehörten, sondern daß sie eine mehr menschliche, als nothwendige Philosophie über die Anstalten wären, die Gott um sein selbst willen zur Seeligkeit der Menschen getroffen habe, oder unsern schwachen Einsichten nach, habe treffen müssen. Die ruhige Untersuchung würde alle Partheien der Wahrheit näher bringen; manche Streitigkeiten würden ihr religioses Gewicht verlieren; und des Streitens, des Verdammens, des Zweifelns und Irrens würde weniger sein. – – " Seit. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.
 
 
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4) Von den Meinungen in Religionssachen.
 
 
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"Kan die Religion, die für alle Menschen passend sein sol, in einem unverlezlichen System von Lehrsäzzen und Meinungen bestehn, die von Vater auf Sohn ohne Untersuchung forterben müssen? Wir antworten: Nein. Die verschiedene vom Schöpfer selbst gegebene Karaktere und Fähigkeiten, die verschiedene Lage der Menschen, die stärkere oder schwächere Veranlassung zur genauern Untersuchung, die mehrere oder mindere Trägheit, der grössere oder mindere Eifer, der Wahrheit nachzuforschen, eingesogene und schwer zu kennende und zu überwindende Vorurtheile u.s.w. machen
 
 
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es unmöglich, daß die Vorstellungsart aller für Religion angenommener Lehrsäzze bei allen einerlei sein und bleiben könte. Die Vorstellungsart der Lehrsäzze der Religion kan und sol also nicht forterben, noch weniger ein algemein verbindlicher Glaubensartikel sein; und wir gestehn es gern, daß es ein Fehler aller symbolischen Bücher sei, daß sie doch allen und jeden Christen als verbindlich aufdringen wollen. Selbst unter den Gelehrten, die doch das ganze System wissen sollen und annehmen, ist diese theoretische Vorstellungsart nicht übereinstimmend; und kan es nicht sein, so lange noch verschiedene Fähigkeiten unter den Menschen sind. So hat also ein jeder Recht zur Untersuchung? Allerdings. Ja wir sezzen noch hinzu; jeder ist nur Gott über diese Vorstellungsart Rechenschaft schuldig, und wird und kan darüber nur nach seiner ganzen Lage beurtheilt werden. Dies ist nicht das Werk eines Menschen. –" Seit. 120. 121.
 
 
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5) Vom Hauptwerke der Religion.
 
 
  Ia-02-1778-0304
"Die Religion ist für alle Menschen; für den gemeinen Haufen sowohl, als für die Gelehrten. Was den Begrif des gemeinen Mannes übersteigt, das kan nicht zum Heile des Menschen gehören, und kein Fundamental=Artikel sein. Ferner die Absicht der Religion ist unsre Heiligung und Zuversicht. Alle Fragen also, die so und anders beantwortet werden können, ohne die Nothwendigkeit der Heiligung und die Zuversicht zu der verheissenen Vergebung der Sünden und ewigen Seeligkeit zu verringern; sind kein wesentlicher Theil des Grundes der christl. Religion." Seit. 125.
 
 
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6) Aus dem Young vom Menschen.
 
 
  Ia-02-1778-0306
"Der Mensch bleibt hier, auf diesem fremden Felde unzufrieden, wo er nicht auf seinem rechten Plazze ist, wo ihn die Natur mit anderm Futter nährt, als zur Sättigung seiner Begierden bestimt ist; arm im Überflusse, und verhungernd bei einem Gastmale, seufzt er noch immer nach mehr, wann er am meisten geniest. – – – " Seit. 198. 199.
 
 
  Ia-02-1778-0307
XV.
 
 
  Ia-02-1778-0308
Algemeine deutsche Bibliothek. Des dritten Bandes zweites Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1766.
 
 
  Ia-02-1778-0309
1) Von Monaden.
 
 
  Ia-02-1778-0310
"Ein Aggregat von Monaden kan eine Empfindung verursachen, die mit der deutlichen Vorstellung von denselben nichts gemein hat, so wie die Empfindung, die wir von den Farben haben, demjenigen nicht ähnlich ist, was wir durch deutliche Erkentnis von den Lichtstrahlen wissen. Der unendliche Geist sieht in jedem einfachen Dinge, das ein Theil der Welt ist, den Zustand des ganzen, wie ein mittelmässiger Rechenmeister begreift, daß wenn 23 das 12te Glied einer arithmetischen mit der Einheit anfangenden Progression ist, sie aus den ungeraden Zahlen bestehen, oder ihr Unterschied zwei sein müsse. Das nente Leibniz, jede Monade stelt den Zustand der Welt vor." Seit. 47. 48.
 
 
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  Ia-02-1778-0311
2) Wie wir die Idee der Solidität erlangen.
 
 
  Ia-02-1778-0312
"Die Idee der Solidität erlangen wir durch die Empfindung des Widerstandes bei der Berührung. Dieser Widerstand kan mehrere Ursachen haben, die Undurchdringlichkeit, das was Kepler und Deskartes die vim inertia nanten, die Wucht, und das Zusammenhängen. Die Sinnen können uns also zur Entdekkung der Solidität wohl behülflich sein, aber einen deutlichen Begrif derselben könten wir blos vom Verstande erwarten. Es wäre gut, wenn man hart und weich, feste und flüssig einander entgegen sezte. Lokke bemerkt mit Recht, daß die Ausdrükke hart und weich nur eine Beziehung auf die Beschaffenheit unsers Körpers haben, und gar keine absolute Eigenschaften sind. Der Hr. von Leibniz sezt hinzu, daß man sich eben so wenig eine volkommene Festigkeit und Flüssigkeit denken könne. Und folglich sind die Atomen des Epikurs und die volkommen flüssige Materie des Deskartes Hirngespinste. – –" Seit. 59.
 
 
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3) Eine Übersezzung (Eph. II, 1=3.)
 
 
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""Aber euch Heiden, die ihr tod waret in Übertretungen und Sünden, denen ihr ehemal ganz ergeben waret dem heutigen Weltlauf gemäs, ganz überwältigt von der Macht der Finsternis, und dem Sin, der izt vornehmlich die Ungläubigen beherschet, unter welchen wir auch wie ehemals lebten nach den Begierden unsers
 
 
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sinlichen Theils, nichts als die Reizzungen der Sinlichkeit und daraus entstehender verkehrter Vorstellungen volbringend, und waren eben so wohl als die Übrigen (Heiden) in Ansehung unsers unbekehrten Zustands dem Zorn Gottes unterworfen. (Auch euch, sage ich) hat der an Erbarmung reiche Gott durch seine grosse Li** Liebe, mit der er uns geliebet hat – auch uns hat er, da wir tod waren in Übertretungen (daß ich es noch einmal wiederhole) lebendig gemacht, nach der Ähnlichkeit des von den Toden nach dem Leibe lebendig gemachten Christus." So würden wir ohngefähr diese Stelle übersezzen, und etwa noch in der Anmerkung kurz sagen: Was der Apostel in seiner eigenen Sprache von Wort zu Wort, noch den Herscher der Macht der Finsternis nent, das heist unsern Sprachgesezzen gemässer, nach der Herschaft der Macht der Finsternis, (worinnen die Heiden dazumal lebten) ganz überwältiget u. s. f. Das Wort welches Luther, Luft übersezt, hat auch die Bedeutung der Finsternis: Und so erklärt es Paullus selbst Luk. VI. V.12. Es führt ihm übrigens seine reiche Einsicht auf einmal so viele Ideen zu, daß, da er Anfangs nur schlechtweg sagen wolte: auch euch, die ihr tod waret in Sünden, hat Gott lebendig gemacht, er, nun eine Menge Nebenvorstellungen einschiebt, und erst nach einigen Perioden den Hauptsaz wieder aufnimt. – – " Seit. 190. 191.
 
 
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XVI.
 
 
  Ia-02-1778-0316
Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände aus der Physik und Philosophie. Aus dem Französischen übersezt. Erster Theil. Zweite Auflage. Leipzig, bei Johann Friedrich Junius, 1773.
 
 
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1) Von der Geschwindigkeit.
 
 
  Ia-02-1778-0318
"Um sich eine gehörige Idee von der Geschwindigkeit zu machen, mus man auf zwei Arten von Grösse zu gleicher Zeit Acht haben; auf den Weg der zurük gelegt worden, und auf die Zeit die verlaufen ist. Also ein Körper, der in derselben Zeit doppelt so viel Weg zurük legt, hat eine doppelt so grosse Geschwindigkeit; und wenn er in derselben Zeit einen dreimal grössern Weg durchläuft, so wird seine Geschwindigkeit dreimal grösser geschäzt u.s.w. Man wird also die Geschwindigkeit eines Körpers wissen, wenn man den Weg weis, den er in einer gewissen Zeit durchläuft. So, um die Geschwindigkeit meines Ganges zu wissen, wenn ich nach Lizzow (ein Dorf, eine Meile von Berlin) gehe, habe ich bemerkt, daß ich 120 Schritte in einer Minute mache, und beträgt einer von meinen Schritten 2 1/2 Fus; also ist meine Geschwindigkeit von der Art, daß ich einen Weg von 300 Fus in einer Minute durchlaufe, und in einer Stunde volbringe ich einen sechzigmal grössern Weg,
 
 
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oder 18000 Füsse, welches noch keine Meile beträgt, die 24000 Fus enthält, und zu der ich also 1 Stunde 20 Minuten nöthig hätte. Also, wenn ich von hier (Berlin) nach Magdeburg gehen wolte, so würde ich gerade 24 Stunden brauchen. Hier habe ich d*...*h demnach einen genauen Begrif von der Geschwindigkeit, mit der ich zu gehen im Stande bin; und daraus begreift man leicht, was eine grössere oder kleinere Geschwindigkeit sei. So, wenn ein Kourier von hier nach Magdeburg in 12 Stunden gienge, so wäre seine Geschwindigkeit zweimal so gros als meine. Wir werden in der Welt einen sehr grossen Unterschied unter den Geschwindigkeiten gewahr. Eine Schildkröte giebt uns ein Beispiel einer sehr kleinen Geschwindigkeit. Wenn sie nur 1 Fus in einer Minute macht, so hat sie eine dreihundert mal kleinere Geschwindigkeit als ich, weil ich 300 Fus in einer Minute zurük lege. Wir kennen aber auch viel grössere Geschwindigkeiten; die Geschwindigkeit des Windes ist sehr veränderlich. Ein mittelmässiger Wind macht 10 Fus in einer Sekunde, oder 600 Fus in einer Minute; er läuft also noch einmal so geschwind als ich. Ein Wind, der 20 Fus in einer Sekunde, also 1200 in einer Minute durchläuft, mus schon ziemlich stark sein. Ein Wind, der 50 Fus in einer Sekunde macht, ist sehr heftig, obgleich seine Geschwindigkeit nicht mehr als zehnmal grösser ist als die meinige, und er 2 Stunden 24 Minuten braucht, um von hier nach Magdeburg zu wehen. Nach ihm komt die Geschwin
 
 
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digkeit des Schals, der in einer Sekunde 1000 Fus macht, und also 60,000 Fus in einer Minute. Sie ist also 200 mal grösser, als die Geschwindikeit, mit der ich gehe. Und wenn man eine Kanone zu Magdeburg abschösse, und es wäre möglich, daß der Schal bis nach Berlin käme, so würde er nicht eher als nach sieben Minuten ankommen. Eine Kanonenkugel bewegt sich ungefehr mit eben der Geschwindigkeit; wenn man aber die stärkste Ladung nimt, so rechnet man, daß sie 2000 Fus in einer Sekunde, und also 12,0000 in einer Minute durchlaufen könte. Diese Geschwindigkeit scheint uns ungeheuer, ob sie gleich nicht mehr als 400 mal die, mit der ich nach Lizzow gehe, übertrift; und daß ist auch die gröste Geschwindigkeit, die man hier auf der Erde antrift. Aber am Himmel giebt es weit grössere Geschwindgkeiten, ob uns gleich seine Bewegungen ganz ruhig scheinen. Ew. H. wissen, daß die Erde sich in 24 Stunden um ihre Axe dreht; also durchläuft unter dem Äquator die Geschwindigkeit einen Raum von 5,400 Meilen in 24 Stunden während welcher Zeit ich nicht mehr als 18 Meilen durchlaufen kan. Diese Geschwindigkeit ist also 300 mal grösser als die meinige, und also kleiner als die gröste Geschwindigkeit einer Kanonenkugel. Nun bewegt sich die Erde um die Sonne innerhalb eines Jahrs, und mit dieser Gewschwindigkeit durchläuft sie 128,250 Meilen in 24 Stunden, und diese Geschwindigkeit
 
 
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ist also achtzehnmal schneller als die einer Kanonenkugel. Die gröste Geschwindigkeit, die wir kennen, ist ohne Zweifel die Geschwindigkeit des Lichts, das 2,000,000 Meilen jede Minute durchläuft, und die also 400,000 mal die von der Kanonenkugel übertrift. –" Seit. 4. 5. 6. 7.
 
 
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2) Vom Schalle.
 
 
  Ia-02-1778-0320
"Wenn man eine Kanone löst, so hören die, die davon entfernt sind, den Schal erst einige Zeit hernach, nachdem sie die Flamme des Pulvers gesehen haben. Die, welche eine Meile oder 24,000 Fus davon entfernt sind, hören den Knal nicht eher als 24 Sekunden nach dem Blizze. Ew. H. werden auch oft bemerkt haben, daß der Schal des Donners erst einige Zeit nach dem Blizze zu unsern Ohren komt; und daraus kan man beurtheilen, wie weit der Ort von uns sei, wo sich der Donner erzeugt hatte. Wenn wir z. E. bemerken, daß zwischen dem Blizze und dem Donner zwanzig Sekunden verlaufen, so können wir schlüssen, daß der Ort des Gewitters zwanzig mal 1000 Fus von uns entfernt ist, wenn man auf jede Sekunde Zeit 1000 Fus Entfernung rechnet. Diese merkwürdige Eigenschaft führt uns zu der Frage: worin der Schal bestehe? ob die Natur des Schals der Natur des Geruchs ähnlich sei? oder ob der Schal sich auf eben die Art von dem Schal
 
 
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lenden Körper, wie von einer Blume ihr Geruch, ausbreite, indem sie die Luft mit feinen Ausdünstungen erfült, die geschikt sind unsere *...* Geruchsnerven zu reizen. Im Alterthume kan man vielleicht eine solche Vorstellung gehabt haben; aber jezzo sind wir sehr überzeugt, daß, wenn eine Glokke schlägt, nicht das geringste von ihr ausfliesse, das in unsere Ohren gebracht würde; oder daß kein Körper, der schalt, etwas von seiner Substanz verliere, Man darf nur eine Glokke, wenn sie geschlagen, oder eine Saite, wenn sie gekneipt wird, ansehen, um gewahr zu werden, daß der Körper sich alsdann in einem Zittern und einer Erschütterung befindet, von der alle seine Theile in Bewegung sind. Und jeder Körper, der einer solchen Erschütterung in seinen Theilen fähig ist, bringt auch einen Ton hervor. In einer Saite, die * nicht gar zu klein ist, kan man diese Erschütterungen oder Schwingungen sehen, durch die die gespante Saite A C B welchselsweise in die Lage A M B und A N B komt, die ich beide weit sichbarer vorgestelt habe, als sie in der That sind. Ferner mus man bemerken, daß diese Schwingungen die angrenzende Luft in eine ähnliche Schwingung bringen, die sich nach und nach den entferntern Theilen der Luft mittheilt, bis sie endlich unsre Werkzeuge des
 
 
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Gehörs berühren. Die Luft ist es also, die diese Schwingungen bekomt, und die sie bis zu meinen Ohren fortpflanzt. Hieraus ist klar, daß der Schal nicht anders empfunden wird, als wenn unsere Ohren durch die Erschütterungen gerühret werden, die sich in der Luft finden, und die sich unserm Werkzeuge des Gehörs mittheilen; und wenn wir den Schal einer gekneipten Saite hören, so bekommen unsere Ohren eben so viel Schläge als die Saite Schwingungen in derselben Zeit gemacht hat. Also, wenn die Saite in einer Sekunde 100 Schwingungen macht, so bekomt auch unser Ohr 100 Schläge in einer Sekunde, und die Empfindung dieser Schäge Schläge ist es, die man den Schal nent. Wenn diese Schläge gleichförmig auf einander folgen, oder wenn die Zwischenräume alle gleich sind: so ist der Schal ein regelmässiger Ton, und so, wie man ihn in der Musik fordert. Aber wenn diese Schläge in ungleichen Zeiten auf einander folgen, oder wenn ihre Zwischenräume ungleich sind, so entsteht daraus ein unordentliches Geräusch, das zur Musik ganz ungeschikt ist. Wenn ich ein wenig aufmerksamer die musikalischen Töne, deren Schwingungen gleichförmig geschehen, untersuche, so bemerke ich zuförderst: wenn die Schwingungen so wie die Schläge, die das Ohr davon treffen, stärker oder schwächer sind, so entsteht daraus kein andrer Unterschied in dem Ton, als daß er stärker oder schwächer wird; und das ist der Unterschied, den die Musikverständige durch die Wörter forte und piano anzeigen. Aber ein weit wesentliche
 
 
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rer Unterschied ist es, wenn die Schwingungen schneller oder langsamer sind, oder wenn mehr oder weniger in einer Sekunde geschehen. So wenn eine Saite in einer Sekunde 100 Schwingungen macht, und eine andre macht in einer Sekunde 200, so sind ihre Töne wesentlich von einander unterschieden, der erste wird gröber oder tiefer, der andere feiner oder höher sein. Das ist also der wahre Unterschied unter den hohen und tiefen Tönen, auf dem die ganze Musik beruhet; als welche die Töne vermischen lehrt, die von einander, in Ansehung der Höhe und Tiefe, verschieden sind, aber in so einer Verbindung, daß daraus eine angenehme Harmonie entsteht. Nun geschehen bei den tiefen Tönen weniger Schwingungen in gleichen Zeiten als bei den hohen, und jeder Ton auf dem Klavier enthält eine gewisse und bestimte Anzahl von Schwingungen, die in einer Sekunde volbracht werden. So macht der Ton, der mit dem Buchstaben C bezeichnet wird, ohngefähr 100 Schwingungen in einer Sekunde, und der Ton, den man durch den Buchstaben c''' bezeichnet, giebt 1600 Schwingungen in einer Sekunde. Also eine Saite, die 100 mal in einer Sekunde zittert, wird grade den Ton C geben, und wenn sie nur 50 mal zitterte, so würde der Ton noch tiefer sein. Für unsre Ohren nun giebt es gewisse Grenzen, über die hinaus die Töne nicht mehr zu unterscheiden sind. Es scheint, daß wir einen Ton, der weniger als 20 Schwingungen in einer Sekunde
 
 
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macht, der zu grossen Tiefe wegen nicht empfinden können, und eben so wenig einen Ton, der mehr als 4000 Schwingungen in einer Sekunde macht, seiner zu grossen Höhe wegen. – – " Seit. 7. 8. 9. 10.
 
 
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3) Von den Konsonanzen und Dissonanzen.
 
 
  Ia-02-1778-0322
"Ich habe angemerkt, daß, wenn man einen einfachen musikalischen Ton hört, unser Ohr von einer Reihe von Schlägen gerührt wird, die gleichweit von einander entfernt sind; deren Menge, oder die Anzahl, die in einer gewissen bestimten Zeit volbracht wird, den Unterschied zwischen den hohen und tiefen Tönen ausmacht, so daß, je kleiner die Anzahl der Schwingungen oder der Schläge ist, die in einer *...* gewissen Zeit, z. E. einer Minute hervorgebracht werden, desto tiefer der Ton, und je höher grösser diese Anzahl, desto höher der Ton sei. Die Empfindung also bei einem einzelnen musikalischen Tone kan man mit einer Reihe gleichweit von einander entfernter Punkte vergleichen. ............ Wenn die Zwischenräume zwischen diesen Zwischenräumen Punkten grösser oder kleiner sind, so wird der Ton, der dadurch vorgestelt wird, höher oder tiefer sein. Es ist auch ganz unstreitig die Empfindung bei einem einzelnen Ton dem Anblik einer solchen Reihe
 
 
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von gleichentfernten Punkten ähnlich oder analogisch; und man kan also durch dieses Mittel den Augen eben die Sache vorstellen, die die Ohren empfinden, wenn sie einen Ton hören. Wenn die Entfernungen der Punkte nicht gleich und die Punkte unordentlich nebeneinander gesezt wären; so würde das die Vorstellung eines verwirten und übellautenden Geräusches sein. Das voraus gesezt, wollen wir sehen, was für eine Wirkung zwei Töne, die zu gleicher Zeit gehört werden, auf das Ohr thun müssen. Zuerst ist klar, daß, wenn beide Töne einerlei sind, oder jeder gleichviel Schwingungen in derselben Zeit enthält, das Ohr von beiden eben so, wie von einem einzigen affizirt wird. In der Musik sagt man, daß diese Töne all' unisono sind, welches der einfachste Akkord ist, wenn man unter dem Akkord die Vermischung zweier oder mehrerer Töne versteht, die auf einmal gehört werden. Aber wenn diese zwei Töne in Absicht der Höhe und Tiefe verschieden sind, so wird man eine Vermischung von zwei Folgen von Schlägen gewahr werden, wovon jede gleiche Intervalle, aber die eine grössere hat als die andere; die ersten gehören für den hohen, die andern für den tiefen Ton. Eine solche Vermischung, oder ein Akkord zweier Töne kan durch zwei Reihen von Punkten vorgestelt werden, die in zwei Linien a b und c d gestelt sind.
 
 
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Um von diesen beiden Reihen eine genaue Vorstellung zu haben, mus man die Ordnung, die darin herscht, oder welches einerlei ist, das Verhältnis unter den Zwischenräumen der einen und der andern Linie, bemerken. Wenn man die Punkte beider Linien numerirt hat, und 1 unter die 1 sezt, so wird die 2 nicht mehr volkommen unter die 2 kommen; die 3 noch weniger; sondern man sieht, daß die Zahl 11 oben sich gerade über der 12 unten befindet; woraus man sieht, daß der höhere Ton 12 Schwingungen vollendet, indem der tiefere nur 11 macht. Aber ohne die Zahlen dazu zu schreiben, würden die Augen diese Ordnung nicht gewahr werden; und eben so schwer würden die Ohren die Ordnung der beiden Töne, die ich durch diese beiden Reihen von Punkten vorgestelt habe, bemerken. Aber in der dieser Figur
 
 
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  Ia-02-1778-0324
. . . . . . . .
 
 
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sieht man auf den ersten Blik, daß die obere Linie zweimal so viel Punkte als die untere enthält, oder daß die Zwischenräume in der untern Linie zweimal grösser sind als in der obern sind. Nach dem unisono ist das ohne Zweifel der einfachste Fal, wo man leicht die Ordnung in diesen zwei Reihen von Punkten entdekken kan, und eben so ist mit den zwei Tönen, die durch diese beiden Reihen von Punkten vorgestelt werden, und deren einer zweimal mehr Schwingungen macht als
 
 
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der andere. Das Ohr wird das schönste Verhältnis, daß unter diesen beiden Tönen ist, leicht gewahr werden, da in dem vorhergehenden Falle das Urtheil sehr schwer, wo nicht unmöglich war. Wenn also das Ohr leicht das Verhältnis gewahr wird, daß sich unter zwei Tönen befindet, so heist ihre Zusammenstimmung eine Konsonanz; ist dieses Verhältnis schwer oder unmöglich zu entdekken, so heist der Akkord eine Dissonanz. Die einfache Konsonanz ist also die, wo der hohe Ton gerade zweimal so viel Schwingungen macht als der tiefe. Diese Konsonanz heist in der Musik eine Oktave. Jederman weis die Stärke derselben; und zwei Töne, die um eine Oktave unterschieden sind, harmoniren so sehr, und sind sich einander so ähnlich, daß die Tonkünstler sie mit einerlei Buchstaben bezeichnen. Wir sehen auch, daß in der Kirche die Weibspersonen gemeiniglich um eine Oktave höher singen, als die Männer, und doch in einerlei Ton zu sein glauben. Ew. H. werden sich leicht auf einem Klaviere von dieser Wahrheit versichern, und werden den schönen Akkord, der unter allen Tönen ist, die um eine Oktave von einander entfernt sind, gewahr werden, da indessen alle übrige Töne, ohne Ausnahme, nicht so gut klingen. –" Seit. 10. 11. 12. 13.
 
 
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4) Von dem unisono und den Oktaven.
 
 
  Ia-02-1778-0327
"Ew. H. haben also gesehen, daß der Akkord, den die
 
 
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Tonkünstler eine Oktave nennen, auf eine so entscheidende Art ins Ohr fält, daß man die kleinste Abweichung leichtlich bemerkt. So, wenn man den deutlichen Ton F giebt angiebt, so kan man den Ton f, der eine Oktave höher, sehr leicht nach dem blossen Gehör stimmen; und wenn die Saite vom Ton f nur ein wenig zu hoch oder zu niedrig ist, so wird das Ohr gleich dadurch beleidigt; nichts ist leichter, als sie volkommen einstimmend zu machen. So sehen wir, daß jederman, wenn er singt, leicht von einem Tone in einen andern komt, der eine Oktave höher oder tiefer ist. Aber wenn man aus dem Ton F in den Ton d z. E. übergehen sol, so fehlt es ein mittelmässiger Sänger sehr leicht, wenn ihm nicht von einem Instrumente geholfen wird; und es ist beinahe unmöglich, wenn man den Ton F festgesezt hat, den Ton d auf einmal darnach zu stimmen. Was ist nun wohl der Grund von der Schwürigkeit, daß es so leicht ist, mit dem Ton F den Ton f, und so schwer, mit ihm den Ton d einzustimmen. Dieser Grund fält nach dem, was ich Ew. H. in meinen lezten Anmerkungen erklärt habe, in die Augen. Der Ton F und der Ton f machen zusammen eine Oktave; oder die Anzahl der Schwingungen des Tons f ist gerade das Doppelte von den Schwingungen des Tons F. Um diesen Akkord zu bemerken, darf man nur das Verhältnis von eins zu zwei empfinden, das so, wie es durch die Vorstellung der Punkte, deren ich mich zuvor bedient
 
 
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habe, in die Augen fält, die Ohren auf eine ähnliche Art affizirt. Nun wird Ew. H. leicht begreifen, je einfacher ein Verhältnis, oder durch je kleinere Zahlen es ausgedrükt ist, desto deutlicher stelt es sich dem Verstande dar, und desto deutlicher mehr Gefühl von Vergnügen erwekt es. Die Baumeister beobachten diese Maschine Maxime auch mit der grösten Sorgfalt, indem sie allenthalben in ihren Gebäuden so einfache Verhältnisse brauchen, als es nur die übrigen Umstände erlauben. In den Thüren und Fenstern machen sie gemeiniglich die Höhe zweimal grösser als die Breite, und allenthalben suchen sie Verhältnisse anzubrigen, die sich durch kleine Zahlen ausdrükken lassen, weil das dem Verstande gefält. Auf eben die Art ist es in der Musik, wo die Akkorde nur in so fern gefallen, als die Seele das Verhältnis bemerkt, das unter den Tönen ist; und dieses Verhältnis läst sich um desto leichter bemerken, durch je kleinere Zahlen es ausgedrükt werden kan. Nun ist nach dem Verhältnis der Gleichheit, welches zwei gleiche Töne oder *...* all' unisono anzeigt, das Verhältnis 1 zu 2 ohne Zweifel das einfachste, und dieses giebt den Oktavenakkord. Also ist augenscheinlich, daß dieser Akkord viele Vorzüge vor den übrigen Konsonanzen hat. Nach dieser Erklärung desjenigen Akkords oder Intervals, den die Tonkünstler eine Oktave nennen, wollen wir nun mehrere Töne untersuchen, wie F f f‘ f‘‘f‘‘‘, wovon jeder
 
 
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eine Oktave höher ist als der vorhergehende. Also, weil das Interval von F zu f, von f zu f‘, von f‘ zu f‘‘, von f‘‘ zu f‘‘‘ eine Oktave ist, so wird das Interval von F zu f‘, eine doppelte, von F zu f‘‘ eine dreifache, von F zu f‘‘‘ eine vierfache Oktave sein. Nun, indem der Ton F eine Schwingung volbringt, so macht der Ton f zwei, der Ton f‘ viere, der Ton f‘‘ achte, der Ton f‘‘‘ sechzehn. Wir sehen also, daß, wie eine Oktave dem Verhältnis 1 zu 2 entspricht, so eine doppelte durch das Verhältnis 1 zu 4, eine dreifache 1 zu 8 pp. ausgedrükt wird. Nun ist das Verhältnis 1 zu 4, nicht mehr so einfach als das 1 zu 2, weil es nicht mehr so leicht in die Augen fält. Eben deswegen empfindet man auch eine doppelte Oktave nicht so leicht als eine einfache; eine dreifache Oktave ist noch weniger merklich, und eine vierfache noch weniger. So wenn man ein Klavier stimt, und man hat den Ton F angegeben, so ist es nicht so leicht, die Doppeloktave f‘, als die einfache f dazu zu stimmen; und noch schwerer ist es, die dreifache f‘‘ und vierfache f‘‘‘ einzustimmen, ohne die Zwischenoktaven zu Hülfe zu nehmen. Diese Akkorde sind all* alle unter dem Worte Konsonanz begriffen, und da der unisono der einfachste unter allen ist, so kan man sie nach folgenden Graden ordnen:
 
 
  Ia-02-1778-0328
1 Grad. Der unisono, der durch das Verhältnis 1 zu 1 angezeigt wird.
 
 
  Ia-02-1778-0329
2 Grad. Die unmittelbare Oktave ist in dem Verhältnis 1 zu 2.
 
 
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  Ia-02-1778-0330
3 Grad. Die doppelte Oktave ist in dem Verhältnis 1 zu 4.
 
 
  Ia-02-1778-0331
4 Grad. Die dreifache Oktave ist in dem Verhältnis 1 zu 8.
 
 
  Ia-02-1778-0332
5 Grad. Die vierfache Oktave ist in dem Verhältnis 1 zu 16.
 
 
  Ia-02-1778-0333
6 Grad. Die fünffache Oktave ist in dem Verhältnis 1 zu 32.
 
 
  Ia-02-1778-0334
und so weiter, so lange als die Töne noch merklich sind. Das sind die Akkorde oder Konsonanzen, auf deren Betrachtung wir bisher sind geführet worden; und wir wissen noch nichts von den andern Gattungen der Konsonanzen, und noch weniger von den Dissonanzen, die man in der Musik braucht. Aber ehe ich mich noch in die Erklärung dieser einlasse, mus ich noch eine Anmerkung über den Namen Oktave hinzusezzen, den man dem Intervalle zweier Töne giebt, von denen der eine zweimal so viel Schwingungen macht als der andre. Ew. H. sehen die Ursachen in den Haupttasten des Klaviers, die durch sieben Stufen in die Höhe steigen, ehe sie zur Oktave kommen, wie C D E F G A H c, so, daß der Taste c der achte ist, wenn man C für den ersten zählt. Aber diese Abtheilung hängt von noch andern Verhältnissen in der Musik ab, deren Beschaffenheit erst in der Folge kan erklärt werden. –" Seit. 13. 14. 15. 16.
 
 
  Ia-02-1778-0335
5) Von andern Konsonanzen.
 
 
  Ia-02-1778-0336
"Man kan sagen, daß alle Verhältnisse von 1 zu 2, 1 zu 4, 1 zu 8, 1 zu 16, die wir bis hieher untersucht haben, und die die Natur einer einfachen, doppelten, drei= und vierfachen Oktave in sich enthalten, ihren
 
 
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Ursprung von der Zahl 2 nehmen, indem 4, 2mal 2; 8, 4mal 2; 16, 8 mal 2 ist; so daß, wenn man keine andre Zahl als die Zahl 2 in der Musik aufnimt, man zur Kentnis keiner andern Art von Oktaven Akkorden oder Konsonanzen komt, als der, die die Tonkünstler eine Oktave, eine einfache oder doppelte oder dreifache nennen. Und weil die Zahl 2 durch ihre Verdoppelung uns keine andern Zahlen als 4, 8, 16, 32, 64 giebt, wovon jede das Doppelte der Vorhergehenden ist, so bleiben uns alle übrige Zahlen noch unbekant. Wenn also ein Instrument nichts als die Oktaven, als z. E. die Töne hätte, die man so bezeichnet: C, c, c‘, c‘‘, c‘‘‘, c‘‘‘‘, und alle andre darinnen fehlten: so würde es, um der zu grossen Einförmigkeit willen, keine angenehme Musik hervorbringen. Wir wollen also ausser der Zahl 2 noch die Zahl 3 hineinbringen, und sehen was daraus für Konsonanzen entstehen werden. Erstlich das Verhältnis 1 zu 3 giebt uns zwei Töne, wovon der eine dreimal mehr Schwingungen in gleicher Zeit macht als der andere. Ohne Zweifel ist dieses Verhältnis nach dem von 1 zu 2 am leichtesten zu begreifen; und es wird also sehr schöne Konsonanzen, obgleich von den Oktaven ganz verschiedne, hervorbringen. Wir wollen nun annehmen, daß von dem Verhältnis 1 zu 3, die 1 dem Ton C zugehöre. Da der Ton c durch die Zahl 2 ausgedrükt wird, so mus die Zahl 3 einen Ton geben, der höher als c, aber doch niedriger als c‘ ist, weil diesem die Zahl 4 zugehört. Dieser Ton nun, der durch 3 ausgedrükt wird, ist der, den die Tonkünstler mit dem Buchstaben g bezeichnen, und dieses Inter
 
 
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val von c zu g nennen sie eine Quinte, weil auf dem Klavier die Taste g die fünfte von c ist, als c, d, e f. g. Also, wenn die Zahl 1 den Ton C giebt, so giebt 2 den Ton c, und 3 den Ton g, die Zahl 4 den Ton c‘; und da der Ton g‘ die Oktave von g ist, so wird seine Zahl 2 mal 3, und also 6 sein; und steigt man noch eine Oktave höher, so ist der g‘‘ zweimal so gros, und also 12. Alle Töne demnach, zu denen uns die Zahlen 2 und 3 führen, wenn man C für 1 annimt, sind:
 
 
  Ia-02-1778-0337
C. c. g. c‘. g‘. c‘‘. g‘‘. c‘‘‘.
 
 
  Ia-02-1778-0338
1. 2. 3. 4. 6. 8. 12. 16.
 
 
  Ia-02-1778-0339
Daraus ist klar, daß die Proportion 1 zu 3 ein Interval ausdrükt, das aus einer Oktave und einer Quinte zusammengesezt ist, und daß dieses Interval, weil seine Zahlen so einfach sind, nach der Oktave dem Ohr am merklichsten sein mus. Es geben auch in der That die Tonkünstler der Quinte die zweite Stelle unter den Konsonanzen, und das Ohr wird davon so angenehm affizirt, daß es sehr leicht ist, eine Quinte zu stimmen. So steigen auf der Violine die vier Saiten durch Quinten in die Höhe, die tiefste ist G, die zweite d, d** die dritte a, die vierte e; und jeder Musikus kan sie sehr leicht nach dem blossen Gehör stimmen. Unterdessen stimt sich eine Quinte nicht so leicht als eine Oktave; aber da die Quinte über der Oktave; wie z. E. das Interval von C zu g, durch das Verhältnis 1 zu 3 ausgedrükt wird, so ist sie empfind
 
 
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barer als die einfache Quinte, wie C zu G oder c zu g, die durch das Verhältnis 2 zu 3 ausgedrükt wird; und man weis auch aus der Erfahrung, daß, wenn man den Ton C angegeben hat, es leichter sei die obere Quinte g als die unmittelbare G dazu zu stimmen. Wenn die Einheit uns den Ton F vorgestelt hätte, so würde die Zahl 3 den Ton c' bezeichnen, so, daß
 
 
  Ia-02-1778-0340
F. f. c‘. f‘. c‘‘. f‘‘. c‘‘‘
 
 
  Ia-02-1778-0341
1 2 3 4 6 8 12
 
 
  Ia-02-1778-0342
mit 1. 2. 3. 4. 6. 8. 12. bezeichnet werden würden, wo das Interval von f zu c‘ eine Quinte ist, die in dem Verhältnis 2 zu 3 enthalten ist, von f‘ zu c‘‘, von f‘‘ zu c‘‘‘ ist auch eine Quinte, weil das Verhältnis 4 zu 6 und 8 zu 12, mit der 2 zu 3 einerlei ist. Dadurch kommen wir zu der Kentnis eines andern Intervals, das in dem Verhältnis 3 zu 4 liegt, welches zwischen c‘ und f‘, und also auch zwischen c und f, und C und F ist, das die Musikverständige eine Quarte nennen, die, da sie durch grössere Zahlen ausgedrükt wird, bei weitem nicht so angenehm ist als die Quinte, und noch weniger als die Oktave. Da die Zahl 3 uns zu diesem neuen Akkord der Q*...* Quinte und der Quarte verholfen hat, so wollen wir, ehe wir andere Zahlen brauchen, die Zahl 3 noch dreimal nehmen, um die Zahl 9 zu bekommen, die einen Ton geben wird, der um eine Oktave und eine Quinte höher ist als der Ton 3 oder c‘, da denn c‘‘ die
 
 
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Oktave von c‘, und g‘‘ die Quinte von c‘‘ ist. Also giebt die Zahl 9 den Ton g‘‘, so, daß c‘‘, f‘‘, g‘‘, c‘‘‘, durch 6, 8, 9, 12, bezeichnet sein werden. Oder nimt man diese Töne in den tiefen Oktaven; so hat man, wenn die Proportionen derselben bleiben:
 
 
  Ia-02-1778-0343
C. F. G. c. f. g. c‘. f‘. g‘. c‘‘. f‘‘. g‘‘. c‘‘‘.
 
 
  Ia-02-1778-0344
6. 8. 9. 12. 16. 18. 24. 32. 36. 48. 64. 72. 96.
 
 
  Ia-02-1778-0345
Dadurch kommen wir zu der Entdekkung neuer Intervallen. Das erste ist das zwischen F und G, das in dem Verhältnis 8 und 9 liegt, das die Tonkünstler eine Sekunde oder auch einen ganzen Ton nennen. Das zweite ist von G zu f, das in dem Verhältnis 9 zu 16 liegt, das man eine Septime nent, und das eine Sekunde oder einen ganzen Ton kleiner ist als eine Oktave. Diese Verhältnisse, wenn sie schon durch beträchtlich grosse Zahlen ausgedrükt werden, werden nicht mehr zu zu den Konsonanzen gerechnet, sondern die Musici nennen sie Dissonanzen. Wenn wir die Zahl 9 noch dreimal nehmen, um 27 zu haben, so mus diese Zahl einen Ton bezeichnen, der höher ist als c‘, und gerade eine Quinte höher g ist. Das wird also der Ton d‘ sein, und seine Oktave d‘‘ ist wird der Zahl zweimal 27 oder 54 zugehören; und die doppelte Oktave d‘‘‘ der Zahl zweimal 54 oder 108. Wir wollen diese Töne einige Oktaven tiefer auf
 
 
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folgende Art vorstellen:
 
 
  Ia-02-1778-0346
C. D. F. G. c. d. f. g. c‘. d‘. f‘. g‘. c‘‘. d‘‘.
 
 
  Ia-02-1778-0347
24. 27. 32. 36. 48. 54. 64. 72. 96. 108. 128. 144. 192. 216.
 
 
  Ia-02-1778-0348
f‘‘. g‘‘. c‘‘‘.
 
 
  Ia-02-1778-0349
256. 288. 384.
 
 
  Ia-02-1778-0350
Hier entdekken wir, daß das Interval D zu F in dem Verhältnis 27 zu 32, und das F zu d in dem Verhältnis 32 zu 54, oder wenn wir die Hälfte nehmen, von 16 zu 27 liegt, wovon das erste eine grosse Terzie, das andre eine grosse Sexte heist. Man könte noch die Zahl 27 dreifach nehmen, aber die Musik geht nicht so weit, und man schränkt sich auf die Zahl 27 ein, die aus der 3 entsteht, wenn man sie dreimal durch sich selbst multiplizirt; die andern musikalischen Töne, die uns noch fehlen, werden durch die Zahl 5 eingeführt; und die werde ich im folgenden Briefe aus einander sezzen. –" Seit. 16. 17. 18. 19. 20.
 
 
  Ia-02-1778-0351
6) Von den zwölf Tönen des Klaviers.
 
 
  Ia-02-1778-0352
"Ich habe bemerkt, daß die Zahl 2 nur die Oktaven giebt, so, daß z.B. wenn der Ton F einmal festgesezt ist, wir auf die Töne f, f‘, f‘‘, f‘‘‘, geführt werden. Ferner, die Zahl 3 giebt die Töne C, c, c‘, c‘‘, c‘‘‘, die von jenen um eine Quinte verschieden sind: und die Wie
 
 
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derholung eben dieser Zahl 3 giebt uns noch weiter die Quinten der ersten, die G, g, g‘, g‘‘, g‘‘‘, sind; endlich sezt die dritte Wiederholung der Zahl 3 noch die Töne D, d, d‘, d‘‘, hinzu. Da nun die Grundsäzze der Harmonie an die Einfachheit gebunden sind, so scheinen sie nicht zu erlauben, daß man die Multiplikation der Zahl 3 weiter treibe, und also haben wir bisher nur noch die folgenden Töne für jede Oktave F. G. c. d. f.
 
 
  Ia-02-1778-0353
16. 18. 24. 27. 32. welche gewis noch keine sehr abwechselnde Musik zulassen. Aber nun wollen wir noch die Zahl 5 einführen, und sehen, was für ein Ton das sein wird, der 5 Schwingungen macht, indem der Ton F nur eine macht. Nun macht der Ton f in derselben Zeit 2, der Ton f‘ 4, und der Ton * c‘‘ 6. Der Ton also von dem die Rede ist, mus zwischen f‘ und c‘‘ fallen; und in der That ist er der, welchen die Tonkünstler durch den Buchstaben a anzeigen, dessen Akkord mit dem Ton f‘ eine grosse Terzie heist, und i*de* eine sehr angenehme Konsonanz macht, da er in dem Verhältnis dieser ziemlich kleinen Zahlen 4 zu 5 enthalten ist. Ferner macht der Ton a‘ mit dem Ton c‘‘ einen Akkord, der in dem Verhältnis 5 zu 6 liegt, der beinah eben so angenehm ist, und den man ebenfals eine kleine Terzie nent, so wie die, von der wir oben geredet haben, die in dem
 
 
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Verhältnis 27 zu 32 liegt; denn der Unterschied ist für das Ohr beinah unmerklich. Eben diese Zahl 5, wenn man sie auf die andern Töne G, c, d, anwendet, geben uns auf eben die Art ihre grossen Terzien, in der zweiten Oktave drüber, das heist, die Töne h‘, e‘‘, fs‘‘, die in die erste Oktave übergetragen, uns diese Töne mit ihren Zahlen geben:
 
 
  Ia-02-1778-0354
F. Fis. G. A. H. c. d. e. f.
 
 
  Ia-02-1778-0355
128.135. 144. 160. 180. 192. 216. 240. 256.
 
 
  Ia-02-1778-0356
Man nehme den Ton Fis weg, und man hat die Haupttasten des Klaviers, die nach den Alten die Gattung, die die Diatonische heist, ausmachen; und die von der Zahl 2, der Zahl 3 dreimal wiederholt, und von der Zahl 5 herrührt. Wenn man auch keine andern als diese Töne annimt, so kan man doch sehr schöne und sehr mannigfaltige Melodien komponiren, deren Annehmlichkeit blos auf der Einfachheit der Verhältnisse beruhet, die uns zu diesen Tönen geholfen haben. Endlich wenn man die Zahl 5 zum zweitenmal anwendet, so bringt sie die Terzien von vier neuen Tönen A, E, H, Fis, die wir oben gefunden haben, hervor, und wir erhalten die Töne Cis, Gis, Dis, B, so daß izt die Oktave gerade mit eben
 
 
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den 12 Tönen ausgefült ist, die in der Musik eingeführt sind. Alle diese Töne haben ihren Ursprung von aus den drei Zahlen 2, 3 und 5, indem man die Zahl 2 so vielmal nimt, als es die Oktaven verlangen; die Zahl 3 aber nur dreimal, und die Zahl 5 nur zweimal. Hier sind also alle Töne der ersten Oktave durch die folgenden Zahlen ausgedrükt, wo man die Zusammensezzung von jeder der Zahlen 2, 3 und 5 sieht:
 
 
  Ia-02-1778-0357
C | 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 3. . | 384 | Differ.
 
 
  Ia-02-1778-0358
Cs | 2. 2. 2. 2. 5. 5. . . . | 400 | 16
 
 
  Ia-02-1778-0359
D | 2. 2. 2. 2. 3. 3. 3. . . | 432 | 32
 
 
  Ia-02-1778-0360
Ds | 2. 3. 3. 3. 5. . . . . | 450 | 18
 
 
  Ia-02-1778-0361
E | 2. 2. 2. 2. 2. 3. 5. . . | 480 | 30
 
 
  Ia-02-1778-0362
F | 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. | 512 | 32
 
 
  Ia-02-1778-0363
Fs | 2. 2. 3. 3. 3. 5. . . . | 540 | 28
 
 
  Ia-02-1778-0364
G | 2. 2. 2. 2. 2. 2. 3. 3. . . | 576 | 36
 
 
  Ia-02-1778-0365
Gs | 2. 2. 2. 3. 5. 5. . . | 600 | 24
 
 
  Ia-02-1778-0366
A | 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 5. . | 640 | 40
 
 
  Ia-02-1778-0367
B | 3. 3. 3. 5. 5. . . . . | 675 | 35
 
 
  Ia-02-1778-0368
H | 2. 2. 2. 2. 3. 3. 5. . . | 720 | 45
 
 
  Ia-02-1778-0369
c | 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 3. | 768 | 48
 
 
  Ia-02-1778-0370
Indem der Ton C 384 Schwingungen macht, so macht macht der Ton Cis 400, und die übrigen so viel, als die beigeschriebenen Zahlen anzeigen; so wird der Ton c in eben der Zeit 768 Schwingungen machen,
 
 
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welches gerade das doppelte von 384 ist. Und für die folgenden Oktaven braucht man weiter nichts als diese Zahl durch 2 oder 4 oder 8 zu multipliziren. So giebt der Ton c‘ zweimal 768 oder 1536 Schwingungen, der Ton c‘‘ zweimal 1536 oder 3072, und der Ton c‘‘‘ zweimal 3072 oder 6144 Schwingungen. Um die Art und Weise wie die Töne aus diesen 3 Zahlen 2, 3 und 5 entstehen, zu begreifen, mus man bemerken, daß die zwischen sie gesezten Punkte die Multiplikation bedeuten; so zeigt für den Ton Fis der Ausdruk 2. 2. 3. 3. 3. 5 an, 2 mal 2 mal 3 mal 3 mal 5. Nun 2 mal 2 macht 4, und 4 mal 3 macht 12, und 12 mal 3 macht 36, 36 mal 3 macht 108, und 5mal 108 ist 540. Man sieht daraus, daß die Unterschiede zwischen diesen Tönen nicht alle gleich sind, da einige grösser, andre kleiner sind, und das erfordert auch die wahre Harmonie. Aber da die Ungleichheit nicht beträchtlich ist, so sieht man gemeiniglich alle diese Unterschiede als gleich an, und den nent den Sprung eines jeden Tons auf den folgenden ein Semitonium; denn man sagt, daß die Oktave auf die Art in 12 Semitonien getheilt sei. Viele Tonkünstler machen sie auch in der That gleich, ob dies gleich den Grundsäzzen der Harmonie entgegen ist. Denn auf diese Art ist keine Quinte und keine Terzie volkommen richtig, und die Wirkung ist eben die, als wenn diese Töne nicht rein gestimt wären. Sie geben auch zu, daß man dieser genauen Richtigkeit entsagen müsse, um den Vortheil der Gleichheit
 
 
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unter allen Semitonien zu erhalten, so daß die Transposition von einem Ton in den andern, in den Melodien nichts ändere. Unterdessen gestehen sie selbst, daß wenn man ein Stük aus dem C einen halben Ton höher oder aus dem Cis spielt, dasselbe sehr beträchtlich dadurch geändert wird, woraus klar ist, daß diese Semitonien, ob sich gleich die Tonkünstler bemühen sie gleich zu machen, in der That nicht alle gleich sind; weil die wahre Harmonie sich der Ausführung dieses Vorhabens widersezt. Das ist also der wahre Ursprung der Töne, die heut zu Tage im Gebrauch sind, und die aus den Zahlen 2, 3 und 5 hervorgebracht hergenommen sind. Wolte man noch die Zahl 7 einführen, so würde die Anzahl der Töne in einer Oktave grösser, und die ganze Musik dadurch zu einem höhern Grad von Volkommenheit gebracht werden. Aber hier überläst die Mathematik die Harmonie der Musik. –" Seit. 20. 21. 22. 23. 24.
 
 
  Ia-02-1778-0371
7) Von der Atmosphäre und dem Barometer.
 
 
  Ia-02-1778-0372
"Nachdem ich gezeigt habe, daß die Luft eine flüssige des Zusammensdrükkens fähige und schwere Materie sei, so merke ich an, daß die ganze Erde von allen Seiten mit Luft umgeben ist, die man die Atmosphäre nent. Und es ist auch in der That unmöglich, daß irgend eine Gegend der Erde von Luft leer sei, und daß sich über ihr gar nichts befinden, oder ein völlig leerer Raum sein solte. Denn die Luft der benachbarten Gegenden, da sie durch das Gewicht der obern Luft zusammengedrükt wird, und also eine beständige Gewalt anwendet sich auszudehnen, würde den Augenblik sich
 
 
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durch jene Gegend ausbreiten, und den leeren Raum ausfüllen. Also fült die Atmospähre den ganzen Raum um die Erde an, und allenthalben trägt die untere Luft die Last der obern, und wird von ihr zusammengedrükt. Nun wächst die Elasticität der Luft, wenn man sie zusammendrükt, und jeder Grad des Zusammendrükkens bringt einen gewissen Grad der Elasticität mit sich, in welchem die Luft eine gleiche Gewalt anwendet sich auszudehnen. Also wird die Luft von dem Gewicht der obern Luft beständig zusammengedrükt, bis zu dem Grade wo ihre Elasticität der drükkenden Kraft gleich wird. Alsdann wendet die Luft, ob sie gleich nur von oben gedrükt wird, vermöge ihrer Elasticität, eine Gewalt an, sich nach allen Gegenden auszubreiten, nicht blos nach unten, sondern auch nach den Seiten zu. Das ist auch die Ursache, warum die Luft in einem Zimmer eben so stark zusammmengedrükt wird als die äussere, welches manchen Philosophen so seltsam geschienen hat. Denn, sagen sie, in einem Zimmer wird die untere Luft nur von der, die im Zimer über ihr ist, zusammengedrükt. Aber dieser Zweifel ist durch diese Eigenschaft der Luft, daß sie sich, wenn sie zusammengedrükt wird, nach allen Seiten auszudehnen sucht, leicht aufgelöst, und die Luft des Zimmers wird bald anfangs durch die äussere Luft zu eben dem Stande des Zusammendrükkens und der Elasticität gebracht. So also mögen wir uns in einem Zimmer oder in freier Luft befinden, wir finden immer gleich stark zusammengedrükte Luft; vorausgesezt, daß es in gleicher Höhe oder gleicher Entfernung vom Mittelpunkte der Erde Höhe sei. Denn ich habe schon angemerkt, daß, wenn man auf einen hohen Thurm oder einen hohen Berg steigt, die Luft
 
 
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weniger zusammengedrükt ist, weil alsdann das Gewicht der Luft über ihr kleiner ist. Verschiedne Erscheinungen sezzen diesen Zustand des Zusammendrükkens der Luft ausser Zweifel. Wenn man eine Röhre AB nimt, die am Ende A zu ist, und man sie, nachdem sie mit Wasser oder einer andern flüssigen Materie gefült worden, umkehrt; so, daß das ofne Ende B unten zu stehen komme, so wird nichts herauslaufen. Die Elasticität oder der Druk der Luft, der gegen die flüssige Materie bei B stöst, erhält sie in der Röhre. Aber sobald man die Röhre bei A öfnet, so gleich fält die flüssige Materie herunter. Die Ursache ist, weil die Luft alsdann auch gegen von oben auf das Wasser drükt, und es also herunter treibt. Daraus sieht man, daß, so lange die Röhre oben geschlossen ist, die Kraft der äussern Luft das Wasser in derselben erh**t erhielt. Sezt man nun diese Röhre in ein Gefäs, aus dem man durch eine Luftpumpe die Luft weggenommen hat, so fält das Wasser sogleich. *...* Es ist also ausgemacht, daß es die Kraft der Luft ist, die das Gewicht der flüssigen Materie in der Röhre erhält; und da diese Kraft eine bestimte Grösse hat, so kan die Wirkung nicht eine gewisse bestimte Grenze überschreiten. Man hat gefunden, daß, wenn die Röhre AB, die mit Wasser angefült ist, höher ist als 33 Fus, so bleibt das Wasser nicht mehr oben hangen, sondern es läuft so viel heraus, bis nur auf 33 Fus hoch Wasser zurükbleibt, und oben darüber bleib* bleibt wirklich leerer Raum (nemlich von der Luft, nicht aber vom Äther.) Also kan die Kraft der Luft das Wasser
 
 
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in der Röhre nur bis auf die Höhe von 33 Fus erhalten, und da dieselbe Kraft das Gewicht der ganzen Atmosphäre erhält, so schliest man daraus, daß die Atmosphäre so viel wiegt als eine Säule Wasser von 33 Fus hoch. Wenn man anstat des Wassers Queksilber nimt, das vierzehnmal schwerer ist, so ist die Kraft der Luft nur im Stande es in der Höhe von ohngefähr 28 Zollen zu erhalten. Und wenn die Röhre höher ist, so fält das Queksilber herunter, bis seine Höhe dem Druk der Atmosphäre gleich komt. Eine solche Röhre oben zu und unten offen, mit Queksilber gefült, ist eben das Instrument, das man einen Barometer nent; und durch dieses hat man gesehen, daß die Atmosphäre nicht immer gleich schwer sei. Denn man erkent ihre Schwere durch die Höhe des Queksilbers im Barometer, die, wenn sie entweder wächst oder abnimt, anzeigt, daß die Luft in unserm Dunstkreise um etwas schwerer oder leichter geworden sei. Das ist die wahre Art der Anzeige des Wetters durch den Barometer; und jedesmal da es steigt oder fält, ist es ein sicheres Zeichen, daß das Gewicht oder der Druk der Luft grösser oder kleiner werde. - - -" Seit. 38. 39. 40. 41.
 
 
  Ia-02-1778-0373
8) Warum man an allen Orten und zu allen Jahrzeiten auf sehr hohen Bergen und in tiefen Kellern einen gleichen Grad der Kälte empfindet.
 
 
  Ia-02-1778-0374
"Das ist eine sehr befremdende Erscheinung, daß allenthalben auf der Erde, wenn man bis auf eine sehr grosse Höhe, z. E. von 24000 Fus kömt (vorausgesezt, daß das möglich wäre) man einen gleichen Grad der Kälte empfindet, da indes hier bei uns die Veränderungen der Wärme, nicht nur in
 
 
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Ansehung der Himmelsstriche, sondern auch an demselben Orte in den verschiedenen Jahrzeiten, so gros sind. Diese Abwechselung bei uns unten wird ohne Zweifel durch die Sonne verursacht; und es scheint, daß ihr Einflus in der Höhe und in der Tiefe einerlei sein solte, besonders wenn wir bedenken, daß eine Höhe von 24000 Fus in Absicht auf die Entfernung der Sonne, die ohngefähr 30 Millionen Meilen beträgt, schlechterdings nichts ist; ob sie gleich in Ansehung unserer sehr gros ist, und selbst die höchsten Wolken übertrift. Das ist also eine sehr erhebliche Schwürigkeit, die man suchen mus aufzulösen. Zu dem Ende bemerke ich zuförderst, daß die Sonnenstralen die Körper nur in so weit erwärmen, als die Körper ihnen keinen freien Durchgang erlauben. Ew. H. wissen, daß man die Körper durchsichtige Körper nent, durch die man die Gegenstände sehen kan. Solche Körper sind das Glas, der Krystal, der Diamant, das Wasser, und verschiedene andre flüssige Körper, obgleich die einen mehr oder weniger durchsichtig sind als die andern. Ein solcher durchsichtiger Körper, wenn er an die Sonne gelegt wird, wird davon nicht so warm als ein andrer nicht durchsichtiger Körper, wie Holz, Eisen pp. Körper, die nicht durchsichtig sind, heissen dunkle Körper; so zündet ein Brenglas, indem es die Sonnenstralen durch sich hindurch läst, die dunkeln Körper an, und wird selbst nicht warm. So wird das Wasser, wenn es an die Sonne gesezt wird, nur in so weit ein wenig warm, als es nicht volkommen durchsichtig ist; und wenn wir sehen, daß das Wasser an den Ufern der Flüsse ziemlich von der Sonne erwärmt wird, so geschieht das blos, weil der Grund des Flusses, als ein
 
 
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dunkler Körper, von den Stralen die das Wasser durchläst, erwärmt wird. Nun erwärmt jeder warme Körper die, welche um ihn herum sind: also wird auch das Wasser, von dem ich rede, durch den Boden erwärmt. Aber ist das Wasser sehr tief, so daß die Stralen nicht bis auf dem Grund kommen können, so merkt man beinahe keine Wärme, wenn auch die Sonne noch so stark darauf scheint. Nun ist die Luft ein sehr durchsichtiger Körper, und selbst in einem höhern Grade als das Glas oder das Wasser; woraus folgt, daß die Luft von der Sonne nicht erwärmt werden kan, weil die Stralen frei hindurch gehen. Alle Wärme, die wir oft in der Luft empfinden, wird ihr blos von den dunkeln Körpern, die durch die Stralen der Sonne erwärmt sind, mitgetheilt, und wenn es möglich wäre, alle diese Körper zu vernichten, so würde die Luft in ihrer Temperatur beinahe gar keine Veränderung durch die Sonnenstralen leiden. Sie würde gleich kalt bleiben, sie möchte der Sonne ausgesezt sein oder nicht. Unterdessen ist hier bei uns die Luft nicht völlig volkommen durchsichtig: zuweilen ist sie so mit Dünsten angefült, daß sie beinahe ihre Durchsichtigkeit verliert, und uns nur einen Nebel sehen läst. Und wenn die Luft sich in diesem Zustande befindet, so haben die Sonnenstralen mehr Gewalt über sie, und können sie unmittelbar erwärmen. Aber solche Dünste steigen nicht sehr hoch; und in der Höhe von 24000 Fus und drüber, wird die Luft so fein und so rein, daß sie volkommen durchsichtig ist, und daher können die Sonnenstralen hier unmittelbar keine Wirkung auf sie thun. Von den Körpern auf der Erde ist diese Luft auch zu weit entfernt, um von
 
 
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ihnen Wärme mitgetheilt zu bekommen; denn diese Mittheilung erstrekt sich nicht weit. Daraus werden Ew. H. leicht einsehen, daß in den über die Oberfläche der Erde sehr erhabenen Gegenden die Sonnenstralen keine Wirkung hervorbringen können, und daß also hier beständig und allenthalben einerlei Grad von Kälte herschen mus, weil die Sonne keinen Einflus auf sie hat, und die Wärme der Körper auf der Erde sich nicht bis dahin mittheilen kan. Ohngefehr so ist es auch auf hohen Bergen, wo es immer kälter ist als auf der Ebene und in Thälern. Die Stadt Quito in Peru liegt beinahe unter der Linie, und nach ihrer Lage zu urtheilen, müste die Hizze unerträglich sein; gleichwohl ist die Luft ziemlich gemässigt, und wenig von der zu Paris unterschieden. Nun liegt diese Stadt auf einer grossen Höhe über der eigentlichen Oberfläche der Erde. Wenn man von der See aus dahin reist, so mus man einige Tage lang beständig steigen. Das Erdreich mus also dort eben so erhaben sein als die höchsten Berge bei uns, ob es gleich noch von sehr hohen Gebirgen, die man die Kordelieres nent, eingeschlossen wird. Des leztern Umstandes wegen solte, wie es scheint, die Luft dort eben so warm sein, als auf der Oberfläche der Erde, weil sie allenthalben an dunkle Körper stöst, auf die die Sonnenstralen fallen. Dieser Einwurf ist sehr stark; und es kan keine andere Ursache geben, warum es nicht geschieht, als weil die Luft zu Quitto, da sie sehr hoch ist, auch sehr fein und weniger schwer ist als bei uns, wie das Barometer unwidersprechlich beweist, das dort einige Zol niedriger steht als bei uns. Eine solche Luft aber kan nicht so viel Wärme annehmen als eine gröbere Luft * weil sie nicht so viel Dünste und andere
 
 
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Theilchen, die gewöhnlicher Weise in der Luft herum schwimmen, enthalten kan; wir wissen aber aus der Erfahrung, daß eine sehr mit Dünsten angefülte Luft weit geschikter ist warm zu werden. Ich kan noch eine ähnliche Erscheinng hinzufügen, die nicht weniger befremdend ist; die nämlich: daß in sehr tiefen Kellern oder noch tiefer, wenn es möglich wäre dahin zu kommen, durchaus und beständig eben derselbe Grad von Wärme herschet. Die Ursache ist ohngefähr eben dieselbe. Da die Sonnenstralen eigentlich nur auf der Oberfläche der Erdkugel ihre Wirkung hervorbringen, von wo aus sie sich in die Höhe sowohl als in die Tiefe mittheilen; diese Mittheilung aber sich nicht weit erstrekken kan; so sind grosse Tiefen so wie grosse Höhen schlechterdings unempfindlich dagegen. – – –" Seit. 50. 51. 52. 53. 54.
 
 
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9) Ein neues System von der Natur der Stralen und des Lichts.
 
 
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"Ew. H. haben gesehen, daß das System von dem Ausfliessen der Stralen grossen Schwürigkeiten unterworfen ist; (diese Schwürigkeiten sind ohngefähr diese: die Sonne müste endlich ihrer Grösse ohngeachtet abnehmen, wenn sie immerfort eine so erstaunende Menge Lichtstralen von ihr ausflössen; die Geschwindigkeit der Lichtstralen läst sich aus dem System der Emanation nicht erklären; die Stralen könten nicht durch durchsichtige Körper kommen, *...* man müste denn annehmen, daß diese Körper Poren haben, die in geraden Lienen von jedem Punkte nach
 
 
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allen Seiten hindurchgehen: diesen aber widerspricht ihre Dichtigkeit u.s.w.) und daß die Meinung von einer Leere, die den ganzen Raum zwischen den himmlischen Körpern einnähme, auf keine Weise stat haben kan, weil wenigstens die Lichtstralen selbst diesen Raum ganz ausfüllen würden. Man mus also zwei Sachen zugeben, erstlich, daß die Räume zwischen den himlischen Körpern mit einer feinen Materie erfült sind; zum andern, daß die Stralen nicht, wie Newton angenommen hat, ein wirklicher Ausflus aus der Sonne oder andern leuchtenden Körpern sind, durch die ein Theil ihrer Substanz aus ihnen fortgestossen sind wird. Diese feine Materie, die den ganzen Himmelsraum zwischen den himlischen Körpern einnimt, ist der Äther, dessen äusserste Feinheit nicht in Zweifel gezogen werden kan. Um uns davon eine Idee zu machen, dürfen wir nur die Luft betrachten, die, da sie schon hier unten eine sehr feine Materie ist, es doch noch immer mehr und mehr wird, je höher man steigt; und sich endlich ganz verliert, oder sich vielmehr mit dem Äther vermischt. Der Äther ist also auch eine flüssige Materie wie die Luft, aber unendlich viel feiner und dünner; weil wir wissen, daß die himlischen Körper sich in demsleben frei bewegen, ohne einen Widerstand zu finden. Ohne Zweifel hat er auch eine Elasticität, durch die er sich bemüht, sich nach allen Seiten auszubreiten, und in die Räume zu dringen, die leer sein könten; auf die Art,daß, wenn der Äther durch einen Zufal von einem Orte vertrieben wäre, der Äther aus den umliegenden Gegenden sich den Augenblik dahin stürzen, und den Ort von neuem erfüllen würde. Kraft dieser Elasticität ist der Äther nicht blos oben
 
 
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über unsrer Atmosphäre, sondern er durchdringt sie auch allenthalben; und schleicht sich auch in die Poren aller Körper ein, so daß er durch diese Poren frei hindurch geht. So z. E. wenn man durch die Luftpumpe die Luft aus einem Gefässe weggenommen hat, so darf man nicht glauben, daß alsdann ein leerer Raum darinne sei. Der Äther ist es, der, indem er durch die Poren des Gefässes hindurch geht, es in einem Augenblik anfült, und wenn man eine ziemlich lange Glasröhre mit Queksilber fült, und sie umkehrt, um ein Barometer daraus zu machen; so glaubt man, oben über dem Queksilber sähe man einen leeren Raum, weil keine Luft durch das Glas dringen kan; aber dieser blos scheinbare leere Raum ist gewis mit Äther erfült, der ohne Schwierigkeit hineinkomt. – Es ist so gar wahrscheinlich, daß der Äther noch weit elastischer sei als die Luft, und das eine Menge Wirkungen in der Natur durch diese Kraft hervorgebracht werden. – Da wir also im Vorhergehenden gesehen haben, daß die Luft eben durch diese Eigenschaften geschikt wird, die Bewegungen oder die Schwingungen der schallenden Körper anzunehmen, und sie nach allen Seiten zu verbreiten, wodurch eben die Fortpflanzung des Schals geschieht: so ist es sehr begreiflich, daß der Äther unter ähnlichen Umständen auch solche Erschütterungen annehmen, und sie nach allen Gegenden auf die grösten Weiten fortsezzen könne. Wenn uns nun die Erschütterungen der Luft den Schal verschaffen, was werden wohl die Erschütterungen des Äthers hervorbringen? Ich glaube, Ew. H. werden es leicht errathen, daß es das Licht oder die Lichtstralen sein. Es scheint
 
 
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demnach sehr gewis, daß das Licht in Ansehung des Äthers eben das ist, was der Schal in Ansehung der Luft; und daß die Lichtstralen nichts anders sind, als die durch den Äther fortgepflanzten Schwingungen oder Erschütterungen; gerade so, wie der Schal in Erschütterungen besteht, die durch die Luft fortgepflanzt werden. Es komt also eigentlich nichts von der Sonne zu uns, so wenig als von einer Glokke zu uns komt, wenn wir ihren Schal hören. Nach diesem Lehrgebäude ist gar keine Gefahr, daß die Sonne, indem sie leuchtet, das geringste von ihrer Substanz verliere; so wenig als eine Glokke von der ihrigen verliert, wenn sie schalt. Was ich von der Sonne gesagt habe, mus man von allen leuchtenden Körpern, wie z. E. der Flamme einer Wachskerze, eines Lichts pp. verstehen. Ew. H. werden mir vielleicht einwenden, daß diese Lichter auf der Erde sich nur alzuaugenscheinlich verzehren, und daß, wenn sie nicht ohne Unterlas ernährt und unterhalten werden, ihr Licht bald auslöscht; woraus also scheinbar wird, daß die Sonne sich auf eine ähnliche Art verzehren müsse, und daß das Beispiel von einer Glokke sehr übel angebracht sei. Aber man mus bedenken, daß diese Feuer, ausserdem das sie leuchten, noch Rauch und eine Menge von Ausdünstungen auswerfen, die man von den Stralen, welche leuchten, sehr wohl unterscheiden mus. Nun verursachen der Rauch und die Ausdünstungen ohne Zweifel einen sehr beträchtlichen Verlust, den man nicht den Lichtstralen zuschreiben kan; und wenn sie sich von dem Rauche und den über übrigen Ausdünstungen frei machen liessen; so würde die blosse Eigenschaft des Leuchtens keinen
 
 
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Abgang verursachen. Man kan das Queksilber durch einen gewissen Kunstgrif leuchtend machen, wie Ew. H. sich erinnern werden, gesehen zu haben, und durch dieses Licht verliert das Queksilber schlechterdings nichts von seiner Substanz; woraus man sieht, daß das blosse Licht keinen Abgang in den leuchtenden Körpern verursacht. Also ob gleich die Sonne die ganze Welt mit ihren Stralen erleuchtet, so verl* verliert sie doch nichts von ihrer eigenen Substanz; indem ihr ganzes Licht durch eine gewisse Bewegung und eine äusserst lebhafte und schnelle Erschütterung in ihren kleinsten Theilen hervorgebracht wird, die sich dem benachbarten Äther mittheilt, und von da nach allen Seiten bis auf die grösten Entfernungen fortgepflanzt wird, eben so, wie eine in Bewegung gesezte Glokke, der Luft eine ähnliche Erschütterung mittheilt. Je mehr man diese Gleichförmigkeit zwischen den leuchtenden und schallenden Körpern betrachtet; desto mehr findet man sie mit den Erfahrungen übereinstimmend, da im Gegentheil das System von dem Ausfliessen der Lichtstralen um desto widersprechender ist, je mehr man es mit auf die Erscheinungen in der wirklichen Welt anwenden wil. – –" Seit. 51. 52. 63. 64.
 
 
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10) Von der Fortpflanzung des Lichts.
 
 
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"Was die Fortpflanzung des Lichts durch den Äther betrift, so geschieht sie auf eine ähnliche Art mit der Fortpflanzung des Schals durch die Luft: und so wie in den Theilen der Luft hervorgebrachte Erschütterung den Schal wirkt, so macht eine Erschütterung in den kleinsten Theilen des Äthers
 
 
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das Licht oder die Lichtstralen aus. Es ist demnach das Licht nichts anders als eine Bewegung oder Erschütterung in den kleinsten Theilen des Äthers; und dieser befindet sich allenthalben, seiner äussersten Feinheit wegen, vermöge welcher er alle Körper durchdringt. Unterdessen werden die Lichtstralen von diesen Körpern auf mannigfaltige Art modificirt, nachdem diese die Erschütterung entweder aufhalten oder weiter fortpflanzen. Davon werde ich in der Folge weitläuftiger handeln; jezzo schränke ich mich blos auf die Fortpflanzung des Lichts im *...* Äther ein, der alle die unmeslichen Räume zwischen allen himlischen Körpern, ausfült. Das erste, was uns hierbei vorkomt, ist die erstaunliche Geschwindigkeit der Lichtstralen, die ohngefähr 900,000 mal schneller ist als die Geschwindigkeit des Schals, unerachtet dieser jede Sekunde einen Weg von 1000 Füssen durchläuft. Schon diese erschrekliche Geschwindigkeit wäre hinlänglich, das System der Emanation über den Haufen zu werfen. In unserm System aber ist sie eine nothwendige Folge unsrer Grundsäzze; und davon werden Ew. H. volkommen überzeugt werden. Diese Grundsäzze sind die nämlichen mit denen, worauf die Fortpflanzung des Schals durch die Luft beruht. Es hieng diese Fortpflanzung theils von der Dichtigkeit der Luft, theils von ihrer Elasticität ab. Daraus folgt, wenn die Dichtigkeit der Luft kleiner wäre, so würde die Geschwindigkeit des
 
 
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Schals vergrössert; und wenn die Elasticität der Luft grösser würde, so würde die Bewegung des Schals ebenfals beschleunigt werden. Würde also die Dichtigkeit der Luft zu eben der Zeit kleiner, indem ihre Elasticität grösser wird: so wäre ein doppelter Grund da, die Geschwindigkeit des Schals zu vermehren. Wir wollen uns vorstellen, die Dichtigkeit der Luft würde so sehr verringert, und ihre Elasticität so sehr vermehrt, daß sie der Dichtgkeit und der Elasticität des Äthers gleich wäre: so würden wir uns alsdann nicht mehr wundern, daß die Geschwindigkeit des Schals tausendmal grösser würde, als sie jezt ist. Denn Ew. H. werden sich erinnern, daß nach den Begriffen, die wir uns vom Äther gemacht haben, diese Materie ohne Vergleich dünner, und auch ohne Vergleich elastischer sein mus, als die Luft; und diese Eigenschaften helfen beide dazu, die Geschwindigkeit in der Fortpflanzung der Bewegungen zu vergrössern. Nun wird also die erstaunliche Geschwindigkeit des Lichts so wenig unwahrscheinliches haben, daß sie vielmehr volkommen mit unsern Grundsäzzen übereinstimmen wird; und die Ähnlichkeit zwischen dem Lichte und dem Schalle ist so ausgemacht, daß wir sicher behaupten können, wenn die Luft eben so fein und zu gleicher Zeit eben so elastisch würde als der Äther, so würde die Geschwindigkeit des Schals eben so schnel sein, als die Geschwindigkeit des Lichts. Wenn man demnach fragt, warum das Licht
 
 
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sich mit einer so ungeheuren Geschwindigkeit bewegt, so antworten wir, daß die Ursache in der äussersten Feinheit des Äthers, zusammen genommen mit seiner erstaunlichen Elasticität, liege; und daß, so lange der Äther demselben Grad von Feinheit und Elasticität behält, auch das Licht nothwendig sich mit demselben Grade von Geschwindigkeit fortbewegen müsse. Nun kan man nicht zweifeln, daß der Äther durch den ganzen Raum des Weltgebäudes einerlei Grad von Feinheit und Elasticität habe; denn wäre der Äther an dem einen Orte elastischer als am andern, so würde er sich, indem er sich mehr und mehr ausdehnte, nach diesem Orte hinziehen, bis das Gleichgewicht wieder hergestelt wäre. Also müssen sich auch die Stralen der Sterne eben so geschwind bewegen, wie die Stralen der Sonne; weil die Sterne viel weiter von uns entfernt sind als die Sonne, so brauchen auch ihre Stralen um so viel mehr Zeit, bis sie zu uns kommen. So ungeheuer uns auch die Weite der Sonne scheinen mag, deren Stralen in 8 Minuten zu uns kommen: so ist doch der Fixstern, der uns am nächsten ist, 400,000 mal weiter entfernt als die Sonne. Ein Lichtstrahl demnach, der von diesem Sterne ausgeht, braucht 400,000 mal 8 Minuten, ehe er bis zu uns komt; diese Zeit beträgt 53,333 Stunden, oder 2222 Tage, oder ungefähr 6 Jahre. Wenn Sie also des Nachts einen Fixstern, und selbst den allerglänzendsten, sehen, der wahrscheinlicher Weise auch der nächste ist: so sind die Stralen, die in die Augen Ew. H. fallen,
 
 
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um den Stern darinnen abzubilden, schon vor 6 Jahren von dem Sterne ausgegangen. So lange Zeit haben sie gebraucht, bis zu uns zu kommen. Und wenn Gott jezzo einen neuen Fixstern in eben der Entfernung erschaffen wolte, so würden wir ihn eher als nach 6 Jahren sehen, weil seine Stralen nicht eher bis zu uns kommen könten. Und wären im Anfange der Welt die Sterne ohngefähr zu gleicher Zeit mit dem Adam erschaffen worden, so hätte er sie nicht eher als nach 6 Jahren sehen können; selbst die nicht, die die nächsten sind; denn bei entferntern hätte er desto längere Zeit warten müssen, ehe er sie gesehen hätte. Wenn also Gott noch tausendmal entferntere Sterne erschaffen hätte, so würden wir sie noch nicht sehen, so glänzend sie auch sein möchten, weil noch nicht 6000 Jahr seit der Schöpfung verflossen sind. Jerusalem hat diesen Gedanken in einer seiner Predigten vortreflich genüzt. Hier ist die Stelle: " Steiget mit euren Gedanken von dieser Erde durch alle die Weltkörper, die über euch sind, und gehet von den entferntesten, die eure Augen entdekken können, bis zu denenjenigen hinauf, deren Licht vielleicht von dem Anfange ihrer Schöpfung an noch nicht bis izt nicht zu uns herunter gekommen ist! Die Unermeslichkeit des götlichen Reichs leidet diese Vorstellung."– Seit. 65. 66. 67. 68.
 
 
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11) Von der Grösse der Welt. – Von der Natur und den Stralen der Sonne.
 
 
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"Das, was ich von der Zeit, die die Stralen der Sterne brauchen, bis zu uns zu kommen, Ew. H. gesagt habe, ist in der That sehr fähig, uns von der Grösse und dem Umfange der Welt einen Begrif zu machen. Die Geschwindigkeit des Schals, der 1000 Füsse in einer Sekunde durchläuft, verschaft uns beinahe das erste Maas; und diese Geschwindigkeit ist 200 mal grösser als die Geschwindigkeit eines Menschen, der ziemlich hurtig geht. Nun ist die Geschwindigkeit der Lichtstralen 900,000 mal grösser als des Schals seine; oder seine Stralen durchlaufen jede Sekunde einen Weg von 900 Millionen Füssen, oder 37,500 deutsche Meilen. Welche ungeheure Geschwindigkeit! Und doch ist von den Fixsternen der nächste so weit von uns entfernt, daß seine Stralen, dieser ungeheuren Geschwindigkeit unerachtet, 6 Jahre brauchen, ehe sie zu uns kommen; und wäre es möglich, daß ein grosser Schal, wie der von einem Kanonenschus, der in diesem Sterne entstünde, bis zu uns könte fortgepflanzt werden, so müsten 5,400,000 Jahre verlaufen, ehe wir diesen Schal gewahr würden. Dies ist nur blos von den glänzendsten Sternen, die wahrscheinlicher Weise auch die nächsten sind, zu verstehen; und es ist sehr glaublich, daß die kleinsten Sterne zehn und mehrmal weiter von uns entfernt sind. Es wird also gewis ein ganzes Jahrhundert nöthig sein, ehe die Stralen dieser Sterne bis zu uns kommen. Welche ungeheure Entfernung, die erst in hundert Jahren, von einer Geschwindigkeit, die jede Sekunde 37,500 deutsche Meilen durchläuft, zurük gelegt werden kan! Wenn also jezzo ein solcher Stern vernichtet oder blos verfinstert würde, so würden wir ihn dem unerachtet noch 100 Jahre lang sehen,
 
 
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weil die lezten Stralen, die von dem Sterne ausgegangen wären, erst am Ende dieser Zeit bis zu uns gekommen sein würden. Man macht sich gewöhnlicher Weise zu kleine und eingeschränkte Begriffe von der Welt; man denkt selten an die Grösse dieses Weltbaues, und an die unzählbare Menge von Geschöpfen, die so viel tausend Welten bewohnen – und an den Gott, der dieses alles gemacht hat. – – Ich kehre wieder zu den grossen leuchtenden Körpern, und insbesondere zur Sonne zurük. Gleich anfangs fragt man, worinnen das Licht bestehe, das die Sonne beständig durch die ganze Welt verbreitet; ohne den geringsten Abgang zu leiden. Die Antwort kan nun nach dem System des Lichts, das ich eben festgesezt habe, nicht mehr schwer sein, da sie hingegen in dem System der Emanation schlechterdings unmöglich ist. Die ganze Welt ist mit dieser äusserst feinen und elastischen Materie angefült, * die man den Äther nent. Nun mus man sich in allen Theilen der Sonne eine beständige Bewegung vorstellen, durch die jedes Theilchen sich in einer immerwährenden Erschütterung und Schwingung befindet. Diese theilt sich dem angrenzenden Äther mit, und erregt darinnen ein ähnliches Zittern, daß hernach immer weiter und weiter nach allen Gegenden mit der Geschwindigkeit fortgepflanzt wird, von der ich so weitläuftig geredet habe. Also um bei der Vergleichung zwischen Licht und Schal zu bleiben, so würde die Sonne einer Glokke ähnlich sein, die ohne Aufhören schlüge; es müssen nämlich die kleinen Theile der Sonne beständig in derjenigen Bewegung erhalten werden, die im Äther das
 
 
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hervorbringt, was wir Lichtstralen nennen. Nun ist uns noch die Schwürigkeit zu erklären übrig, durch was für eine Kraft diese beständige Bewegungen den kleinsten Theilen der Sonne unterhalten wird, da wir doch wissen, daß ein angezündetes Licht nicht lange brennt, und bald auslöschet, wenn es nicht immer durch brenbare Materien unterhalten wird. Aber man kan zuerst bemerken, da die Sonne eine viel tausendmal grössere Masse ist als die ganze Erde: daß, wenn sie einmal recht erhizt ist, die Flammen viel hundert Jahr dauern können, ohne abzunehmen. Ausserdem ist bei der Sonne nicht einmal der Fal, der bei unserer Art von Feuer oder von Lichtern ist, bei diesen geht ein guter Theil ihrer Substanz durch den Rauch und die Ausdünstung weg, welches einen sehr beträchtlichen Verlust ausmacht. Bei der Sonne hingegen, gesezt auch, es sondern sich etwas von ihr in Gestalt des Rauches ab, so ent entfernen sich diese Theilchen nicht doch nicht sehr weit, und kehren sehr bald wieder in die Masse der Sonne zurük; es geht also nichts wirklich verloren, was eine Abnahme in der Substanz der Sonne veranlassen könte – –" Seit. 68. 69. 70. 71.
 
 
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12) Fernere Erklärung der leuchtenden Körper.
 
 
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"Wenn die Sonne ein leuchtender Körper ist, dessen Stralen sich ringsherum und nach allen Seiten verbreiten: so werden Ew. H. nicht mehr zweifelhaft über die Ursache dieser wunderbaren Er
 
 
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scheinung sein, die in der Erschütterung oder der Schwingung besteht, von der alle Theile der Sonne bewegt werden. Die Vergleichung mit einer Glokke kan uns diese Sache sehr gut erläutern. Aber das ist sehr natürlich, daß die Schwingungen, die das Licht hervorbringen, weit lebhafter und schneller sein müssen als die, aus denen der Schal entsteht; weil der Äther ohne Vergleich feiner ist als die Luft. Da eine schwache Bewegung nicht im Stande ist, die Luft so weit zu erschüttern, um einen Ton hervor zu bringen; so sind auf gleiche Art die Bewegungen einer Glokke und der übrigen schallenden Körper für den Äther zu schwach, die Erschütterung zu bewirken, die das Licht ausmacht. Ew. H. werden sich erinnern, daß, um einen empfindbaren Schal zu erregen, in einer Sekunde mehr als 30 und weniger als 3000 Schwingungen geschehen müssen; weil die Luft zu fein ist, als das 30 Schwingungen eine merkliche Veränderung in ihr hervorbringen solten; aber auf der andern Seite zu grob, um 3000 Schwingungen zu bekommen. Ein so hoher Ton würde sich endlich ganz verlieren. Nun ist es mit dem Äther eben so; und 3000 Schwingungen in einer Sekunde sind für den Äther viel zu grob und zu langsam. Es gehören weit öftere Schwingungen und viele tausende in einer Sekunde dazu, wenn sie im Stande sein sollen auf den Äther zu wirken, und eine Erschütterung in ihm hervor zu bringen. Eine so schnelle Bewegung kan nur in den kleinsten Theilen der Körper stat finden, die ihrer Kleinheit wegen unsern Sinnen entgehen. Das Sonnenlicht wird also durch eine
 
 
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äusserst schnelle und lebhafte Bewegung in den kleinsten Theilen der Sonne hervor gebracht, deren jeder sich viel tausendmal jede Sekunde erschüttern mus. Eine ähnliche Bewegung ist auch die Ursache des Lichts, das die Fixsterne, und auch dessen, das bei uns auf der Erde alle brennende Sachen von sich werfen, wie z. E. die Lichter, die Wachskerzen, die Fakkeln pp. die der uns in der Nacht die Stelle der Sonne ersezzen. Wenn Ew. H. die Flamme eines Wachsstoks ansehen, so werden Sie leicht gewahr werden, daß eine erstaunliche Bewegung in den kleinsten Theilen hersche; und ich glaube nicht, daß von der Seite mein System einen Widerspruch finden werde, da hingegen das Newtonische System eine ganz ungeheure Kraft der Bewegung erforderte, um die kleinste Theile mit einer Geschwindigkeit fort zu stossen, die 37,500 deutsche Meilen in einer Sekunde durchliefe. – Dies ist die Erklärung von leuchtenden Körper. – " Seit. 72. 73.
 
 
  Ia-02-1778-0383
13) Widerlegung der Newtonischen Meinung von der Art und Weise, wie uns dunkle Körper sichtbar werden, (nämlich, indem sie die Stralen zurük werfen.)
 
 
  Ia-02-1778-0384
"Ich sage: es läst sich schlechterdings nicht behaupten, daß, wenn wir einen dunkeln von der Sonne erleuchteten Körper sehen, die Stralen von demselben zurük geworfen werden, und daß wir eben durch diese zurük geworfene Stralen die Körper sehen. Das Beispiel eines Spiegels, der unstreitig die Stralen zurük wirft, und den man
 
 
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anführt, um diese Meinung zu erweisen, beweist vielmehr gerade das Gegentheil. Ohne Zweifel wirft der Spiegel die Stralen, die auf ihn fallen, zurük. Aber wenn uns diese zurük geworfene Stralen in unser Auge kommen; was bilden sie darinnen ab? Ew. H. werden mir den Augenblik gestehen, daß nicht der Spiegel, von dem diese Stralen zurük geworfen werden, das sei, was sie abbilden. Sie bilden uns die Gegenstände ab, von denen sie ursprünglich ausgelaufen waren; und die Reflexion thut nichts anders, als das sie den Ort verändert, wo wir diese Gegenstände sehen. Wir sehen auch nicht diese Gegenstände auf der Oberfläche des Spiegels, sondern vielmehr im Spiegel drinnen; und man kan sehr wohl sagen, daß der Spiegel selbst uns unsichtbar bleibe. Aber wenn wir einen dunkeln Körper ansehen, den die Sonne erleuchtet: so sehen wir ja nicht die Sonne drinnen, sondern wir sehen wirklich die Oberfläche dieses Körpers selbst mit allen seinen Verschiedenheiten. Man erkennet also daraus einen wesentlichen Unterschied zwischen den Stralen, die von einem Spiegel zurükgeworfen werden, und denen, durch die wir die dunkeln Körper sehen. Aber noch ein andrer eben so handgreiflicher Unterschied findet sich bei den Spiegeln. Denn wenn wir die Gegenstände vor dem Spiegel, oder auch nur ihre Pläzze, oder unsre eigne Stellung gegen sie ändern: so verändert sich der Anblik beständig; und die vom Spiegel zurükgeworfene Stralen stellen uns immer andere und andere Bilder vor, die sich nach der Beschaffenheit und Lage der Gegen
 
 
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stände, und nach dem Orte wo wir stehen, richten. Und wie ich schon angemerkt habe, diese Stralen geben uns niemals das Bild des Spiegels selbst. Nun aber, wenn ein dunkler Körper von der Sonne, oder andern leuchtenden Körpern, oder schon erleuchteten dunkeln Körpern erleuchtet wird, so mag dieser Körper seine Stelle ändern wie er wil, der Anblik desselben ist immer derselbe. Wir sehen immer einerlei Gegenstand, und wir werden nicht die geringste Veränderung gewahr, die sich auf die gedachte Verschiedenheit der Umstände bezöge. Das giebt mir demnach einen neuen Beweis, daß wir die Körper nicht durch Stralen sehen, die von ihren Oberflächen zurükgeworfen worden. Ich sehe hier einen Einwurf zum voraus, den man von dem Halse der Tauben und gewissen Arten von Zeugen hernehmen wird, die auf eine verschiedene Art erscheinen, nachdem man den Gesichtspunkt ändert. Aber das schwächt meinen Schlus in Ansehung der gewöhnlichen dunkeln Körper gar nicht, bei denen diese Abwechselung nicht stat findet. Denn dieser Einwurf beweist weiter nichts, als daß diese besondern Gegenstände gewisse eigenthümliche Beschaffenheiten haben; z. E. diese, daß ihre kleinsten Theilchen sehr glat und eben sind, und daß also eine wirkliche Zurükwerfung der Stralen bei ihnen vorgeht, ausser der gewöhnlichen und algemeinen Veränderung, durch die alle Körper uns sichtbar werden. Aber eine solche Zurükwerfung, begreift man leicht, mus von der Art und Weise, wie die gewöhnlichen dunkeln Körper erleuchtet sind, sehr wohl unterschieden werden. Endlich stellen uns die von einem Spiegel zurük geworfne Strahlen auch alle Farben des Körpers vor, von dem sie ursprünglich ausliefen, und der
 
 
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Spiegel, wo die Reflexion geschieht, ändert darin nichts. Ein dunkler Körper aber, der durch einen andern Körper erleuchtet wird, mag erleuchtet werden auf was für eine Art er wil; er zeigt uns allemal dieselbe Farben; und man kan sagen, daß jeder Körper seine eigene Farbe habe. Dieser Umstand wirft die Meinung derer um, die behaupten, daß wir die dunklen Körper vermittelst der Stralen sehen, die von ihrer Oberfläche zurük geworfen werden. – – " Seit. 79. 80. 81.
 
 
  Ia-02-1778-0385
14) Andre Erklärung wie uns dunkle Körper sichtbar werden.
 
 
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"Alle Erscheinungen bei den dunklen Körpern, die ich in meinem vorigen Briefe aus einander gesezt habe, beweisen unwidersprechlich, daß, wenn wir einen erleuchteten dunkeln Körper sehen, wir ihn nicht durch die von seiner Oberfläche zurükgeworfenen Strahlen sehen, wir ihn sondern daß die kleinsten Theile auf seiner Oberfläche sich wirklich in einer Bewegung befinden, die der ähnlich ist, welche die kleinsten Theile der leuchtenden Körper erschüttert; nur mit diesem Unterschiede, daß die Bewegung in den dunkeln Körpern bei weitem nicht so stark ist, als die in den dunkeln Körpern die von selbst leuchten; indem ein dunkler Körper, so hel erleuchtet er immer sein mag, niemals im Auge einen so lebhaften Eindruk macht, als die leuchtenden Körper. Da wir die dunkeln Körper selbst, und gar nicht die Bilder der leuchtenden Körper sehen, wie doch geschehen müste, wenn wir sie blos durch die Zurükwerfung der Stralen sähen: so müssen also
 
 
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die Stralen, durch die wir sie sehen, ihnen eigen sein, und ihnen eben so volkommen zugehören, wie die Stralen der leuchtenden Körper diesen zugehören. Folglich, so lange ein dunkler Körper erleuchtet ist, so lange befinden sich die kleinsten Theile seiner Oberfläche in einer Bewegung, die fähig ist, in dem Äther die Art von Schwingung hervorzubringen, die die Lichtstralen macht, und die in unsern Augen das Bild des Gegenstandes abmalt. Zu diesem Ende müssen von jedem Punkte der Oberfläche Stralen nach allen Gegenden auslaufen: und dieses bestätigt die *...* Erfahrung augenscheinlich. Denn wir mögen einen dunkeln Körper von einer Seite ansehen von welcher wir wollen, so sehen wir ihn aus allen Orten auf gleiche Art; daraus folgt, daß jeder Punkt Stralen nach allen Seiten abschikken müsse. Dieser Umstand unterscheidet diese Stralen wesentlich von den zurük geworfenen Stralen, deren Richtung immer durch die Richtung der einfallenden Stralen bestimt wird; so daß, wenn die Stralen nur von einer einzigen Gegend, wie z. E. von der Sonne kommen, die zurükgeworfene Stralen auch nur Eine Richtung haben können. Wir sehen also ein, daß, wenn dunkler Körper erleuchtet wird, alle kleinsten Theile, die sich auf seiner Oberfläche befinden, in eine gewisse Erschütterung gesezt werden, so wie wir gesehen haben, daß das bei den leuchtenden Körpern geschieht. Diese Erschütterung ist desto stärker, je heller das Licht ist, das sie erleuchtet. – Das macht die Natur der dunkeln Körper aus, daß ihre Theilchen von sich selbst in Ruhe, wenigstens nicht in der Art von Bewegung sind, die dazu gehört Lichtstralen hervor
 
 
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zu bringen; aber daß diese Theile zugleich so eingerichtet sind, daß, wenn von einem andern leuchtenden Körper Stralen auf sie fallen, sie durch diese in die Erschütterung und in die schwingende Bewegung gebracht werden können, die zur Hervorbringung der Stralen geschikt ist. – –" Seit. 83. 84.
 
 
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15) Fortsezzung und Ende der vorigen Materie.
 
 
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"Zuerst ist ohne Zweifel nach der Verschiedenheit der Körper selbst, auch eine unendliche Verschiedenheit unter den kleinsten Theilen dunkler Körper. Es wird einige geben, die einer stärkern Schwingung fähig sind als andere, und einige die gar keine annehmen können. Dieser Unterschied zeigt sich nur gar zu deutlich in den Körpern. Ein Körper, dessen Theilchen leicht den Eindruk der Stralen, die auf ihn fallen, annehmen, scheint hel und glänzend; ein andrer hingegen, in dem die Stralen beinahe gar keine Bewegung hervorbringen, scheint dunkel und finster. Unter mehrern gleich erleuchteten Körpern werden Ew. H. immer einen grossen Unterschied bemerken; die einen werden glänzender und heller sein als die andern. Aber noch eine andere sehr merkliche Verschiedenheit unter den kleinsten Theilen dunkler Körper mus es in Ansehung der Anzahl der Schwingungen geben, die jeder in einer gewissen Zeit macht. Ich habe schon bemerkt, daß diese Zahl immer sehr gros sein mus, und daß die Feinheit des Äthers viele tausende in einer Sekunde erfordert. Aber es kan doch noch unendliche Verschiedenheit geben, wenn gewisse Theilchen z. E. 15000 Schwingungen in einer Sekunde machen, da andere nach dem Grade ihrer Feinheit, ihrer Spannung und ihrer Elasticität nur 11000, 12000, 13000 machen,
 
 
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so wie bei den Saiten in der Musik, die Anzahl der gemachten Schwingungen ins Unendliche abwechseln kan; und davon habe ich eben den Unterschied zwischen den hohen und tiefen Tönen hergeleitet. So wie dieser Unterschied in den Tönen wesentlich ist, und das Gehör davon auf eine so wesentliche Art gerührt wird, daß eben auf diesem Unterschiede die ganze Harmonie in der Musik beruhet: so kan man nicht zweifeln, daß ein ähnlicher Unterschied in der Anzahl der Schwingungen der Lichtstralen auch eine besondere Wirkung und einen wesentlichen Unterschied in der Art des Sehens hervor bringen werde. Wenn z. E. ein Theil 10.000 Schwingungen in einer Sekunde macht, und also Stralen von eben der Art hervorbringt; so werden diese Stralen, wenn sie ins Auge kommen, den Boden desselben, und die Nerven, die sich daselbst befinden, 10000mal in einer Sekunde berühren; und diese Wirkung mus so wie die Empfindung, die sie verursacht, ganz anders sein als die von einem andern Theilchen, das mehr oder weniger Schwingungen in einer Sekunde macht. Es wird also bei dem Gesicht einen Unterschied geben, der dem ähnlich ist, welchen das Gehör zwischen tiefen und hohen Tönen bemerket. Ew. H werden begierig sein zu wissen, worinnen dieser Unterschied sich beim Sehen äussert, und ob wir in der That die Gegenstände, deren Theile mehr oder weniger Schwingungen in einer Sekunde machen, unterscheiden können. Darauf antworte ich Ew. H. daß es die Verschiedenheit der Farben sei, die durch diesen Unterschied hervor gebracht wird. – – – " Seit. 91. 92.
 
 
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16) Verschiedenes noch von Farben.
 
 
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"Wenn man Weingeist in einem Zimmer anzündet, so
 
 
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wissen Ew. H. daß die Flamme bläulicht ist, und daß sie also auch blaue Stralen hervorbringt. Alle Personen nun, die im Zimmer sind, scheinen alsdan blas und todenfarbig, so geschminkt oder so roth sie auch sein mögen. Die Ursache ist augenscheinlich. Die blauen Stralen sind nicht im Stande, die rothe Farbe auf dem Gesichte zu erregen oder in Schwingung zu bringen; man sieht auf ihm nichts als eine schwache bläulichte Farbe; aber dafür wird ein blaues Kleid, wenn jemand von der Geselschaft ein solches hat, sehr hel und glänzend aussehen. Nun erleuchten die Stralen der Sonne, die Stralen einer Wachskerze oder eines ordentlichen Lichts, beinah alle Körper auf gleiche Weise. Daraus schliest man, daß die Sonnenstralen alle Farben zusammen enthalten, ob sie gleich mehr gebleicht aussehen. Und in der That, wenn man in ein verfinstertes Zimmer Stralen von allen einfachen Farben, rothe, gelbe, grüne, blaue und violette, beinah in gleicher Anzahl fallen, und sie sich in Einem Punkt vereinigen läst; so entsteht daraus eine weislichte Farbe. Daraus macht man den Schlus, daß die weisse Farbe nichts weniger als eine einfache Farbe sei; sondern daß sie vielmehr aus der Vermischung aller einfachen Farben entsteht. Wir sehen auch, daß das Weisse alle Farben gleich gut annehmen kan. Das Schwarze ist eigentlich gar keine Farbe. Wenn die Theilchen eines Körpers zu schwer sind, daß sie gar keine schwingende Bewegung annehmen; so ist der Körper schwarz. Oder ein Körper, der keine Stralen hervorbringt, ist schwarz. Der Mangel aller Stralen also bringt diese Farbe hervor; und je mehr sich auf der Oberfläche eines Körpers solcher Theile finden; die keiner schwingenden Bewegung fähig ist: desto dunkler und schwärzlichter sieht er aus. –" Seit 95. 96.
 
 
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17) Von der Durchsichtigkeit der Körper.
 
 
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"Ich habe schon angemerkt, daß es gewisse Körper giebt, die die Lichtstralen durchlassen, welche man durchsichtige nent, dergleichen das Glas, das Wasser und insbesondere die Luft ist. Unterdessen ist eigentlich nur der Äther, das gehörige Mittel, in welchem sich die Lichtstralen formiren. Andere Körper sind nur deswegen durchsichtig, weil sie Äther in sich enthalten, und mit demselben so vermischt sind, daß die Bewegungen, die durch das Licht darinnen hervorgebracht werden, sich mittheilen und fortpflanzen können, ohne von den Körpern aufgehalten zu werden. Aber dieser Durchgang ist niemals so frei wie in dem reinen Äther selbst, und es verliert sich immer etwas von der Bewegung, und um desto mehr, je dikker der Körper ist. Die Dikke kan sogar so gros werden, daß das ganze Licht sich darin verliert, und dan hört der Körper auf, durchsichtig zu sein. Also, obgleich das Glas an und für sich ein durchsichtiger Körper ist, so ist doch ein grosses Stük von einigen Füssen in der *...* Dikke, nicht mehr durchsichtig, und man kan nicht hindurch sehen. Eben so mag das Wasser eines Flusses noch so rein sein; an den Orten, wo es sehr tief ist, sieht man doch den Boden nicht, ob man ihn gleich da sehen kan, wo es seichte ist. Eben so mag das Wasser eines Flusses noch so *...* rein sein *...* Also ist die Durchsichtigkeit nur eine Eigenschaft der Körper, die mit ihrer Dikke proportionirt ist; und wenn man diese Eigenschaft dem Glase, dem Wasser u.s.f. zuschreibt: so mus man es immer mit der Einschränkung verstehen: wenn die Dikke dieser Körper nicht zu gros ist. Bei jeder Gattung giebt es einen gewissen von Dikke, über welchen hinaus der Körper nicht mehr durchsichtig ist. Im Gegentheil giebt es keinen undurchsichtigen Körper, der nicht endlich durchsichtig würde, wenn er zu einer ganz dünnen Platte gemacht
 
 
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wird. So, obgleich das Gold nicht durchsichtig ist, so sind doch die Goldblätchen durchsichtig; und wenn man die kleinsten Theilchen aller Körper durch ein Vergrösserungsglas ansieht, so findet man sie alle durchsichtig. Man könte also sagen, daß alle Körper durchsichtig sind, wenn man sie nur dünne genug macht; und daß im Gegentheil kein Körper durchsichtig ist, wenn er zu dikke wird. Man nent aber nach dem Sprachgebrauch nur diejenigen Körper durchsichtig, die diese Eigenschaft bis auf einen gewissen Grad der Dikke behalten, wenn sie dieselbe auch bei einer grössern Dikke verlieren. Der Äther allein ist, vermöge seiner Natur, volkommen und durchaus durchsichtig, und die Grösse seiner Ausdehnung verhindert seine Durchsichtigkeit nicht im geringsten. Die erschrekliche Weite der Fixsterne verhindert nicht, daß ihre Stralen nicht bis zu uns kommen solten. Aber wenn unsre Luft, ob sie gleich volkommen durchsichtig ist scheint, sich bis zum Monde erstrekte, so würde sie alle ihre Durchsichtigkeit verlieren, und kein einziger Stral der Sonne oder der übrigen himlischen Körper würde bis zu uns durchdringen können; wir würden uns in einer Ägyptischen Finsternis befinden. Die Ursache davon fält in die Augen; und wir werden beim Schal eben das gewahr, dessen Ähnlichkeit mit dem Lichte sich also in aller Absicht bestätigt. Die Luft ist das natürliche Mittel, durch welches sich der Schal fortpflanzt; aber die in der Luft erregten Erschütterungen können auch die Theile andrer Körper in Bewegung sezzen; und diese, indem sie dieselbe den innern Theilen mittheilen, können den Schal durch den Körper selbst hindurch fortpflanzen, wofern
 
 
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er nicht zu dikke ist. Es giebt also Körper, die in Ansehung des Schals eben das sind, was die durchsichtigen in Absicht des Lichts; und diese Eigenschaft haben eigentlich, in Absicht des Schals, alle Körper, wenn sie nur nicht gar zu dikke sind. In der That können Ew. H. in ihrem Zimmer beinahe alles hören was im Vorzimmer vorgeht, wenngleich die Thüren verschlossen sind. Die Erschütterung der Luft in dem Vorzimmer theilt sich den Wänden mit, durch diese dringt die Erschütterung endlich bis ins Zimmer selbst, obgleich mit einigem Verlust. Nähme man die Wände weg, so würde Ew. H. ohne Zweifel alles viel deutlicher hören. Je dikker aber die Wände sind, desto mehr verliert der Schal beim Hindurchgehen von seiner Stärke; und es könten die Wände so dik sein, daß man nichts mehr von dem hörte, was ausserhalb vorgienge, wenn es nicht ein sehr heftiger Schal, wie z. E. ein Kanonenschus, wäre. Dieses führt mich auf eine andre Anmerkung, daß ein heftiger Schal durch Mauren dringt, die für einen schwächern undurchdringlich sind: und also um zu beurtheilen, ob eine Mauer einen gewissen Schal fortpflanzen wird, mus man nicht blos auf die Dikke der Mauer, sondern auch auf die Stärke des Schals Acht haben. Ist der Schal sehr schwach, so ist auch eine sehr dünne Mauer im Stande, ihn aufzuhalten, ob sie gleich einen stärkern fortpflanzen könte. Eben so ist es mit den durchsichtigen Körpern, die einem starken Lichte den Durchgang erlauben, und durch die man doch weniger glänzende Gegenstände nicht sehen kan. Wenn man ein Glas mit Rauch schwärzet, so sieht man die nicht sehr hellen Gegenstände nicht mehr hindurch, aber die Sonne sieht man deutlich. Dies ist das Mittel, dessen sich die Astronomen bedienen, die Sonne zu beobachten, die sonst die Augen blenden würde. Und wenn man sich in einem dunkeln Zimmer befindet, wo die Sonne nur durch eine Öfnung im Fensterladen hinein kan, so mag man
 
 
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immerhin die Hand vor die Öfnung halten, die Sonne wird doch durchscheinen. Unterdessen sieht man doch, daß das Sonnenlicht viel von seinem Glanze bei dem Durchgange durch einen solchen Körper, der in Vergleichung mit andern nicht einmal durchsichtig ist, verliert. Aber ein sehr starkes Licht kan viel von seinem Glanze verlieren, ehe es völlig verlischt; da sich hingegen ein schwächeres bald verliert. So ist ein sehr dikkes Stük Glas für nicht sehr helle Gegenstände nicht durchsichtig, aber die Sonne kan man doch hindurch sehen. –" Seit. 97. 98. 99. 100.
 
 
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18) Von der Brechung der Stralen von verschiednen Farben.
 
 
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"Ich wil izt durch ein Exempel die Brechung der Stralen von verschiednen Farben ** erläutern. Wenn PC ein Stral ist, der z. E. aus dem Glase ins Wasser fährt, so wird, wenn der Neigungswinkel PCE ist, der gebrochene Stral sich dem Perpendikul CF nähern; und ist der Stral roth, so wird der gebrochene Croth; ist er orange, so wird er C orange sein; und so mit den übrigen, wie man es in der Figur sieht.
 
 
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Alle diese Stralen entfernen sich von der Linie CQ, die die Verlängerung von PC ist, gegen den Perpendikul zu. Aber der rothe Stral entfernt sich am wenigsten von CQ, oder wird am wenigsten gebrochen; die violette entfernt sich am wenigsten meisten, und bekomt die gröste Biegung. Ist nun PC ein Sonnenstral, so bringt er alle die angezeigten gefärbten Stralen zugleich hervor: und wenn ein Blat Papier dagegen hält, so sieht man darauf wirklich alle Farben; daher man sagt, daß jeder Sonnenstral alle einfache in sich enthalte. Eben das geschieht, wenn PC ein weisser Stral ist, oder von einem weissen Körper komt. Man sieht aus ihm durch die Brechung alle Farben entstehn; und daraus schließt man, daß die weisse Farbe ein Gemisch von allen einfachen Farben sei. In der That darf man nur alle diese gefärbte Stralen in einem Punkt vereinigen, so sieht man die weisse Farbe wieder entstehen. Durch die Brechung also werden wir gewahr, welches die wirklich einfachen Farben sind. Sie folgen in den gebrochenen Stralen in der Ordnung auf einander: 1) der rothe, 2) der orange, 3) der gelbe, 4) der grüne, 5) der blaue, 6) der violette Stral. Aber man darf nicht glauben, daß es nicht mehr wie sechs Farben gäbe; denn da das Wesen einer jeden in einer gewissen Zahl der Schwingungen, die in einer bestimten Zeit geschehen, besteht, so ist es klar, daß die Zahlen, die dazwischen liegen, ebenfals einfache Farben geben. Aber es fehlt uns an Worten, diese Farben zu bezeichnen. So sieht man in der That zwischen dem Gelben und dem Grünen, mitlere Farben, aber die keinen besondern Namen haben. Auf eben diesem Grunde beruhen die Farben im Regenbogen. Die Sonnenstralen werden, indem sie durch die Regentropfen, die zu der Zeit in der Luft sind, hindurch gehen, von ihnen zurükgeworfen und gebrochen;
 
 
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und die Brechung löst sie in ihre einfachen Farben auf. Ew. H. werden ohne Zweifel bemerkt haben, daß diese Farben im Regenbogen in eben der Ordnung auf einander folgen: das Rothe, das Orange, das Gelbe, das Grüne, das Violette; aber wir finden auch darinnen alle Zwischenfarben, die gleichsam die Übergänge von einer Farbe zur andern sind; und wenn wir mehr Benennungen hätten, diese verschiednen Grade zu unterscheiden, so würden wir auch mehr verschiedne Farben von einem Rande des Regensbogens bis zum andern zählen können. Vielleicht giebt es Nationen, deren Sprache in diesem Stükke reicher ist, und die also wirklich mehr verschiedne Farben bemerken können; vielleicht zählen andere wieder weniger, wenn ihre Sprache z. E. kein Wort hätte, das Orange auszudrükken. Einige sezzen noch die Purpurfarbe hinzu; die man in der That am Rande des Rothen bemerkt, und die andere mit unter dem Namen des Rothen begreifen.
 
 
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C. D. E. F. G. A. B.
 
 
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Man kan diese Farben mit den Tönen einer Oktave vergleichen, so wie ich sie hier vorgestelt habe, weil die Farben sich eben sowohl als die Töne durch Zahlen ausdrükken lassen. Es scheint sogar, daß wenn man das Violette noch weiter erhöht, man zu einem neuen Purpur komt, gerade so, wie man in Stimmen, wenn man über B hinausgeht, wieder zum c komt; welches die Oktave über C ist. Und wie man in der Musik diesem Thon seiner Ähnlichkeit wegen eben den Namen giebt; so ist es auch mit den Farben, die, wenn sie durch die Intervalle eine Oktave hinauf gestiegen sind, wieder dieselben Namen bekommen, indem sie, wie die Töne, eine gerade doppelte Schwingungen machen, als die andere. –" S. 105. 106. 107. 108.
 
 
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19) Vom Stern im Auge.
 
 
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"Der Stern ist diejenige dunkle Öfnung in der Iris oder Traubenhaut, durch welche die Stralen in das Inwendige des Auges kommen. Je grösser die Öfnung ist, desto mehr Stralen können ins Auge kommen und auf dem Nezze das Bild, das man darauf abgemalt sieht, formiren: also wird dieses Bild desto heller sein, je ofner das der Stern ist. Man darf nur die Augen eines Menschen genau betrachten, so wird man den Stern bald grösser bald kleiner werden sehen. Man bemerkt durchgängig, daß der Stern sich zusammenzieht, wenn man sich in einem sehr hellen Licht befindet, und daß er hingegen sich wieder öfnet, wenn man in einen weniger erleuchteten Ort komt. Diese Veränderung ist zur Volkommenheit des Gesichts sehr nothwendig. Wenn wir in sehr hellem Lichte sind, so ist, da die Stralen stärker sind, eine kleinere Anzahl derselben hinlänglich, die Nerven unsers Nezhäutchens in Bewegung zu sezzen; und der Stern ist also alsdann enger. Wäre er weitergeöfnet und liesse also eine grössere Menge Stralen hinein, so würde ihre Stärke die Nerven zu sehr erschüttern, und also Schmerz verursachen. Das ist die Ursache, warum wir nicht in die Sonne sehen können, ohne geblendet zu werden, und ohne einen sehr merklichen Schmerz in dem Innersten des Auges zu empfinden. Wäre es uns möglich den Stern noch weiter zusammen zu lassen ziehen , um nur eine noch geringere Anzahl von Stralen zuzulassen, so würden wir keine Beschwerde mehr fühlen; aber dieses Zusammenziehen des Sterns hängt nicht von unserm Willen ab. Die Adler haben den Vorzug, daß sie gerade in die Sonne sehen können, aber
 
 
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man wird auch gewahr, daß ihr Stern sich alsdann so sehr zusammenzieht, daß er beinahe nur ein Punkt zu sein scheinet. So wie eine grosse Helle eine sehr kleine Eröfnung des Sterns erfordert: so mus er sich hingegen um desto mehr erweitern, je mehr das Licht abnimt; und im Finstern öfnet er sich so sehr, daß er beinahe den ganzen Raum der Iris einnimt. Bliebe die Öfnung eben so klein als im Hellen, so würden die schwachen Stralen, die alsdann ins Auge kommen, nicht im Stande sein, die Nerven so weit in Bewegung zu sezzen, als zum Hervorbringen der Empfindung nöthig ist. Von so schwachen Stralen gehört eine grössere Menge dazu, um eine merkliche Wirkung im Auge zu thun. Wenn es uns möglich wäre den Stern noch weiter zu öfnen, so würden wir auch in einer ziemlich grossen Finsternis sehen können. Man führt bei dieser Gelegenheit das Beispiel eines Menschen an, dem nach einem Schlage, den er ins Auge bekommen hatte, der Stern dergestalt erweitert wurde, daß er in der grösten Dunkelheit lesen und schreiben konte. Die Kazzen und verschiedne andre Thiere, die ihre Züge im Finstern thun, haben die Fähigkeit, ihren Stern viel mehr zu erweitern als die Menschen. Und die Nachteulen haben ihren Stern beständig so sehr eröfnet, daß sie auch ein mässiges Licht nicht ertragen können. Daß aber der Stern des Menschen sich erweitert und zusammenzieht, das ist keine Handlung seines Willens; sondern sobald er sich in einem sehr erleuchteten Ort befindet, so zieht sich der Stern von selbst zusammen; und komt er wieder in einen weniger hellen oder dunkeln Ort, so erweitert er sich. – – –" Seit. 146. 147. 148.
 
 
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XVII.
 
 
  Ia-02-1778-0400
Algemeine deutsche Bibliothek. Des vierten Bandes erstes Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1767.
 
 
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1) Von Vergleichungen.
 
 
  Ia-02-1778-0402
"Vergleichungen unterrichten entweder den Verstand, oder ergözzen das Herz. Sie müssen sich immer mit der verglichenen Sache in einem Umstande vereinigen, der sie einer Ähnlichkeit oder eines Kontrastes fähig macht. Daher der Gegenstand eines Sinnes mit dem Gegenstand eines andern nicht verglichen werden kan. Der beste Vorrath zu Vergleichungen liegt in den Gegenständen des Gesichts. – Gleichnisse, die sich auf die schwächsten und entferntesten Ähnlichkeiten gründen, können wohl in der Kindheit der Poesie, durch eine Wirkung der Neuheit gefallen, fallen aber bei mehrerer Feinheit des Geschmaks in Verachtung, welches mit Exempeln aus den ältesten Poesien, dem Hoheliede Salomons, und dem Fingal bestätigt wird. Dinge von derselben Art zu einem Gleichnisse zu brauchen, oder Dinge von verschiednen Arten in einen Kontrast zu bringen, thut keine gute Wirkung. Abstrakte Worte können nie der Gegenstand einer Vergleichung sein, wenn sie nicht personificirt werden. Dinge, welche nichts ähnliches oder entgegengeseztes in sich selbst haben, können sehr feine Vergleichungen geben, wenn sie in Ansehung ihrer Wirkungen mit einander verglichen werden. – Sol die Vergleichung das Herz ergözzen: so mus sie durch die Vorstellung irgend einer unbekanten Ähnlichkeit oder eines unbekanten Kontrasts angenehm werden, oder sie mus den Gegenstand in ein star
 
 
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kes Licht stellen, es sei nun durch die Ähnlichkeit, wo auch niedrige Bilder stat finden, wenn der Hauptgegenstand in Absicht auf die Zahl in ein starkes Licht gesezt wird, oder es sei durch den Kontrast; oder ferner sie mus den Hauptgegenstand mit angenehmen Gegenständen verbinden, welches der Erzählung mehr Mannigfaltigkeit durch neue Bilder giebt, und kurze Episoden macht, die durch ihre Schönheit und Mannigfaltigkeit grosses Vergnügen erwekken: eine Kunst, darin Milton so vortreflich ist, (und die auch wirklich dem epischen Gedichte am meisten angemessen ist;) oder sie mus den Gegenstand durch Ähnlichkeit oder durch Kontrast vergrössern und erheben, oder endlich, wenn er verhast und unangenehm ist, verkleinern und erniedrigen. - - - -" Seit. 188. 189. 190.
 
 
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2) Von der Personifikation oder Prosopopöie.
 
 
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"Die Seele ist geneigt, unbelebten Dingen Empfindung beizulegen, wenn diese gewaltsame Handlung zur Befriedigung einer Leidenschaft nöthig ist. Ein neues Beispiel von der Gewalt der Leidenschaften über unsre Meinungen. Klagende Leidenschaften werden durch nichts als durch die Sympathie anderer befriedigt; und sind sie stark, so verwandeln sie selbst unbelebte Dinge in sympathisirende Wesen. Auch das Schrekken hat diese Wirkung. So theilt auch der Mensch seine Freude den Gegenständen mit, die um ihn sind. Diese Leidenschaften machen volständige Personifikationen, d.h. solche, welche wenigstens auf einen Augenblik eine wirkliche Überzeugung von einem Leben und einer Vorstellungskraft der sonst unbelebten Gegenstände voraussezzen. Die beschrei
 
 
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bende Poesie bedient sich aber auch unvolständiger Personifikationen, welche mehr zur Sprache des Dichters, als der Leidenschaft, gehören, und so wohl ein Geschöpf, als Gegenstand der Einbildungskraft allein sind. Abstrakte Worte und Handlungen, und alles, was vor und an sich der Seele kein Bild giebt, werden daher oft in Werken, die an die Einbildungskraft gerichtet sind, personificirt. Die passionirte Personifikation kan aber nicht von jeder Leidenschaft hervorgebracht werden. Niederschlagende Leidenschaften sind ihr zuwider, und zu ernsthaft und zu streng für sie; sie mus auch genau in den Gränzen bleiben, daß sie die Leidenschaft befriedigt, über diese Gränze hinaus gedehnt, wird sie fehlerhaft, ja oft lächerlich. Die beschreibende oder unvolständige Personifikationen findet in der simpeln Erzählung und bei niedrigen Gegenständen gar nicht stat; sie mus auch gehörig vorbereitet werden, wenn sie schiklich sein, und ihre Wirkung thun sol; sie mus nicht weiter getrieben werden, als so weit sie dienen kan, das Subjekt zu beleben; und sie kan endlich nicht geschwind genug geendiget werden, da hingegen der Enthusiasmus der Leidenschaft die passionirte Personifikation verlängern kan. –" Seit. 191. 192. 193.
 
 
  Ia-02-1778-0405
3) Von der Hyperbol.
 
 
  Ia-02-1778-0406
"Das Erstaunen über das ausserordentliche eines Gegenstandes zeigt uns ihn in einem falschen Lichte, so lange die Bewegung dauert; ein Skribent, der sich diese natürliche Verblendung zu Nuzze macht, bereichert seine Beschreibung durch die Hyperbol, die auch dem kaltsinnigsten Leser gefält, weil er sieht, daß es die Wirkung der Natur in einer feurigen Einbildungskraft ist. Man ist gemeiniglich glüklicher durch die Hyperbol zu vergrössern, als zu verkleinern; weil ein kleiner Gegenstand die Seele
 
 
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einzieht, und die Einbildungskraft fesselt; ein grosser hingegen sie erweitert und entflammet und zur Vergrösserung leichter verführt. Die Hyperbol schikt sich gar nicht und ist ganz unnatürlich in der Beschreibung gewöhnlicher Dinge; bei einer niederschlagenden Leidenschaft, besonders der Betrübnis; ferner, wenn sie nicht vorbereitet ist; (es müste sie denn der Enthusiasmus der Leidenschaft auch ohne Vorbereitung schiklich machen,) wenn sie nicht in so wenig Worte, als möglich, eingeschlossen ist: ihre natürliche Gränzen aber sind schwer zu bestimmen. –" Seit. 193.
 
 
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4) Von der Figur, die bei Gegenständen, welche in Verhältnissen stehen, die Eigenschaften des einen dem andern mittheilt. - -
 
 
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"Diese benante Figur haben die Kunstrichter nicht bemerkt, sie hat also auch noch keinen Namen. Beispiele davon sind, schwindliches Ufer, frölicher Wein, Kühne Wunde u.s.w. Die Seele geht in einer Reihe verbundner Gegenstände, z. E. der Ursach und Wirkung, des Ganzen und seiner Theile und umgekehrt, sanft fort, und ist geneigt, die Eigenschaften des einen auf den andern mit fortzurükken, besonders, wenn sie durch diese Eigenschaften einigermassen erhizt wird. Aus dieser Quelle entsteht gegenwärtige Figur, welche eine Folge von der Volkommenheit einer Sprache ist, die auch den flüchtigen Hängen und feinern Gefühlen Ausdruk geben kan. – –" Seit. 194.
 
 
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5) Von der Metapher und der Allegorie.
 
 
  Ia-02-1778-0410
"Eine Metapher ist von einem Gleichnisse nur in der Form, nicht im Wesen verschieden. Im Gleichnisse werden zwei Subjekte einander gegen über gestelt; in der Metapher wird eins in das Bild und den Ausdruk des andern gekleidet. Das Vergnügen, das sie uns giebt, liegt in der Ähnlichkeit beider Gedanken, und in dem neuen doch passenden Namen und Ausdrukke, der dem einen Gedanken, von dem andern entlehnt, ertheilet wird. Die Allegorie ist von der Metapher darin unterschieden, daß sie nicht ein Ding unter
 
 
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dem Bilde des andern vorstelt; sondern ein Subjekt nach seinen Eigenschaften und Umständen beschreibt, welche den Eigenschaften und Umständen des Hauptsubjekts ähnlich sind, und dieselben vorstellen sollen. Das Hauptsubjekt wird auf diese Weise entfernt gehalten; man überläst dem Leser, es durch Nachdenken zu entdekken, den diese Entdekkung ergözt, weil sie sein eigen Werk ist. Mit einem Worte, die Allegorie ist in jeder Absicht der hieroglyphischen Mahlerei ähnlich, mit dem einzigen Unterschiede, daß sie stat der Farben Worte *...* braucht. Ihre Wirkungen sind völlig dieselben. – Von Lange Allegorien geben niemals ein dauerhaftes Vergnügen, weil man die Bedeutung des Ganzen nicht lebhaft übersehen, und die Bedeutung ihrer einzelnen Theile nicht behalten kan. – Es giebt nichts mehr Vergnügen, als die Allegorie, wenn das vorstellende Subjekt in allen seinen Umständen demjenigen, das vorgestelt wird, analogisch ist. Zugleich aber behauptet der V. (Home) auch mit Grunde; daß man selten eine so glükliche Wahl treffe, sondern die Analogie meistens so schwach und dunkel sei, daß sie mehr verwirre als ergözze. Dahero ist die Allegorie in der Mahlerei noch schwerer als in der Poesie; denn jene kan nur solche Ähnlichkeiten zeigen, die ins Auge fallen, da diese weit mehr Mittel hat, die Ähnlichkeit zu zeigen. Ferner, ist die Mischung des Historischen und der Allegorie in der Mahlerei ganz unerträglich; es bringt eine Mishelligkeit in den Theilen hervor, und wirft eine Dunkelheit aufs Ganze. Und diese Mischung tadelt der V. an der Geschichte der Maria von Medicis, die Rubens im Luxenburg zu Paris gemahlt. darin Die historische Wahrheit leidet so sehr von dieser Einmischung der Allegorie, daß man immer gestört wird, diese mit so starken Farben, von Rubens geschriebene Geschichte mit ihrem Zusammenhange zu lesen, und das interessante derselben mit seiner ganzen Aufmerksamkeit zu fassen. – –" Seit. 194. 195. 196.
 
 
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  Ia-02-1778-0411
6) Etliche Bemerkungen bei den Erzählungen und Beschreibungen.
 
 
  Ia-02-1778-0412
"In der Erzählung und Beschreibung müssen dem Leser solche volständige Bilder gegeben werden, daß er sich selbst vergist, und durch ein Bezauberung an den Ort selbst, und in die Zeit der Begebenheit versezt, und gleichsam in einen Zuschauer verwandelt wird, unter dessen Augen die ganze Sache vorgeht. Daher mus der erzählende Theil eines epischen Gedichts in der Lebhaftigkeit und Richtigkeit seiner Schilderungen mit der Mahlerei weteifern; u.s.w. Voltairens Henriade fehlt gewaltig wider diese Regel. Jeder Vorfal wird nur überhaupt berührt, ohne daß sich der Dichter jemals in die Umstände einläst. Diese Manier ist in einer algemeinen Geschichte gut, aber in einer Fabel, die einen ganz andern Endzwek hat, ist sie frostig und uninteressant. Oft thut ein einzelner, glüklich gewählter Umstand mehr Wirkung, als die mühsamste Beschreibung. – Einen Karakter zu zeichnen, ist das Meisterstük der Beschreibung. –– Der Ton des Ausdruks in der Beschreibung mus dem Subjekt gemäs gestimt sein; das erhabene erhaben, das gemeine gemein, das ernsthafte und wichtige simpel und nervigt u.s.w. ausgedrukt werden. – Skribenten von der niedrigern Klasse ruhen nie von der Anstrengung, ihr Subjekt durch Vergrösserungen und Superlative zu vergrössern und zu beleben. Zum Unglük verleiten sie den Leser durch den Kontrast dieses überspanten Tons mit dem Subjekt, noch schlechter von dem Subjekt zu denken, als es verdienen mag. Als schlechte Wirthe erschöpfen sie überdem ihren Vorrath, daß sie für wichtige Dinge keinen Nachdruk übrig behalten. ( Wie wahr und wie lehrreich ist diese Anmerkung für unsre Dichter und beinahe für
 
 
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alle unsre Redner! ) – Skribenten von Genie wissen, daß es der beste Zugang zum Herzen ist, den Leser zum Augenzeugen zu machen. Sie stellen daher jedes Ding so vor, als ob es vor unsern Augen vorgienge; sie machen alles dramatisch und individuel, und verwandeln den Leser in einen Zuschauer. ––" Seit. 197. 198. 199.
 
 
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XVIII.
 
 
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Algemeine deutsche Bibliothek. Des vierten Bandes zweites Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1769.
 
 
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1) Von der symbolischen Erkentnis.
 
 
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"Den vornehmsten Nuzzen der Zeichen sezt Hr. Lambert darin, daß wir es vermittelst derselben in unserer Gewalt haben, die Begriffe in Abwesenheit der Gegenstände zu erneuern und zum Theil aufzuklären, wodurch die Zeichenerkentnis ein unentbehrliches Hülfsmittel zum Denken wird. Wir bedienen uns der Bewegungen des Leibes, der Figuren oder Zeichnungen, und der artikulirten Töne, um unsre Gedanken auszudrükken, weil die Empfindungen dieser Art von Zeichen am leichtesten von uns erneuert werden können. Wir haben Gebärden, Hieroglyphen, Buchstaben und vernehmliche Töne, dadurch wir unsre Begriffe nicht *...* nur andeuten; sondern uns selbst erinnerlich machen und aufklären, und erhält der Schal und die Rede vor allen übrigen Zeichen in keiner andern Absicht den Vorzug, als weil die Empfindung derselben zu allen Zeiten leicht, hurtig und vernemlich erneuert werden kan. Die symbolische Erkentnis machet sich auch von einer andern Seite zum Denken nothwendig, weil alle algemeine und abstrakte Begriffe nicht empfunden, und also nicht anders, als durch Zeichen gedacht werden.
 
 
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können. – Die Zeichen sind entweder natürlich oder wilkührlich. – Die Wurzelwörter der Sprachen sind fast alle wilkührlich, weil gar nicht auf die Ähnlichkeit des Eindruks der Zeichen und des Bezeichneten gesehen worden. Jedoch merkt hier Lambert von der Metapher an, daß sie den natürlichen Zeichen schon näher komme, wenn nämlich die eigene Bedeutung vorausgesezt wird, weil in diesem Falle, die dadurch benenten Dinge einige Ähnlichkeit haben, und die metaphorische Bedeutung des Worts sich auf diese Ähnlichkeit gründet. Eine ähnliche Beschaffenheit hat es mit vielen abgeleiteten und zusammengesezten Wörtern. Die Zeichen der Begriffe und Dinge sind wissenschaftlich, wenn sie so genau mit den bezeichneten Sachen übereinkommen, daß die Theorie der Sache und die Theorie ihrer Zeichen mit einander verwechselt werden können, das heist, wenn aus der Betrachtung der Zeichen, in Absicht auf das, was wir zu wissen verlangen, eben das erfolget, was aus der Betrachtung der Sache selbst erfolget sein würde. In diesem Falle wird das Denken ungemein erleichtert, wenn wir von der Sache selbst abstrahiren, und unsere Aufmerksamkeit auf die Begriffe der Zeichen einschränken. Nach diesem sehr fruchtbaren Begriffe von wissenschaftlichen Zeichen beurtheilt H. L. die Arten von Zeichen, die in verschiednen Künsten und Wissenschaften eingeführt sind. Von den Noten in der Musik sagt er, daß sie vielbedeutend sind, aber den Fehler haben, daß aus blosser Betrachtung der Zeichen, ohne Rüksicht auf die Regeln der Komposition, das Gute vom Fehlerhaften nicht unterschieden werden kan. Von der Choreographie des Feuillet bemerkt er fast das nämliche, jedoch findet er die Zeichen derselben natürlicher, und das Wilkührliche etwas mehr eingeschränkt, als bei den Noten in der Musik. – Die Wörter Barbara, Celarent u.s.w. sind ihm, wie schon Kästner irgendwo erinnert, weniger wissenschaftlich, als die Namen der Winde, deren sich die Schiffer bedienen. Hingegen sagt er von der von ihm erfundenen Bezeichnung der Schlüsse, sie sei in dem strengsten Verstande wissenschaftlich, weil die blosse Betrachtung der
 
 
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Zeichen die Unmöglichkeit unzulässiger Schlüsse angiebt, indem dieselben gar nicht gezeichnet werden können, bei den zulässigen Schlüssen hingegen, alle Folgerungen, die aus den Vordersäzzen grade und umgekehrt gezogen werden können, mit einem male vor Augen st**llt stelt. Daher die Theorie der Zeichen alhier volkommen anstat der Theorie der Sachen dienen kan.
 
 
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Die Algeber ist das volkommenste Muster der Karakteristik. Sie hat als Zeichenkunst ihre eigene Theorie, die man niemals weit genug wird treiben können. Wird aber eine Aufgabe aus andern Wissenschaften auf die Algeber reducirt, so kan man von denselben ganz abstrahiren, und die Auflösung der algebraischen Aufgabe ist zugleich auch die Auflösung von derjenigen, die man auf die algebraische reducirt hat. Zwar haben die primitiven Zeichen der Algeber viel Wilkührliches. Die Buchstaben als Zeichen der Grössen noch mehr als die Zeichen + – < > V wodurch Verbindungen und Verhältnisse ausgdrukt werden. Auch läst sich aus der blossen Natur der Zeichen keine Regel folgern, wie sie verbunden, versezt und verwandelt werden müssen, sondern man mus die Theorie der Grössen zu Hülfe nehmen, und durch dieselben die algemeinen Möglichkeiten der Operationen festsezzen. Ferner ist der Ort in der Algeber nicht allezeit bedeutend, obgleich in gewissen Fällen darauf gesehen worden. Wenn aber die einfachen Möglichkeiten, als Postulata der Grössenlehre festgesezt sind; so kan man durch Anwendung und Verbindung derselben mit den Zeichen der Grössen die zusammengesezten Möglichkeiten herausbringen, und bestimmen, wie weit sie reichen, welche Verhältnisse sie haben, und wie sie sich in einander verwandeln lassen. Sie hat auch den Vorzug, daß sie nicht nur antwortet, was gefragt wird, sondern wenn die Frage mehrere Antworten leidet; so giebt sie alle zugleich an. Sie zeiget ferner, ob die Data hinreichend, mangelhaft, überflüssig oder widersprechend sind. – –" Seit. 1. 2. 3. 4. 5.
 
 
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2) Von der Sprache als Zeichen betrachtet.
 
 
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"In einer volkommen wissenschaftlichen Sprache würde alles, bis auf die Buchstaben und ihre Ordnung bedeutend sein. Man würde mit Bezeichnung der algemeinen Begriffe und der einfachsten Figuren anfangen, und zu zusammengeseztern Dingen fortgehen müssen. Am allerspätesten würde man zu Handlungen und Bewegungen der Menschen und zu Bezeichnung der natürlichen Gegenstände kommen. Da diese zwar sehr in die Sinne fallen, aber aus unendlich mannigfaltigen Bestimmungen zusammengesezt sind; so müssen die zu ihrer Andeutung festgesezten Zeichen, wenn uns auch alle diese Bestimmungen bekant wären, von unendlicher Weitläuftigkeit sein, und das Wort z. E. wodurch man Mensch andeutet, die ganze Anatomie, Physiologie und Psychologie enthalten, oder man würde, wie d in der Algebra auf Abkürzungen fallen müssen, die dem Gedächtnisse wiederum viel zu thun machen würden. Die wirklichen Sprachen haben, von Natur und Nothwendigkeit geleitet, den Rükweg genommen. Mit Bezeichnung der in die Sinnen fallenden Gegenstände, als Handlungen und Bewegungen, auch Thiere, Pflanzen und anderer Körper machten sie den Anfang, und gaben ihnen beliebige Namen, als eben soviel abgekürzte Zeichen, zu welchen die wissenschaftliche Sprache doch zulezt hatte kommen müssen. Vom Ganzen giengen sie zu den grössern, und von diesen zu den kleinern Theilen über, und so nahmen die Sprachen zu, wie die Erkentnis erweitert worden.
 
 
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Ob nun gleich die Sprachen auf eine solche Weise nicht völlig wissenschaftlich haben werden können; so sind sie gleichwohl in einigen Stükken dem Wissenschaftlichen ziemlich nahe gekommen. Um bestimt ausdrükken zu können, ohne
 
 
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die Menge der Wörter ins Unendliche zu vervielfältigen, hat man gesucht die Veränderungen und Verwandlungen, denen die Sachen und ihre Begriffe unterworfen sind, ihre algemeine Bestimmungen, Beziehungen und Verhältnisse, zum Theil durch analogische Veränderungen der Worte, (ableiten, zusammensezzen, abändern, abwandeln, vergleichen u.s.w.) zum Theil durch dazu festgesezte besondere Wörter (Beiwörter, Zuwörter, Vorwörter, Zwischenwörter, Bindewörter u.s.w.) anzudeuten. – Von den volkommen wissenschaftlichen Zeichen haben wir gesehen, daß die Theorie derselben mit der Theorie der Sachen, die sie vorstellen, verwechselt werden kan. Von den eingeführten Sprachen, sagt Hr. L. kan man nun verlangen, daß jedes Wort, so viel es seine Struktur zuläst, den Abänderungen der Sache entsprechen solle, obgleich noch allemal viele Veränderungen und Versezzungen in den Worten nach den Regeln der Sprache möglich bleiben werden, denen keine Veränderung der Sache entspricht. Es ist eine Sprache volkommener, je mehr sie Möglichkeiten enthält, aus ihren Wurzelwörtern Wörter von jeder beliebigen Bedeutung zusammenzusezzen und abzuleiten, dergestalt, daß man aus der Struktur des Worts seine Bedeutung verstehen könne. Die deutsche Sprache besizt hierin einen grossen Reichthum. Manche Wörter leiden ungemein viele Ableitungen und Zusammensezzungen. Hr. L. wünscht eine Theorie r die deutsche Sprache, in welcher die Grenzen dieser Möglichkeiten bestimt, und die verschiednen Bedeutungen von, die jeder Art von Zusammensezzung und Ableitung zukomt, durch algemeine Regeln festgesezt werde. Von dieser Theorie verspricht
 
 
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er unsrer Sprache einen Reichthum von bedeutenden, nachdrüklichen und genau bestimmten Worten, weil die wenigsten Wörter durch alle Verwandlungen und Ableitungen, die sie theils ihrer Bildung, theils ihrer Bedeutung nach leiden, durchgeführt sind. Die Ordnung der Sylben, die in einer volkommen wissenschaftlichen Sprache so sehr bedeutend sein müste, ist auch in den üblichen Sprachen nicht ganz unbedeutend gelassen. Im Deutschen sind Rathaus, und Hausrath, Bruchstein und Steinbruch u.s.w. solche Wörter, deren Versezzung die Bedeutung ändert. Ferner die Ableitungstheilchen werden den Wörtern bald vorgesezt, bald angehängt, zwischeneingeschoben, oder ganz abgesondert, und diese Ordnung ist theils an sich, theils dem Sprachgebrauch nach nicht gleichgültig. Wir sagen igkeit, ichheit, lichheit, keitlich, barung, barlich, barkeit, barlichkeit, barschaft, schaftlich, thümlich u.s.w. unver, verun, unab, unum, unzu, verur, einver u.s.w. Die Regeln dieser Ordnung und Verbindung der Ableitungstheilchen sollen gleichfals in vorerwähnter Theorie untersucht werden.
 
 
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Von den abstrakten Wörtern merkt Hr. L. an, daß die Haupt= und Beiwörter, welche abstrakte metaphysische Begriffe vorstellen, sich durch ihnen eigene Endungen unterscheiden. Im Deutschen die Hauptwörter durch Endungen: heit, keit, nis, sal, schaft, thum, ung u.s.w. die Beiwörter durch die Endungen: icht, ig, lei, lich, sam, selig, bar u.s.w. Da hingegen die Zeitwörter, im Deutschen wenigstens, kein so *...* unterscheidendes Merkmal haben, woran man sehen könte, ob sie körperliche Handlungen oder abstrakte vorstellen, woraus Verwirrung und Vieldeutigkeit entspringen mus; indem die abstrakten Zeitwörter fast durchgehends von den körperlichen entlehnt sind, z. E. verstehen, begreifen, fassen, einsehen u.s.w. ––" Seit. 5. 6. 7. 8. 9.
 
 
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3) Von den Bindewörtern.
 
 
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"Die Bindewörter sind Meisterstükke der Sprache, weil sie auf eine sehr kurze Art der Rede Verstand, Bestimmung und Zusammenhang geben. Sie geben den Gesichtspunkt an, aus welchem ein Saz in Absicht auf das Vorhergehende und Nachfolgende mus betrachtet werden, ob er ein Grund, Beweis, Folge, Erläuterung, Ausnahme, Hindernis, Nebenumstand, Zusaz, Mittelglied zum Schlusse, Einwurf, Gegensaz, Fortsezzung, Anmerkung, Absicht, Endzwek, Bedingung, Trennung, Verknüpfung u.s.w. sei. Sie thun in der gemeinen Rede den Dienst, den in dem Vortrage der Mathematiker die Benennungen der Säzze verrichten. Denn die Mathematiker haben für ihre Säzze besondere Namen, als Erklärung, Grundsaz, Forderung, Lehrsaz, Lehnsaz, Beweis, Zusaz, Aufgabe, Auflösung, Anmerkung u.s.w., wodurch sie anzeigen, was der Saz ist, wozu er dient, woher er genommen ist, in welcher Verbindung er mit dem Vorhergehenden, oder mit dem folgenden steht, was zu seinem Behufe erfordert wird, u.s.w."– Seit. 13.
 
 
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4) Von der Wahrscheinlichkeit.
 
 
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"Ein Wahrheitsgrund, der den Saz nicht völlig ausser Zweifel sezt; sondern noch immer für das Gegentheil Möglichkeit übrig läst, ist ein Argument. Wenn Argumente zum Besten eines Sazzes gehäuft werden, wie in einem rednerischen Vortrage geschieht; so werden wir überredet, den Saz für wahr zu halten, ob wir gleich nicht völlig überführt sind, daß durch diese alle diese Argumente zusammengenommen, das Gegentheil unmöglich wird. – Man nent dieses die moralische Gewisheit. – Indessen giebt es Fälle, wo man diese Argumente nur auseinander zu lesen, und in Ordnung zu bringen hat; um die moralische Gewisheit in eine geometrische zu
 
 
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verwandeln. Denn öfters sind in einem solchen unlogischen Vortrage die Argumente in zureichender, oder wohl gar in überflüssiger Menge vorhanden, und blos der Mangel der gehörigen Forme und Ordnung macht, daß wir ihre Volständigkeit nicht einsehen, und ungewis sind.
 
 
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Läst sich aber aus allen diesen Argumenten keine volständige Demonstration herausbringen; so ist der Saz nur wahrscheinlich, und zwar ist die Wahrscheinlichkeit desto grösser, je mehr von einander unabhängige Argumente zu seiner Bestätigung beigebracht werden, denn die voneinander abhängen, tragen zur Wahrmachung des Sazzes nichts bei. – Man kan die Wahrscheinlichkeit eines Sazzes durch einen Bruch neben dem Bindewörtgen ausdrükken; und dadurch zugleich den Grad der Wahrscheinlichkeit andeuten. A 3/4 ist B, A 1/4 ist nicht B, wil sagen, der Grad der Wahrscheinlichkeit, daß A B sei, verhält sich zur Gewisheit, wie 3 zu 4, der Wahrscheinlichkeit aber, daß A nicht nicht B sei, verhält sich zur Gewisheit, wie eins zu vier.
 
 
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Wenn der Obersaz von einer bestimten Partikularität ist, z. E. 3/4 A ist B (dieser Saz ist nicht wahrscheinlich, sonst müste der Bruch vor dem Bindwörtgen und nicht vor dem Subjekt stehen. Vielmehr zeigt er auf eine bestimte Art an, daß von allen A immer drei B und eins nicht B ist ); so verursacht diese Partikularität eine Wahrscheinlichkeit im Schlussazze.
 
 
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3/4 A sind B
 
 
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C ist A
 
 
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folglich C 3/4 ist B.
 
 
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Das heist weil unter allen A immer drei B sind, gegen einem das nicht B ist, wir aber von C wissen, daß es unter A gehöre; so ist dreimal wahrscheinlicher, daß C auch B ist, als daß es nicht B sein solte, mithin der Grad der Wahrscheinlichkeit
 
 
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zur Gewisheit, wie 3 zu 4. Öfters rührt die Wahrscheinlichkeit des Schlussazzes von dem Untersazze her, nämlich wenn wir von dem Untersazende nur so viel wissen, daß ihm einige Merkmale des Mittelglieds zukommen, von den übrigen aber es noch ungewis ist. Es sein z.B. M N P Z die Merkmale des Begrifs A, von C aber wissen wir nur, daß ihm M N P zukomme, von Z aber wisse man es nicht; wenn nun
 
 
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Alle M N P Z (=A) sind
 
 
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C ist M N P
 
 
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so verhält sich die Wahrscheinlichkeit, daß C, A sei, zur Gewisheit, wie M N P: M N P Z. Sezzet alle
 
 
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Alle A sind B
 
 
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C ist 2/3 A,
 
 
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also C 2/3 ist B.
 
 
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Aus diesen beiden einfachen Arten von wahrscheinlichen Schlüssen läst sich leicht eine dritte zusammensezzen. Sie wird so ausfallen:
 
 
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¾ A sind B
 
 
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C ist 2/3 A
 
 
  Ia-02-1778-0441
folglich C 1/2 ist B.
 
 
  Ia-02-1778-0442
C ist 2/3 A
 
 
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Hr. L. verfolget diese Theorie durch alle Schlusfiguren, allein wir brechen hier ab. –" Seit. 25. 26. 27. 28.
 
 
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5) Vom Glauben.
 
 
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"Der V. gehört zu denen, die die verschiedne Bedeutungen des Worts glauben in dem N. T. nicht unterscheiden, den Glauben subjektivisch genommen, den Werken immer entgegenstellen; rechtschaffene Gesinnungen und Handlungen der Gotseeligkeit und Tugend mit äusserlichen Beobachtungen des Gesezzes und den sogenanten operibus operatis verwechseln; Paullum und Jakobum in der Lehre von dem Glauben und den guten
 
 
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Werken nicht genug vergleichen, und den ersten über seine wahre Meinung in den Briefen an die Römer und Galater nimmermehr verstehen wollen. Der Glaube subjektivisch erwogen, oder die zuversichtliche Überzeugung von der Wahrheit des Evangeliums wirkt unmittelbar Gotseeligkeit und Tugend, und diese so wesentlich dazu, daß wenn wir uns in der Erkentnis des Christenthums nicht mit leeren Wortspielen und unnüzzen Subtilitäten, in Absonderung der Begriffe aufhalten wollen, wir das eine von dem andern niemals trennen müssen, oder wir reden ohne zu denken und verstehen Paullum nicht. Eine aus Überzeugung von der christlichen Wahrheit entspringende Befolgung derselben in der Gotseligkeit und Tugend, macht nach dem wahren Verstande der h. Schrift und der einstimmigen Erklärung der Gottesgelehrten selbst, den lebendigen, thätigen Glauben eines Christen aus, und der ist die Bedingung zur Seeligkeit für alle Menschen, denen das Evangelium geoffenbart worden. Äusserliche Cäremonien, Beschneidung, Fasten, Opfer, Fasttäge und dergleichen, worauf die Israeliten im A. T. einen so grossen Werth legten; Dinge, welche die aus dem Judenthum bekehrten Christen in den Gemeinden zu Rom und Galatien, neben der gläubigen Annehmung des Evangeliums auch noch für nothwendig zu Seeligkeit hielten und den Heiden aufdringen wolten; Wahlfahrten, Kasteiungen, Mönchsgelübde, die man in der verderbten christlichen Kirche als verdienstliche Werke ansahe, oder was sich sonst der Aberglauben und die Andächtelei der Menschen in dieser Art, zur Genugthuung für ihre unmoralischen Gesinnungen und Handlungen erdichten mag, die fordert Gott freilich nicht von dem Menschen, und die werden uns nie
 
 
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zur Gemeinschaft mit ihm führen. Aber ein gebessertes Herz, eigne tugendhafte Handlungen, die aus Überzeugung und Annehmung der evangelischen Wahrheit mit freiwilliger Entschliessung verrichtet werden, fordert Gott schlechterdings und unter Bedingung der Glükseeligkeit von dem Menschen, und wenn sie ihm noch so viel Schwierigkeiten *...* Mühe und Überwindung kosten solten, die sie der menschlichen Natur auch wirklich kosten. Wer das läugnet, mus der h. Schrift gerade widersprechen. –" Seit. 103. 104. 105.
 
 
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6) Von dem Ausdrukke "Gott wohnt in einem Frommen".
 
 
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"Gott sol nach seinem Wesen – wir irren uns doch nicht, wenn wir glauben, daß der V. das Wort im metaphysischen Verstande nehme?– in dem Menschen wohnen: das denke sich einer einmal, ohne zugleich den Irthum davon einzusehen. Wenn das ?at????sa? t?? ???st?? d?? t?? p?ste?? ?? ta?? ?a?*?** ?a?d?a?? ?µ?? Eph. 3,17. etwas anders heissen sol, als die Epheser solten ihre Herzen durch die Wahrheit des christlichen Glaubens regieren lassen und die Gesinnungen Christi annehmen; wenn die Rede Jesu Joh. 14, 23. wo er von denen spricht, die ihn und seinen Vater liebten, nicht anzeigen sol: wir werden uns ihm offenbaren, und ihm durch Mittheilung ausserordentlicher Gaben noch näher bekant machen, wie der Heiland es V. 21. durch ?µfa??s? ??t? ?µa?t?? selbst erklärt; und wenn die Redensart des Paullus 1 Kor. 3, 16. was anders bedeuten sol, als: habt ihr nicht an den ausserordentlichen Gaben des h. Geistes, die euch mitgetheilt sind, und fortwähren, einen sichern Beweis, daß ihr Gott angehört, daß er sein Werk unter euch habe, und eure Gemeinde gleichsam als sein Tempel und seine Wohnung anzusehen sei? Wenn dies nicht der
 
 
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Verstand dieser Stellen ist, so sage man in aller Welt was sie vernünftiger Weise anzeigen sollen. Das unendliche Wesen Gottes sol sich dem Wesen des Menschen, einem jeden Gläubigen kommuniziren, wo bleibt bei dieser Vorstellung die gesunde Vernunft? Der V. weis ohnstreitig, daß der Geist Gottes in den ersten Gläubigen die von ihm empfangenen Wundergaben waren, folglich Wirkungen der götlichen Kraft, aber nicht das götliche Wesen selbst? Er mus es nur vergessen haben, daß die Redensarten der angeführten Schriftstellen im A. und N. T.ufig vorkommen und es nichts ungewöhnliches sei, daß caussa pro effectu gesezt werde? wir bedienen uns ja sogar in unserer deutschen Sprache ähnlicher Ausdrükke. Wenn man z. E. sagt, der ganze Geist des Vaters wohnt im Sohne, wil man damit was anders anzeigen, als: der Sohn hat ganz die Gaben, Neigungen und Gesinnungen des Vaters? Der Widerspruch, daß das unendliche Wesen in einer gläubigen Seele anzutreffen sei, verdient keine weitere Widerlegung."– Seit. 107. 108.
 
 
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XIX.
 
 
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Algemeine deutsche Bibliothek. Des fünften Bandes erstes Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1967.
 
 
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1)
 
 
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Was wäre der Mensch – wenn er nicht unsterblich ist?
"Wahrhaftig! ward die Seele, um so, wie ihr Gebein,
die irdische Behausung, bald wieder nichts zu sein;
So ist das Laster gut, so seid ihr Weise! Thoren,
Und Tugend ist ein Traum, von Aberwiz geboren;
So ist der Prasser weise, der blos für sich die Welt,
Und sich zum Gözzendieste des Bauchs erschaffen hält.
In Lappen eingehült, die nicht vor Kälte dekken,
Nicht vor dem Sonnenbrand; der Weichlichkeit ein Schrekken,
 
 
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Ein sterbendes Gerippe, verfallen, zitternd, schwach,
Kriecht Irus hier am Stabe, – der Ekkel kriecht ihm nach!–
Hat nicht, womit er eins den heissen Hunger pflege,
Hat nicht, worauf zur Ruh, sein Haupt sich niederlege;
Nachdem er, Lebensmüde, von Thür zu Thüre gieng,
Um einen kargen Bissen, den oft der Hund empfieng.
Er hat nicht einen Freund, der ihm ein Trostwort rede.
Ihn kent der Bruder nicht: die Welt ist für ihn öde:
Wes hat er sich zu trösten? Der Frömmigkeit allein?
Wenn er ein Sünder wäre, er könte glüklich sein.
Und sol denn dieser Man zum Leiden auf der Erden
Verdamt durch Tugend sein, und nie belohnet werden?
Hat dazu Gott erschaffen; so war er ungerecht:
Domitian war Kaiser, und Epiktet ein Knecht.
Der Fromme leidet Noth, und Wollust tränkt den Frechen:
Was Tugend haben sol, empfänget das Verbrechen;
Der Hochmuth eines Fürsten macht Millionen blos,
Und wenn Änäus (Seneka) blutet, wird Tigellinus gros;
Ein Böser erndtet ein, was ihm der Akker bringet,
denn hundert Redliche mit ihrem Schweis gedünget.
Kan Gott das menschliche Geschlecht zu dieser Hofnungslosen
Qual erschaffen haben?
Entsezlicher Gedank, ein Quäler seiner Kinder!
Wer keinen Gott erkennt, der sündigt zehnmal minder. ––"
Seit. 8. 9.
 
 
  Ia-02-1778-0452
2)
 
 
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Werde Mensch!
"Doch bleibest du (Vernunft) hier stehn? War dies die Gränze? Nein!
Die du zu Bürgern machst, ach! lehr sie, Menschen sein;
Gehorsam, ohne Zwang gebietender Gesezze,
Erhaben ohne Stand, begütert ohne Schäzze,
 
 
Manuskriptseite 244.
 
   
Friedfertig ohne Furcht, treu sonder Eigennuz,
Und sonder Arzt gesund, und ohne Schwerd in Schuz,
Dienstfertig, brüderlich, als Bürger Einer Erden,
Geschöpfe Eines Gottes; lehr sie, vernünftig werden!–––
Seit. 11.
 
 
  Ia-02-1778-0454
3) Von der Redensart "welches Tages du davon ist, solst du des Todes sterben."
 
 
  Ia-02-1778-0455
"Hr. Z. wil beweisen, daß Gott die Sünde des ersten Menschen mit dem zeitlichen, geistlichen und ewigen Tode, an ihm und allen seinen Nachkommen bestraft habe. Nur zwei Schriftstellen fand er, worauf er seinen Beweis gründen konte; nämlich 1 B. Mos. 2, 17. und Röm. 5, 12.f. – Der Beweis aus der ersten Stelle. – Das Wort $$$ (welches Tages) z** zeigt an, daß die Drohung am Tage der Übertretung in Erfüllung gehen muste. Adam muste an dem Tage sterben. Er ist aber nicht den zeitlichen, nicht den ewigen Tod gest an dem Tage gestorben; er mus also den geistlichen Tod erfahren haben. Aus diesem ist hernach der zeitliche, und ewige erfolgt. Die Redensart des Todes sterben; schliest folglich den geistlichen, zeitlichen und ewigen Tod in sich. Dieser Beweis wird vom V. selbst so bestimt. – Es kömt hierbei auf zwei Fragen an: Bedeutet $$$ schlechterdings die Erfüllung der Drohung noch am Tage der Übertretung? Und wenn sie es bedeutet; mus die R.A. des Todes sterben, in dreifachen Verstande genommen werden?
 
 
  Ia-02-1778-0456
Auf die erste Frage: Bedeutet das hebräische Wort, welches Tages, schlechterdings den Tag der Übertretung? Nein, sagt der Recensent, es bedeutet auch wenn, oder nichts anders als wenn. Hr Z. samlet alle Stellen der Schrift,
 
 
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wo dieses Wort vorkömt, aber nach aller angewandten Mühe mus er doch zugeben, daß es wenn, zu der Zeit, da, bedeuten könne, ohne das Gesagte allemal an einen einzigen Tag zu binden. Und jeder uneingenommene Leser wird auch von allen diesen Stellen den natürlichsten Sin finden, wenn er sich bei dem Wort $$$ eine Bedingung der Zeit oder der Umstände gedenkt. – So fält nun die ganze Kraft des Beweises hin. –
 
 
  Ia-02-1778-0457
Auf die zweite Frage: "Aber dieser Ausdruk könte doch wenigstens die Erfüllung der götlichen Drohung an dem Tage der Versündigung binden." Es sei drum. Muste sie denn um dieser Möglichkeit willen auch erfolgen? "Allein so hätte Gott zweideutig geredt, und würde nach seiner Weisheit ein andres hebräisches Wort gewählt haben." Weis man denn, daß Gott mit dem Adam hebräisch gesprochen? Doch wir wollen uns bei diesen Kleinigkeiten nicht aufhalten. Gesezt einmal; Adam habe es so verstanden, daß er noch eben an eben dem Tage sterben würde, muste er denn die R.A.: des Todes sterben; von einem leiblichen, geistlichen und ewigen Tode verstehen? Diese Redensart bedeutet ihrer Natur nach ein Aufhören des Lebens. In der h. Schrift bedeutet sie eben das, z. E. 1. B. Mos. 20, 7. B.: der Richter 13, 22. 1 Sam. 14,44. u. a. Woher verstand es Adam, daß sie in dieser Drohung nicht allein das Aufhören des leiblichen Lebens, sondern auch das gänzliche Unvermögen zum Guten, und die ewige Dauer peinlicher Strafen bedeuten solle? "Durch das anerschafne götliche Bild ist er dazu im Stande gewesen." So? das hat ihn also in den Stand gesezt, sich bei der R.A. etwas zu denken, was nicht drinnen liegt, und worauf ihn die Bedeutung des Worts, welches Tages, auch nicht führt? Gott müste es ihm ausserordentlich geoffenbart haben, und wer hat die Nachricht davon ausser der Schrift? In der That, man solte das Ebenbild Gottes nicht so misbrauchen, um einem seichten Argument zur Schuzwehr zu dienen: Das heist die Begriffe des Christen vom Ebenbilde Gottes mehr verwirren, als aufklären. – Daß Paullus einige tausend Jahr nach dem Adam das geistliche Unvermögen unter
 
 
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dem nachdrüklichen Bilde des Todes vorgestelt hat, daraus folgt ja nicht, daß Adam sich dies Unvermögen auch unter dem Bilde des Todes, und als eine Strafe von Gott, vorstellen müsse. Paullus konte ihm diesen Namen auch nicht geben, zur Sache thut es nichts, das geistliche Unvermögen blieb doch, was es war. Er redet auch nicht davon, als von einer Strafe Gottes; und konte auch nicht, wie ich hernach zeigen werde: wie solte sich es Adam als eine Strafe vorstellen? –
 
 
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Es erhellet also weder aus dem Sprachgebrauch der R.A. des Todes sterben, noch aus der Bedeutung des Worts, welches Tages, noch aus der Erfüllung der Drohung Gottes, noch aus einer dabei angedeuteten götlichen Absicht; daß Gott den ersten erst Eltern für ihre Sünde den zeitlichen, geistlichen und ewigen Tod angedrohet habe. Wenn es nun dem Adam nicht gegolten hat, warum solte es seinen Nachkommen gelten?–" Seit. 88. 89. 90. 91. 92.
 
 
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"Die zweite Stelle, Röm. 5, 12. f. - entscheidet noch weniger. – D** Der Apostel hat hier an den geistlichen Tod gar nicht gedacht, wie es aus dem Zusammenhange erhellet. Und den geistlichen Tod kan man gar nicht als eine Strafe der Sünden ansehen. Man nehme die Sünde Adams noch so gros an, so widersteht es allen unsern Begriffen von Gott, und es ist ungeheuer zu denken, daß es ihm Gott zur Strafe gesezt haben solte: du solst nun nie wieder vermögend werden sein, gutes zu thun; deine Natur sol nun so verderbt sein, daß du nichts anders thun kanst, als sündigen. Würde ein Vater wohl dem ungezogensten Kinde die Strafe drohen? Ich wil dich ganz ausser Stand sezzen, jemals eine gute, mir wohlgefällige That zu thun. Würde wohl ein König rebellischen Unterthanen zur Strafe diktiren? Ich wil euch in solche Umstände sezzen, daß ihr zeitlebens ** rebelliren müst? Und der heilige Gott
 
 
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der allein wil, was gut ist; dem so viel daran gelegen ist, das die Menschen gut sein sollen; der durch Schrift und Natur auch das kleinste Fünklein zum Guten erwekt, nährt und erhält, und es nach seiner Heiligkeit nicht anders thun kan: der solte die erste Sünde Adams mit der Strafe bedrohet haben, daß nicht allein er, sondern auch alle seine Nachkommen ganz untüchtig und tod zum Guten sein solten? Und wie? Natürlicher Weise konte doch Adam durch seine Übertretung nicht sogleich alle Erkentnis des Guten, alle gute Empfindungen, die Gott ihm eingepflanzt, alle heilige Neigungen, die er in seiner Unschuld gefast hatte, verlieren. Das ist unmöglich. Gott hätte sie also, noch an dem Tage, und durch ein Wunder, selbst in seiner Seele ausgelöscht, vertilgt, so vertilgt, daß keine Spur davon übrig geblieben, und er keine andere als böse und gotlose Grundsäzze auf seine Nachkommen fortpflanzen können? Schändlich wäre es, so von Gott zu denken, so lange wir ihn für heilig halten. Und die Schrift, die uns so ehrwürdige Begriffe von Gottes Heiligkeit giebt, gebeut uns auch nirgends, so von ihm zu denken?– Aber sie redet doch an einigen Orten vom geistlichen Tode? Ja, aber nicht, als ob Gott das menschliche Geschlecht damit bestrafet hätte. Wie ist er nun aber in die Welt gekommen? Er ist ein Übel, das sich mit der ersten Sünde Adams angefangen hat, und eine sukzessive natürliche Folge der Sünde ist; ein Übel, das sukzessive durch fortgesezte Sünden unter den Menschen angewachsen, bis es endlich bei vernachlässigtem Unterricht, durch die Gewohnheit zu sündigen, u.s.w. zu einem solchen Grade der Fühllosigkeit gegen alles Gute gestiegen, daß es den Namen eines geistlichen Todes verdient hat. Durch eine Sünde wird der Mensch nicht geistlich tod; es gehören wiederholte Sünden dazu; die Gewohnheit, das Wohlgefallen daran, das Gefühl ihrer Bedürfnis, u.s.w. tödet endlich. Adam ist nie geistlich tod gewesen, der noch dazu auch nach dem Fal Gottes Unterricht genossen hat; seine Nachkommen sind es bei immer mehr einreissendem Verderben geworden: und wer ist es ganz in dem strengen Verstande gewesen, den die ganze Ausdehnung des metaphorischen Ausdruks tod mit sich führt? Vielleicht die Kaffern, die Kannibalen, die Grönländer, und die ihnen ähnlich sind. – – – –" Seit. 97. 96. 99.
 
 
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XX.
 
 
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Algemeine deutsche Bibliothek. Des fünften Bandes zweites Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1767.
 
 
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1) Von den ersten Christen.
 
 
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"Solange man in der ersten Christenheit blos bei der heiligen Schrift blieb und darnach lehrte und lebte; so lange man die eigentlichen Glaubenspunkte der evangelischen Lehre auf so wenige, als das sogenante apostolische Glaubensbekäntnis enthält, einschränkte; sich übrigens in der Moral, worüber nie im Ernst Streit entstehen kan, an das klare Wort Gottes hielte, und mehr wider Lehren, die die Sitten verderben, als wider die ärgsten Kezzereien eiferte: so lange gieng alles gut, das Wesentliche der christlichen Religion blieb auf seinen einzigen rechten Grund gebaut, man trug sich bei mancher anderweitigen Verschiedenheit der Meinungen in der Liebe, und die Polemik war eine unbekante Sache Wissenschaft. Sobald man aber anfieng in den folgenden Jahrhunderten anfieng über die Bibel nach platonischen Begriffen zu philosophiren, von dem natürlichen und ungezwungenen Sin derselben abzugehen, den Aussprüchen der Kirchenväter eine hohe Autorität beizulegen und die Mode aufkam, nach deren Aussprüchen die heilige Schrift zu erklären; sobald man anfieng aus den Spekulationen in der Theologie das Hauptwerk zu machen, Nebenfragen und ausserwesentliche Punkte des Christenthums unter die Hauptartikel zu rechnen, Systme aufzubauen, Symbola zu verfer
 
 
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tigen, Koncilien zu halten, deren Aussprüche der heiligen Schrift an die Seite zu sezzen, und über das alles quasi pro aris et focis zu streiten: da giengen die Spaltungen an, und es ward überal Krieg in der Kirche. –" Seit. 41.
 
 
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2) Von der Kindheit der Welt.
 
 
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"Der V. hat Recht, daß er es der Kindheit der Welt, und der Kindheit des menschlichen Verstandes zuschreibt, daß theils so viel Licht in der Erkentnis Gottes und der feinern Sitlichkeit in den frühern Zeiten der Welt nicht sein können, als heut zu Tage; theils der Gottesdienst um der Fassung der Menschen willen sinlich sein müssen; theils die so viele Jahrhunderte hindurch herschende Unwissenheit und Abgötterei vieler Völker eine natürliche Folge ihres rohen und unausgebildeten Geistes gewesen sei, die sich nur almählig, nachdem ihre bürgerliche Verfassung regelmässiger, ihr Herz durch Künste und Wissenschaften sanfter, und ihr Verstand heller und polirter geworden, habe heben lassen. Und hieraus wird auch die Schiklichkeit des Verhaltens Gottes begreiflicher; daß er eine Familie und ein besonderes Volk erwählt, unter welchen die wahre Erkentnis von ihm erhalten, und nach und nach bei andern ausgebreitet werden solte; daß er dieses Volk durch Gesezze und eigene gottesdienstliche Übungen von andern Völkern unterschieden, gegen alle Vermischung sorgfältig verwahrt, ihre Sinlichkeit gefesselt, und sie, zum Besten des Ganzen, durch ausserordentliche Staatsverfassung regiert habe; daß er endlich so viel Zeit hat hingehen lassen, ehe er die Welt zu dem bessern und geistlichen Unterricht, der durch Jesum Christum an sie gelangen solte, tüchtig befunden. –" Seit. 114. 115.
 
 
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3) Vom Weitläuftigen der Religion.
 
 
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"Nur eine gelehrte Kunst hat die Lehren der christlichen Religion weitläuftig gemacht, und wer könte seelig
 
 
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werden, wenn ein so weitläuftiges Lehrgebäude zum Himmel nöthig wäre? und wie hätte ein Paullus selbiges in so kurzer Zeit ganze heidnische Länder lehren können? Man thut dem Christenthum ungemeinen Schaden damit. –" Seit. 247.
 
 
  Ia-02-1778-0468
XXI.
 
 
  Ia-02-1778-0469
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Erster Band. Zweite verbesserte Auflage. Berlin und Stettin, bei Friedrich Nikolai. 1774.
 
 
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1) Nothankers Glauben.
 
 
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"Er (Nothanker) hatte sich schon in seinen jüngern Tagen durch sorgfältiges Nachdenken überzeugt, daß der Wille Gottes, der unsre jezzige und zukünftige Glükseeligkeit bestimt, wenn auch Gott für gut befunden habe ihn besonders zu offenbaren, dennoch auch nothwendig durch die Vernunft müsse eingesehen werden können, und mit der Vernunft übereinstimmen müsse. Die einzige Offenbarung, die uns etwas ganz unbekantes entdekken könte, worauf die Vernunft nie gefallen sein würde, glaubte er, sei die prophetische Offenbarung von zukünftigen Dingen. –" Seit. 6.
 
 
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2) Toleranz!
 
 
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"Das Bewustsein eigener Schwachheiten gebiert Toleranz, und Toleranz gebiert Liebe. –" Seit. 14.
 
 
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XXII.
 
 
  Ia-02-1778-0475
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Zweiter Band. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai 1775.
 
 
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1) Gespräch des Sebaldus Nothanker mit einem Pietisten.
 
 
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"(Piet.) Ach mein lieber Bruder, die arme menschliche Natur ist ganz verderbt. Wenn wir nicht durch die Gnade ergriffen werden, so sind wir in grund grundlosem unerforschlichem tiefem Verderben.
 
 
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(Sebaldus) Ei, mein Freund, von den Lastern einiger Bösewichter kan man nicht auf die Natur des Menschen überhaupt schliessen. Wir sind von Natur nicht geneigt, wie die wilden Thiere uns anzufallen, sondern in Geselschaft zu leben, und uns zu unterstüzzen.
 
 
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(Pietist.) Ach wir armen Menschen! wie könten wir uns unterstüzzen, wenn uns die Gnade nicht unterstüzte, wie könten wir etwas gutes wirken, wenn es die alleinwirkende Gnade nicht wirkte!
 
 
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(Sebaldus.) Freilich! wir haben alles durch die götliche *...* Gnade. Aber * die Gnade wirkt nicht wie der Keil auf den Kloz. Gott hat die Kräfte der zum Guten in uns selbst gelegt. Er hat uns Verstand und Willen, Neigungen und Leidenschaften gegeben. Er wil, daß wir thätig sein sollen, so viel gutes zu thun, als uns möglich ist. Er hat Würde und Güte in die menschliche Natur gelegt.
 
 
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(Pietist.) O welch ein Selbstbetrug, mein lieber Bruder! rief der Fremde mit einem tiefen Seufzer aus: Wenn wir Gott wohlgefällig werden wollen, so müssen wir nichts als lauter Elend und Unwürdigkeit an uns sehen:
 
 
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Wolt ihr zu Jesu Heerden,
so müst ihr gotlos werden!
 
 
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Das heist, ihr müst die Sünden
Erkennen und empfinden!
wie ein theurer Knecht Gottes singt. Wir müssen an der Gnade hangen, die Gnade alles wirken lassen, der Gnade alles Gute zuschreiben: denn wird die Gnade in uns erst recht gros, wenn wir recht klein, recht unwürdig werden.
 
 
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Wenn wir uns mit den Siechen
Ins Lazreth verkriechen!
Sebaldus zukte die Achseln, und sagte: "Dies sind gesalbte Schalle, die einer verderbten Einbildungskraft heilig scheinen, die aber keinen Sin enthalten. Wir besizzen Kräfte zum Guten. Wer dies läugnen wolte, würde Gottes Schöpfung schänden, der uns so viele Volkommenheiten gegeben hat. Ohne den Einflus einer übernatürlich wirkenden Gnade zu erwarten, können wir Tugenden und edle Thaten ausüben. Oder sind etwa Wohlwollen, Menschenliebe, Freundschaft, Grosmuth, Mitleiden, Dankbarkeit nicht Tugenden?"
 
 
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"Scheintugenden, mein lieber Bruder, weltliche ehrbare Scheintugenden. Mit solchem Betlersmantel, wil der unwidergeborne Mensch, den Ausaz seiner ve natürlich verderbten Natur bedekken. Mit diesen sogenanten Tugenden aber, kan man auf ewig in den Schwefelpfuhl geworfen werden, aus welchem keine Erlösung ist. Dies sind nicht die wahren gotg gotgefälligen Tugenden. Wenn Tugenden nicht aus der Gnade entspringen; so sind sie geschminkte Laster zu nennen."
 
 
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"Wozu sol man so seltsame Benennungen erdenken? Ich vergebe z.B. den Räubern die mich beraubt haben, ich wünsche ihre Besserung. Dies ist so wenig die Wirkung
 
 
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einer übernatürlichen Gnade, daß es viel mehr vielleicht blos nur die Wirkung meines Alters, oder meines Temperaments ist. Ist dies aber Gott deswegen nicht gefällig? Ist es ein Laster?"
 
 
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"Wenn es nicht aus Herzlichkeit zu dem blutigen Versöhner geschiehet, so ist es nichts als ein weltliches Tugendbild, eine nachgemachte Frömmigkeit, bei der man ewig verloren gehen kan!"
 
 
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"Sprechen Sie doch nicht so! Hiemit kan man alten Mütterchen allenfals eine Furcht einjagen, aber man beweiset nichts. Ich habe über diese Sachen reiflich nachgedacht, und ich finde, daß weder eine blutige Versöhnung, noch eine ewige Verdamnis, mit den erhabenen Begriffen, die wir von Gott haben müssen, zusammenstimmen."
 
 
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"Ja! Ja! So geht es! je mehr die Menschen alles durch ihre blosse Vernunft einsehen wollen, destoweniger erkennen Sie ihre angebohrne Blindheit und Finsternis. – Ach lieber Bruder! las dich von der alleinwirkenden Gnade ergreifen! Las dich von der Kraft des Bundesblutes anfassen. Bete herzlich um die Wiedergeburt. Bete daß du bald zum Durchbruch kommen mögest. Liebe, bete, ich wil mit dir beten, lieber Bruder!"
 
 
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Sebaldus sagte sehr kalt: "Ich pflege das Vater unser zu beten, darin steht nichts vom Durchbruche, nichts vom Bundesblute, nichts von der Wiedergeburt und von der allein wirkenden Gnade."
 
 
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Der Pietist schlug die Hände über sein Haupt zusammen, und rief aus: "Welcher Unglaube! welche fleischliche Sicherheit! O betrüge dich nicht Mensch! die Ewigkeit wird kommen, Qual ohne Ende für den Sünder!" –
 
 
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Sebaldus gerieth in Eifer, und fieng an, die Ewigkeit der Höllenstrafen, mit den besten ihm beiwohnenden Gründen, zu widerlegen, aber der Pietist, der sich nie auf Gründe h eingelassen hatte, antwortete nichts, sondern schlug
 
 
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nochmals die Hände über sein Haupt zusammen, hob die Augen gen Himmel, und fieng an, so laut er konte, das Lied "Zu spät ists zu erfahren, was Höl pp." zu singen. Das Lied sang Sebaldus nicht mit, vielmehr zeigte er unter Absingung desselben sichtbare Kenzeichen der Ungeduld. Nach dessen Endigung, gerieht er einige Minuten lang in ein tiefes Nachdenken, und fragte endlich seinen Mitwanderer: "Sind Sie denn also ein Wiedergebohrner?"
 
 
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"Ja, antwortete er, mit sanfter Stimme: das bin ich durch Gottes Gnade. Vor drei Jahren den 11ten September, Nachmittags um 5 Uhr, hatte ich zuerst das seelige innere Gefühl der Gnade, die bei mir zum Durchbruch kam, seitdem habe ich an der Gnade beständig gehangen, bin nie der Gnade sat worden."
 
 
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"Also glauben sie doch gewis ewig seelig zu werden?"
 
 
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"Ach ja! Dessen bin ich gewis:
 
 
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"Denn ich wil stets ein Bienelein
Auf des Lammes Wunden sein
Und fahren so in'n Himmel nein."
"So! Und werden ewige Freude haben, und werden ganz geruhig zusehen, wie Millionen ihrer Nebenmenschen sich beissen, fressen, nagen, sich fluchen und lästern, wie der Tod sie recht plagt ohne Ende. Welcher Gräuel! können Menschen ihre Nebenmenschen so verdammen, und können mit Wohlgefallen von ihrer Verdammung ein feierliches Lied singen."
 
 
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Der Pietist lächelte, und sagte mit sanfter Stimme: "Da sieht man den natürlichen Menschen! Ich verdamme sie ja nicht, sondern (er lächelte nochmals) die Bibel verdamt sie. Da stehts deutlich."
 
 
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Sebaldus fuhr sehr heftig heraus:" Nein, das steht nicht in der Bibel; und wissen Sie, wenn es darin stünde, so wäre sie nicht Gottes Wort. Ich möchte eben so gern ein Atheist sein, als solche abscheuliche Begriffe von Gott haben, daß er uns das Leben rund abspricht, daß er uns dem Teufel (!!!!) zugesellet, daß er uns durch Henker in Marterkammern schleppen läst, wo keine Reue, keine Klagen helfen kan. – Entsezlich! von Ihm so zu denken, dem Vater des Lebens, dem Geber alles Guten!"–" Seit. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
 
 
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2) Richtet nicht!!!
 
 
  Ia-02-1778-0498
"So ist es im Heidenthume den Epikuräern, und im Judenthume den Sadducäern ergangen. Wobei mir ein öfters eingekommener Gedanke wieder einfält: Was doch die Ursache sein müste, daß unser Heiland, der bei allen Gelegenheiten die Pharisäer so hart anlässet, weit gelinder mit den Sadducäern umgeht, die doch, weil sie die Auferstehung, und ein anderes Leben, wo das Gute belohnt und das Böse bestraft wird, das Dasein der Geister, mithin auch die Engel, läugneten, den Grund aller Religion umstiessen? Ich erinnere mich nicht irgendwo etwas gründliches darüber gelesen zu haben. Solte vielleicht daraus zu schliessen sein, daß in Gottes Augen, die Heuchelei, der geistliche Hochmuth, und der verstokte Aberglauben, für grössere Fehler angesehen werden, als die blossen Irthümer des Verstandes, wenn sie auch noch so wichtige Gegenstände betreffen?– –" Seit. 125.
 
 
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  Ia-02-1778-0499
XXIII.
 
 
  Ia-02-1778-0500
Algemeine deutsche Bibliothek. Des sechsten Bandes erstes Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1768.
 
 
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1) Die Wirkung der Luft auf den menschlichen Körper.
 
 
  Ia-02-1778-0502
"Die grosse Hizze entkräftet den Leib und die Seele, da sie die festen Theile schwächet und die flüssigen ausdehnet. Die Kälte hingegen ist stärkend, und ihre Zunahme schadet weniger bei anhaltender Bewegung. Nichts entkräftet plözlicher, als eine feuchte Luft, die flüssigen Theile des Körpers gerathen dadurch in die schädlichste Stokkung, alle Ausdünstung unterbleibt, und das Einsaugen in die Haut häuft die Feuchtigkeiten dergestalt an, daß auch der Durst verschwindet; mit den Kräften verliert sich die Munterkeit, daher sind feuchte Gegenden überal ungesund. Die gefährlichste Luft ist eine feuchte, und warme, sie zerstreuet die Kräfte und nähret die Feuchtigkeit* Fäulnis. Wegen der Schnelkraft ist die trokne Luft die gesündeste, ist diese zugleich nicht alzukalt, so wird der Körper sowohl, als die Seele ermuntert, bei der Verbindung aber mit einer sehr kalten Luft, pflegen Entzündungskrankheiten zu entstehen, von der zunehmenden Schwere, und der vermehrten Schnelkraft der Luft, erfolgen einerlei Wirkungen. Es ist ein Irthum, daß die Luft alsdan schwer sein sol, wenn sie mit Dünsten, Nebel und Regen angefült ist, daß man Sonne, Mond und Sterne nicht sieht, daß eine solche Luft vielmehr leicht ist, beweist das fallende Queksilber im Barometer. Die Schwere der Luft, bei schönem Wetter, ist dem in die Höhe steigenden Wasser zuzuschreiben. Wer sich eine recht gute Luft zu Nuzze machen
 
 
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wil, der merke wohl an, was Hr. Zimmermann sagt: Die vermehrte Schwere der Luft, ein trokner und heller, aber nicht alzuwarmer Himmel, vermehren unsre Munterkeit und unsre Kräfte. Vermittelst des grössern Druks der Luft, werden die Nerven und die Gefässe stärker und wirksamer, das Blut macht seinen Umlauf mit mehrerer Fertigkeit, die inwendige Wärme wird vermehrt, die Eslust steigt, und die Dauung ist besser, die Säfte werden richtiger abgeschieden, der natürliche Abgang des Körpers komt in seine Ordnung, die Seele in den Stand ihrer Freiheit. Eine lang anhaltende, trokne, helle und kalte Luft, erreget die Munterkeit der Seele so sehr, daß auch der dikste Holländer in dieser Zeit einem muntern Franzosen gleicht. –" Seit. 20. 21.
 
 
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2) Was die Offenbarung in der Natur sei.
 
 
  Ia-02-1778-0504
"Zur Offenbarung Gottes in der Natur rechnet man nicht blos diejenigen Religionswahrheiten, die durch vernünftiges Nachdenken entdekt, und von den Weltweisen erkant werden; sondern es wird darunter der ganze ausser der h. Schrift in der Welt vorhandene Unterricht von Gott und götlichen Dingen begriffen, in so fern er Wahrheiten enthält. Jede wahre Erkentnis, die von ursprünglichen (nur nicht schriftlichen) Offenbarungen herkomt, und durch Überlieferungen auf die Nachkommen gebracht worden; selbst die Wahrheiten, die sich in den falschen Religionspartheiien neben den Irthümern durch Unterricht weiter fortgepflanzt haben; alles, was von Gott und den Pflichten des Menschen durch den Weg des Unterrichts und der Überlieferung in der Welt wahres erkant wird, und erkant werden kan, sofern solcher Unterricht und solche Überlieferung nicht aus der Welt er Schrift hergenommen wird, es sei nun darunter manches, was sich auf ursprüngliche Offenbarungen gründet, oder manches, das von nachdenkenden Leuten unter
 
 
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allen Völkern durch vernünftiges Nachdenken erkant und hierauf fortgepflanzt worden! – Alles das nent der V. noch Natur, weil es doch nicht schriftliche Offenbarung ist. – – – –" Seit. 29. 30.
 
 
  Ia-02-1778-0505
3) Von der Seeligkeit andrer Völker, die die Lehre J. C. nicht wissen.
 
 
  Ia-02-1778-0506
"Es ist kaum begreiflich, wie man jemals auf die seltsame, der Vernunft und Schrift widrige, und alle Güte Gottes umstossende Meinung hat gerathen können, Gott würde einmal das Nichtglauben an den Erlöser solchen Menschen anrechnen, denen das Evangelium nicht geoffenbart worden. Die Apostel schrieben an Leute, denen die christliche Lehre gepredigt war, und wenn sie von dem Glauben an Christum, als von einer nothwendigen Bedingung der Seeligkeit reden, so versteht es sich ja von selbst, daß das nur diejenigen, denen seine Lehre bekant gemacht worden, angehen kan. Es ist etwas anders, merkt deshalb Hr. Töllner mit gutem Grunde an: ohne den Glauben an Christum und im Unglauben gegen denselben sterben. Das lezte sezt einen davon empfangenen Unterricht voraus. Das erste kan aus einer unüberwindlichen Unwissenheit herrühren. Dieser Unterschied hebt schon alle Schwierigkeiten: Der christliche Glaube ist zur Seeligkeit schlechterdings nothwendig für alle, denen er möglich und das Evangelium bekant gemacht worden ist. – –" Seit. 32.
 
 
  Ia-02-1778-0507
"Auf eine recht frappante Art zeigt der Hr. D., daß die algemeine Gnade Gottes sich nicht retten lasse, wofern Gott nicht auch durch die Offenbarung der Natur viel Menschen zur Seeligkeit führt. Man sage was man wolle, so ist nach aller historischen Wahrheit schlechterdings unerweislich, daß das Evangelium jemals durch die Apostel oder andere apostolische Männer
 
 
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unter allen Völkern in der Welt gepredigt worden. Welcher Apostel oder anderer Lehrer hat denn in Lapland oder in den Ländern unter dem Südpol oder in Amerika gepredigt? Allein gesezt, daß keine Nation auf dem Erdboden wäre, deren Vorfahren Gott nicht das Evanglium angeboten hätte, wer kan das Urtheil ausstehen, daß Gott ihr dagegen bewiesenes sträfliches Verhalten – bis wenigstens schon ins funfzigste Glied an ihren Kindern strafe?– Schwerlich werden doch die Gottesgelehrten behaupten, daß Gott in Ansehung der Heiden zur Bestrafung der Sünden ihrer Vorfahren beschlossen habe, daß sie nicht an J. C. glauben sollen. Gegen diese wirkliche Gotteslästerung streitet Hesek. 18. 20. Gott hat doch auch wohl nicht alle die guten menschlichen Seelen, von welchen er vorhersehe, daß sie seine Offenbarung zu ihrem Heil anwenden würden, ehemals allein unter den Juden, hierauf in dem römischen Reiche, und sodan in den europäischen Ländern und an einigen Orten von Ost und Westindien, mit menschlichen Leibern vereiniget – Dagegen alle die übrigen anderswo hervorgehen lassen. –" Seit. 37. 38.
 
 
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"Ist die natürliche Offenbarung nüzlich und hinlänglich zur Religion, so ist sie es auch zur Seeligkeit. Nun ist jenes folglich auch dieses. Die endliche Seeligkeit, oder höchste Glükseeligkeit der Menschen besteht in dem Besiz und Genus mehrerer und grösserer moralischer und physischer Volkommenheiten, als sie in diesem Leben besessen und genossen haben, mit Abwesenheit aller merklichen gegenseitigen Unvolkommenheiten. Kein vernünftiges Geschöpf kan ohne eine moralische Güte glükseelig sein, folglich in und mit derselben allein der Seeligkeit theilhaftig werden. Mit dieser moralischen Güte sind natürliche und wilkührliche Belohnungen, welche leztere durch freies Zuthun Gottes dazu kommen, verbunden, und machen den Menschen glükseelig.
 
 
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Ob zwar ein gewisser Grad der moralischen Güte, wenn nämlich keine volkommene Lauterkeit derselben erfordert wird, mit ihren natürlichen Belohnungen, bei einem Menschen ohne Zuthun der Religion möglich ist, so mus ein solcher Grad derselben, als zur Seeligkeit gehört, einem Menschen ohne Religion schlechterdings abgesprochen, werden; denn die Religion ist die höchste moralische Volkommenheit des Menschen, sie erzeugt nicht nur einige, sondern alle rechtmässige freie Handlungen
 
 
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und Fertigkeiten, so weit die Erkentnis des Menschen von seinen Pflichten reicht. Daher giebt es nur eine Tugend, und wo die Religion die Quelle davon ist, da ist vollendete moralische Güte, folglich die höchste Glükseeligkeit, wozu die natürlichen und wilkührlichen götlichen Belohnungen gehören. – Aber ist die Seeligkeit eine unzertrenliche Folge der Religion? Was erstlich die natürlichen Belohnungen anbetrift, so schliest der V. also: Wo Religion ist, da ist Dienst Gottes, folglich Gehorsam gegen Gott, dessen Aufrichtigkeit sich über alle erkante Pflichten und Gesezze Gottes erstrekt. (Wenigstens das redliche Bestreben darnach und die fortwährende herschende Neigung, in jedem Fal zu thun, was man nach der Religion für recht und Gott wohlgefällig hält.) Wer Gott dient, macht den Willen Gottes zur Regel seiner Handlungen, seine Begierden sind seiner Pflicht unterworfen, wohlgeordnet und gemässigt. – Mit einer aus Religion entspringenden Tugend, auch bei der kleinsten Erkentnis, hängt allezeit ein solcher Grad von Ruhe der Seelen, von innerer Zufriedenheit, von Freudigkeit des guten Gewissens, von Hofnung auf Gott und von Ordnung und Unterwerfung der Begierden natürlich und unzertrenlich zusammen, als zur Seeligkeit erfordert wird. – Aber auch die wilkührlichen Belohnungen Gottes können bei einem Menschen, der Religion hat, nicht ausbleiben, und der Grund davon liegt in den moralischen Volkommenheiten Gottes. Gott hat das lebendigste und thätigste Wohlgefallen an der Religion und den daraus fliessenden rechtmässigen Handlungen, Fertigkeiten und Volkommenheiten seiner Geschöpfe. Bei wem sich also diese finden, der erfült den Zwek seiner Schöpfung, und er wird unausbleiblich ein Gegenstand des Wohlgefallens und der Liebe Gottes, die allemal höchst lebendig und thätig ist, und nicht ohne wirksame Zeichen und Folgen für denselben sein kan. – Dazu kömt die höchste proportionirte Güte, nach welcher Gott einem jeden Geschöpfe so viel Gutes ertheilt, als dasselbe zu erhalten nur fähig ist, oder seine Gerechtigkeit. Bei der Religion wird ein Mensch aller Arten der götlichen Wohlthaten fähig, mithin auch seiner wirklichen Belohnungen. – Der Hr. D. erinnert wohl, daß es in Ansehung der Empfänglichkeit dieser Wohlthaten nicht sowohl auf die Grösse der Erkentnis eines Menschen, als vielmehr auf die moralische Güte und Rechtschaffenheit seines Herzens oder seiner Gesinnungen gegen Gott ankomme." Seit. 38. 39. 40.
 
 
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4) Zum Beweise für die Güte und Gerechtigkeit Gottes.
 
 
  Ia-02-1778-0511
"Zum Beweise für die Güte Gottes beruft sich der V. gar sinreich auf die eigene Empfindung des misvergnügten Herzens, welches eben dadurch verräth, daß ihm ein Trieb von Gott gegeben sei, glüklich zu sein; der weder umsonst gegeben, noch ohne Mittel, sich zubefriedigen, gelassen sein kan. Und warum lieben die allermeisten Menschen bei aller Art des Misvergnügens doch das Leben so sehr? Ist diese Liebe nicht zum Leben nicht ein Beweis, daß es mehr glüklich, als elend, und der, der es verliehen, gütig sei? Eben so gründet er auch einen Beweis der Gerechtigkeit Gottes auf die Erfahrung und das Gefühl der Menschen, und zwar nicht allein auf das eigentlich sogenante Gewissen, sondern auch vornehmlich auf den natürlichen Abscheu aller Menschen an lasterhaften und die Neigung und Billigung tugendhafter Gesinnungen und Thaten: welche zwar bei einigen Handlungen durch die Leidenschaft oder böse Gewohnheit geschwächt, aber nie so ausgerottet werden können, daß es je irgend einem Menschen möglich gewesen wäre, das tugendhafte und gute zu verabscheuen, und das Laster zu lieben und gern zu sehen. Ein augenscheinlicher Beweis, daß der gerecht sein und die Gerechtigkeit lieben müsse, der das Herz der Menschen so gebildet hat. –" Seit. 134. 135.
 
 
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5) Von den Mängeln der Seelenkräfte und Unsterblichkeit der Seele.
 
 
  Ia-02-1778-0513
"Die Mängel der Seelenkräfte müssen sein. Und warum? Weil wir sonst nicht volkommen werden können. Und warum das nicht? Weil eine stete Übung der Kräfte darzu erfordert wird. Und was nuzzen die Mängel zu dieser Übung? Unsre Kräfte müssen eben daran gehörigen Widerstand, und an dem widrigen Eindruk, den sie verursachen, genugsame Reizung finden, uns derselben zu entledigen, sonst blieben wir in der Unthätigkeit, und kämen nicht vorwärts. –" Seit. 136.
 
 
  Ia-02-1778-0514
"Der Mensch, durch tausend Thorheiten geprüft, wird erst bei zunehmenden Jahren weise, siehet dan erst, wie viel er versäumet, wie viel er noch vor sich hat, entschliest sich nun erst recht zu leben, entschliest sich, und entschliest sich nun wieder, und stirbt, ohne daß er zur Glükseeligkeit reif worden ist. – O jeder lese doch die Geschichte seines Herzens und Lebens, und
 
 
Manuskriptseite 262.
 
   
wage es dan noch, die Unsterblichkeit nicht zu wünschen!– Indessen sind die Vorzüge des Menschen vor dem Thier ganz sichtbar. Das Thier steht seit seiner Schöpfung stille, es hat izt nicht mehrere noch mindere Vokommenheiten, als es Anfangs hatte. Der Mensch hingegen geht weiter fort in der Ausbildung seiner Kräfte, in dem Wachsthum seiner Seele hat er augenscheinliche Schritte gethan, und wie vieles Wachsthums ist er noch fähig! Und das alles, um mitten im Wachsthum wieder vernichtet zu werden?– Die Seelenkräfte des Menschen werden erst durch Übung volkommen, nach vielen Jahren Übung nähert er sich erst einiger Reife; und wenn er nun die Prüfung meist überstanden, nun erst sich und andern brauchbar geworden ist, so solte er abfallen, und sterben? –" Seit. 137.
 
 
  Ia-02-1778-0515
6) Von den Theilen flüssiger und dichter Körper.
 
 
  Ia-02-1778-0516
"Der flüssigen Körper Theile müssen rund sein, um einander in wenig Punkten zu berühren und wenig zusammenhängen, schweflichte Theile tragen viel zum festen Zusammenhange der dichten Körper bei, weil Blei und Zin, wenn der Schwefel aus ihnen getrieben wird, in Kalk zerfallen, der durch schweflichten Zusaz wieder Metal wird. –" Seit. 154.
 
 
  Ia-02-1778-0517
XXIV.
 
 
  Ia-02-1778-0518
Algemeine deutsche Bibliothek. Des sechsten Bandes zweites Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1768.
 
 
  Ia-02-1778-0519
1) Von den Sitten der Wilden.
 
 
  Ia-02-1778-0520
"Die natürliche Art des Menschen Schlüsse zu machen, besteht darin, aus dem Wenigem, was man kent, jederzeit das Übrige zu erklären. – Zufolge dieser Art zu schliessen scheinen die Menschen in den ältesten Zeiten diesen grossen Hauptschlus
 
 
Manuskriptseite 263.
 
   
festgesezt zu haben: weil ein unsichtbares Wesen, das sie sich blos als sehr subtil und unmerklich dachten, die Veränderungen der Menschen und der Thiere verursacht, so müste auch in der Natur alles das, worinnen Veränderungen ohne eine sichtbare wirkende Ursache vorgiengen, ebenfals von einem unsichtbaren Wesen bewohnt und getrieben werden; alle Dinge in der Natur musten daher als von Geistern bewohnte Dinge angesehen werden. Also ward Sonne, Mond – Quellen, Bäume, Pflanzen – die ganze Erde, mit Geistern oder Göttern bevölkert, (ehe noch die philosopische Religion den Himmel und die hieroglyphische oder symbolische Vorstellungsart die Tempel mit Kräften der Natur, als Göttern besezte.) Bei den Wilden haben auch die Werke der Kunst, als Schiesgewehr, Bogen und Pfeil, Fischgeräthe pp. ihren Geist – so wie bei den Scyten der Säbel angebetet wird. Die meisten Nationen haben diejenigen Dinge und Geister am meisten verehrt, welche sich ihrer Natur am meisten näherten, d.i. die geringern und weniger vortreflichen; z. E. der Thiere, und gar Fetische; ingleichen diejenigen, von denen sie unmittelbar den meisten Nuzzen hatten, als Bäume, besonders die Eiche pp.
 
 
  Ia-02-1778-0521
Weil die Erfahrung lehrt, daß einige Dinge dem Menschen vortheilhaft, andre schädlich sind, so war dies die frühste und am weitesten verbreitete Meinung, es gäbe gute und böse Geister – und die bösen und schädlichen suchte man am ersten zu gewinnen, weil der Mensch gegen das Übel am fühlbarsten ist. Alle Völker aller Zeiten legen der Gotheit und dem unsichtbaren Wesen das bei, was sie bei sich selbst und in der sichtbaren Welt finden. Daher der Rang, die Hofstat, Wohnungen, Tänze, Gastmale der Götter – der Himmel als eignes Reich pp. aus den groben Begriffen von den Geistern oder –göttern; als blos aus einer steinern Materie gebildet, aber sonst den Menschen in allem gleich, entstanden alle die verschiedne Arten und Gebräuche der Verehrung, die Opfer pp. Die Begriffe von mächtigern und schwächern Geistern, von einem vertrauten Umgang und möglicher Vereinigung mit ihnen durch Fasten, Reinigen und Verrükkung der Sinne; von den Träumen und der Weissagung künftiger Dinge, von der Zauberkunst pp.
 
 
  Ia-02-1778-0522
Daß die Seelen der Menschen und der Thiere die Leiber
 
 
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überleben, war eine algemeine Meinung, und bei der Geisterlehre dieser Menschen war die Unsterblichkeit der Seele der natürlichste Gedanke, welcher auch in allen Menschen nur erst durch vernünfteln wankend gemacht werden kan. Daher ihre Begräbnisgebräuche mit Waffen und Geräthe pp. Die Sorgfalt, den Körper eine lange Zeit unversehrt zu erhalten, indem sich die Seele noch bei demselben aufhielt, und wenn er zerfiel, die Meinung vom Übergang der Seele in neue Körper. eine Menge von andern Aberglauben hatte ihren Ursprung in diesen Begriffen. –" Seit. 78. 79. 80.
 
 
  Ia-02-1778-0523
XXV.
 
 
  Ia-02-1778-0524
M.... R.... Ein Autor borgt, bettelt und stielt so stark von dem andern, daß bei meiner Seele! die Originalität fast so rar geworden ist, als die Ehrlichkeit. Tr. Shandy 9ter Theil, 115te Seite.
 
 
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1) Der Morgen – und ein empfindsames Herz dazu.
 
 
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"Du hast recht, gute Menschenseele, dachte ich, und sah gegen die Sonne hin. Seelig ist der Man, der mit der Morgensonne und dem Kutschbok zufrieden ist, und dem, der auf dem weichen Polster sizt, und die Morgenluft nicht vertragen kan, die Sorgen, und die lange Weile, und die Weichlichkeit überläst! Die altäglichsten Gegenstände, die Lerche, der Morgenthau, die Nebel, alles beschäftigte den empfindsamen P...., und sein gutes Herz theilte mir seine einfältigen Anmerkungen vertraulich ist mit. Wie reich ist die Natur dem, der Gefühl hat und zufrieden mit ihr ist! und wie wenig braucht ein Man, um es mit dieser Erde zu sein!
 
 
Manuskriptseite 265.
 
   
Eine sehr abgenuzte Wahrheit ist das; aber, desto schlimmer, daß sie es ist. Zehntausendmal hatte ich sie gelesen und gedacht, ohne recht daran zu denken, und nie habe ich ihre trostvolle Gewisheit und das Grosse, das in ihr liegt, freudiger und in reicherem Maasse gefühlt, als izt, da P., der weder die Gesezze verstund, nach welchen die Sonne am Horizont empor stieg, noch die Ursache untersuchen konte, warum sich ihre Stralen in den Tautropfen brachen,– sich freuete, daß sie so schön sei, und bedaurete, daß die Postpferde die Tautropfen von den Gralhälmchen abtraten. Wie sie so schön flinkerten! sagte er. –
 
 
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Kanst Du, grosser Quel aller Freuden, eine wichtigere Absicht gehabt haben, da du die Seelen deiner vernünftigen Geschöpfe in eine so genaue Harmonie mit dem Ganzen sezzetest, und ihnen Gefühl gabest, und alles, was ihre eigentlichen Bedürfnisse befriedigen konte, als die, daß sie sich deiner und ihres Daseins freuen sol solten?–––
 
 
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Wenn eins deiner gutherzigen sorgefreien und einfältigern Geschöpfe, an dich gerade zu denkt, ohne zu vernünfteln, und dich liebt, weil deine Sonne ihm gerade zu behaget, ohne zu wissen, wie lange sie würde fallen müssen, ehe sie auf seinen Kopf fiel, und ohne sich zu bekümmern, ob sie jemals auf seinen Kopf fallen werde; und wenn dies ehrliche fromme Geschöpf sich betrübet, daß Postpferde die jungen Grasblümchen zertreten, und den Morgenthau von den Hälmchen abschleifen;– dann entwirft sich zwar in der Seele dieses deines bessern Geschöpfs kein so erhabenes Bild; als in der Seele deines klügern; allein ich hoffe, daß dir diese Menschenseele, eben so angenehm sein wird, wenn sie die sich deiner Sonne freut, und dich liebt, als die Seele des klügern. –" Seit. 38. 39. 40.
 
 
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  Ia-02-1778-0529
XXVI.
 
 
  Ia-02-1778-0530
Algemeine deutsche Bibliothek. Des siebenten Bandes erstes Stük. Berlin und Stettin, verlegts Friedrich Nikolai, 1768.
 
 
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1)
 
 
  Ia-02-1778-0532
Aus Ramlers Oden.
"Fall an sein Herz, o Königin, mit Zähren
Der Freude! Fleuch an seine Brust,
Amalia, von deinen frommen Dankältären,
Und rede, wenn die Lust dich reden
Dich reden läst! Vermählte seiner Brüder
Küst sein friedseelig Angesicht:
Wilkommen, Schuzgeist deines Volkes! und saget wieder:
Wilkommen! und mehr nicht."– Seit. 14.
"Wenn seine (des Lycidas) Mutter unter den zärtlichen
Gesängen heller Nachtigalchör' empfieng,
Wer ihr in ihren Götterträumen
Nächtlich als Schwan sich vom Busen loswand–
Ununterwiesen wird er als Knabe schon
Die Frühlingsblume singen und froh bestürzt
Sich einen Dichter grüssen hören.
Ihm wird die jüngste der Charitinnen,
Die wohlbewachte Scham, sich zur Führerin
Entbiethen. Ihm wird Pallas die Wolke von
Den Augen nehmen, daß ihr Jünger
Wahrheit und blendenden Trug erkenne.
 
 
Manuskriptseite 267.
 
   
In Wäldern wird er einsam den Vater der
Natur verehren. Endlich, o Lycidas,
Erwartete er, gleich eines fremden
Mannes Besuche, den Tod mit Gleichmuth. – –" Seit. 25. 26.
"Urplözlich sind der Felsen graue Rükken
Zu Tempeln und Pallästen ausgehölt,
Die rund umher der Pyrrha Kinder schmükken,
Noch halb den Steinen gleich, und halb beseelt.
Ihr Götter! prächtig aus Ruinen
Erhebt sich euer Pantheon:
Die Weisen alle dienen,
Die Völker lernen schon.
Sagt, Sterbliche, den Sphären ihre Zahlen,
Und lehrt dem wilden Winde seinen Lauf,
Und wägt den Mond, und spaltet Sonnenstralen,
Dekt die Geburt des alten Goldes auf,
Und steiget an der Wesen Kette
Bis dahin, wo den höchsten Ring
Zevs an sein Ruhebette
Zu seinen Füssen hieng. –"
Seit. 23. 24.
 
 
  Ia-02-1778-0533
2)
 
 
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Spinositische Gotheit.
"Die dem Bernis in seiner einsamen Grotte
Schreklich erschien, als sie schnel ein blasses Feuer erfülte
Und vor seinem bestürzten Auge die Welt zu vergehn schien.
Durch die Lüfte rolten die Stern' in vermischtem Getümmel
In der finstern Nacht verirt, durcheinander. Vergebens
Hielten die Wirbel sie. Schon droht alles in Abgrund zu sinken.
Nur der Barde blieb ruhig in seiner Freistat, und sah sich
Unerschrokken in ihr vom entsezlichen Chaos umfangen.
Gott, schenktest ihm Muth, die schrekliche Nacht zu ertragen,
 
 
Manuskriptseite 268.
 
   
Plözlich gab ihm den Tag ein Donnerschlag wieder, und mit ihm
Stieg aus den Trümmern der Erd' ein unermeslicher Riese,
Eine Welt an Grösse! hervor. An Gestalt ein Kolossus
Schreklich dem Aug' und doch nach Ebenmaassen gebauet.
Sein gewaltiges Haupt war ein Gebürge; die Haare
Wälder; sein schrekkendes Aug' ein entzündeter Feuerofen,
Oder ein flammender Abgrund. In einen Körper verwandelt,
Stand vor dem Dichter die Welt. In seinen kleinsten Gefässen,
Flossen die Bäche gemächlich, und durch die schwellenden Adern
Brauste das Weltmeer dahin. Sein Kleid war der Schleier der Lüfte;
Also träumte Spinoza sich Gott. –––"
Seit. 156. 157.
 
 
Manuskriptseite 269.
 
  Ia-02-1778-0535
Verzeichnis der neuen Schriften, die in diesem Bande enthalten sind.
 
 
  Ia-02-1778-0536
I. Über die Krankheiten der Gelehrten und die leichteste und sicherste Art sie abzuhalten und zu heilen von Johann Christian Gottlieb Akkermann d. A. D. Seit. 1.
 
 
  Ia-02-1778-0537
II. Franz Hutchesons, der Rechte Doktors und der Weltweisheit Professors zu Glasgow, Untersuchung unserer Begriffe von Schönheit und Tugend in zwo Abhandlungen. Aus dem Englischen übersezt. Seit. 4.
 
 
  Ia-02-1778-0538
III. Tagebuch eines Weltmans. Übersezt von Heinrich Leopold Wagner. Erstes Stük. Seit. 73.
 
 
  Ia-02-1778-0539
IIII. Des Herrn Grafen Maximilian Joseph von Lamberg Tagebuch eines Weltmans. Übersezt von Heinrich Leopold Wagner. Zweites Stük. Seit. 75.
 
 
  Ia-02-1778-0540
V. Predigten von protestantischen Gottesgelehrten. Dritte Samlung. Seit. 79.
 
 
  Ia-02-1778-0541
VI. Predigten von protestantischen Gottesgelehrten. Vierte Samlung. Seit. 85.
 
 
Manuskriptseite 270.
 
  Ia-02-1778-0542
VII. Das Grab des Aberglaubens. Erste Samlung. Seit. 87.
 
 
  Ia-02-1778-0543
VIII. Das Grab des Aberglaubens. Erste Zweite Samlung. Seit. 94.
 
 
  Ia-02-1778-0544
IX. Algemeine deutsche Bibliothek. Des zwei und dreissigsten Bandes zweites Stük. Seit. 96.
 
 
  Ia-02-1778-0545
X. Algemeine deutsche Bibliothek. Des ersten Bandes erstes Stük. Seit. 108.
 
 
  Ia-02-1778-0546
XI. Algemeine deutsche Bibliothek. Des ersten Bandes zweites Stük. Seit. 117.
 
 
  Ia-02-1778-0547
XII. Algemeine deutsche Bibliothek. Des zweiten Bandes erstes Stük. Seit. 123.
 
 
  Ia-02-1778-0548
XIII. Algemeine deutsche Bibliothek. Des zweiten Bandes zweites Stük. Seit. 144.
 
 
  Ia-02-1778-0549
XIV. Algemeine deutsche Bibliothek. Des dritten Bandes erstes Stük. Seit. 151.
 
 
Manuskriptseite 271.
 
  Ia-02-1778-0550
XV. Algemeine deutsche Bibliothek. Des dritten Bandes zweites Stük. Seit. 162.
 
 
  Ia-02-1778-0551
XVI. Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände aus der Physik und Philosophie. Aus dem Französischen übersezt. Erster Theil. Seit. 165.
 
 
  Ia-02-1778-0552
XVII. Algemeine deutsche Bibliothek. Des vierten Bandes erstes Stük. Seit. 225.
 
 
  Ia-02-1778-0553
XVIII. Algemeine deutsche Bibliothek. Des vierten Bandes zweites Stük. Seit. 231.
 
 
  Ia-02-1778-0554
XIX. Algemeine deutsche Bibliothek. Des fünften Bandes erstes Stük. Seit. 242.
 
 
  Ia-02-1778-0555
XX. Algemeine deutsche Bibliothek. Des fünften Bandes zweites Stük. Seit. 248.
 
 
Manuskriptseite 272.
 
  Ia-02-1778-0556
XXI. Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Erster Band. Zweite verbesserte Auflage. Seit. 250.
 
 
  Ia-02-1778-0557
XXII. Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Zweiter Band. Seit. 251.
 
 
  Ia-02-1778-0558
XXIII. Algemeine deutsche Bibliothek. Des sechsten Bandes erstes Stük. Seit. 256.
 
 
  Ia-02-1778-0559
XXIV. Algemeine deutsche Bibliothek. Des sechsten Bandes zweites Stük. Seit. 262.
 
 
  Ia-02-1778-0560
XXV. M.... R.... Seit. 264.
 
 
  Ia-02-1778-0561
XXVI. Algemeine deutsche Bibliothek. Des siebenten Bandes erstes Stük. Seit. 266.
 
 
Manuskriptseite 273.
 
  Ia-02-1778-0562
Register der in diesem Banden enthaltnen Sachen.
 
 
  Ia-02-1778-0563
1) Von Ideen Seit. 1.
 
 
  Ia-02-1778-0564
2) Wie unsre Seele und unser Leib aneinander gekettet sind. 2.
 
 
  Ia-02-1778-0565
3) Die Übung eines Sinnes macht ihn stark. 2.
 
 
  Ia-02-1778-0566
4) Das entzükkende Vergnügen des Morgens 3.
 
 
  Ia-02-1778-0567
5) Was Empfindung genent wird. 4.
 
 
  Ia-02-1778-0568
6) Die Verschiedenheit der Sinne. 4.
 
 
  Ia-02-1778-0569
7) Wie die Seele wirket. 5.
 
 
  Ia-02-1778-0570
8) Die Begriffe von körperlichen Substanzen. 5.
 
 
  Ia-02-1778-0571
9) Vergnügen und Schmerz. 6.
 
 
  Ia-02-1778-0572
10) Das Gefühl von Schönheit ist von dem Vorhersehen eines Vortheils verschieden, und geht vor diesem vorher 6.
 
 
  Ia-02-1778-0573
11) Was Schönheit ist 8.
 
 
  Ia-02-1778-0574
12) Innerliches Gefühl ist nicht eine unmittelbare Quelle des Schmerzens. 8.
 
 
Manuskriptseite 274.
 
  Ia-02-1778-0575
13) Wohlgefallen und Misfallen entsteht aus der Vergeselschaftung der Begriffe. Seit. 9.
 
 
  Ia-02-1778-0576
14) Algemeinheit des Gefühls von Schönheit. 11.
 
 
  Ia-02-1778-0577
15) Überal ist Schönheit! 12.
 
 
  Ia-02-1778-0578
16) Ein inneres Gefühl sezt angebohrne Ideen nicht zum voraus. 13.
 
 
  Ia-02-1778-0579
17) Belieben und Misfallen sind von den Begriffen der Schönheit verschieden. 13.
 
 
  Ia-02-1778-0580
18) Das innere Gefühl von Schönheit komt nicht von der Gewohnheit. 14.
 
 
  Ia-02-1778-0581
19) Auch die Erziehung giebt uns das innere Gefühl von Schönheit nicht. 17.
 
 
  Ia-02-1778-0582
20) Beispiele sind nicht die Ursache des inneren Gefühls. 19.
 
 
  Ia-02-1778-0583
21) Die Wichtigkeit der innern Sinnen. 20.
 
 
  Ia-02-1778-0584
22) Moralisches Gute und Übel. 22.
 
 
  Ia-02-1778-0585
23) Nuzzen und Vortheil. 23.
 
 
  Ia-02-1778-0586
24) Unterschiedene Begriffe von dem moralischen und *...* natürlichen Guten. 24.
 
 
  Ia-02-1778-0587
25) Unterschiedliche Begriffe von dem moralischen und natürlichen Übel. 26.
 
 
Manuskriptseite 275.
 
  Ia-02-1778-0588
26) Das moralische Gefühl sezt keine angebohrne Begriffe zum Grunde voraus. Seit. 27.
 
 
  Ia-02-1778-0589
27) Die Neigungen sind die Bewegungsgründe zu den Handlungen. 29.
 
 
  Ia-02-1778-0590
28) Liebe aus Wohlgefallen, und Has aus Misfallen. 31.
 
 
  Ia-02-1778-0591
29) Uneigennüzziges Wohlwollen 31.
 
 
  Ia-02-1778-0592
30) Beweis, daß das Wohlwollen uneigennüzzig sei. 33.
 
 
  Ia-02-1778-0593
31) Widerlegung eines zweiten Einwurfs gegen das uneigennüzzige Wohlwollen. 37.
 
 
  Ia-02-1778-0594
32) Die menschliche Natur ist einer ruhigen Bosheit unfähig. 41.
 
 
  Ia-02-1778-0595
33) Noch ein Einwurf gegen das uneigennüzzige Wohlwollen wird widerlegt. 42.
 
 
  Ia-02-1778-0596
34) Die wahre Quelle der Tugend 43.
 
 
  Ia-02-1778-0597
35) Natürliche Zuneigung 44.
 
 
  Ia-02-1778-0598
36) Algemeine Liebe ist natürlich. 46.
 
 
  Ia-02-1778-0599
37) Nationalliebe 48
 
 
  Ia-02-1778-0600
38) Alle Tugend ist wohlwollend 48.
 
 
  Ia-02-1778-0601
39) Moralisches Übel ist nicht jederzeit Bosheit 49.
 
 
  Ia-02-1778-0602
40) Die Denkungsart eines Tyrannen 50.
 
 
  Ia-02-1778-0603
41) Die ordentliche Quelle des Lasters 51.
 
 
Manuskriptseite 276.
 
  Ia-02-1778-0604
42) Das Wohlwollen ist von verschiednen Gattungen Seit. 52.
 
 
  Ia-02-1778-0605
43) Das Wohlwollen, wie es durch die Eigenschaften seiner Gegenstände bestimt wird 53.
 
 
  Ia-02-1778-0606
44) Gewisse Grundsäzze, um die Moralität der Handlungen mit allen ihren Umständen zu berechnen 53.
 
 
  Ia-02-1778-0607
45) Volkommene Tugend 56.
 
 
  Ia-02-1778-0608
46) Die Moralität ist von dem Nuzzen einer Handlung unbeschieden 57.
 
 
  Ia-02-1778-0609
47) Der Instinkt kan die Quelle der Tugend sein 57.
 
 
  Ia-02-1778-0610
48) Der Heldenmuth ist in allen Ständen 59.
 
 
  Ia-02-1778-0611
49) Das Wohlwollen ist der einzige Grund des Beifals 60.
 
 
  Ia-02-1778-0612
50) Das moralische Gefühl komt nicht von der Erziehung 62.
 
 
  Ia-02-1778-0613
51) Dankbarkeit! 63.
 
 
  Ia-02-1778-0614
52) Die moralische Unfähigkeit ist eine Ursache sich zu schämen 64.
 
 
  Ia-02-1778-0615
53) Das Mitleiden ist ein Bewegungsgrund zur Tugend. 70.
 
 
Manuskriptseite 277.
 
  Ia-02-1778-0616
54) Von Übeln Seit 73.
 
 
  Ia-02-1778-0617
55) Von Träumen 75.
 
 
  Ia-02-1778-0618
56) Glükliches Leben – wo Wohlwollen herscht 79.
 
 
  Ia-02-1778-0619
57) Von dem blinden Eifer Religionseifer 80.
 
 
  Ia-02-1778-0620
58) Von der Almacht Gottes 85.
 
 
  Ia-02-1778-0621
59) Von den Vergnügungen der Seele 86.
 
 
  Ia-02-1778-0622
60) Der Aberglaube ist ausgebreiteter, als man vermuthet 87.
 
 
  Ia-02-1778-0623
61) Von Lissabons Erdbeben und von Kometen 88.
 
 
  Ia-02-1778-0624
62) Sehr viel Aberglaube ist schon verloschen 89.
 
 
  Ia-02-1778-0625
63) Vom Schlafen und Träumen 90.
 
 
  Ia-02-1778-0626
64) Von Irwischen 90.
 
 
  Ia-02-1778-0627
65) Von lechzenden Flammen 92.
 
 
  Ia-02-1778-0628
66) Von verschiedenen Lufterscheinungen 92.
 
 
  Ia-02-1778-0629
67) Von der sogenanten Todenuhr. 93.
 
 
  Ia-02-1778-0630
68) Die Schädlichkeit des Aberglaubens 94.
 
 
  Ia-02-1778-0631
69) Von der Eule 96.
 
 
Manuskriptseite 278.
 
  Ia-02-1778-0632
70) Beweis, daß des Nabals Betragen gegen David nicht vom Geize herrührte Seit. 96.
 
 
  Ia-02-1778-0633
71) Erklärung einer gewissen Schriftstelle. 1 B. M. I,2 98.
 
 
  Ia-02-1778-0634
72) Von der Inspriration der heiligen Schrift 98.
 
 
  Ia-02-1778-0635
73) Vom heil. Abendmale 99.
 
 
  Ia-02-1778-0636
74) Erklärung oder Übersezzung einer Schriftstelle 100.
 
 
  Ia-02-1778-0637
75) Vom biblischen Ausdrükke "Begraben" 99.
 
 
  Ia-02-1778-0638
76) Von Jesu, wie er die Welt erleuchtet hat 100.
 
 
  Ia-02-1778-0639
77) Von den Geschichtsbüchern des Alten Testaments 101.
 
 
  Ia-02-1778-0640
78) Vom Teufel 101.
 
 
  Ia-02-1778-0641
79) Von der Ergreifung des Verdienstes Jesu. 104.
 
 
  Ia-02-1778-0642
80) Eine Bemerkung am menschlichen Herzen 104.
 
 
  Ia-02-1778-0643
81) Von menschlichen Tugenden 104.
 
 
  Ia-02-1778-0644
82) Von der Erkentnis, welche die Menschen haben. 105.
 
 
  Ia-02-1778-0645
83) Der Morgen! 106.
 
 
Manuskriptseite 279.
 
  Ia-02-1778-0646
84) Von Pflanzen Seit. 106.
 
 
  Ia-02-1778-0647
85) Von der Angst über Gottes Zorn 108.
 
 
  Ia-02-1778-0648
86) Einige Fehler bei dem gewöhnlichen Unterricht der Kinder im Christenthum 109.
 
 
  Ia-02-1778-0649
87) Etliche Bemerkungen 110.
 
 
  Ia-02-1778-0650
88) Von der götlichen Eingebung der heiligen Schrift 111.
 
 
  Ia-02-1778-0651
89) Von der Gotheit Christi 111.
 
 
  Ia-02-1778-0652
90) Von der Taufe 112.
 
 
  Ia-02-1778-0653
91) Etwas vom Falle Adams 112.
 
 
  Ia-02-1778-0654
92) Von der * Erbsünde 113.
 
 
  Ia-02-1778-0655
93) Der Grund, warum Gott die Offenbarung nicht mit augenscheinlichen Beweisen versehen hat 115.
 
 
  Ia-02-1778-0656
94) Was es heist "mit der Bibel reden" 116.
 
 
  Ia-02-1778-0657
95) Von einem falschen Ausdrukke 117.
 
 
  Ia-02-1778-0658
96) Von der menschlichen Seele 117.
 
 
  Ia-02-1778-0659
97) Übersezzung einer Schriftstelle. 118.
 
 
  Ia-02-1778-0660
98) Etwas aus der Historie des vorigen Jahrhunderts 118.
 
 
  Ia-02-1778-0661
99) Von der Seele 120.
 
 
Manuskriptseite 280.
 
  Ia-02-1778-0662
100) Etliche Fragen, die beim Buche Hiob zu untersuchen sind 120.
 
 
  Ia-02-1778-0663
101) Vom Essen, Trinken u. d. g. 121.
 
 
  Ia-02-1778-0664
102) Etwas von der – Liebe 122.
 
 
  Ia-02-1778-0665
103) Widerlegung des Vorurtheils, da man sagt: "man habe fromme Leute gesehen, die zur Verwunderung aller aus ihrer Frömmigkeit trefliche Einsichten in ihren Berufsgeschäften bekommen, ob man sie sonst gleich nicht von ihnen erwartet" 123.
 
 
  Ia-02-1778-0666
104) Eine Vertheidigung der Liebe 126.
 
 
  Ia-02-1778-0667
105) Vom Verdienste 127.
 
 
  Ia-02-1778-0668
106) Was die Heiterkeit und Unerschrokkenheit des Gemüths ist 132.
 
 
  Ia-02-1778-0669
107) Von Empfindung und Empfindnis. 133.
 
 
  Ia-02-1778-0670
108) Vom angebohrnen guten Herze 135.
 
 
  Ia-02-1778-0671
109) Der sterbende Held für das Vaterland 137.
 
 
  Ia-02-1778-0672
110) Gott ist alwissend 137.
 
 
  Ia-02-1778-0673
111) Vom Enthusiasmus 138.
 
 
Manuskriptseite 281.
 
  Ia-02-1778-0674
112) Von Sinnen Seit. 140.
 
 
  Ia-02-1778-0675
113) Eine Bemerkung. 141.
 
 
  Ia-02-1778-0676
114) Untersuchung wie die Ideen und Empfindungen in der Seele auf einander *...*f*** folgen 142.
 
 
  Ia-02-1778-0677
115) Die Ursachen der Leidenschaften und Gemüthsbewegungen 143.
 
 
  Ia-02-1778-0678
116) Von der sympathetischen Bewegung der Tugend 144.
 
 
  Ia-02-1778-0679
117) Beantwortung der Seele Frage. "wie können Erdichtungen Leidenschaften verursachen"? 145.
 
 
  Ia-02-1778-0680
118) Einige Beobachtungen über die den Wachsthum und die Abnahme der Leidenschaften. 146.
 
 
  Ia-02-1778-0681
119) Von der Koexistenz der Bewegungen und Leidenschaften 147.
 
 
  Ia-02-1778-0682
120) Von der Simplizität 148.
 
 
  Ia-02-1778-0683
121) Vom Grossen und Erhabenen 148.
 
 
  Ia-02-1778-0684
122) Vom Wiz 150.
 
 
  Ia-02-1778-0685
123) Von den einfachen Begriffen 151.
 
 
Manuskriptseite 282.
 
  Ia-02-1778-0686
124) Vom Genie Seit. 152.
 
 
  Ia-02-1778-0687
125) Beantwortung der Frage: "Haben die Apostel vor der Auferstehung Jesu den Glauben aun sein Verdienst gehabt?" 153.
 
 
  Ia-02-1778-0688
126) Von den Meinungen in Religionssachen 160.
 
 
  Ia-02-1778-0689
127) Vom Hauptwerke der Religion 161.
 
 
  Ia-02-1778-0690
128) Aus dem Young - vom Menschen 162.
 
 
  Ia-02-1778-0691
129) Von Monaden 162.
 
 
  Ia-02-1778-0692
130) Wie wir die Idee der Solidität erlangen 163.
 
 
  Ia-02-1778-0693
131) Eine Übersezzung Eph. II, 1=3. 163.
 
 
  Ia-02-1778-0694
132) Von der Geschwindigkeit. 165.
 
 
  Ia-02-1778-0695
133) Vom Schalle. 168.
 
 
  Ia-02-1778-0696
134) Von den Konsonanzen und Dissonanzen 172.
 
 
  Ia-02-1778-0697
135) Von dem unisono und den Oktaven 175.
 
 
  Ia-02-1778-0698
136) Von andern Konsonanzen 179.
 
 
  Ia-02-1778-0699
137) Von den zwölf Tönen des Klaviers 184.
 
 
  Ia-02-1778-0700
138) Von der Atmosphäre und dem Barometer 189.
 
 
  Ia-02-1778-0701
139) *...* Warum man an allen Orten und zu allen Jahrszeiten auf sehr hohen Bergen und in tiefen Kellern einen gleichen Grad der Kälte empfindet 192.
 
 
Manuskriptseite 283.
 
  Ia-02-1778-0702
140) Ein neues System von der Natur der Stralen und des Lichts Seit. 196.
 
 
  Ia-02-1778-0703
141) Von der Fortpflanzung des Lichts 200.
 
 
  Ia-02-1778-0704
142) Von der Grösse der Welt. – Von der Natur und den Stralen der Sonne. 204.
 
 
  Ia-02-1778-0705
143) Fernere Erklärung der leuchtenden Körper 207.
 
 
  Ia-02-1778-0706
144) Widerlegung der Newtonischen Meinung von der Art und Weise, wie uns dunkle Körper sichtbar werden, (nämlich, indem sie die Stralen zurük werfen.) * 209.
 
 
  Ia-02-1778-0707
145) Andre Erklärung wie uns dunkle Körper sichtbar werden 212.
 
 
  Ia-02-1778-0708
146) Fortsezzung und Ende der vorigen Materie 214.
 
 
  Ia-02-1778-0709
147) Verschiedenes noch von Farben 215.
 
 
  Ia-02-1778-0710
148) Von der Durchsichtigkeit der Körper 216.
 
 
  Ia-02-1778-0711
149) Von der Brechung der Stralen von verschiednen Farben 220.
 
 
  Ia-02-1778-0712
150) Vom Stern im Auge 223.
 
 
  Ia-02-1778-0713
151) Von Vergleichungen 225.
 
 
  Ia-02-1778-0714
152) Von der Personifikation oder Prosopopöie 226.
 
 
Manuskriptseite 284.
 
  Ia-02-1778-0715
153) Von der Hyperbol Seit. 227.
 
 
  Ia-02-1778-0716
154) Von der Figur, * die bei Gegenständen, welche in Verhältnissen stehen, die Eigenschaften des einen dem andern mittheilt 228
 
 
  Ia-02-1778-0717
155) Von der Metapher und der Allegorie 228.
 
 
  Ia-02-1778-0718
156) Etliche Bemerkungen und Regeln bei den Erzählungen und den Beschreibungen 230.
 
 
  Ia-02-1778-0719
157) Von der symbolischen Erkentnis 231.
 
 
  Ia-02-1778-0720
158) Von der Sprache als Zeichen ** betrachtet 234.
 
 
  Ia-02-1778-0721
159) Von den Bindewörtern 237.
 
 
  Ia-02-1778-0722
160) Von der Wahrscheinlichkeit 237.
 
 
  Ia-02-1778-0723
161) Vom Glauben 239.
 
 
  Ia-02-1778-0724
162) Von dem Ausdrukke "Gott wohnt in einem Frommen" 241.
 
 
  Ia-02-1778-0725
163) Was wäre der Mensch – wenn er unsterblich nicht unsterblich ist? 242.
 
 
Manuskriptseite 285.
 
  Ia-02-1778-0726
164) Zieht Menschen - werdet ganz - Menschen Seit. 243
 
 
  Ia-02-1778-0727
165) Von der Redensart "welches Tages du davon ist, solst du des Todes sterben." 244.
 
 
  Ia-02-1778-0728
166) Von den ersten Christen 248.
 
 
  Ia-02-1778-0729
167) Von der Kindheit der Welt. 249.
 
 
  Ia-02-1778-0730
168) Vom Weitläuftigen in der Religion. 249.
 
 
  Ia-02-1778-0731
169) Nothankers Glauben 250
 
 
  Ia-02-1778-0732
170) Toleranz! - 250
 
 
  Ia-02-1778-0733
171) Gespräch des Sebaldus Nothanker mit einem Pietisten 251.
 
 
  Ia-02-1778-0734
172) Richtet nicht!!!! 255.
 
 
  Ia-02-1778-0735
173) Die Wirkung der Luft auf den menschlichen Körper 256.
 
 
  Ia-02-1778-0736
174) Was Offenbarung Gottes in der Natur sei 257.
 
 
  Ia-02-1778-0737
175) Von der Seeligkeit anderer Völker, die von der Lehre Jesu Christi nichts wissen 258.
 
 
Manuskriptseite 286.
 
  Ia-02-1778-0738
176) Zum Beweise für die Güte und Gerechtigkeit Gottes Seit. 261.
 
 
  Ia-02-1778-0739
178) Von den Mängeln der Seelenkräfte und der Unsterblichkeit der Seele | 261.
 
 
  Ia-02-1778-0740
179) Von den Theilen flüssiger und dichter Körper 262.
 
 
  Ia-02-1778-0741
180) Von den Sitten der Wilden 262.
 
 
  Ia-02-1778-0742
181) Der Morgen – und ein empfindsames Herz dazu 264.
 
 
  Ia-02-1778-0743
182) Aus Ramlers Oden 266.
 
 
  Ia-02-1778-0744
183) Spinosistische Gotheit 267.
 
 
  Ia-02-1778-0745
Ende des zweiten Bandes.